BEWERTET: "Schloss des Schreckens" (The Turn of the Screw) (Großbritannien 2009)
mit: Michelle Dockery, Sue Johnston, Dan Stevens, Eva Sayer, Josef Lindsay, Mark Umbers, Corin Redgrave, Nicola Walker, Edward Macliam, Katie Lightfood, Wendy Albiston, Sarak Buckland u.a. | Drehbuch: Sandy Welch nach dem Roman von Henry James | Regie: Tim Fywell
London, 1921. Der Psychologe Dr. Fisher begibt sich ins Sanatorium, um eine junge Frau zu befragen, die bisher jede Auskunft verweigerte. Man fand sie vor zwei Tagen im Landsitz Bly mit einem toten Kind im Arm. Wie sich herausstellt, war Ann die Gouvernante der Waisenkinder Flora und Miles und von deren Onkel engagiert worden. Nach und nach erfährt Fisher, was sich in dem abgelegenen Anwesen ereignete. Zwei frühere Todesfälle trübten die ländliche Idylle und warfen lange Schatten, die die Kinder bedrohten....
"Was haben Sie davon, wenn Sie versuchen, ihre Seele zu retten - falls sie eine haben sollte?"
Die BBC-Adaption der bekannten Gruselnovelle des Amerikaners Henry James verleiht der Handlung eine moderne Rahmenhandlung. Verharrt Deborah Kerr in der Verfilmung von 1961 noch in stummer Umarmung, bevor der Bildschirm schwarz wird, so erleben wir Michelle Dockery in der Neuumsetzung als Mordverdächtige, die beschuldigt wird, einen ihr anvertrauten Jungen getötet zu haben. Dies verleiht der Geschichte eine weitere tragische Note und macht die Isolation und Einsamkeit der jungen Erzieherin noch deutlicher. Ohne Kontakte zu Personen außerhalb des Haushalts und ohne Rückhalt von ihrem Arbeitgeber, muss sie selbst entscheiden, was richtig und gut ist. Das Wohl der anderen über ihr eigenes zu stellen, war zur Entstehungszeit des Buches für Frauen ihres Ranges noch selbstverständlich und sicherte ihr Bleibe und Auskommen. Ein Widerspruch oder offenes Aufbegehren führten zu Unverständnis und Ablehnung. Im Fall von Ann wird gar ihr Verstand in Frage gestellt. Die Unschuldsvermutung bei allem, was Kinder anbelangt, ist für Erwachsene ohne Autorität und Loyalität anderer geradezu verhängnisvoll. Die perfiden Heimlichkeiten, Lügen und Täuschungsmanöver der Geschwister werden naiv geleugnet, was die Atmosphäre auf dem Landgut weiter vergiftet und einer gefährlichen Entwicklung entgegenwirkt.
Die Herausforderung bei der Begegnung mit der Neuverfilmung des Jack-Clayton-Klassikers besteht darin, ihr eine Chance zu geben. Die vorsichtige Modernisierung der viktorianischen Geschichte, die nun in der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg spielt, ermöglicht es, die Geschehnisse im Kontext der Auflösung großer Haushalte zu sehen. Wo früher eine Heerschar von Bediensteten im Einsatz war und gesellschaftliche Ereignisse den Jahreslauf bestimmten, leben die beiden Minderjährigen ausschließlich mit Frauen in dem viel zu großen Anwesen. Es ist ein Festhalten an der Vergangenheit, wo es am vernünftigsten wäre, die Kinder in ein Umfeld zu bringen, das ihnen eine gute Ausbildung zukommen lässt und sie auf die Realitäten des Lebens vorbereitet. Die Dekadenz dieser Haltung findet ihren Ursprung im Onkel der Kinder, einem Junggesellen, der sich einen angenehmen Lebensstil angeeignet hat, der weder Pflichten, noch Anstrengungen kennt. Er bürdet die Last der Verantwortung seiner jungen Gouvernante auf, die sich geschmeichelt fühlt und nach Anerkennung strebt. Die Freiheiten, die gewährt werden, erweisen sich als gefährlich und stellen keinen Mehrwert, sondern eine Geringschätzung der Betroffenen dar. Der Egoismus grassiert in Bly, das von Charakteren bevölkert wird, deren Augenmerk nur auf der Verwirklichung niedriger Instinkte liegt.
Die Anwesenheit von Peter Quint und Miss Jessel vollzieht sich in einigen expliziten Szenen, wobei sie sich auch unter die Lebenden mischen, ohne einen Unterschied erkennbar werden zu lassen. Dies ist ein Aspekt, den man kritisieren kann, da er den Platz einnimmt, der der Phantasie des Zuschauers zugedacht war. Zudem beraubt er die Geschichte einer Komponente, die der Leser der "wunderbaren, giftigen kleinen Horrorgeschichte" (Zitat von Oscar Wilde) gern diskutiert: die Verlässlichkeit der Erzählerin in Gestalt der Erzieherin. Ihre heimliche Zuneigung zum Onkel der Geschwister wird im Film zu einer Leidenschaft aufgebauscht, die sie Trugbilder sehen lässt und Treffen mit ihm herbeisehnen. Die Kinder verhalten sich in mehreren Szenen offen böse und lassen keinen Zweifel am Grad ihrer Verderbtheit. Es ist müßig, die technischen Möglichkeiten zu vergleichen, die beiden Produktionen zur jeweiligen Entstehungsphase zur Verfügung standen. Vielleicht traut man dem heutigen Publikum auch nicht mehr zu, Gefallen an Andeutungen und Schatten zu finden und möglicherweise verlangen die überreizten Zuschauer mittlerweile auch nach Handfesterem als der Silhouette einer schwarzgekleideten Frau im Schilf.
"Suddenly, in these circumstances, I became aware that, on the other side of the Sea of Azof, we had an interested spectator." Die psychologische Brillanz und erzählerische Raffinesse von Henry James' Klassiker greift immer dort, wo subtilen Gesten und der Mimik der Darsteller Platz eingeräumt wird. Michelle Dockery verleiht ihrer Ann Züge der Naivität, Hoffnung und Aufrichtigkeit und kämpft gleichzeitig mit einer großen Willenskraft um die Wahrheit und gegen die Fallstricke ihrer Umgebung. 4 von 5 Punkten