Bereits jetzt kann man feststellen, dass sich "Mord im Orient-Express" in den deutschen Kinos zu einem großen Erfolg entwickelt hat. An diesem Wochenende wird er die Eine-Mio.-Besucher-Hürde nehmen - und war am vergangenen Donnerstag sogar der meist gesehene Kinofilm in Deutschland - und das am 29. Auswertungstag. Sieht man sich die Entwicklung der Besucherzahlen an, so fällt auf, dass der Film kaum nachgibt; das spricht überwiegend für ein etwas älteres Publikum, aber auch für gute Mundpropaganda. Zudem scheint der Film sowohl in den Multiplexen, als auch in den Arthouse-Kinos zu funktionieren. Auf jeden Fall eine gute Nachricht, dass ein Agatha-Christie-Krimi, zumal vergleichsweise klassisch inszeniert, auch im Jahr 2017 noch ein großes Publikum anlockt.
Zitat von Marmstorfer im Beitrag #46Bereits jetzt kann man feststellen, dass sich "Mord im Orient-Express" in den deutschen Kinos zu einem großen Erfolg entwickelt hat.
Erfreuliche Aussichten. Dann kann man ja auf den "Tod auf dem Nil" hoffen.
Zitat von TV-1967 im Beitrag #49Lt. SKY ist "Tod auf dem Nil" wegen des Erfolges in Planung. Erneut wird Kenneth Branagh inszenieren und wieder die Hauptrolle spielen
Trotz (oder gerade wegen) schlimmster Befürchtungen und null Erwartungshaltung erwies sich der Branagh-Film als besser (oder weniger schlimm) als gedacht.
Schön sind die Old School-Inszenierung, der Soundtrack und die oftmals beeindruckenden (wenn auch teilweise aus dem Rechner stammenden) Einstellungstotalen. Auch der erlesene Cast überzeugt über weite Strecken nicht nur mit großen Namen.
Aber die Hauptfigur... Zugegeben, kennt man keinen Poirot-Roman, liefert Branagh eine individuelle und für sich genommen schlüssige Interpretation, aber der schreckliche Karnevalsbart war dann einfach die entscheidende Prise zuviel. In Verbindung mit seiner stets zur Schau getragenen Leichenbittermiene ist das hier einfach eine Schießbudenfigur, der ich ihre geistige Brillianz einfach nicht abkaufe. Und das hat nichts mit bewußter Verstellung a la "Columbo" zu tun, der Typ hier istbeinfach nicht ernstzunehmen.
Das Skript bemüht sich zumindest um Werktreue, unbeholfen-armselige Einfälle wie die Wein-Szene ("Ich trinke gerne Rose."), und ein "eingefärbter" Charakter, um der PC genüge zu tun oder das betont dramatische und tränenreiche Finale im Tunnel ziehen den positiven Eindruck dann aber doch wieder deutlich nach unten. Und auch die Handvoll Action-Einlagen wollen in so einen klassischen Stoff nicht so recht passen.
Das hier ist eindeutig "Kenneth Branagh's Poirot", nicht "Agatha Christie's Poirot". Kann man sich damit arrangieren, ist es ein durchaus patent gemachter Hollywood-Film. Nicht mehr, aber auch nicht weniger. Ob ich allerdings "Tod auf dem Nil" in dieser Aufmachung brauche, kann ich noch nicht sagen.
Gubanov
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Beiträge:
05.07.2018 21:52
#53 RE: Neuverfilmung von "Mord im Orient-Express"
Danke für die kundige Einschätzung. Das bestärkt die Eindrücke, die ich in Trailern / Fotos von dem Film bekommen habe - insbesondere in Bezug auf die Lächerlichkeit der Branagh-Figur (ich möchte hier absichtlich nicht "Poirot-Figur" schreiben).
Ich werde wohl warten, bis die DVD (zum "Tod auf dem Nil"-Release?) auf dem Grabbeltisch für 'nen Fünfer zu haben ist.
Zitat von Lord Peter im Beitrag #52(...) ist das hier einfach eine Schießbudenfigur, der ich ihre geistige Brillianz einfach nicht abkaufe.
Ich habe den Film auch noch nicht gesehen - wird nächste Woche nachgeholt - und das sicher eine über die Maßen pointiert-überspitzte Darstellung sein, aber auch das Original war doch vordergründig nur teilweise ernst zu nehmen. Typus "eitler Geck" mit Eierkopf und einigen Marotten. Einen ehemaligen Polizisten hat man sich auch damals sicherlich nicht so vorgestellt, auch nicht einen aus Belgien.
Zitat von Count Villain im Beitrag #54Typus "eitler Geck" mit Eierkopf und einigen Marotten. Einen ehemaligen Polizisten hat man sich auch damals sicherlich nicht so vorgestellt, auch nicht einen aus Belgien.
Dann lies mal die Christie-Romane. Genau so, oder teilweise sogar noch exzentrischer, wird Poirot dort beschrieben.
Und genau so, wie es in den Büchern steht, spielt Branagh den Poirot eben NICHT! Branaghs Poirot ist ein stets mißmutig in die Gegend starrender, todernster Geselle, der sich zwar unheimlich toll findet, aber auf jegliche für Poirot typischen Eigenheiten verzichtet. Die Garderobe ist 30er Jahre-Standard, der Bart einfach nur peinlich und die ganzen Manierismen, die Suchet zur Perfektion adaptiert hat, fehlen komplett. Erschwerend kommt hinzu, daß Branagh schon rein physisch eine Fehlbesetzung darstellt. Sicher kann man auch komplett gegen die Vorlage besetzt überzeugen (etwa Atkinson als Maigret), aber hier sind die Schatten der Vorläufer einfach zu lang. Für sich allein genommen kann man Branaghs Darstellung akzeptieren, aber es ist eben sein Poirot, nicht der von Agatha Christie.
Diesen Begriff würde ich keinesfalls mit dem Poirot der Bücher assoziieren. Der ist durchaus eine abgerundete, ernstzunehmende Persönlichkeit, die nicht nur aus lächerlichen oberflächlichen Ticks besteht, um auf Teufel-komm-raus anders zu sein. Dann könnte man von einer Schießbudenfigur reden. Dann wäre Poirot aber nicht über Jahrzehnte eine so erfolgreiche literarische Figur geworden, sondern schnell in Vergessenheit geraten.
Es ging doch auch nicht darum, dass der Buch-Poirot eine Schießbudenfigur ist, sondern dass man ihm auf den ersten Blick auch nicht zwangsläufig geistige Brillanz unterstellt. Zumal er auf sein englisches Umfeld ja durchaus ebenfalls hin und wieder merkwürdig wirkt und/oder unterschätzt wird.