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 Film- und Fernsehklassiker international
Gubanov ( gelöscht )
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17.04.2016 14:30
Kein Koks für Sherlock Holmes (1976) Zitat · Antworten



Kein Koks für Sherlock Holmes (The Seven-Per-Cent Solution)

Kriminalfilm, GB / USA 1976. Regie: Herbert Ross. Drehbuch: Nicholas Meyer (Buchvorlage: Nicholas Meyer). Mit: Nicol Williamson (Sherlock Holmes), Alan Arkin (Dr. Sigmund Freud), Robert Duvall (Dr. John H. Watson), Vanessa Redgreave (Lola Deveraux), Laurence Olivier (Professor James Moriarty), Jeremy Kemp (Baron Karl von Leinsdorf), Charles Gray (Mycroft Holmes), Joel Grey (Lowenstein), Samantha Eggar (Mary Morstan Watson), Régine (Madame) u.a. Uraufführung (USA): 24. Oktober 1976. Uraufführung (BRD): 2. Juni 1977. Eine Produktion von Universal Pictures.

Zitat von Kein Koks für Sherlock Holmes
Seine Drogensucht lässt Sherlock Holmes in einen Verfolgungswahn verfallen, in dem er seinen ehemaligen Hauslehrer Moriarty zu einem Napoleon des Verbrechens aufbauscht. Um Holmes zu helfen und Moriartys Namen reinzuwaschen, beschließen Dr. Watson und Mycroft Holmes, den Detektiv auf einer falschen Fährte nach Wien zu locken, sodass er dort der Behandlung des Spezialisten Dr. Freud übergeben werden kann. Dessen frühere Patientin Lola Deveraux steckt derweil in einer lebensgefährlichen Klemme, aus der Holmes und Freud sie nur mit vereinten Kräften befreien können ...


Für seine Leserschaft kam Holmes’ Tod in der Geschichte „The Final Problem“ im Dezember 1893 als große Überraschung. Im Gegensatz zur heutigen Allgegenwärtigkeit des Duells Holmes – Moriarty war der teuflische Mathematikprofessor als Gegner des Baker-Street-Detektivs für das zeitgenössische Publikum ein gänzlich unbeschriebenes Blatt, das Doyle in der letzten Geschichte der „Memoirs of Sherlock Holmes“ zum ersten Mal auftreten ließ. Ob dieses kometenhaften Aufstiegs vom Unbekannten zum Erzfeind – erklärt durch die etwas wackelige Konstruktion, dass Moriartys Genie ihn über Jahre von der Öffentlichkeit unentdeckt operieren ließ – nimmt es keine Wunder, dass so mancher Sherlockian nicht nur an der offiziellen Version der Holmes’schen Hiatus-Zeit Zweifel hegt, sondern auch die Geschichte vom Kampf an den Meiringer Wasserfällen hinterfragt. Nicholas Meyers Buch „Kein Koks für Sherlock Holmes“ (in der Neuauflage „Sherlock Holmes und der Fall Sigmund Freud“) nimmt das Moriarty-Phänomen zum Anlass, eine mit den üblichen Interpretationen brechende Umdeutung der Ereignisse zu präsentieren, die sich in seiner Version wie auch in Watsons Darstellung im April 1891 abspielten.

Meyers Buch hatte aufgrund seiner cleveren Konstruktion und enthüllenden Thematik mehr Erfolg als andere Pastiches, sodass Universal ein Jahr nach Erscheinen eine Verfilmung in die Wege leitete. Diese genießt bei unvoreingenommenen Zuschauern größeres Ansehen als bei treuen Holmes-Fans, welchen manche Szene der Neuinterpretation zu radikal vorkommen mag. Gerade David Stuart Davies äußert sich in seinem Band „Starring Sherlock Holmes“ sehr abwertend über die vorliegende Produktion; Alan Barnes kommt in „Sherlock Holmes on Screen“ zu einem ausgewogeneren, aber noch immer kritischen Urteil (und spoilert fröhlich das Ende des Films in Text- und Bildform). Jene Befürchtungen, die sich auf die Unannehmlichkeiten des für die Produktion notwendigerweise sehr zentralen Themas Drogenmissbrauch beziehen, können allerdings insofern ausgeräumt werden, als Regisseur Herbert Ross und (Dreh-)Buchautor Meyer die Thematik mit Geschick umsetzen. Man sieht einige sich vor allem in Paranoia niederschlagende Auswirkungen des Konsums, nicht jedoch den Akt des Spritzens selbst, womit „Kein Koks für Sherlock Holmes“ (wohl nicht zuletzt aufgrund amerikanischer Zensurbestimmungen) vergleichsweise geschmackvoll daherkommt. Klugerweise bindet der Film die verqueren Gedanken des Rauschs (die Verdächtigung Moriartys) unmittelbar in die Handlung ein und verweist mit den Illusionen während des Entzugs kenntnisreich auf den Holmes-Canon (der Hund von Baskerville im Kleiderschrank, Dr. Roylotts Sumpfotter am Klingelzug).



Auch außerhalb dieser Szenen ist „Kein Koks für Sherlock Holmes“ standfest in Bezug auf die Geschichten Doyles. Wir erleben den Spürhund Toby bei der Verfolgung einer Fährte, die diesmal nicht nur ans Themseufer, sondern bis nach Wien führt. Der Vorspann zeigt Illustrationen aus dem Strand Magazine und einige ironische Fußnoten zu den einzelnen Charakteren. Die Auftritte von Mary Morstan Watson und Mycroft Holmes wirken authentisch, wobei Charles Gray seine Mycroft-Rolle unter Jeremy Brett noch perfektionieren durfte. Eine weitere Parallele zwischen „Koks“ und der ITV-Serie ist die Personalie Jeremy Kemp, dessen Baron hier ähnlich ruchlos auftritt wie sein Erbschleicher in „The Speckled Band“ acht Jahre später.

Ein Film, in dem so namhafte Persönlichkeiten wie Holmes und Freud aufeinandertreffen, steht oder fällt jedoch mit der Qualität der Hauptrollen. Hier leistet sich „Kein Koks für Sherlock Holmes“ einen spannenden Dissens: Nicol Williamson als blonder, etwas plumper Sherlock ist mit den anfänglich und abschließend gezeigten Zeichnungen Pagets kaum in Übereinstimmung zu bringen, was an der Güte seines Spiels, in dem er galant den Bogen zwischen aufgewühltem Wahn, niedergeschlagener Müdigkeit und neu erweckten Kräften spannt, nichts ändert, jedoch in Anbetracht der Bemühungen, Watson und Freud optisch so original wie möglich darzustellen, zumindest ungewöhnlich erscheint. So konzentriert sich das große Lob vor allem auf Alan Arkin, dessen Sigmund Freud eine starke Ersatzfigur in Holmes’ schwachen Momenten bietet. Die beiden „Legenden“ kämpfen nicht um den Platz unter dem hellsten Scheinwerfer, sondern ergänzen sich in ihrem Spiel auf eine konstruktive Art und Weise. Auch Robert Duvall als Watson überzeugt durch seine aufrichtige und freundschaftliche Anlage des Charakters. Sein oft bemängelter Faux-Brit-Akzent kommt zwar in der einleitenden Erzählszene deutlich zum Tragen, bessert sich aber merklich in den On-Screen-Dialogen, sodass hier eher von einem gewollten Stilmittel als von einer Unfähigkeit des Schauspielers auszugehen ist.

Wie viel man letztlich mit dem Film anfangen kann, wird sowohl von der Bereitschaft abhängen, eine Umdeutung der festgemeißelten Moriarty-Theorie zu akzeptieren, als auch von dem Willen, diesen Film als ernstgemeintes Pastiche und nicht als Komödie zu verstehen. Aus unerfindlichen Gründen (vielleicht weil Holmes in den Siebzigern sonst meist keine besonders seriöse Angelegenheit war?) suchen gerade Holmes-Afficionados in dem immerhin oscarnominierten Script Hinweise auf eine nicht vorhandene parodistische Qualität, was zwangsläufig zu enttäuschten Erwartungshaltungen führen muss. Der Film bewegt sich (abgesehen von den etwas längeren Heilungsszenen in Freuds Praxis) in rasantem Tempo und der mit der Behandlung verquickte Kriminalfall greift geschickt schon zuvor thematisierte Elemente auf. Hinzu kommt die detailreiche und offenkundig aufwendige Ausstattung der Sets und Außenszenen, die in einer abenteuerlichen Verfolgungsjagd auf Schienen kulminiert, in der Herbert Ross zeigen darf, dass er vor seiner Regiekarriere Erfahrungen als Balletttänzer und Choreograf sammeln konnte.

Von Puristen zu Unrecht gescholten, erweist sich „Kein Koks für Sherlock Holmes“ als erfrischendes und gehaltvolles Pastiche, das eine angenehme Alternative zum überstrapazierten Moriarty-Mythos bietet, ohne Sherlock Holmes dabei allzu offen zu diskreditieren. Unter den guten Hauptdarstellern stechen Alan Arkin, Robert Duvall und Charles Gray hervor, während Jeremy Kemps klassischer Schurke perfekt in die akribisch rekreierte Welt des Jahres 1891 passt. 4,5 von 5 Punkten.

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