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Dieses Thema hat 3 Antworten
und wurde 953 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

09.10.2016 14:21
Die Schatten werden länger (1961) Zitat · Antworten



BEWERTET: "Die Schatten werden länger" (Deutschland/Schweiz 1961)
mit: Barbara Rütting, Hansjörg Felmy, Luise Ullrich, Loni von Friedl, Fred Tanner, Helga Sommerfeld, Margot Philipp, Renja Gill, Carola Rasch, Iris Erdmann, Michael Paryla, Brit von Thiesenhausen u.a. | Drehbuch: István Békeffy, Heinz Pauck | Regie: Ladislao Vajda

Christa Andres ist Erzieherin in einem Heim, das sich um vernachlässigte oder gestrauchelte Mädchen kümmert. Sie zeigt dabei viel Verständnis, weil sie selbst eine schwere Vergangenheit hinter sich hat. Damit ihr Arbeitsvertrag verlängert wird, muss sie fehlende Dokumente in ihrem Lebenslauf nachreichen. Nun ist sie in der Bredouille, denn niemand darf erfahren, dass sie ein Straßenmädchen war, dessen Freund ihre Kunden erpresst und bestohlen hat. Nach Verbüßung seiner Haftstrafe steht er eines Tages vor den Toren des Heims und setzt Christa erneut unter Druck....

Im Jahr 1958 inszenierte Ladislao Vajda den Film, der ihn weit über die Grenzen der Schweiz hinaus berühmt machte: "Es geschah am hellichten Tage". Drei Jahre später scheint es so, als habe er die Romanvorlage "Das Versprechen", welche als Basis für den Kinoerfolg mit Gert Fröbe als Kindermörder diente, weiterentwickelt. Das deprimierende Ende des Buches fand damals auf der Leinwand keine Erwähnung, weswegen "Die Schatten werden länger" als Gedankenfortführung gedeutet werden kann. Der Schauplatz ist immer noch der selbe: die ländliche Schweiz, auf deren engen Straßen Automobile nur einspurig fahren können und deren Konservativismus die Berge noch höher scheinen lässt. Um seine Mädchen zu domestizieren, vermittelt das Heim ein Weltbild, vor dem die Schützlinge eigentlich geflohen sind bzw. welches ihnen zuhause aus verschiedenen Gründen nicht geboten wurde. Die Unterweisung in Säuglingspflege, Religion, Poesie und Handarbeitskunde dient einem späteren Leben als Hausfrau und Mutter, bestenfalls noch für eine Anstellung in einem Dienstverhältnis. Die Gründe für die Ablehnung der klassischen Ordnung werden nicht hinterfragt, Talente nicht gefördert. So bricht sich die weibliche Aggression in unkoordinierten Handlungen weiterhin seine Bahnen, weil sie nicht sinnvoll für echte Herausforderungen verwendet wird. Nicht immer sind es Vernachlässigung oder Verwahrlosung, die den Weg ins Heim ebnen. Es gibt durchaus auch sogenannte bessere Familien, die aus Desinteresse, Überforderung oder Wahrung des Scheins nach einer moralischen Verfehlung ihre Töchter bei Frau Diethelm abgeben. Die unterschiedlichen Schicksale sorgen für Zündstoff und Sympathien oder Antipathien wie in jedem sozialen Gefüge, das unfreiwillig entstanden ist.



Barbara Rütting und Luise Ullrich stehen dem Heim vor und wenden dabei alters-und erfahrungsbedingt unterschiedliche Erziehungsmethoden an. Christa Andres baut auf ihre negative Vergangenheit und fühlt sich deshalb besonders gut in ähnlich gelagerte Problemfälle ein. Sie kennt die Ursachen hinter dem renitenten Verhalten der Mädchen und arbeitet daran, ihr Vertrauen zu gewinnen. Leider kann sie nicht verhindern, dass ihre Souveränität und die Lehren, die sie aus den schwarzen Tagen ihrer Jugend gezogen hat, mit dem Auftauchen von Hansjörg Felmys Max verloren gehen. Sie ist erpressbar, doch anstatt auf eine Aussprache mit ihren vorgesetzten Stellen zu setzen, liefert sie sich ihm aus und begeht den selben Fehler, vor dem sie ihre Schülerinnen gewarnt hat. Eine kalte Angst greift nach ihr und zerstört alles, was sie sich in den letzten Jahren aufgebaut hatte. Die unterschwellige Botschaft lautet: Wo sollen die psychisch labilen Mädchen Halt finden, wenn ihre moralische Stütze schwankt? Das perfide Spiel von Hansjörg Felmy wickelt sich raffiniert und ausgeklügelt ab. Scheinbar spontan, angeblich hocherfreut und offenbar geläutert tritt er seiner alten Geliebten entgegen, um sie zurückzugewinnen. Er kennt die Mechanismen aus Verführung, Überredung und Drohung, die zunächst subtil, dann jedoch offensiv vorgetragen werden, um dem Ziel - der totalen Kontrolle - näherzukommen. Loni von Friedl steht als Erika unter besonderer Beobachtung, weil sie Christa Andres an ihr jüngeres Selbst erinnert, das sie vor weiterem Schaden bewahren will. Sie hofft, dass das Rüstzeug, das sie aufgrund ihrer persönlichen Erfahrungen für den Beruf mitbringt, verhindert, dass die Mädchen rückfällig werden. Wie schon in Vajdas Erfolgsfilm von 1958 ist die Polizei auch hier wieder keine Option, die Hilfe bringen könnte.

In Ansätzen erinnert "Die Schatten werden länger" an "Mädchen in Uniform", wobei das Heim unter der Leitung der sanften Luise Ullrich einen ruhigeren Hafen bietet als die restriktive Festung der harten Therese Giese. Das Augenmerk liegt auf dem Verhalten der Mädchen, von denen einige boshaft und provokant, andere anhänglich und fügsam auftreten. Die Ursachen für ihre Anwesenheit sind vielfältig und lassen die Ladendiebin neben dem Strichmädchen bieder wirken. Helga Sommerfeld spielt eine gewohnheitsmäßige Lügnerin und wickelt mit ihrem frischen Charme alle um den Finger. Heidi Pawellek ist als Paula die gemütliche und patente Unverdorbene, die immer Hunger hat, während Renja Gill als zeichnende Anni und Erika Wolf als Barbara für Anteilnahme sorgen. Abstruse Momente wie die entfesselte Zerstörungswut im Garten, die zu einem Zeitpunkt erfolgt, als der Film noch ein wenig altbacken und ziellos wirkt, finden ihr beeindruckendes Gegenstück in der Szene, als die realitätsferne Barbara abgeholt wird - von einem Krankenwagen. Barbara Rütting obliegt nicht nur die Aufgabe, die Mädchen zu lenken, sondern sie wird auch zur Leitfigur für den Zuschauer. Ihre natürliche Autorität bedarf keiner großen Worte, sondern äußert sich klar und knapp. Sie kennt die Fallstricke der Gefühlswelt und ist darauf bedacht, den nüchternen Tatsachen Vorrang vor der Unberechenbarkeit von empfundenen und erwiderten Emotionen zu geben. Ihre positive Haltung drückt sich in Optimismus aus, der jedoch nicht in plumper Animierung zu aufgesetzter Fröhlichkeit oder Selbsttäuschung ausartet, sondern auf die Fähigkeiten des Einzelnen baut. Hansjörg Felmy erlebt man in einer für ihn ungewöhnlichen, aber durchaus überzeugenden Darstellung des berechnenden Egoisten, der andere Menschen manipuliert und blitzschnell seinen Vorteil erkennt, wenn sich dort Schwächen auftun.

Das Drama lebt von den engagierten Leistungen seiner Darsteller, die aufzeigen, wie schwierig das menschliche Zusammenleben auf den verschiedenen Ebenen ist. Genrezutaten wie die übelbeleumundete Kneipe und Dokumente aus der Vergangenheit sorgen für den kriminalistischen Gehalt, der verhindert, dass sozialromantische Ansätze in den Vordergrund drängen. 4 von 5 Punkten

Giacco Offline



Beiträge: 2.517

10.10.2016 12:52
#2 RE: Die Schatten werden länger (1961) Zitat · Antworten

Hier eine Kritik der Fachzeitschrift "Filmwoche" vom 2.9.1961:

"Junge Mädchen, die auf der Schwelle zur Reife den vielfältigen Gefahren erliegen, die ihnen heute in dieser Situation drohen, sind schon oft Thema von Filmen gewesen. Dieser hier unterscheidet sich von manchen spekulativen Produkten durch seinen Ernst, seine künstlerische Qualität und die Verwendung von authentischen Unterlagen zuständiger Behörden. Die Handlung führt in das Milieu eines Mädchenheimes, das vom Jugendamt geführt und in dem versucht wird, wechselweise durch Güte und Strenge gutzumachen, was elterliche Erziehung, schlechte Umgebung und andere Einflüsse angerichtet haben. Während einige Schicksale nur episodisch charakterisiert werden, behandelt der Film besonders den Fall eines labilen Mädchens und einer jungen Erzieherin, die selbst ein ähnliches Schicksal hinter sich hat. Das Auftauchen des einstigen Verführers und seine Absicht, die junge Frau wieder für seine dunklen Pläne und sein verbrecherisches Treiben zu gewinnen, geben die dramatischen Akzente. In Gefahr ist dabei aber nicht nur die Erzieherin selbst, sondern die Ordnung des gesamten Heims. Die Durchführung und Lösung des Geschehens ist realistisch und konzessionslos bis zu einem bitteren, wenngleich nicht hoffnungslosen Ende.
Ladislao Vajda, seit eh und je Problemen der jungen Menschen zugetan, gibt dem weitgehend dokumentarischen Film künstlerisches Profil und menschlich anrührende Aussage. Vor allem spürt man, wie intensiv er mit den jungen Darstellerinnen gearbeitet hat. Neben durchweg beachtlichen Leistungen erreicht Loni von Friedl als schwer erziehbare Jugendliche eine Darstellungsintensität, die zu großen Hoffnungen berechtigt. Die junge Erzieherin, die sich von den Schatten einer dunklen Vergangenheit nur durch eine Gewalttat befreien kann, gibt Barbara Rütting mit sicheren, herben Strichen. Man glaubt ihr die Liebe zu den Mädchen ebenso, wie die Abneigung gegen den Mann, der sie erneut in den Sumpf ziehen will. Hansjörg Felmy zeigt in dieser Rolle gute Ansätze, bleibt aber streckenweise etwas blass. Luise Ullrichs Heimleiterin hat die gewohnte frauliche Wärme und ungewohnten schweizerischen Akzent. Sehr einprägsam ist Fred Tanners Jugendanwalt. Kameramann Enrique Gaertner schuf Bilder von optischer Dichte, unkonventionell und zupackend. - So entstand ein manchmal etwas sachlicher, aber ebenso gekonnter wie ernsthafter Film, der zweifellos beim Publikum starken Widerhall finden wird."

Produktion: Praesens-Film, Zürich in Zusammenarbeit mit CCC-Film, Berlin (Artur Brauner) - FSK: 18 - Erstaufführung: 11.8.1961

Die Publikumsresonanz war anfangs gut (Erstnote: 3,1), nahm allerdings wie üblich in den Kleinstädten und Landgemeinden etwas ab, was zu einer Endnote von 3,5 bei 55 Meldungen führte. Geschäftlich gesehen war der Film somit kein Überflieger, dürfte aber ein mehr als zufriedenstellendes Einspielergebnis erzielt haben.

Prisma Offline




Beiträge: 7.591

18.06.2018 09:11
#3 RE: Die Schatten werden länger (1961) Zitat · Antworten


DIE SCHATTEN WERDEN LÄNGER

● DIE SCHATTEN WERDEN LÄNGER (D|CH|1961)
mit Barbara Rütting, Luise Ullrich, Hansjörg Felmy, Fred Tanner, Iris Erdmann, Helga Sommerfeld, Margot Philipp und Loni von Friedl
eine Produktion der cCc Filmkunst | Praesens Film | im Verleih der Columbia
ein Film von Ladislao Vajda




»Schlagen Sie mich doch!«


Die Erzieherin Christa Andres (Barbara Rütting) arbeitet in einem Heim für schwer erziehbare Mädchen und ist dort bekannt für ihren feinfühligen Erziehungsstil, schließlich hat sie in jungen Jahren selbst eine schwere Zeit durchgemacht. Von Frau Diethelm (Luise Ullrich), die im Heim eine leitende Funktion inne hat, bekommt die engagierte Erzieherin jegliche Kompetenzen übertragen und genießt eine Vertrauensstellung. Diese wird eines Tages allerdings schwer auf die Probe gestellt, da die renitente Insassin Erika Schöner (Loni von Friedl) alles versucht, Christa in Verruf zu bringen. Als das junge Mädchen merkt, dass sie mit ihren Methoden nicht weiterkommt, bricht sie aus dem Heim aus und wirft sich einem zwielichtigen Zuhälter an den Hals. Die Erzieherin versucht alles, um Erika vor Schlimmerem zu bewahren, denn auch sie ging einst auf den Strich. Als Christas früherer Zuhälter Max (Hansjörg Felmy) wieder auftaucht, wird sie von der Vergangenheit eingeholt und die Situation spitzt sich zu...

In Zeiten, in denen der sogenannte Problemfilm en vogue war, beschäftigte sich insbesondere Artur Brauner mit zahlreichen provokanten Stoffen und kam zumindest häufiger in die Nähe roter Linien und Tabuthemen als manch andere Produzenten. Die Spürnase des Berliner Produzenten ist retrospektiv nicht zu unterschätzen, immerhin prägte er die deutsche Filmlandschaft mit vielen extravaganten Beiträgen, die seinerzeit zwar nicht immer erfolgreich waren, aber dennoch als bahnend für aufkommende Filmwellen in der Bundesrepublik angesehen werden können. Brauner stellte mit dem ungarischen Regisseur Ladislao Vajda bereits den Klassiker "Es geschah am hellichten Tag" auf die Beine und auch in "Die Schatten werden länger" zeigt sich zumindest eine Vision, den Film möglichst andersartig im Sinne von kaum dagewesen zu inszenieren, was sich erneut in den ungewöhnlich starken Zeichnungen der beteiligten Charaktere widerspiegelt. Viele Verhaltensweisen sind vor allem für damalige Begriffe überraschend, da sie teils befremdlich und absolut nicht konform mit den üblichen Regeln einer konservativen Gesellschaft erscheinen. Aus dieser Unberechenbarkeit und Variation entsteht neben der natürlich sehr interessanten Geschichte eine gut konstruierte Spannung, die Dramatik und Konfrontation andeutet. Die Thematik rund um (durch das Raster) gefallene Mädchen kann sicherlich als Abhandlungsschlager angesehen werden - und das gleich in mehreren Dekaden. In Erinnerung bleiben allerdings eher mutige Beiträge oder vielleicht solche, die nicht ausschließlich an Augenwischerei oder plumpem Spektakel interessiert waren, wenngleich solche Exemplare natürlich auch einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert anbieten.

Ladislao Vajda legt großen Wert auf einen klaren Aufbau und eine stringente Abhandlung der Geschichte, ohne dabei die Vorhersehbarkeit zu bedienen. Außerdem wird man Zeuge von ungewöhnlich expliziten Szenen, was sich keineswegs auf nackte Haut, aber hauptsächlich auf das Integrieren verbaler Attacken bezieht. Was im zeitlichen Kontext als gewagt angesehen werden darf, kann natürlich jetzt kaum mehr für Schockmomente sorgen. So ist der Blick auf die Charaktere des Geschehens vor allem noch aus heutiger Sicht interessant, da es nicht zum Erwarteten kommt. Die Mädchen des Heims haben unter keinen sadistischen Tyrannen zu leiden, denn das absolute Gegenteil ist der Fall. Empathie schwingt durch die Mauern, Nachsicht, Gnade und Verständnis dominieren selbst die renitentesten der Mädchen und nehmen ihnen den Wind aus den Segeln. Was man heute als anti-autoritär bezeichnen würde, wird hier insbesondere von Barbara Rütting und Ufa-Star Luise Ullrich richtiggehend zelebriert und ruft von Zeit zu Zeit Unverständnis hervor, ohne gleichzeitig jedoch Zweifel zu schüren, dass die beiden Damen ihr Haus und die Problemfälle nicht im Griff hätten. Barbara Rütting ist ohne jeden Zweifel als eine der überzeugendsten Charakterdarstellerinnen des deutschsprachigen Films anzusehen und auch hier beweist sie erneut ein gutes Gespür für die optimale Balance ihrer Rolle. Die Erzieherin mit dunkler Vergangenheit könnte im Zweifelsfall Freiwild werden, falls Gespenster der Vergangenheit auftauchen und sie regelrecht heimsuchen. Ihre Stärken werden genau wie ihre Schwächen sichtbar, allerdings nicht im Umgang mit den Mädchen, denen sie nachsichtig begegnet und sie vor allem nicht von oben herab betrachtet.

Diese einfache Strategie entspringt sicherlich der eigenen Erfahrung, da sie auch die Schattenseiten des Lebens kennenlernen musste. Gemeinsam mit Luise Ullrich zieht die resolute Frau an einem Strang und beide bleiben aufgrund ihrer sympathischen Wesenszüge in Erinnerung. Hansjörg Felmy als Wolf im Schafspelz überzeugt durch seine Wandlungsfähigkeit und den Mut, weniger populäre Charakterzüge zu formulieren. Eine der intensivsten Darbietungen liefert sicherlich Loni von Friedl als durchtriebene Heiminsassin, die schnell mit der Bereitschaft irritiert, auch zu außergewöhnlichen Mitteln zu greifen. Ihre Gefühlsausbrüche und ihre Durchtriebenheit sorgen für die reißerischen Momente des Films und legen eben genau jene inneren Abgründe offen, wegen denen Mädchen wie sie in einem solchen Heim untergebracht sind. Vermutlich hat man die Österreicherin selten besser gesehen. Themen wie beispielsweise Verführung Minderjähriger, Zuhälterei oder Prostitution werden im Verlauf immer wieder vorsichtig thematisiert, ohne jedoch in aller Deutlichkeit Konturen anzunehmen. "Die Schatten werden länger" ist nicht zuletzt durch die solide Regie ein sehenswerter Vertreter seiner Gattung geworden. Auch kommt dem ambitionierten Verlauf sehr zugute, dass keine handelsüblichen und verwässernden Happy-End-Anflüge aufkommen wollen, schließlich waren derartige Abgrenzungstaktiken in zahlreichen Sequenzen dieses Beitrags wahrzunehmen, was ihm letztlich sein eigenständiges, wenn auch nicht unabhängiges Profil verleiht. Mit charismatischen Darstellern, alternativ gefärbten Angeboten und zahlreichen Finessen des Schwarzweißfilms versehen, kann sich diese deutsch-schweizerische Kollaboration durchaus sehen lassen und bleibt in angenehmer Erinnerung.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.04.2020 12:45
#4 RE: Die Schatten werden länger (1961) Zitat · Antworten



Die Schatten werden länger

Kriminaldrama, CH / BRD 1961. Regie: Ladislao Vajda. Drehbuch: István Békeffy, Heinz Pauck, Ladislao Vajda. Mit: Barbara Rütting (Christa Andres), Luise Ullrich (Frau Diethelm), Hansjörg Felmy (Max), Fred Tanner (Dr. Borner), Loni von Friedl (Erika Schöner), Renja Gill (Anni), Margot Philipp (Barbara), Helga Sommerfeld (Helene), Iris Erdmann (Hilde), Michael Paryla (Fritz Schmoll) u.a. Uraufführung (CH): 7. Juli 1961. Uraufführung (BRD): 11. August 1961. Eine Produktion der Praesens-Film Zürich und der CCC-Filmkunst Berlin für die Ufa-Filmhansa Hamburg.

Zitat von Die Schatten werden länger
Dass die langen Schatten der Vergangenheit sie auch in ihrem neuen Leben als Erzieherin in einem Heim für gestrauchelte Mädchen einholen, erfährt Christa Andres mit voller Härte. Gerade ist sie dabei, die aufmüpfige Jugendliche Erika unter ihre Fittiche zu nehmen, die schon mit 14 Jahren unter dem Einfluss eines Zuhälters auf der Straße fremde Männer anspricht. Da begegnet Christa aus Zufall ihrem eigenen ehemaligen Zuhälter Max, der nach drei Jahren im Gefängnis wieder auf freiem Fuß ist und sie sogleich wieder zu manipulieren und erpressen beginnt. Wird sich Christa von ihm loseisen und ihre neuen Schulweisheiten selbst in die Tat umsetzen können oder steuert die Situation auf eine Katastrophe zu?


Mit seinem Kolportagedrama „Die Schatten werden länger“ spannte ausgerechnet Ladislao Vajda, Regisseur des hochangesehenen Krimis „Es geschah am helllichten Tag“, die Brücke zwischen den Halbstarkenfilmen der 1950er und den Exploitationfilmen der 1960er Jahre. Die Handlung ist ein unwirsches Gemisch aus Krimi, Identitätsschwindel, Jugendfilm, Erpressungsgeschichte und sexualisierten Mädchenheim-Skandalen, wobei letztere Elemente dank des frühen Herstellungsjahres noch recht dezent ausfallen bzw. zumindest als für das Storytelling notwendige Handgriffe gerechtfertigt werden. Erzählt wird das Geschehen aus der Sicht der von Barbara Rütting verkörperten Christa Andres, die eine ähnliche Geschichte erlebt hat wie manche ihrer Zöglinge und sich deshalb mit Herzblut der Rettung „gefallener Seelen“ hingibt. Zugleich erfordert der Umstand, dass Erzieherinnen natürlich nicht vorbestraft sein dürfen und über eine moralisch einwandfreie Vergangenheit verfügen müssen, dass Christa Andres selbst in eine Zwickmühle und Lügengeschichte hineingerät und sich damit angreifbar macht.

Zitat von Filmdienst.de: Die Schatten werden länger
Die allzu konstruierte Story hindert den Film daran, seine gute Absicht – Verständnis für gefährdete junge Menschen – überzeugend zu vermitteln.


Weniger das gegenseitige Ohrfeigen und An-den-Haaren-Ziehen der jugendlichen Gören macht den Film für ein heutiges Publikum noch sehenswert; eher ist es gerade jener Aspekt, der vom Filmdienst seinerzeit als „allzu konstruiert“ kritisiert wurde: der Parallelismus, der zwischen der Rütting-Rolle und ihrem Schützling Erika aufgebaut wird. Im Prinzip läuft der Film damit auf die Grundaussage hinaus, dass dem Mädchen der gleiche Werdegang wie Christa Andres erspart bleiben soll. Das führt zu einigen anrührenden Szenen, die sowohl Rütting als auch die junge Loni von Friedl sehr überzeugend umsetzen. Beide gehören gemeinsam mit Luise Ullrich zu den absoluten Höhepunkten des Films und zeichnen sich durch glaubwürdige, auch dramatisch zugespitzte, aber nie übertriebene Ausdruckskraft aus. Barbara Rütting gibt die geschundene Kämpfernatur, mit der man Solidarität und Mitleid empfindet; Loni von Friedl ist die Rebellin mit Sleaze-Faktor; Luise Ullrich steht als guter Geist über den prosaischen Ereignissen in ihrem Mädchenheim und lässt sich durch keine Provokation aus der Reserve locken. In ihrer Darstellung werden mütterliche Nachsicht und Milde erkennbar, aber auch pädagogische Schläue. Über Rütting und Ullrich äußerte sich das Neue Journal seinerzeit sehr lobend:

Zitat von Das Neue Journal, Bände 10-11. Wiesbaden: Pagoden-Verlag, 1961. S. 299
Ebenso wie Luise Ullrich von dem Bemühen besessen, jede Rolle zu leben, ist Barbara Rütting. Auch in ihrer Persönlichkeit laufen die Strahlen ungewöhnlicher Vorzüge zusammen. Weshalb man sie an den vergangenen Film-Staffeleien nur selten teilhaben ließ, ist nicht bekannt. Schade aber, dass Darstellerinnen ihres Formats dem Filmpublikum oft vorenthalten werden.


Leider ebenfalls oft vorenthalten wurde dem Publikum die sehr gelungene Kombination der Rütting mit Filmpartner Hansjörg Felmy, an dessen Seite sie sonst nur in „Herz ohne Gnade“ zu sehen war. Felmy repräsentiert mit seiner erst spät im Filmverlauf auftauchenden Rolle die titelgebenden Schatten der Vergangenheit und ist als ehemaliger Zuhälter der Christa Andres als gänzlich verachtenswerter Charakter angelegt. Für Felmy bietet die Rolle die seltene Gelegenheit, einmal den knallharten Typen heraushängen zu lassen – eine Facette, die er glaubhaft meistert, was die zweite Filmhälfte zunehmend lohnenswerter erscheinen lässt als die recht spekulative erste. Wie er seiner alten Bekannten mit Vehemenz und Anzüglichkeit zusetzt, erscheint – gerade weil man den Film ohnehin durch Rüttings Augen betrachtet – besonders perfide. Der Konflikt zwischen beiden Figuren wird innerhalb recht kurzer Spielzeit beachtlich hochgeschaukelt und auf eine befriedigende Weise entladen.

Obwohl Vajdas Stoffwahl insgesamt gewagt erscheint, ist seine Umsetzung ähnlich wie bei „Es geschah am helllichten Tag“ exquisit. Unter seiner Anleitung fängt die Kamera von Heinrich Gärtner gelungene Motive zwischen tristem Realismus, eskapistischer Alpenidylle und dramatischer Stimmungssteigerung ein, operiert dabei oft mit distanzierenden Totalen, aber wo nötig mit einfühlsamer Nähe oder Zooms auf gefühlsbebende Gesichter. Die Musik der Komponisten Blum, Kruse und Rotter könnte einprägsamer sein, brandet aber dennoch oft genug beeindruckend auf. Die Ausstattung entstand teilweise in Zürcher, teilweise in Berliner Ateliers und zeigt Mädchenheimzimmer, Büros, Bars und Landgasthöfe in zeittypischer Manier. Die Erzählweise ist flott und verdeutlicht die beabsichtigten Probleme routiniert, aber eindringlich. Insgesamt ein sehenswerter Exkurs zwischen Krimi und Rührstück, besonders für Anhänger von Barbara Rütting.

Schon in der Jugend stellen sich die Weichen fürs Leben – manche führen in Richtung Abstellgleis. „Die Schatten werden länger“ widmet sich verschiedenen Problemen gestrauchelter Mädchen und geht hauptsächlich auf Prostitution und den maliziösen Einfluss der Zuhälter ein. Das ist zwar Kolportage in Reinform, dank guter Formnoten und exzellenter Darsteller aber besser gealtert als manch andere Produktion ähnlichen Kalibers. 4 von 5 Punkten.

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