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Dieses Thema hat 39 Antworten
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 Romane
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Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

13.01.2018 18:57
Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Da hier ja immer so viel über die Filme mit allen technischen Finessen geschrieben wird, möchte ich mal etwas über die durchaus lesenswerten Vorlagen veröffentlichen. Auch hier gibt es ja immer wieder auftauchende Stilelemente oder auch schlechter gesagt Klischees, die teilweise in die Filme übernommen wurden, aber eben teilweise auch nicht. Edgar Wallace muss ein Mann mit unermüdlicher Energie, großer Phantasie und enormen (Halb-)Wissen gewesen sein. Er bediente sich oft der gleichen Stereotype in seiner Schreibe, aber trotz allem konnte er sie oft gut variieren.
Vielleicht kann man sich ja hier mal ein wenig über diese Eigenheiten austauschen. Was macht eigentlich einen „richtigen“ Edgar-Wallace-Krimi aus ? Welchen Reiz kann sein Werk auch heute noch, fast schon hundert Jahre nach seiner Hoch-Zeit, auf einen Leser des 21. Jahrhunderts ausüben ?

Zu Beginn mal ein Stilmittel bei Edgar Wallace, welches eigentlich eher von "klassischen" Autoren verwendet wird, aber das der Schriftsteller sogar verhältnismäßig oft einsetzte. In die Verfilmungen wurde es bewusst so gut wie gar nicht übernommen:

Das „Locked-Room-Mystery“

Edgar Wallace hat in einigen seiner Kriminalromane ein Element eingesetzt, dass für die klassische Detektiverzählung ein gerne eingesetztes Stilmittel war: der Mord im sogenannten verschlossenen Raum, wo nicht klar ist, wie sich der Täter Einlass geschafft hat oder auch wieder den Tatort verlassen hat. John Dickson Carr war ein Meister dieser kriminalistischen Spielart, auch Agatha Christie hat sich daran versucht, sogar die „Väter“ der Schwedenkrimis Walhöö/Sjöwall haben einen Roman darüber verzapft.
Wallace‘ erster Krimi aus dem Jahre 1905 war schon ein Locked-Room-Rätsel – wie wurde der Außenminister Philipp Ramon von den Vier Gerechten in seinem Arbeitszimmer inmitten Hunderter Polizisten getötet? Die Lösung des Rätsels hat er ja bekanntermaßen zu Werbezwecken als Preisausschreiben ausgeben lassen, nur hatten zu seinem Pech zu viele Leute den Hergang erraten, was ihn ja fast in den Ruin trieb.
Doch diese negative Erfahrung hinderte ihn nicht daran, auch später solche Morde in verschlossenen Räumen geschehen zu lassen. In dem Krimi Die gebogene Kerze wird so ein Fall beschrieben und klassisch aufgelöst, aber am klassischsten geht es wohl in dem Buch Das Geheimnis der Stecknadel zu, wo ein Mann und später ein zweiter in einem von innen verschlossenen Kellergewölbe getötet werden. Ich weiß nicht, ob Wallace den Modus operandi des Mörders von jemand anderem abgeschrieben hat, aber definitiv getan hat das drei Jahrzehnte später Victor Gunn, ein ähnlicher Vielschreiber wie Wallace, in seinem Kriminalroman Das Wirtshaus von Dartmoor. Ebenfalls bezieht sich zehn Jahre nach Erscheinen des "Stecknadel-Geheimnisses" und einem Jahr nach Wallace' Tod in dem Kriminalroman Der Mordfall Terrier der versnobte amerikanische Privatdetektiv Philo Vance (eine Schöpfung des US-Schriftstellers mit den Pseudonym S.S. van Dine) direkt auf die Wallace-Story und zitiert sie sogar recht wohlwollend, indem er die Auflösung wortwörtlich vorliest. Das Philo-Vance-Rätsel ist natürlich noch einiges komplizierter als das bei Wallace, aber das Grundproblem wurde übernommen. Auch das schon erwähnte Das Geheimnis der gebogenen Kerze wird bei Philo Vance besprochen.
Ein Locked-Room-Rätsel gibt es ebenfalls in dem Wallace-Buch The Lone House Mystery, das leider noch nicht ins Deutsche übersetzt wurde und das ich noch nicht gelesen habe. Es soll aber recht klassisch sein.
Ein Mord in einem verschlossenen Raum geschieht auch bei der Bande des Schreckens während eines Telefonates. Auch der Rote Kreis ermordet einen Mann in einer Gefängniszelle unter den Augen der Polizei, wenig später einen anderen in seinem Arbeitszimmer in seinem Haus, als der kurz davorsteht, den vor dem Zimmer befindlichen Detektiven die Identität des Hauptübeltäters preiszugeben. Die Bande des ominösen Frosches mit der Maske schafft es, einen Zeugen in seiner Vernehmungszelle mitten im Polizeipräsidium zu vergiften.
Aber die Auflösungen dieser Verbrechen sind natürlich nicht so spektakulär wie bei den Meistern des Genres, so viel Zeit zur Entwicklung eines extrem komplizierten Plots hatte Wallace gar nicht. In dem Mitte der Dreißiger Jahre entstandenen klassischen Krimi Der verschlossene Raum des am Anfang genannten Dickson Carrs gibt es ein berühmtes Kapitel über Mordrätsel in verschlossenen Räumen, wo er sich zwar nicht direkt auf Wallace bezieht, aber z.B. die Methode des umgebauten Telefonhörers als Mordwaffe (Die Bande des Schreckens) erwähnt. So geschieht E.W. immerhin ein wenig Gerechtigkeit ...

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

13.01.2018 19:46
#2 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Wie du bereits geschrieben hast, ist das Locked Room Mystery eine Urtechnik der Kriminalerzählung. Edgar Allan Poes "Morde in der Rue Morgue" führten nicht nur einen Prototyp des später populär gewordenen Privatermittlers ein, sondern eben auch den Mechanismus des scheinbar unmöglichen Mordes in einem verschlossenen Zimmer. Verbreitet wurde dieses Stilmittel dann weiter durch Gaston Leroux' "Das Geheimnis des gelben Zimmers". Man kann Locked Room Mysteries daher nicht als eineindeutiges Wallace-Merkmal bezeichnen, aber es war - wenn es ein solches jemals gegeben hat - ganz sicher auch ein gern genutztes Feld des Edgar Wallace Plot Wheel.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

14.01.2018 18:39
#3 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Sicher ist das Verschlossene-Raum-Mysterium nicht unbedingt DAS typische Edgar-Wallace-Element. Aber so richtig entwickelt hat es sich doch erst in den Dreißiger Jahren, von einigen ruhmvollen Ausnahmen abgesehen. Da hat E.W. doch auch ein wenig "Vorarbeit" geleistet. Die doch eigentlich so simple Auflösung des Mordes an Harvey Froyant im "Roten Kreis" hat mich damals wirklich beeindruckt. Obwohl es ja glaube ich am Anfang des "Grünen Brandes" ein ähnliches Verbrechen gab. Immerhin ist die Auflösung der "Locked-Room-Mysteries" bei E.W. in all ihrer Schlichtheit glaubhafter als zum Beispiel die Verrenkungen, die J. Dickson Carr mitunter schrieb.
Aber der Name Edgar Wallace steht eigentlich auch eher für Action als für knifflige Geistesaufgaben...

Georg Offline




Beiträge: 3.263

14.01.2018 19:30
#4 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Typisch für Wallace waren ja auch "normale" Gangstergeschichten, da gab es auch zu Hauf Bücher, ohne Whodunits (Gangster in London). Locked-Room-Mysterys gab es ja gar nicht so viele, wenn ich mich entsinne, da fällt mir nur das sehr spannende Geheimnis der Stecknadel ein.
Wallace war sicher auch einer der Vorreiter was kriminelle Organisationen mit obskuren Hintermännern betrifft, etwas, das Francis Durbridge später noch ganz stark ausgebaut hat.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

15.01.2018 18:22
#5 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Na, gut. Ich sehe ja ein, dass es kein typisches Stilmittel bei Wallace ist.
Vielleicht was anderes, was schon ziemlich modern daherkommt:

Schalldämpfer

Wohl kaum eine Erfindung in der Waffentechnik ist in Wallace‘ Werken so geradezu inflationär anzutreffen wie der Schalldämpfer. Um die Jahrhundertwende erfunden, muss der Schalldämpfer auf Schusswaffen den Autor extrem fasziniert haben. Kaum ein Roman, wo es nicht „ploppt“, „plufft“ oder gar völlig geräuschlos beim Schießen zugeht. Wie real das Ganze ist, kann ich nicht sagen, aber ob der Autor tiefergehende Kenntnisse über die Funktion einer solchen Apparatur hatte, kann wohl bezweifelt werden. Schließlich ist das gezielte Abfeuern einer Waffe mit einem Schalldämpfer aus verschiedenen Gründen recht schwierig, und außerdem muss man auch spezielle Unterschall-Munition verwenden, um den letztendlich gewünschten Effekt zu erzielen. Davon liest man nie etwas in den Romanen.
Es wäre vielleicht mal witzig, eine Liste von den Romanen von Wallace, besonders die der zwanziger Jahre, zu erstellen, in denen kein Schalldämpfer auftaucht. Sie ist mit Sicherheit nicht sehr lang.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

16.01.2018 13:48
#6 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Das wäre mir nicht eingefallen, aber es stimmt, wenn man darüber nachdenkt. Und eigentlich ist der Reiz eines Schalldämpfers für einen Krimi(-schriftsteller) ja auch nur logisch, weil sich damit herrlich die Tatzeit verheimlichen und die Klärung des Falles schwieriger gestalten lässt. Sonst ist der Knall eines Schusses ja auch ziemlich auffällig.

Dass Wallace den Schalldämpfer so häufig benutzte, zeigt überhaupt auch an, dass er seine Figuren häufig zu Schusswaffen greifen ließ - im Gegensatz z.B. zu Agatha Christie, die eher als Expertin für Giftmorde bekannt ist. Das lässt sich auf einer abstrakteren Ebene dann sicher auch in Richtung "handfesterer Krimi" vs. "eleganterer Krimi" zu verallgemeinern.

Dass Wallace technisch komplett uninformiert war, würde ich aber nicht unbedingt unterstellen. Er schrieb die Bücher zwar schnell herunter, aber interessierte sich schon auch im Detail für die Methoden der Ermittler und Verbrecher, um seinen Lesern "Authentisches" anbieten zu können (z.B. Besuch bei Ernst Gennat in Berlin oder bei Al Capone in Chicago). Es ist also nicht total abwegig, zu vermuten, dass er hier oder dort auch 'mal über die genauere Funktionsweise von Schalldämpfern gestolpert ist. Aber das ist Spekulation.

lasher1965 Offline




Beiträge: 419

16.01.2018 14:44
#7 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #6

Dass Wallace den Schalldämpfer so häufig benutzte, zeigt überhaupt auch an, dass er seine Figuren häufig zu Schusswaffen greifen ließ - im Gegensatz z.B. zu Agatha Christie, die eher als Expertin für Giftmorde bekannt ist. Das lässt sich auf einer abstrakteren Ebene dann sicher auch in Richtung "handfesterer Krimi" vs. "eleganterer Krimi" zu verallgemeinern.


Vielleicht ist das ja ein wenig klischeehaft, aber möglicherweise ist das eine einfach die "Männermethode" und das andere eher die "Frauenmethode"?

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

16.01.2018 20:42
#8 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Wahrscheinlich sind Pistolen und Revolver in Krimis wirklich mehr eine Männerdomäne. Agatha Christie soll sich ja auch dahingehend geäußert haben, dass es ihr schwerfalle, Geschichten zu schreiben, in denen Schusswaffen eine Rolle spielen. Obwohl ja auch bei ihr z.B. gerade in ihren eher abenteuerlichen Anfangsgeschichten auch ganz schön geschossen wurde. Dagegen spielt Gift auch bei Edgar Wallace oft eine Rolle - ein schönes neues Stilmittel-Thema...
Sicher war Wallace technisch auch informiert, beim "Banknotenfälscher" hat ja der eine Zeuge sogar den Knall des Schalldämpfers erkannt, weil er im Krieg beim Militär selber Versuche damit anstellte. Das klingt schon authentisch. Aber er erwähnt z.B. bei "Gucumatz" eine überschwere Luftpistole namens Deloraine, die als Mordwaffe gedient hat und auch im Krieg in Belgien bei Patrouillengängen eingesetzt wurde. Doch der "Herr Google" weiß davon überhaupt nichts. Ich frage mich, ob es unter dieser Bezeichnung wirklich so etwas gegeben hat oder ob da doch ein wenig auch die Phantasie mit im Spiel war. Schon Conan Doyle hat ja schon bei Sherlock Holmes über besonders starke Luftgewehre mit Patentspannsystem herum fabuliert. Besonders die Darstellung, dass diese Waffen keine Geräusche machen, ist ja genau so unsinnig wie der vollkommen geräuschlose Schalldämpfer.
Mir fällt nur auf, dass in moderneren Kriminalgeschichten Schalldämpfer kaum eine so große Rolle spielen wie bei Wallace. Auch in den Verfilmungen der Sechziger treten sie kaum auf (Verrätertor, Neues vom Hexer, Tote in der Themse, ..?).
Aber ich glaube, sogar bei Agatha Christie tauchte mal ein Schalldämpfer auf, weiss bloß nicht mehr wo...

Markus Offline



Beiträge: 683

20.01.2018 23:03
#9 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Zitat von Dr. Oberzohn im Beitrag #8

Aber ich glaube, sogar bei Agatha Christie tauchte mal ein Schalldämpfer auf, weiss bloß nicht mehr wo...



Mord im Pfarrhaus

Gruß
Markus

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

21.01.2018 19:07
#10 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Natürlich. Der erste Roman mit Miss Marple. Immerhin hat sich die alte Dorfjungfer auch schon mit Schalldämpfern ausgekannt. Wahrscheinlich hat sie ebenfalls die Werke von Edgar Wallace in ihrem Bücherregal stehen gehabt...

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

18.02.2018 18:39
#11 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Hier noch ein paar Überlegungen zu einer recht häufig eingesetzten Thematik der Wallace-Romane:

Selbstjustiz

Trotz aller Verherrlichung der britischen Justiz ist sich Wallace oft sehr wohl über die Unzulänglichkeiten von Recht und Gesetz im Klaren gewesen. Es erstaunt fast schon, wie unbekümmert er mit dem Thema Selbstjustiz umging, sogar zur damaligen Zeit. Dabei gibt es zwei Arten dieser ungesetzlichen Betätigung: einmal sind es private, oft einsame Rächer, die am eigenen Leibe erlittenes Unrecht bestrafen wollen. Zum anderen gibt es da Personen, welche das Gesetz im Prinzip „gewerbsmäßig“ im Dienste der Allgemeinheit in die eigenen Hände nehmen.

Ein typischer einsamer Rächer ist der Grüne Bogenschütze. In der Maskerade einer mittelalterlichen Spukgestalt durchkreuzt er die Machenschaften eines wahrlich dämonischen amerikanischen Millionärs und seiner Helfershelfer. Dabei geht er gut mit Pfeil und Bogen um, seine Opfer bleiben ungesühnt, da der ermittelnde Inspektor auch aus privaten Gründen am Ende keinen Wert auf Bestrafung legt. Auch Gucumatz (die gefiederte Schlange) kommt am Ende davon, nachdem er sich an den Menschen gerächt hatte, die sein Leben zerstört hatten. Der Namensgeber aus Treffbube ist Trumpf vollstreckt hart und unnachgiebig seine private Rache an einer Verbrecherorganisation, und wenn er am Ende von der Kugel des Obergangsters fällt, dann ist er eher eine tragische Figur als ein Krimineller.
Auch Wallace‘ wohl berühmteste Romangestalt, der Hexer, war am Anfang nur ein ziemlich finster gezeichneter Mann, der den Tod seiner Schwester rächen wollte, den ein schmieriger Anwalt verursacht hatte. Dabei geht er ziemlich rücksichtslos vor und meuchelt auch schon mal einen übereifrigen Polizeispitzel. So ist sein Ende im Originalroman auch wenig erbaulich, erst in der überarbeiteten Fassung kommt er mit dem Leben davon und wird deutlich positiver dargestellt. Sogar eine Sammlung von Geschichten, –Neues vom Hexer-, folgte im Kielwasser des sehr erfolgreichen Romans und Theaterstückes. Nun ist der Hexer mittlerweile eine Heldenfigur, die Verbrecher bestraft, welche durch die Maschen des Gesetzes schlüpfen konnten. Nicht immer, aber doch recht häufig, enden die Geschichten mit dem Tod des jeweiligen Übeltäters. Hier sind wir jetzt bei der zweiten Klasse von Menschen angelangt, die Selbstjustiz üben, und zwar nicht aus privaten, sondern edleren Motiven. So kämpft der Mann von Marokko mit allerlei ungesetzlichen Mitteln gegen einen bösartigen Geschäftsmann, weil er dessen Unrecht gegen einen Matrosen wieder gutmachen will, der ihm zufällig über den Weg gelaufen und dessen Schicksal ihn gerührt hatte.
Ganz anders noch die Vier Gerechten: sie tauchen nicht nur in Wallace‘ Erstlingsroman, sondern noch in diversen anderen Büchern, auch in Geschichtenform, wieder auf und verdienen es, noch ein wenig näher beleuchtet zu werden. Die Hauptpersonen sind Georg Manfred, ein Engländer, dann Leon Gonzalez, Spanier, und zuletzt Jaques Poiccart, der Franzose. Der Vierte im Bunde ist schon lange tot – von der Polizei erschossen. Er lebt schon im ersten Roman nicht mehr und wird später ab und zu durch jemanden ersetzt. Im Prinzip sind es also drei Gerechte (wie auch ein späterer Romantitel lautet). Sie haben unterschiedliche Charaktereigenschaften, Manfred ist so eine Art Anführer, stark und verbindlich, Gonzales dagegen ist der aktivste und gefühlloseste und hängt gerne den Theorien des Professor Lombroso nach. Poiccart ist der Gefühlvollste, aber auch Phlegmatischste und Klügste der Drei.
Zu Beginn ihrer Karriere, als Vier Gerechte, töten sie aus politischen Gründen einen einflussreichen englischen Politiker, dann im Roman The Council of Justice (Der Rat der Gerechtigkeit - leider noch nicht ins Deutsche übersetzt) bestrafen sie die "Bande der Roten Hundert" samt ihrer unheimlichen Chefin, dann gibt es noch Die Drei von Cordova, die einen verbrecherischen Oberst und seine Getreuen als Gegenspieler haben, später tauchen zwei der „gerechten Männer“ in den Erzählungen des Bandes Das Gesetz der Vier wieder auf. Dort sind sie inkognito in England, da sie offiziell noch als Verbrecher gesucht werden. Sie bestrafen recht einfallsreich (und rücksichtslos) verschiedene Menschen, die das Gesetz übertreten haben. Dann, in dem Roman Die drei Gerechten, leben sie alle als Privatdetektive völlig legal in England. Sie wurden für ihre Verdienste für Großbritannien während des (ersten) Weltkrieges begnadigt, mussten aber ihren ungesetzlichen Aktivitäten abschwören. Beim Kampf gegen den schwerkriminellen Dr. Oberzohn allerdings können sie nicht immer im Rahmen der Legalität operieren, ebenso wenig wie in der späteren Geschichtensammlung Das silberne Dreieck, wo sie dann auch wieder als Privatdetektive arbeiten. Hier allerdings ist der Selbstjustiz-Aspekt am wenigsten vertreten.
Edgar Wallace muss an seinen „gerechten Männern“ gehangen haben, da er sonst kaum so lange an von ihm geschaffenen Figuren festhielt, vielleicht mal von Mr. Reeder und Inspektor Elk abgesehen.
Es soll hier nicht beurteilt werden, ob seine Rächer und Femerichter nun im Recht waren oder nicht. Ihre Opfer waren immer grundschlechte Menschen, die vom Elend und Unglück der gesetzestreuen Bürger zehrten. Die Sympathie ihres Schöpfers war ihnen sicher gewiss, und auch ich habe mir bei der Lektüre oft gewünscht, dass es doch einen „Hexer“ oder ein paar „Gerechte“ auch heute geben möge, sozusagen als letzte Instanz. Aber so etwas gibt es doch leider nur in Romanen !

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

19.02.2018 00:10
#12 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Selbstjustiz in Form persönlicher Rachenahme an den offiziellen Gesetzen vorbei ist in den Werken vieler Kriminalschriftsteller vertreten und man kann den entsprechenden Geschichten dann nicht selten zwischen den Zeilen die persönliche Haltung der Autoren zum Thema entnehmen. Arthur Conan Doyle zum Beispiel ließ seinen Meisterdetektiv Sherlock Holmes mehrfach auf eine Anzeige oder Bestrafung der Verbrecher verzichten, wenn diese einen „guten“ Grund für ihre Taten (z.B. im Sinne der Auslöschung eines verdorbenen Menschen) hatten.

Edgar Wallace durchdachte dieses Muster mit seinen „professionellen“ Selbstjustiz-Figuren „der Hexer“ und „die vier / drei Gerechten“ noch ein ganzes Stück weiter. Die Sympathie, die aus diesen Rollen für die Privatisierung von Urteilsvollstreckungen spricht, ist frappierend und für manche Leser vielleicht sogar irritierend. Einerseits macht es zwar eine Art diebische Freunde, sich mit einem Edelschurken gegen einen durchtriebenen Unhold zu verbünden und damit bei der Lektüre selbst ein bisschen das Gesetz zu übertreten (quasi nach der Art eines mörderischen Robin Hood) und darin liegt sicher ein nicht unwesentlicher Anteil am Erfolg des „Hexers“ in Buch- und Bühnenform. Doch ganz korrekt ist dieses Vergnügen genaugenommen freilich nicht. So bezeichnet David L. Vineyard die „vier Gerechten“ in seiner Besprechung des gleichnamigen Romans für MysteryFile als „politische Terroristen“, Steven Fielding widmet in einem Blogpost für die School of Politics and International Relations der University of Nottingham dem Buch sogar eine Analyse dieses Aspekts unter dem Titel „The Good Terrorists“.

Dabei ist zu beachten, dass Wallace, obwohl er die Gerechten den Minister Ramon ermorden ließ, damit keine politische Kritik ausdrückte oder gar Anarchie propagierte, sondern das Gegenteil der Fall ist:

Zitat von Steven Fielding: A State of Play – British Politics on Screen, Stage and Page, Bloomsbury, London 2014, S. 37
‘[Ramon] was the most dangerous man in the Cabinet, which he dominated in his masterful way, for he knew not the meaning of the blessed word “compromise”.’ Ramon’s death is, it seems, due to his refusal to find the middle ground, as he is urged by the Prime Minister: in other words, he is assassinated for failing to act like a parliamentarian. In a bizarre way – the murder of a Cabinet minister – Wallace’s thriller endorses the parliamentary ideal.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

19.02.2018 19:40
#13 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Ja, der Sherlock Holmes hat sich ja sogar einige Male als Einbrecher betätigt, um belastendes Material für seine Klienten aus den Händen von Erpressern oder ähnlich unangenehmen Menschen zu erlangen. Besonders beim Tod des Erpressers Milverton ließ er sich von seiner Abscheu gegenüber diesem Menschen leiten und verhinderte die Aufklärung.
Sogar Agatha Christies Poirot wurde in seinem letzten Fall selber zum Richter und Henker in einer Person. Und Lady Agathas "Das letzte Wochenende" (früher mal "Zehn kleine Negerlein" genannt, ohne dass die Welt unterging) ist ja geradezu eine klassische Selbstjustiz-Geschichte. Auch der Kuschel-Krimi kam nicht immer ohne aus, obwohl ja letztere Erzählung alles andere als kuschelig ist.
Sicher ist das Thema "Selbstjustiz" nie korrekt, egal wie es daherkommt, aber das ist eben auch die gesamte Justiz nicht. Was tun, wenn die staatliche Ordnung nachlässig, korrupt, gleichgültig ist oder einfach in Auflösung ist ?Hoffentlich müssen wir das nicht erleben ! Immerhin kommen Wallace' geheime Vollstrecker immer noch sympathischer und glaubwürdiger rüber als z.B. die Figuren von Mickey Spillane. Das ist einfach nur grausame Gewalt zum Selbstzweck !

In seinem ersten Roman "Die vier Gerechten" stellt Wallace seine Helden tatsächlich als Terroristen dar, da hast Du Recht. Selber haben sie sich gar nicht so gesehen (welche Terroristen tun das schon !). Kommt immer darauf an, wer letztendlich gewinnt, der Grat vom Terroristen zum politischen Widerstandskämpfer war schon immer sehr schmal. Das Thema "politisches Asyl" der vor über hundert Jahren veröffentlichten Geschichte ist immer noch merkwürdig aktuell.
Aber für die "gerechten Männer" war die Sache mit Minister Ramon doch eher ein Ausrutscher, später haben sie ja wirklich nur gewöhnliche Kriminelle bestraft.
Immerhin sind die geheimen Rächer in Wallace' Werk mal eine Abwechslung zu den manchmal so sehr bieder geratenen Inspektoren. Obwohl ja auch hier manchmal die Grenzen des Gesetzes überschritten wurden, ich denke da nur an den "Wetter" Long aus der "Schreckensbande", der wegen seiner rüden Methoden berüchtigt war (immerhin hat er doch auch einen Kindesentführer so lange malträtiert, bis dieser das Versteck des Millionärssohnes verriet - Parallelen mit tatsächlichen Fällen auch in Deutschland tun sich auf...) Immerhin hat es ihn nicht sein Amt gekostet.

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

25.02.2018 19:15
#14 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Obwohl ja Agatha Christie die "Meisterin" des (literarischen) Giftmordes ist, bediente sich auch Edgar Wallace hin und wieder dieses Mittels : Gift
Ein regelmäßig auftretendes Stereotyp in Wallace-Krimis ist die Vergiftung von Zeugen gegen Verbrecherorganisationen im Polizeigewahrsam mittels Blausäure. Dieses Schicksal trifft den mordverdächtigen Matrosen Sibly im Roten Kreis, den aussagewilligen Unter-„Frosch“ Mills im Frosch mit der Maske, auch „Mutter“ Oaks im Gasthaus an der Themse findet ein solches unrühmliches Ende in ihrer Untersuchungszelle. In Treffbube ist Trumpf wird gar auf diese Weise ein Zeuge in letzter Minute im Gerichtssaal ermordet.
Ansonsten taucht Gift immer mal wieder in Wallace‘ Schaffen auf. In Großfuß will der Übeltäter zum Schluss alle Beteiligten vergiften, was aber Gottseidank misslingt. Eine besondere Rolle spielt Gift im Roman Die Drei von Cordova. Hier verwendet ein verbrecherischer Oberst eine sehr mysteriöse Flüssigkeit, die ihre Opfer bei flüchtigem Lippenkontakt sofort sterben lässt, ohne Spuren zu hinterlassen. In einer Fußnote weist der Autor darauf hin, dass es ein solches Gift tatsächlich gebe, aber er aus naheliegenden Gründen darauf verzichte, dessen Namen zu nennen. Es wäre interessant zu erfahren, ob es wirklich so wie beschrieben existiert. Da es Augenärzten bekannt sein soll, ist es vielleicht ein Alkaloid, welches die Pupillen verändert, obwohl ja genau das nicht zu den bleibenden Wirkungen des Giftes zählen soll. Oder ist mit Edgar Wallace hier einfach einmal die Fantasie durchgegangen?

Dr. Oberzohn Offline



Beiträge: 644

02.04.2018 19:11
#15 RE: Stilelemente in Wallace-Romanen Zitat · Antworten

Hier mal ein wiederholt auftretendes Handlungselement in den Romanen, auf das auch Margaret Lane in ihrer Edgar-Wallace-Biografie hinweist:

Schiffsentführungen

Manchmal liebte es der gute Wallace richtig klotzig. Da musste schon mal ein ganzes Schiff geklaut werden, mit oder ohne Mannschaft. Die Geheimloge in dem Roman Im Banne des Unheimlichen entführt gar einen richtigen großen Luxusdampfer samt allen Passagieren, um ein Lösegeld zu erpressen – Vorlage für einige mehr oder weniger tolle Hollywoodfilme, die in den Jahrzehnten danach folgen sollten. Dagegen kapern die „Gummibrüder“ am Ende des Thrillers Das Gasthaus an der Themse ein Kriegsschiff, wobei die Besatzung niedergemetzelt wird. Damit wollen die Bösewichter auch hier wieder ein Passagierschiff entern, um sich mit ihrer zusammengeraubten Beute nach Südamerika absetzen zu können. Der Plan misslingt allerdings, das Kriegsschiff wird von Küstenartillerie zusammengeschossen. (In diesem Buch spielen Schiffe überhaupt eine sehr große Rolle). Relativ unaufgeregt erfolgt die versuchte Entführung einer Jacht in dem Roman Penelope von der Polythania, eine Schiffentführung auf Sparflamme sozusagen (das betrifft leider auch den ganzen Roman). Etwas drastischer geht es da schon wieder im Mann von Marokko zu, wo maurische Piraten vor der afrikanischen Küste eine englische Luxusjacht kapern wollen, was selbstverständlich nicht gelingen darf.

Das Motiv einer Schiffsentführung klingt auch in dem Buch Die gelbe Schlange an. Hier wollen diesmal zum Schluss „die Guten“ die Macht über ein Schiff in Diensten der Verbrecher erringen, das alles geht nach viel Dramatik natürlich nicht ohne abschließende Explosion ab. Soweit ich mich erinnern kann, knallte es am Ende des Romans Das Verrätertor auch an Bord eines Themseschiffes recht gewaltig, das die Gangster besetzt hatten.

Der Hauptverbrecher in Die blaue Hand wird zuletzt auch an Bord seiner Jacht irgendwo im Ozean gestellt, hatte er doch auch noch die nette Heldin gekidnappt. Auch das ist ein häufiges Thema bei Wallace – die Verschleppung einer Person auf ein Schiff. Die unschuldige junge Schönheit des Krimis Der grüne Bogenschütze sieht sich auf einem Frachtschiff wieder, auf das sie ihr skrupelloser Onkel entführen ließ, um sie nach Südamerika zu entführen oder auf See gar Schlimmeres anzustellen. Natürlich wird sie noch rechtzeitig, allerdings nach langem Hin und Her, befreit.
Sicher gibt es noch etliche andere Beispiele, die Wallace‘ Vorliebe für dramatische Geschehnisse auf Schiffen belegen können. Die Themse mit ihren vielen Häfen taucht oft in seinem Werk auf – er war eben das Kind einer Seefahrernation. Vielleicht hätte er mal zu seinem und der Leser Vergnügen eine richtig schöne Seeräubergeschichte schreiben sollen, so eine Art Francis Drake in Wallace-Manier !

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