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 Film- und Fernsehklassiker national
Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

11.09.2016 13:37
Frau Irene Besser (1961) Zitat · Antworten



BEWERTET: "Frau Irene Besser" (Deutschland 1961)
mit: Luise Ullrich, Rudolf Prack, Albert Lieven, Ellen Schwiers, Peer Schmidt, Margitta Scherr, Oliver Grimm, Hermann Thimig, Helga Schlack, Harald Maresch, Siegfried Schürenberg, Carl Wery, Karl Heinz Gerdesmann, Gerd Frickhöfer, Oskar Paulig, Willi Rose u.a. | Drehbuch: Jochen Huth nach dem gleichnamigen Revue-Roman von John Richler | Regie: John Olden

Martin Besser, ehemaliger Prokurist einer Puppenmanufaktur, kehrt nach dreizehn Jahren in russischer Kriegsgefangenschaft nach Hause zurück. Seine Frau Irene und die Kinder Lotte und Peter erwarten ihn am Bahnhof. Erstaunt stellt Martin fest, dass es seine Frau während seiner Abwesenheit zu beträchtlichem Wohlstand gebracht hat: Sie besitzt mehrere Warenhäuser und wird überall als kompetente Geschäftsfrau geschätzt. Irene steht der Heimkehr ihres Mannes zwiespältig gegenüber: Einerseits freut sie sich, dass ihre Kinder wieder einen Vater haben, andererseits hat sie bereits seit längerem eine Beziehung mit dem Rechtsanwalt Dr. Heinz Werther. Martin glaubt, er könne das Leben dort wieder aufnehmen, wo er es vor dreizehn Jahren verlassen hat und sorgt damit nicht nur bei seiner Familie für Irritationen....

Die Bilanz des Zweiten Weltkriegs sieht für die Deutschen ernüchternd aus: "Etwa 1,7 Millionen tote Zivilisten, 5,3 Millionen tote Soldaten, über 11 Millionen in Kriegsgefangenschaft. Millionen Vermisste, Hunderttausende Frauen und Mädchen vergewaltigt, Männer verkrüppelt, Städte in Trümmern, Familien zerrissen. Jedes vierte Kind wuchs ohne Vater auf." (1) Ganz wie in der Realität, wo man über begangenes und erlittenes Leid schwieg, werden die Erinnerung an den Krieg und die Jahre in Sibirien im Film ausgeblendet. Martin Besser will so schnell wie möglich zur Normalität zurückkehren und verdrängt dabei, dass seine Familie inzwischen einen neuen Weg beschritten hat. Seine Frau ist beruflich und privat unabhängig, Hunderte von Arbeitsplätzen hängen von ihr ab und ihr kaufmännisches Geschick hat ihr Selbstvertrauen und Stärke verliehen. Ihre Gelassenheit wird durch die Spannung, welche die neue Situation mit sich bringt, erschüttert und lässt sie erstmals zaudern und zweifeln. Der Kompromiss, den sie anstrebt, wird in diesem Fall nicht die optimale Lösung sein und ihr Verhandlungsgeschick prallt auf ein Festhalten an Prinzipien, die der Gegenpartei als die einzigen noch beständigen Argumente erscheinen. Während Irene Besser gelernt hat, diplomatisch und flexibel zu handeln und ihre Mitmenschen zu überzeugen versucht, tritt bei Martin Besser der Gesinnungsstolz zutage, der ihn immun gegen Einwände von außen macht. In seinem neuen Umfeld wirkt er oft weltfremd, besonders, wenn er auf Dr. Werther trifft. Der Anwalt steht für eine klare Linie und stärkt seiner Partnerin den Rücken. Sein Auftreten ist geschmeidig, aber verbindlich. Die Fähigkeit, Chancen zu ergreifen und sich den Gegebenheiten zum eigenen Vorteil anzupassen, macht ihn erfolgreich. Seine Dynamik steht im Gegensatz zu der inneren Lähmung, die Martin Besser nach seiner Rückkehr ergriffen hat. Das Gefühl der Fremdheit macht ihn ungerecht und schwer zugänglich für die Ratschläge seiner Freunde.

Das formidable Spiel der drei Hauptakteure fußt auf der Disziplin, mit der die Darsteller an sich arbeiten und an Aufgaben herangehen. Ihre Ernsthaftigkeit und der Wunsch, zu überzeugen und sich zu bewähren, überträgt sich in der Natürlichkeit ihres Spiels auf die Figuren, denen sie Rückgrat und Lebendigkeit verleihen. Es macht Freude, ihnen in den jeweiligen psychologisch reizvollen Szenen zuzusehen und auf ihre Reaktionen zu achten. Die Konstellation des Films - patente Frau zwischen zwei charakterlich grundverschiedenen Männern - bietet genügend Stoff für weit mehr als anderthalb Stunden und wird am Ende zu einer Lösung gedrängt, die nicht in allen Belangen zufriedenstellt. Der loyale Peer Schmidt als Kamerad aus der Zeit der Entbehrung ergänzt das Ensemble ebenso überzeugend wie die beiden Kinderdarsteller Oliver Grimm und Margitta Scherr. Kurze juristische Gastauftritte haben die Charakterköpfe Schürenberg und Wery. Leider ist die Rolle der blonden Ellen Schwiers, die wohl als Katalysator für den Heimkehrer gedacht war, wenig überzeugend, was nicht an der Schauspielerin liegt, sondern an der Vorgabe des Drehbuchs. Die Freundschaft zwischen Martin und der Flugbegleiterin ist nichts Halbes und nichts Ganzes und dient nur als zusätzliches Element in der Entfremdung zwischen den Eheleuten. Der große Pluspunkt der Geschichte ist die Gleichmäßigkeit, mit der den verschiedenen Standpunkten Aufmerksamkeit geschenkt wird. Niemand wird verurteilt; das Bemühen, die andere Seite zu verstehen und sich vorzustellen, es wäre genau umgekehrt, befreien den Film von den Spinnweben des vorangegangenen Jahrzehnts, in dem die Rollenverteilung gar nicht erst hinterfragt worden war. Bei so viel Ausgewogenheit erscheint das Finale dann doch wieder traditioneller und durch den knorrigen Carl Wery auch melodramatischer.

Behutsame Annäherung an ein Spätheimkehrer-Schicksal in der prosperierenden Bundesrepublik, die allen Beteiligten gerecht werden will, ohne über deren Voreingenommenheiten oder Fehler hinwegzutäuschen. Starke Leistungen von Ullrich, Prack und Lieven bei gleichmäßiger Spannung in einem optimistischen Gesellschaftsumfeld. 4,5 von 5 Punkten

(1) SPIEGEL Special - Die 50er Jahre - Vom Trümmerland zum Wirtschaftswunder, Ausgabe 1/2006

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