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Dieses Thema hat 5 Antworten
und wurde 535 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

27.11.2016 14:02
Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) Zitat · Antworten



BEWERTET: "Epilog - Das Geheimnis der Orplid" (Deutschland 1950)
mit: Horst Caspar, Bettina Moissi, Irene von Meyendorff, Hans Christian Blech, Peter van Eyck, Carl Raddatz, Fritz Kortner, Hilde Hildebrand, Arno Assmann, Horst Hächler, Paul Hörbiger, Rolf von Nauckhoff, Hans Leibelt, O. E. Hasse, Reinhard Kolldehoff, Jeanette Schultze, Rolf Heydel u.a. | Drehbuch: Robert A. Stemmle und Helmut Käutner nach einer Idee von Artur Brauner und Fritz Böttger, frei nach einem Tatsachenbericht | Regie: Helmut Käutner

Die Luxus-Yacht "Orplid" verschwand auf ihrer Fahrt von Hamburg nach Schottland spurlos. Nichts deutet darauf hin, dass die Wetterverhältnisse Schuld waren. Der Reporter Peter Zabel, der infolge eines Journalistenaustauschs nach London kommt, untersucht den Fall. Er trifft die Malaiin Leata, die einzige Überlebende des Unglücks. Als er beim Cheflektor einer großen Zeitung vorstellig wird, um sein Material zu präsentieren, reagiert dieser verhalten. Zu brisant sind die Hintergründe des Vorfalls; politische Motive für den Untergang des Schiffs werden nicht ausgeschlossen....

"Die Rüstung ist die einzige Branche, in der es immer aufwärts geht."



Im semidokumentarischen Stil eröffnet der Film seine Spurensuche nach den Ursachen für den mysteriösen Untergang der Yacht "Orplid" am 14. August 1949. Anhand von Fotografien, dem Einsehen der Passagier- und Besatzungslisten und Befragungen von Reeder und Zulieferern, konstruiert der Journalist, den man zunächst nur aus dem Off hört, die Zusammenhänge der Geschichte. Durch Texttafeln und Andeutungen eines Racheakts aufgrund unsauberer Geschäfte, wird das Publikum auf eine unabwendbare Situation vorbereitet, in die nur die Hartnäckigkeit und Redlichkeit des Reporter-Augenzeugin-Gespanns Licht bringen kann. Bevor der Journalist im Büro des Zeitungsverlags vorstellig wird, hat er den Zuschauer bereits für sich gewonnen. Durch sein humanitäres Auftreten gegenüber dem stummen Mädchen, das die letzte Verbindung zu dem Schiff des Todes herstellt, wirken die gehetzten, skeptischen Männer in der Chefetage oberflächlich und kalt.

Die Schilderung in der Rückblende gibt den Blick auf eine theaterhafte Gesellschaft frei. Die Hochzeitsgäste feiern keinen Neubeginn, sondern das Ende. Das Ende von heimlichen Beziehungen, der amourösen Freiheit und der Illusionen. Betäubt und ernüchtert zugleich starren die Personen schweigend vor sich hin, wobei der Schein einer fröhlichen Runde nur der Form halber gewahrt wird. Gesellschaftliche Verpflichtungen müssen eingehalten und sich selbst und den anderen versichert werden, dass das Richtige getan worden ist. Die ehemaligen und heimlichen Bande zwischen den Anwesenden belasten die Atmosphäre und geben ihr etwas Unwirkliches. Die Bedrohung, die zunächst nur für Eingeweihte sichtbar wird, verstärkt das Gefühl der Ausweglosigkeit. Leicht schaukelnd bewegt sich die Yacht scheinbar ziellos durch die dunklen Fluten, als triebe sie ins Nichts. Wie ein Fluch lastet das Schicksal auf den zunächst Ahnungslosen, an deren Festtafel der Schaumwein ebenso schal schmeckt wie ihre Konversation.

Der Filmkritiker der "Süddeutschen Zeitung" Gunter Groll schreibt in seinem Bericht vom 7. Oktober 1950 ("Ein genialer Reißer, kühn und konfus") über den schmalen Grat, auf dem diese Produktion balanciert - teils meisterhaft, teils abstrus.

Zitat von Leinen los! Maritimes Kino in Deutschland und Europa 1912-1957, Katalog Cinefest 2006
"Es ist alles sehr geheimnisvoll. Wer die Bombe gelegt, warum er das tat, wer gegen wen etwas im Schilde führt, und wer sie alle sind, woher sie kommen und wohin sie wollen, die Leute auf diesem Schiff - das ist mir leider nicht ganz klar geworden, als ich diesen Film von Helmut Käutner zum erstenmal sah. Ich fragte dann viele andere, ob sie es begriffen hätten, und schließlich fand ich einen einzigen, dem alles klar war. Das war Helmut Käutner."


Die Drehzeit umfasste in den Sommermonaten des Jahres 1950 fünfunddreißig Tage, wobei es neben den Aufnahmen in den CCC-Studios in Spandau auch Szenen an der Havel gab. Peter van Eyck (mit dunklem Haar) spielt eine tragende Rolle und dient ebenso wie Irene von Meyendorff als positive Identifikationsfigur. Die Schlüsselfiguren stehen für eine von der Masse abweichende Meinung, kämpfen gegen Widerstände an und suchen beide nach einem Ausweg, einer Abnabelung von der Gemeinschaft. Sie bewahren bis am Ende einen klaren Kopf, ebenso wie der listige Carl Raddatz, der virtuos (auf-)spielt. Die Entfesselung der Panik an Bord zerlegt die Eleganz der anderen Charaktere, ob es sich nun um den zunächst melancholischen Hans Christian Blech oder den trägen Fritz Kortner handelt. Wieder einmal zeigt sich, dass der Mensch sich von den Bestien in freier Natur nur durch seinen zivilen Aufputz unterscheidet, ansonsten jedoch hemmungslos und brutal losschlägt, wenn er einmal alle Brücken der Vernunft eingerissen hat.

"Virtuose Szenen, nicht ohne menschlichen Tiefgang und krasse Knalleffekte, die kein Maß mehr kennen." Diese Worte aus der zeitgenössischen Kritik der "SdZ" unterstreichen die Botschaft des Films, der seinen Beteiligten schonungslos die Masken von den versteinerten Gesichtern reißt. Unbequeme Wahrheiten fesseln das Publikum ebenso wie die Suche nach der Bombe, die nach einer Stunde einsetzt und die Spannung auf Höchststufe katapultiert. 4 von 5 Punkten.

PS: Die Covergestaltung der DVD leistet sich den Lapsus, auf der Rückseite mit einem Foto von Paul Dahlke und zwei Herren aufzuwarten, das offensichtlich nicht aus "Epilog" stammt. Ebenso titelt das reproduzierte Filmplakat mit Adrian Hoven, der jedoch nicht mitspielt. Stutzig macht mich die Laufzeit von 81 Minuten, die im Cinefest-Katalog mit 91 Minuten (2501 m) angegeben wird.

Ray Offline



Beiträge: 1.929

06.05.2018 22:35
#2 RE: Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) Zitat · Antworten

Epilog - Das Geheimnis der Orplid (BRD 1950)

Regie: Helmut Käutner

Darsteller: Horst Caspar, Bettina Moissi, Irene von Meyendorff, Hans Christian Blech, Peter van Eyck, Carl Raddatz, Fritz Kortner, Hilde Hildebrand, Arno Assmann, Horst Hächler, Paul Hörbiger, Rolf von Nauckhoff, Hans Leibelt, O. E. Hasse u.a.



Der Journalist Peter Zabel ermittelt in mühseliger Kleinarbeit unter Mithilfe einer Überlebenden das Geheimnis um die Luxusjacht "Orplid". Diese war im Jahre 1949 mit einer scheinbar harmlosen Hochzeitsgesellschaft Richtung Schottland aufgebrochen und trotz besten Wetters unterwegs versunken...

Es gibt Filme, bei denen man schon nach wenigen Einstellungen bemerkt, dass man es mit einem ganz besonderen Exemplar seiner Gattung zu tun hat. "Epilog - Das Geheimnis der Orplid" von Helmut Käutner ist so einer. In der ersten Viertelstunde schlüpft der Zuschauer dank subjektiver Kamera in die Rolle des Journalisten Zabel und erlebt "hautnah", wie dieser sich langsam dem Geheimnis der Orplid näherte. Angestachelt von vagen Zeitungsmeldungen hatte er sich auf die Suche nach ersten Spuren gemacht und war dabei u.a. auf eine - inzwischen stumme - Zeitzeugin gestoßen. Mithilfe von Zeichnungen, die diese von den Geschehnissen machte, konnte er die Vorgänge rekonstruieren. Nach dieser ersten Viertelstunde erhält der Betrachter dann ein Gesicht zu der Figur, in dessen Position er sich bis dahin befindet. Der Journalist Zabel sitzt mit der Zeugin im Büro eines Zeitungsverlegers, um die Story an ihn zu verkaufen. Von nun an erlebt das Publikum das Geschehen nicht mehr aus Zabels Blickwinkel, vielmehr dient der Journalist nunmehr als (allwissender) Erzähler und schildert die Vorgänge auf der Jacht. Man lernt die Personen kennen, die sich auf der Orplid befanden. Unter ihnen befindet sich ein FBI-Agent (Peter van Eyck) und ein Killer. Die Hochzeit ist nämlich nur inszeniert, es geht um Waffengeschäfte und einer der Gäste soll ausgeschaltet werden...

Mit Spannung folgt man den Erzählungen Zabels und den Entwicklungen der zahlreichen angelegten Konflikte auf der Orplid. Die Ursachenkette, die letztlich zum Untergang der Orplid führt, ist von psychologischem Reiz. Darüber hinaus bietet der Film nach der Auflösung hinsichtlich des Untergangs der Orplid noch ein packendes und in seiner Darstellung bedrückendes Finale. Man muss sich auf diesen Film, der längst nicht alle Geheimnisse lüftet und damit manche Frage offen lässt, und seine einzigartige Atmosphäre einlassen. Käutner bedient sich hier einiger Stilmittel des klassischen Film-Noir (Kommentar aus dem Off, kontrastreiche Schwarzweiß-Fotografie, Figurentypen, Grundstimmung) und kreiert so einen in künstlerischer Hinsicht hervorragenden Kriminalfilm von ähnlicher Qualität wie Helmuth Ashleys "Mörderspiel".

Die DVD von Pidax bietet den Film in sehr guter Qualität. Auf die Fehler auf dem Cover wurde oben schon aufmerksam gemacht.


"Epilog - Das Geheimnis der Orplid" ist ein virtuos inszenierter Kriminalfilm von Helmut Käutner, der bedenkenlos zu den besten der Nachkriegszeit gezählt werden kann und in keiner Sammlung fehlen sollte. 5 von 5 Punkten.

Jan Offline




Beiträge: 1.753

07.05.2018 09:16
#3 RE: Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) Zitat · Antworten

Interessanterweise habe ich den Film die Tage auch gesehen, und ich werde sicher noch etwas ausführlicher schreiben bei Gelegenheit oder beim nächsten Wiedersehen. Dennoch liegen wir absolut nicht deckungsgleich mit unserer Einschätzung. Daher vorab schon einige Eindrücke:

Zitat von Ray im Beitrag #2
Man muss sich auf diesen Film, der längst nicht alle Geheimnisse lüftet und damit manche Frage offen lässt, und seine einzigartige Atmosphäre einlassen. Käutner bedient sich hier einiger Stilmittel des klassischen Film-Noir (Kommentar aus dem Off, kontrastreiche Schwarzweiß-Fotografie, Figurentypen, Grundstimmung) und kreiert so einen in künstlerischer Hinsicht hervorragenden Kriminalfilm von ähnlicher Qualität wie Helmuth Ashleys "Mörderspiel".

Sicherlich ist ein Helmut-Käutner-Film immer noch ein Helmut-Käutner-Film; will heißen, qualitativ gibt es freilich wenig auszusetzen. Der Film krankt vielmehr an seinem Drehbuch und daran, letztlich mit der heißen Nadel gestrickt worden zu sein. Dass der Film nicht alle Geheimnisse lüftet, ist eine freundliche Umschreibung. Inhaltlich taumeln Käutner und Stemmle zwischen einem Tatsachenbericht und einer fiktiven Geschichte und landen letztlich bei einer frei erfundenen Geschichte, die sie als "Begebenheit der jüngeren Vergangenheit" zu verkaufen suchen. Beispielhaft sei hier erwähnt, dass der Reporter zunächst zwei Werftenchefs interviewt, bei denen die Orplid gebaut worden sein soll während des Krieges. Beide Darsteller (einer davon ist Stemmle selbst) ähneln stark zwei real existierenden Werftenchefs jener Jahre in Bremen-Vegesack. Die von Käutner und Stemmle angepeilte Werft indes hat niemals mit einer Yacht eines hohen NS-Funktionärs zu tun gehabt. Das war schon damals klar. Hermann Görings Carin II, die hier wohl Vorbild der Orplid gewesen sein soll, wurde in Hamburg gebaut, nicht in Bremen. Warum man sich dennoch eine reale Werft mit realen Inhabern gewählt hat, auf diese anspielt, obwohl man hätte wissen können, dass diese Werft nichts mit Carin II zu tun hatte, bleibt ebenso offen, wie vieles andere. Warum z.B. wird da an Bord eine Hochzeit arrangiert? Was ist eigentlich der Part Arno Assmanns?

Geschäftlich schielte Artur Brauner unumwunden auf Carol Reeds "Der dritte Mann", der zuvor enorm erfolgreich lief. Käutners Stamm-Kameramann Werner Krien, der durchweg zu eigener Handschrift fähig war, imitierte leider für meinen Geschmack allzu sehr Robert Kraskers Bildgestaltung mit der doppelt angewinkelten Kamera und den Perspektiven von schräg unten. Das mag geschäftliches Kalkül gewesen sein, bleibt aber in letzter Konsequenz eher eine Kopie des großen Vorbildes.

Vergleicht man Käutners Filme rings um "Epilog" herum, so fällt zudem auf, dass bei "Unter den Brücken" - ebenfalls an Bord eines Schiffes spielend - viel mehr Verdichtung in der Dramaturgie liegt. Bei "Epilog" versammelt sich notgedrungen eine ganze Hochzeitsgesellschaft an Bord, während in "Unter den Brücken" nur zwei Skipper und eine fremde Frau die handelnden Akteure sind. Die Identifikation des Publikums mit der vom Tode bedrohten Hochzeitsgesellschaft in "Epilog" muss schon alleine wegen der zahlreichen Figuren geringer ausfallen. Hinzu kommt, dass diese Figuren nahezu durch die Bank negativ oder zumindest ansatzweise negativ besetzt sind. Aufgrund der von Andeutungen und Anspielungen durchsetzen Geschichte ist nur schwer erkennbar, wer hier Gut und wer hier Böse ist. Käutner gelingt es so nicht ansatzweise, die Atmosphäre und die schauspielerische Dichte aus "Unter den Brücken" zu wiederholen. Mit Fritz Kortner war zudem ein echter Quertreiber an Bord, der keine Gelegenheit ausließ, Käutner wissen zu lassen, wie sehr dieser Film unter seiner Würde sei. Eine geradezu comichafte Darstellung Kortners ist das Endresultat, Käutner war offenbar machtlos.

Alles in allem ist der Film sicher keine Riesen-Gurke. Von Käutners grandiosen Werken wie "Unter den Brücken" oder "Große Freiheit Nr. 7" ist er aber m.E. meilenweit entfernt.

Gruß
Jan

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.05.2018 21:47
#4 RE: Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) Zitat · Antworten

Hochinteressant! Der Review von @Percy Lister hatte mich damals veranlasst, mir die DVD zu ordern. Zu einer Sichtung bin ich noch nicht gekommen. Aber die nun zur Sprache kommenden sehr unterschiedlichen Einschätzungen machen mich sehr gespannt!

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.08.2018 15:00
#5 RE: Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) Zitat · Antworten

Jetzt habe ich den Film gesehen und muss eindeutig den Schilderungen von @Percy Lister und @Ray beipflichten. „Epilog“ ist ein faszinierender Film, der mich ungleich mehr gepackt hat als „Der dritte Mann“, auf den @Jan verweist. Der Vergleich mit „Mörderspiel“ ist ganz treffend – zwar sind beide Filme im Resultat völlig unterschiedlich, aber sie zeigen durch ihre Herangehensweise, wie man in der Nachkriegszeit dem alten Krimi bzw. Thriller ein modernes, unkonventionelles Gewand überstülpen konnte. Und gleichzeitig ist damit auch ganz gut beschrieben, auf welcher qualitativen Ebene wir uns bei „Epilog“ bewegen ...



Epilog (Das Geheimnis der Orplid)

Thriller, BRD 1950. Regie: Helmut Käutner. Drehbuch: Robert A. Stemmle, Helmut Käutner. Mit: Horst Caspar (Peter Zabel), Bettina Moissi (Leata), O.E. Hasse (Dr. Mannheim), Hans Leibelt (Kurt E. Beckmann), Irene von Meyendorff (Conchita), Hilde Hildebrand (Eleanor Hoopman), Fritz Kortner (P.L. Hoopman), Peter van Eyck (Stephan Lund), Hans-Christian Blech (Martin Jarzombeck), Carl Raddatz (Aldo Siano) u.a. Uraufführung: 7. September 1950. Eine Produktion der CCC-Filmkunst Berlin im Allianz-Filmverleih Frankfurt / Main.

Zitat von Epilog (Das Geheimnis der Orplid)
Ein eifriger Reporter deckt aus Zufall die Geschichte eines geplanten Attentats auf die verschwundene Yacht Orplid auf, auf der ein Waffenschieber von einem politischen Fanatiker und einem FBI-Agenten verfolgt wird. Mithilfe einer Überlebenden der Orplid rekonstruiert der Zeitungsmann die Todesfahrt des Schiffes, der Reisenden und der Besatzung. Nach und nach muss allen an Bord klar geworden sein, dass die Gesellschaft auf einer tickenden Bombe saß. Doch niemand der Anwesenden wusste, wo diese versteckt ist, nachdem sich der Attentäter abgesetzt hatte. Der Reporter bietet den in seinem Manuskript bis zum bitteren Ende geschilderten Bericht einer Zeitung an, die ihn als zu heißen und verwickelten Stoff ablehnt ...


Vier Jahre liegt der Zweite Weltkrieg in der Vergangenheit, als die Orplid von Hamburg aus in Richtung Schottland ablegt. Und doch haben Friedensabkommen, internationale Zusammenarbeit und Entnazifizierung nicht zu einer Rundum-Sorglos-Gesellschaft geführt: Waffenfabrikanten und -händler, Attentäter mit radikaler politischer Gesinnung, verdeckte Agenten und Biedermänner, unter deren Frackwesten sich zumindest noch die Geisteshaltung einer SS-Uniform versteckt, belasten nach wie vor die Geschicke der Völker und geben sich auf diesem Schiff wie in einem eigenen Mikrokosmos gegenseitig die Klinke in die Hand. Auch wenn sie ihre schmutzigen Geschäfte unter dem Deckmantel einer Hochzeitsgesellschaft abwickeln, so durchbricht kein Lachen von Frischvermählten die maliziöse Stimmung. Vielmehr ähneln die Schurken und ihre Entourage in ihrer angespannten Lauerhaltung einem Verbrechersyndikat, dessen Mitglieder zu einem unbestimmten, aber ausweglosen Tode verurteilt wurden.

Bevor man diese „reizenden“ Persönlichkeiten kennenlernt, vergeht zunächst eine Viertelstunde – Helmut Käutners Versuch, den Zuschauer sich zunächst mit einem Reporter verbrüdern zu lassen, welcher die Vorfälle in einer großen Rückblende aufwickelt. Bevor es soweit ist, begleiten wir Peter Zabel in subjektiver Sichtweise – quasi durch seine Augen hindurch – beim Einholen jener Informationen, die aus dem Verschwinden der Orplid ein noch unerklärlicheres Rätsel formen. In dokumentarischem Stil greift Käutner hier auf ein teilweise untertiteltes Sprachengemisch sowie auf Techniken zurück, wie sie später typischerweise bei Jürgen Rolands „Stahlnetz“ eingesetzt werden. Umso erstaunter sind wir, wenn Zabel in Gestalt von Horst Caspar dann auch vor die Kamera tritt und die Funktion eines allwissenden Erzählers einnimmt, der die Vorfälle detailreich rekonstruiert. „Mir geht es um die Wahrheit“, verteidigt Zabel sein Enthüllungsmanuskript gegenüber einem herablassenden Redakteur – eine interessante Äußerung aus dem Munde des Darstellers Horst Caspar, dessen letzte große filmische Überzeugungsrede die des Generalfeldmarschall Gneisenau zur Verteidigung von Kolberg gegen Napoleon im gleichnamigen Kriegsdurchhalteepos von 1943/44 gewesen war. An dieser Stelle transzendiert die Filmhandlung von den unsauber abgeschnittenen Zöpfen des alten Regimes, die unbestraft ihre gleichen alten Tätigkeiten fortsetzen, auf einmal aus dem Bereich der wilden Fiktion ins beängstigend Reale.



Caspar bleibt aber, wenn er auch den Takt vorgibt, nur eine darstellerische Randerscheinung in einem exzellent besetzten Film. Vor allem die Reisenden auf der Orplid prägen sich als markante Charaktere trotz ihrer vergleichbaren Vielzahl tief ins Gedächtnis des Zuschauers ein. Während der Großteil der Gesellschaft auf Veranlassung des Waffenschmugglers Hoopman an Bord ist, nehmen Peter van Eyck als Steward (und FBI-Spitzel) sowie Carl Raddatz als Pianist (und politischer Extremist) Außenseiterrollen ein, die einander aufmerksam umschleichen und wie in einem anhaltenden Katz-und-Maus-Spiel ihre Kräfte – bzw. die ihrer Auftraggeber und Hintergrundorganisationen – miteinander messen. Fritz Kortner als Hoopman und Irene von Meyendorff als Braut Conchita spielen wie von einem anderen Stern; an ihren starken Persönlichkeiten beißen sich Hilde Hildebrand, Hans-Christian Blech und Arno Assmann in teilweise melodramatischen, teilweise ernstlich erschütternden Szenen die Zähne aus. Mitleid empfindet man vor allem für das Malaienmädchen Leata, das einem Spielball in den Händen der anderen Anwesenden gleicht und es in einer ironischen Wende des Schicksals eben dieser Harmlosigkeit verdankt, die Fahrt mit der Orplid als einzige bis zum Ende anwesende Person (auf ungeklärte Weise) überleben zu dürfen. Bettina Moissi – offenbar eine Favoritin von Helmut Käutner und als solche bereits in „In jenen Tagen“ und „Der Apfel ist ab“ zu sehen gewesen – gelingen als stummer Tatzeugin einige Gänsehautmomente, die sich nicht zuletzt auf ihr mysteriöses, leidendes Äußeres stützen.

Im Gegensatz zur Großzahl der anderen deutschen Filme gehen Eindruck und Bedeutung von „Epilog“ über das explizit Gesagte weit hinaus. Die Handlung gestaltet sich so fantastisch und verwickelt, dass sie gut daran tut, nicht jedes aufgeworfene Rätsel bis ins Kleinste auszuleuchten. Dass Fragen offenbleiben, sich beim Zuschauer ein bruchstückhafter, ja stellenweise auch unbefriedigender Eindruck einstellt, wird von Käutner auf kunstvolle Weise von einem Formfehler zu einem Stilmittel weiterentwickelt. Manche Momente haben eher allegorische als unmittelbar inhaltlich sinnvolle Qualitäten, drehen sich um Schuld und Sühne der jüngsten Vergangenheit, um die Unverbesserlichkeit des Menschen und um die Unmöglichkeit, dem selbst geschaufelten Grab zu entgehen. So entpuppt sich „Epilog“ als düsteres Filmwerk, als pessimistische Zeitkritik am Neuanfang nach 1945 und bei der Seriosität aller dieser Anliegen zugleich als effektiver Thriller, der sich nicht scheut, vom Wirkeffekt reißerischer Sensationen zu profitieren. Kommt das bekannt vor? Ja, aus der amerikanischen schwarzen Serie, die auch optisch von Käutner und Kameramann Werner Krien einfallsreich evoziert wird.

Zitat von Ekkehard Knörer: Es kommt zu Hauen und Stechen, taz., 19. März 2015, Quelle
Helmut Käutner hat sich bei diesem Film ausdrücklich nicht als Künstler begriffen, er wollte nur gutes Handwerk abliefern. Das ist sehr gut so, denn künstlerisch hieß bei ihm schnell mal verschmockt. Und verschmockt ist hier nichts. Epilog ist illusionslos, fast schon noir, dabei auf engem Raum virtuos inszeniert. Am Ende schließt sich im Paternoster der Kreis: Die Binnenhandlung attackiert die Rahmenerzählung. Gut aus geht es hier wie da nicht.


Ein einsames Schiff, eine Gruppe Todgeweihter und ein Reporter, der diese furiose Geschichte aufwickelt und dadurch selbst in Gefahr gerät – die Zutaten von „Epilog“ könnten auch die eines spekulativen Abenteuerstreifens sein. Dank des vor und hinter der Kamera versammelten Talents sowie des Anspruchs, einen packenden Noir mit Zeitkritik abzuliefern, wird dem packenden Unterhaltungswert des Films auch eine atmosphärische Dichte zur Seite gestellt, die ihresgleichen sucht und 5 von 5 Punkten wert ist.

PS: Eine ausführliche Lektüre zu „Epilog“ bietet das Buch „Framing the Fifties: Cinema in a Divided Germany“. Dort befasst sich ein ganzes Kapitel (S. 59-73) von Yogini Joglekar mit dem Käutner-Film und ordnet diesen als antidetective-Krimi ein. Wer Interesse hat, kann bei Google Books hineinlesen. Ebenfalls lohnenswert die Analyse von Matthias Merkelbach auf seiner fantastischen Seite „der Film Noir“.

Ray Offline



Beiträge: 1.929

29.08.2018 22:46
#6 RE: Epilog – Das Geheimnis der Orplid (1950) Zitat · Antworten

Schön, dass der Film hier im Forum einen weiteren Anhänger gefunden hat.

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