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Dieses Thema hat 95 Antworten
und wurde 15.945 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
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Georg Offline




Beiträge: 3.263

26.08.2014 18:22
#16 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

@Havi17: ... und in ihrer Serienrolle in Bitte keine Polizei war Susanne Beck eigentlich auch ganz gut.

TATORT ESSEN - Haferkamps Fälle (10):
Spätlese

(Tatort Nr. 75)

Erstsendung ARD: 22.05.1977
Buch: Herbert Lichtenfeld
Kamera: Gernot Roll
Regie: Wolfgang Staudte
Mit Hansjörg Felmy, Willy Semmelrogge, Alexander Kerst, Andrea Joansson, Claudia Wedekind, Udo Vioff, Horst Michael Neutze u.v.a.

Kommissar Haferkamp eröffnet Claudia Bernhold, dass ihr Mann ermordet wurde. Motiv und Täter sind unbekannt. Nach und nach stellt sich jedoch heraus, dass der Tote ebenso kriminell aktiv und als Erpresser tätig war. Wer ist jedoch der Erpresste? Und warum?

Mit diesem Krimi serviert uns Herbert Lichtenfeld eine ganz andere, aber originelle Dramaturgie: das erste Bild des Films zeigt das Gesicht der Ehefrau, die von Haferkamp erfährt, dass ihr Mann tot ist. Danach steht eigentlich nicht die Suche nach dem Täter im Mittelpunkt, sondern die Frage, was das Motiv für den Mord war und woher der Tote soviel Geld hatte. Alles läuft schließlich auf eine Erpressung hinaus. Als Haferkamp das weiß, ist die nächste Frage: wer wurde von wem erpresst? Und womit? Aus diesen beiden Fragestellungen ergibt sich die Spannung des Films, nicht so sehr aus der Suche nach dem Täter, die in diesem Film wieder eine Art Whodunit ist. Staudte inszeniert sorgfältig und erzählt langsam, in langen Einstellungen. Schauspielerisch überzeugen Alexander Kerst, Andrea Jonasson, Udo Vioff (in einer eher unscheinbaren Rolle) und vor allem Horst Michael Neutze.

Lichtenfeld wirft schließlich mit diesem Film die Frage auf, in wieweit man Sympathie für einen Mörder haben darf, der abgesehen von dieser Tat ein Wohltäter ist.

Das Zusammenspiel Haferkamp & Kreutzer funktioniert nun perfekt, die beiden sind auf einer Wellenlänge, Haferkamps Privatleben ist auch wieder mal Thema: seine Exfrau wohnt wegen Umbauarbeiten kurzfristig bei ihm.

Spätlese überrascht mit einer ganz neuen und durchaus innovativen Erzählweise und überzeugt durch gewohnt gute Darsteller und Regie.

Havi17 Offline




Beiträge: 3.763

26.08.2014 22:18
#17 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Du bist Schuld, @Georg! Habe mir heute aufgrund Deiner Rezension "Wodka Bitter-Lemon" angesehen:

Tatort: Wodka Bitter-Lemon

Mit: Hansjörg Felmy, Claudia Amm, Heinz Bennent, Willy Semmelrogge, Karin Eickelbaum, Lil Dagover, Margot Trooger, Sabine von Maydell, Sky du Mont. Buch: Henry Kolarz (Die Gentleman bitten zur Kasse). Regie: Franz Peter Wirth.

Ein "Tatort" im klassischen Stil (WhoDoneIt). Heinz Bennent und Claudia Amm, gegensätzlicher können Charaktere nicht sein (fast treudoof vs. undurchsichtig - oder doch abgebrüht?). In dieser Folge muss Felmy ohne Spielbälle auskommen und im klassischen Stil ermitteln. Der Gegensatz des armen Polizisten und der High Society bietet Platz für eine gute und flottere Rahmenhandlung und einem erweiterten Spiel von Felmys Ex-Frau Ingrid. Margot Trooger glänzt als unberechenbare kühle Hausherrin neben der Schauspiellegende Lil Dagover. Trooger spielt einen Part, den Lil Dagover nicht anders und besser hätte spielen können. Sabine von Maydell und Sky du Mont geben das Gefühl des unbeschwerten Stils der 70er und liefern bzw. erinnern zeitgerecht an die Rahmenhandlung.

Ein guter, klassischer "Tatort", den man sich mindestens EINMAL anschauen sollte, jedoch mit keinem hohen Wiederholungsfaktor.

Gruß
Havi17

Georg Offline




Beiträge: 3.263

27.08.2014 11:14
#18 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Mit Wodka-Bitter-Lemon hast Du zweifellos einen guten, aber nicht den besten Haferkamp aus dem Archiv geholt. Deinen Ausführungen schließe ich mich hingegen an, lieber @Havi17! Ich bin unterdessen wieder eine Folge weiter gerückt und zwar zu ...

TATORT ESSEN - Haferkamps Fälle (11):
Drei Schlingen

(Tatort Nr. 78, Arbeitstitel: Der Bulle)

Erstsendung ARD: 28.08.1977
Buch: Karl Heinz Willschrei
Kamera: Josef Vilsmaier
Regie: Wolfgang Becker
Mit Hansjörg Felmy, Willi Semmelrogge, Traugott Buhre, Andreas Seyferth, Beatrice Kessler, Helmut Wildt, Simone Rethel, Karin Eickelbaum, Else Quecke und Vico Torriani

Die beiden Wachmänner Fink und Schießer sind seit Jahren gut befreundet. Schießer, der ältere, ist wie ein Vater für seinen jüngeren Kollegen. Die Freundschaft endet tragisch: bei einem Geldtransport spielt ein Ganoventrio Fink, dem Fahrer des Geldtransporters, einen Unfall vor, um diesen aus dem Wagen zu locken. Die Falle schnappt zu, denn nun können die drei unbekannten Gangster mit dem Transporter und dem Geld abhauen. Zuvor schießt einer der Täter auf Fink und trifft ihn tödlich. Haferkamp ermittelt und findet bald einen der Gangster erhängt auf. Es sieht aus wie Selbstmord, doch der erfahrene Ermittler vermutet einen Mordanschlag dahinter ...

Drei Schlingen war über 25 Jahre im Giftschrank der ARD versperrt. Grund dafür war von den Zusehern beklagte große Gewalt und ein Satz über Epileptiker, die nach einer Aussage zu größerer Gewaltbereitschaft neigen. In der Wiederholung von 2010 wurde – so ist nachzulesen – dieser Satz entfernt.

Abgesehen von diesen Fakten rund um den Film ist hier dem Duo Willschrei/ Becker ein durchwegs spannender Kriminalfilm gelungen, der wieder eine Art Whodunit ist und vor allem dem großartigen Traugott Buhre die Gelegenheit gibt, zu beweisen, welch hervorragender Darsteller er war. Wolfgang Becker hatte diesen Mann ja öfters vor die Kamera geholt, etwa auch bei Derrick. Buhre spielt den pflichtbesessenen, verbissenen Mann, der 200% geben will und beinahe fanatisch ist, sehr glaubhaft, demgegenüber steht Felmy/ Haferkamp als toller Gegenpart.

Schließlich kann Wolfgang Becker beweisen, dass er nicht nur Krimi, sondern auch Slapstick inszenieren kann, und zwar anhand eines fiktiven WDR-Fernsehspiels, in dem Vico Torriani im Wilden Westen von zwei Frauen umkämpft wird. Diese (für die weitere Handlung nicht unentscheidende) Comedy-Szenen erinnern zwangsläufig an Dieter Hallervordens Sendung Nonstop Nonsens, die im selben Jahr ebenfalls von der Bavaria produziert wurde.

Haferkamp agiert in dieser Episode weit über seine Kompetenzen hinaus, stiftet andere zur Morddrohung an und erschießt schließlich auch in Notwehr einen Menschen (den, wenn ich richtig gezählt habe, bereits dritten in seiner Laufbahn). Am Ende ist er mit diesem Schicksal allein, während seine Exfrau eine Party schmeißt und sich den schönen Seiten des Lebens hingibt, sitzt er allein im Dunkeln und muss damit fertig werden. Über diese triste Stimmung wird schließlich der Abspann eingeblendet.

Drei Schlingen ist erneut ein sehr spannender Krimi, der über eine starke, unorthodoxe Ermittlerfigur und eine gut gestrickte Story verfügt. Ein Tatort, wie er sein soll.

Mark Paxton Offline




Beiträge: 347

27.08.2014 21:34
#19 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Die Haferkamp-Tatorte sind übrigens bei Youtube abrufbar, ideal zum Schnuppern oder Wiedersehen. Habe mir den einen oder anderen auch für die nächsten Tage und Wochen vorgenommen, zumal ich das, was ich davon kenne als gute Unterhaltung in Erinnerung habe.

Havi17 Offline




Beiträge: 3.763

28.08.2014 06:27
#20 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

@Georg: Nachfolgend meine Rezensionen zu weiteren Haferkamp-Tatorten.

Bei Deiner kriminaltechnischen Bewertung zu "Abendstern" bin ich mit Dir d'accord. Bei meinen Bewertungen steht im Vordergrund der Gesamteindruck, den das Werk bei mir hinterlassen hat. Im Endeffekt der Unterhaltungswert, also wie gerne und oft schaue ich mir dieses Werk wieder an. Da liegt bei mir bei den Haferkamps "Zweikampf" ganz vorne. Dies besonders durch das perfekte Zusammenspiel von Baumann und Felmy - auch gerade deshalb, da deren Lebensstil zum einen so unterschiedlich, zum anderen so gleich ist.

Tatort: Abendstern

Mit: Hansjörg Felmy, Willy Semmelrogge, Karin Eickelbaum, Elfriede Irrall, Günter Gräwert, Andrea Rau, Christian Kohlund, Helma Seitz. Buch: Herbert Lichtenfeld. Regie: Wolfgang Becker.

Ein klassischer Krimi, dessen Handlungsfäden nicht ganz vom Haferkamp-Üblichen abweichen wollen und Kombinationen zum Tathergang ermöglichen. Efriede Irrall und Günter Gräwert brillieren in ihrem subtilen Spiel und bauen eine dramatische Geschichte auf, welche sich dann am Ende wieder als WhoDoneIt-Kriminalfall auflöst. Dieser Tatort gehört zu den Top-50. Sehenswert!

Tatort: Spätlese

Mit: Hansjörg Felmy, Willy Semmelrogge, Karin Eickelbaum, Andrea Jonasson, Claudia Wedekind, Udo Vioff (top im Kommissar: "Tod im Transit"), Alexander Kerst, Horst-Michael Neutze, Pierre Franckh, Claus Fuchs. Buch: Herbert Lichtenfeld. Regie: Wolfgang Staudte.

Ein klassischer Krimi mit WhoDoneIt, dessen Handlung sich allmählich aufbaut und von Andrea Jonasson getragen wird. Alexander Kerst spielt gewohnt brillant. Dabei wird ein zurückliegender weiterer Kriminalfall aufgerollt. Hansjörg Felmy spielt hier mit seiner Ehefrau Claudia Wedekind.

Tatort: Zwei Leben

Mit: Hansjörg Felmy, Heinz Bennnent, Gisela Uhlen, Günther Stoll, Katinka Hoffmann, die feminine Susanne Beck, Karin Eickelbaum, Willy Semmelrogge, Dirk Dautzenberg, Fernando Gómez. Buch: Karl-Heinz Willschrei. Regie: Wolfgang Staudte. Produktion: Werner Kließ.

Ein ungewöhnlicher Fall, wiederum im Haferkamp-Stil ganz ohne WhoDoneIt. Ein Mord, der Spielraum für die Beweggründe behält und im Laufe der Handlung eine dramaturgisch geschickte Spannung aufkommen lässt. Dazu noch ein paar neue Fakten, welche dem aufmerksam gebliebenen Zuschauer Rätsel aufgeben und ein paar kurze Momente, die moderne Giallo- / Wallace-Eindrücke vermitteln. Gisela Uhlen, die Grande Dame, spielt gewohnt undurchsichtig wie in der "Tür mit den 7 Schlössern", jedoch mit edleren Motiven. Günther Stoll ist der perfekte ultracoole Verbrecher. Susanne Beck überzeugt in einer naiven, unschuldigen, femininen Rolle (dennoch mit Überraschungen) und gibt der Handlung weitere Spannungsmomente. Dirk Dautzenberg - einfach super-gekonnt spielt er in einer kleinen Nebenrolle und gibt dem Ermittler einen denkwürdigen Stoppmoment. Ja, und Heinz Bennent trägt den Film bis zum überraschenden Ende mit einer perfekten Kaltschnäuzigkeit.

Alles in allem ein handfester Krimi mit einer guten Continuity und einer wieder glaubwürdigen Geschichte. Aufgrund der Handlung und der starken Charaktere kann man sich dieses Werk auch öfters anschauen.

Tatort: Treffpunkt Friedhof

Mit: Hansjörg Felmy, Krista Keller, der leider zu früh verstorbene Kettenraucher Matthias Fuchs (Immenhof), Karl-Maria Schley, Willy Semmelrogge, Karin Eickelbaum, Peter Oehme, Marie-Luise Marjan, die großartige Erna Sellmer. Buch: Werner Kließ. Regie: Wolfgang Becker.

Für einen klassischen Krimi ein ungewöhnlicher Beginn, doch ganz im Rahmen des "Haferkamp"-Stils. Diesmal gänzlich ohne WhoDoneIt zieht sich die unglaubwürdige, naive Geschichte durch den Film. Schade, denn die Schauspieler agieren erstklassig. Krista Keller hatte bereits bei Kressin eine hervorragende Rolle, trägt fast alleine die Hauptlast der Handlung und mimt nachhaltig eine verbissene, gar verrückte Intrigantin. Matthias Fuchs überzeugt in seiner Rolle des scheinbar gedungenen (Ex-)Liebhabers und Vollstreckers. Ebenso Erna Sellmer. Sie spielt den Typus Hauswirtschafterin genauso überzeugend wie z.B. vor ihr Annie Rosar und gibt der Handlung wenigstens einen realistischen Start.

Schaue ich mir das Wirken von Drehbuchautor Werner Kließ an (http://www.krimilexikon.de/kliess.htm), so kann er sich sicher nicht mit Willschrei, Lichtenberg messen. Es scheint jedoch vielmehr, dass das Haferkamp-Grundkonzept ausgereizt, gar hier überstrapaziert und die Charaktere überbelastet wurden. Dieser Tatort ist eher eine Kriminalhandlung à la Wanninger bzw. ein Psycho-Krimi, den man sich aufrund der
guten Darsteller auch EINMAL anschauen sollte.

Tatort: Drei Schlingen

Mit: Hansjörg Felmy, Traugott Buhre, Andreas Seyferth, Beatrice Kessler, Helmut Wildt, Stephan Schwartz, Willy Semmelrogge, Karin Eickelbaum, Simone Rethel, Lutz Hochstraate, Else Quecke, Roswitha Dost, Hans Beerhenke, Peter W. Koehler, Marie-Luise Marjan. Regie: Wolfgang Becker.

Zunächst einmal muss ich feststellen, dass ich diese Folge (aus den ersten Hundert) bisher nicht gesehen hatte. Dies ist darauf zurückzuführen, dass ich damals, geprägt vom WhoDoneIt, bei den Haferkamps feststellen musste, daß diese der "Columbo-Version" angehören und ich mir zunehmend diese Tatorte mit Unlust ansah.

Umso größer war die Überraschung über diesen Krimi, der sich rasch in einen Thriller verwandelt. Mit viel Feingefühl und durchaus Druck auf die Tränendrüse werden Schicksale vermittelt und gleichzeitig wird der Spagat auf Tempo vollzogen. Besonders auffällig die perfekte Musikeinblendung von Supertramp- und Jean-Michel-Jarre-Aufnahmen, welche die Dramatik und die Continuity steigern. Auch das WhoDoneIt wird beachtet und man zweifelt immer wieder mal neu - top! Ein Meisterwerk, das ich von nun an zu meinen Top-10-Tatorten zähle. Sehr Sehenswert!

Gruß
Havi17

Georg Offline




Beiträge: 3.263

28.08.2014 18:04
#21 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Bin mit Deinen Besprechungen auch überaus einverstanden, lieber @Havi17! Schön, dass Du sie hier nochmals gepostet hast, ich denke, die waren schon mal im "Was liegt gerade im Player"-Thread.

TATORT ESSEN - Haferkamps Fälle (12):
Das Mädchen von gegenüber

(Tatort Nr. 82)

Erstsendung ARD: 04.12.1977
Buch: Martin Gies
Kamera: Gernot Roll
Musik: Birger Heymann
Regie: Hajo Gies
Mit Hansjörg Felmy, Gerhard Theisen, Jürgen Prochnow, Herlinde Latzko, Eva Maria Bauer, Werner Abrolat, Willi Semmelrogge, Karin Eickelbaum u.v.a.

Bärbel, ein Mädchen, das gegenüber des gleichaltrigen Kalle wohnt, zeigt kein Interesse an ihrem Nachbarn und Schulkollegen. Nach der Kirmes versucht Kalle vergeblich, dem Mädchen näher zu kommen. Daraufhin folgt er ihr in ein still gelegtes Bahnhofsgebäude, wo sich diese zum Stelldichein mit ihrem Lehrer treffen will. Doch dazu kommt es nicht, Kalle versucht Bärbel zu küssen, diese wehrt sich vehement. Es kommt zu einem Handgemenge, bei dem das Mädchen stirbt. Haferkamp ermittelt und hat recht bald den Lehrer in Verdacht ...

Mit dieser Folge wird in der Reihe eine neue Ära eingeleitet, denn nun sind mit dem Brüderpaar Martin und Hajo Gies zwei "Junge" an den entscheidenden Stellen, nämlich bei Buch und Regie. Das merkt man der gesamten, vorzüglichen Episode auch an. Schnelle(re) Schnitte, andere Bildgestaltung, teilweise Handkamera, erstmals keine Musik aus der Konserve, sondern Filmmusik (Birger Heymann) etc. Noch wichtiger ist, dass die Brüder Gies hier in ein ganz bestimmtes Milieu eintauchen und dieses auszuleuchten versuchen: die Welt eines 14jährigen. Jahrmarktbesuch, erste Liebe, versuchte Kontaktaufnahme, Schularbeiten, Gedichte auswendig lernen usw.

Im Zentrum steht Karl-Heinz, ein Realschüler, verliebt in ein Mädchen, das ihm gegenüber wohnt. Er versucht sie zu küssen, hält ihr aber den Mund so unglücklich zu, dass sie stirbt. Kalle ist ein Außensetier, wird von seinen Schulkollegen nicht richtig aufgenommen, seine Eltern bekommen von seinen Problemen nichts mit. Er ist allein mit der Tat, psychisch labil und denkt mehrfach an Selbstmord.

Haferkamp wird in dieser Episode nicht als allmächtiger Kommissar, sondern als Mensch, der Fehler macht, dargestellt. Als jemand, der sich in etwas verrennt, falsche Schlüsse zieht und zum Schluss ohnmächtig dem Freitod des Jungen gegenübersteht. Sprachlos steht er auch dessen Eltern gegenüber. Die einzige, mit der er jederzeit sprechen kann, ist seine Exfrau Ingrid. Diese ruft er an und teilt ihr mit, dass er sich verrannt hatte und dadurch vielleicht den Tod Kalles mitzuverantworten habe. "Du hast bestimmt getan, was du konntest", sagt Ingrid, worauf Haferkamp meint: "Tja, dann kann ich eben nichts." Ende der Tatort-Folge. Soetwas hätten Sherlock Holmes, Hercule Poirot oder auch nur Kommissar Keller nie von sich gesagt. Hansjörg Felmy als Haferkamp kann es: einen Ermittler spielen, der auch Fehler macht und diese eingesteht. Das macht ihn unglaublich sympathisch und menschlich.

Gies konstruiert mit Das Mädchen von gegenüber eine interessante Milieustudie und teilweise ein Abbild der Gesellschaft jener Jahre: freie Ehe war damals großes Thema und diese wird laut Drehbuch auch vom Lehrer (Prochnow) und dessen Frau (Herlinde Latzko) praktiziert, "damit man sich nicht anlügen muss". Alles gut und schön, dass die Ehefrau dann aber nicht einmal darüber erschrocken ist, dass ihr Mann mit einer vierzehnjährigen Schülerin schläft, ist doch wenig glaubhaft. So weit kann und darf Toleranz nicht gehen.

Die Folge lässt schließlich die wichtige Frage offen, wer am Ende Schuld hat. Haferkamp? Die Eltern? Der Lehrer (der übrigens weit über seine Kompetenzen agiert, man denke an die Szene im alten Bahnhof)? Oder gar niemand?

Thematisch erinnert die Folge übrigens an Reifezeugnis aus dem gleichen Jahr.
Ein ganz starker, wenngleich ruhiger Tatort mit formidablen schauspielerischen Leistungen, nicht nur von Felmy und Prochnow, sondern vor allem auch vom Darsteller des Kalle.

Hier noch einige Auszüge aus einem Interview mit Hajo Gies (Wenzel, Eike: "Nicht mehrheitsfähig. Interview mit Hajo Gies", in: Wenzel, Eike [Hrsg.]: Tatort. Recherchen und Verhöre, Protokolle und Beweisfotos. Berlin: Bertz, 2001, S. 163-174):

„Ich [...] wollte unbedingt Kriminalfilme machen. Und in Deutschland gab es ja damals nur diese Märchenkrimis à la Edgar Wallace und Francis Durbridge – also blieb nur der TATORT. Mein Bruder, Martin Gies, hat dann das Drehbuch für DAS MÄDCHEN VON GEGENÜBER [4.12.1977] mit Hansjörg Felmy als Kommissar Haferkamp geschrieben, es war ein großer Erfolg. Wir hatten nur das Pech, dass wir eine ähnliche Geschichte hatten wie Wolfgang Petersen mit REIFEZEUGNIS [27.3.1977] und DAS MÄDCHEN VON GEGENÜBER, obwohl früher fertiggestellt, später gesendet wurde als REIFEZEUGNIS.“ (S. 163)

„Das Drehbuch beruhte auf einem authentischen Fall. Das war die Geschichte eines Schülers, der in der Klasse neben meinem Bruder geessssen hat. Der hat sich auf dem Bahnhof mit E605 vergiftet, im Film vergiftet sich der Junge auf dem Rummelplatz. Ihm wurde vorgeworfen, er hätte eim Mädchen vergewaltigt [...]. Damals war ich noch sehr jung, die Pubertät lag noch nicht so lange zurück, deswegen war das alles für mich sehr nachvollziehbar“. (S. 164)

Über Hansjörg Felmy: „Er wollte auch nirgendwo richtig anecken, er wollte geliebt werden. Ich persönlich hatte mit dem Schauspieler Felmy größere Schwierigkeiten. Ich habe oft lange mit ihm diskutiert. Es gibt zum Beispiel eine Szene im MÄDCHEN VON GEGENÜBER, wo Haferkamp den Lehrer anschreit, und ich habe lange gebraucht, ihn dazu zu bringen, das er das überhaupt macht. Er wollte vom Publikum geliebt werdewn, er wollte immer mehr der Verständnisvolle sein, er wollte die Menschen verstehen und quasi wie ein Sozialhelfer agieren.“ (S. 166-167)

Mr Keeney Offline




Beiträge: 1.365

28.08.2014 23:43
#22 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Zitat von Georg im Beitrag #21
Haferkamp wird in dieser Episode nicht als allmächtiger Kommissar, sondern als Mensch, der Fehler macht, dargestellt. Als jemand, der sich in etwas verrennt, falsche Schlüsse zieht und zum Schluss ohnmächtig dem Freitod des Jungen gegenübersteht. Sprachlos steht er auch dessen Eltern gegenüber. Die einzige, mit der er jederzeit sprechen kann, ist seine Exfrau Ingrid. Diese ruft er an und teilt ihr mit, dass er sich verrannt hatte und dadurch vielleicht den Tod Kalles mitzuverantworten habe. "Du hast bestimmt getan, was du konntest", sagt Ingrid, worauf Haferkamp meint: "Tja, dann kann ich eben nichts." Ende der Tatort-Folge. Soetwas hätten Sherlock Holmes, Hercule Poirot oder auch nur Kommissar Keller nie von sich gesagt. Hansjörg Felmy als Haferkamp kann es: einen Ermittler spielen, der auch Fehler macht und diese eingesteht. Das macht ihn unglaublich sympathisch und menschlich.

Vielen Dank, @Georg, dass Du diese Facette des Haferkamp-Charakters hier so detailliert würdigst. Tatsächlich ist das Ende des "Mädchen(s) von gegenüber" unvergesslich ... und genau diese stets unterschwellig vorhandene melancholische Verlorenheit und offen eingestandene menschliche Hilflosigkeit machen Kommissar Haferkamp nach Köster und knapp vor den drei Kottans zu meinem zweitliebsten Ermittler überhaupt.

schwarzseher Offline



Beiträge: 626

29.08.2014 16:55
#23 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Es freut mich, dass "Kommissar Haferkamp" Hansjörg Felmy hier so gut besprochen wird. Seine Balance zwischen seinen Ermittlungen und persöhnlicher Betroffenheit / Fehlern ist gerade richtig. Schon in den Edgar-Wallace- und Bryan-Edgar-Wallace-Filmen war er für mich eine willkommene Abwechslung mit seiner Ernsthaftigkeit (irgendwann war man das coole Beschützer-der-Witwen-und-Waisen-Getue satt).

Es gibt Filme und Serien, die man auch nach vielen Jahren noch gleich gut findet - Haferkamp gehört für mich dazu (ganz im Gegensatz zu z.B. Schimanski).

Georg Offline




Beiträge: 3.263

29.08.2014 20:28
#24 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Ich finde es auch überaus positiv, den Kommissar so "menschlich" darzustellen, mit zahlreichen Facetten und einer leichten Melancholie. Glaubhaft wirkt auch, dass sich dieser Ermittler mal verrennt, dass er Fehler macht, falsche Spuren verfolgt und weiß, dass er kein "Übermensch" ist. So gesehen war die Konzeption des Kommissar Haferkamp in der deutschen Krimiwelt wohl etwas sehr Neues und Innovatives ...

schwarzseher Offline



Beiträge: 626

31.08.2014 19:56
#25 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Und was ganz wichtig war: Die Ausgewogenheit zum Fall / Krimi hat gestimmt. Man vergleiche das mit den heutigen Tatorten: Ein Kommissar ohne Familien- oder Beziehungsproblemen (die zum Fall meistens total ohne Bezug sind und bei denen er sich immer weiter mit anderen Kommissaren überbietet) ist heute kaum noch möglich. Sozusagen ein damaliger guter, ausgewogener Ansatz wurde später zum Todesstoß der meisten Tatorte (vom Krimistandpunkt aus).

Georg Offline




Beiträge: 3.263

03.09.2014 19:08
#26 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Oh ja, diese Privatgeschichten rund um das Familien- und Liebesleben der Kommissare nervt mich auch ungeheuerlich ... doch nun wieder zurück zu Haferkamp:

TATORT ESSEN - Haferkamps Fälle (13):
Rechnung mit einer Unbekannten

(Tatort Nr. 87)

Erstsendung ARD: 23.04.1978
Buch: Dr. Peter Hemmer
Kamera: Joseph Vilsmaier
Regie: Wolfgang Becker
Mit Hansjörg Felmy, Peter Matić, Gertrud Kückelmann, Edith Hancke, Susanne Beck, Rolf Wanka, Nicole Heesters u. v. a.

Josef Rosenkötter suchte per Inserat nach einer Bekanntschaft. Die Mainzerin Roswitha Mattusch meldete sich darauf. Nun treffen sich die beiden erstmals in Essen, Rosenkötter bringt die Frau mittleren Alters in seine mondäne Villa. Man verbringt einen schönen Abend miteinander. An dessen Ende wendet sich jedoch plötzlich das Blatt: Rosenkötter zieht eine Pistole und erschießt die Frau. Er hat den perfekten Mord geplant und täuscht einen Raubmord vor. Danach begibt sich der Brennstoffhändler auf eine Party und kommt später zurück, um die Tote zu finden und sie gegenüber der Polizei als seine Ehefrau auszugeben, die in Wirklichkeit in einer Pension wartet. Die beiden hoffen auf die Auszahlung einer immensen Lebensversicherung, doch sie haben mit Kriminaloberkommissar Heinz Haferkamp nicht gerechnet ...

"Nehmen Sie doch Vernunft an!" - "Ich bin Beamtin. Ich darf nichts annehmen!" - so einer von vielen unterhaltsamen Schlagabtausche, die es in dieser Folge vor allem zwischen Haferkamp und Kreutzer gibt (man denke nur daran, wie sie den Chef nachäffen oder besoffen in der Kneipe über den Fall diskutieren), aber auch zwischen anderen wie im gebrachten Zitat zwischen Kreutzer und einer Postbeamtin. Der Humor und das perfekte, routinierte und beinah schon "eheliche" Zusammenspiel der beiden Ermittler tun dieser Episode gut, genauso wie die winterliche, kalte Atmosphäre.

Die Geschichte an sich ist etwas arg konstruiert, denn man könnte an vielen Stellen einhaken und sie mit einer Kleinigkeit zu Fall bringen. Dass die tote Frau Mattausch von Herrn Rosenkötter als Ehefrau identifiziert wird und dass die Behörden das nicht überprüfen ist etwas unglaubwürdig, zumal Haferkamp von Anfang an einen Verdacht gegen den Brennstoffhändler hegt.

Autor Dr. Peter Hemmer, dem wir später viele vorzügliche und spannende Folgen der Reihen Ein Fall für zwei (z.B. Kratzer im Lack oder Countdown) und Wolffs Revier verdanken, legt die Dramaturgie dieser Folge wieder ähnlich wie Karl Heinz Willschrei in den frühen Folgen an: ein bekannter Mörder tritt gegen den Ermittler an. Mit diesem "Der Täter ist bekannt"-Prinzip erinnert er erneut an die Sendereihe Columbo. Zusätzlich konstruiert er jedoch eine nicht uninteressante Dreiecksgeschichte, die schließlich zu Bruch geht und bei der sich der Mann letzlich von seiner Geliebten wieder der Ehefrau zuwendet. Die Gesamtstory an und für sich ist jedoch wirklich nichts Neues und so oder so ähnlich schon zig, ja hundert Mal erzählt worden. Es liegt also auch an der Umsetzung und für diese war wieder mal Wolfgang Becker zuständig. Dass dieser Regisseur gewohnt solide inszeniert, braucht an dieser Stelle nicht erwähnt werden, die Musik kommt erneut aus der Reserve, neben Vangelis und Pink Floyd ist auch ziemlich oft Frank Duval zu hören.

Schauspielerisch bietet die Folge eine Überraschung, denn der Österreicher Peter Matić, sonst eher auf Nebenrollen abonniert, spielt vorzüglich die Titelrolle des eiskalten, berechnenden Killers und Unternehmers, der in einer dekadenten Gesellschaft verkehrt, die offenbar ihre Zeit mit Partys und Liebe totschlägt (man denke an den ergrauten Herren reiferen Alters (gespielt von Rolf Wanka), der sich eine rund Zwanzigjährige als Geliebte gönnt, die in durchsichtiger Bluse daliegt und nur dem Zwecke der Freude dient).

Schauspielerisch überzeugen auch Gertrud Kückelmann, Susanne Beck und sogar Edith Hancke. Exfrau Ingrid Haferkamp (Karin Eickelbaum) pausiert in dieser Episode, dafür haben Haferkamp und Willi neue Büroräume.

Gedreht wurde wohl fast ausschließlich in München, ein Großteil spielt in der berühmten Grünwalder Krimivilla in der Gereuthstraße. Sicherlich wurden auch die anderen Folgen teilweise in der bayerischen Hauptstadt produziert, in Rechnung mit einer Unbekannten ist der verhältnismäßig hohe Prozentsatz der München-Aufnahmen durch Willy Semmelrogges Engagement am dortigen Theater begründet, von dem er nicht leicht nach Essen pendeln hätte können.

Bleibt der Auftritt der ersten Gastkommissarin zu erwähnen, nämlich Nicole Heesters als Kommissarin Buchmüller, die in Mainz ermittelt.

Im Vergleich zur Vorgängerepisode Das Mädchen von gegenüber ist Rechnung mit einer Unbekannten ein Rückschritt zu gewohnteren, alten Strukturen, aber dennoch eine Episode, die 85 Minuten lang gut unterhält.

Havi17 Offline




Beiträge: 3.763

04.09.2014 09:01
#27 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Zitat von schwarzseher im Beitrag #25
Und was ganz wichtig war: Die Ausgewogenheit zum Fall / Krimi hat gestimmt. Man vergleiche das mit den heutigen Tatorten: Ein Kommissar ohne Familien- oder Beziehungsproblemen (die zum Fall meistens total ohne Bezug sind und bei denen er sich immer weiter mit anderen Kommissaren überbietet) ist heute kaum noch möglich. Sozusagen ein damaliger guter, ausgewogener Ansatz wurde später zum Todesstoß der meisten Tatorte (vom Krimistandpunkt aus).

Die neuen Tatorte sind bis auf wenige Ausnahmen Kaugummi für die Augen. Die alten Tatort-Folgen basieren in der Regel auf guten bis sehr guten Drehbüchern. Die Auswahl der Hauptdarsteller erfolgte i.d.R. durch die Regisseure. Die Spannung entstand primär durch gute Drehbücher und perfekte Regiearbeit.

Heutzutage werden üblicherweise mehr und mehr Darsteller vom "Produzenten" ausgewählt (wegen der Quote). Wenn man sich die Mühe macht, in neuen Tatorten eine Handlung zu suchen, wird man i.d.R. feststellen, dass die Handlung nicht einem Drehbuch im eigentlichen Sinne entspricht. Filmmusik bei neuen und alten Tatorten sind schon gar nicht vergleichbar. Die zuständigen Redakteure beim Tatort sind inzwischen in der Mehrzahl weiblich. Wie gesagt: Die neuen Tatorte sind fast alle Kaugummi für die Augen.

Gruß
Havi17

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

04.09.2014 10:09
#28 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Zitat von Havi17 im Beitrag #27
Die zuständigen Redakteure beim Tatort sind inzwischen in der Mehrzahl weiblich.

Das liest sich so, als ob du etwas dagegen hättest.

schwarzseher Offline



Beiträge: 626

04.09.2014 10:12
#29 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Zitat von Havi17 im Beitrag #27
Die neuen Tatorte sind bis auf wenige Ausnahmen Kaugummi für die Augen.

Für mich eher für den A... (Entschuldigung). Als Beispiel Til Schweiger als Kommissar (mit Tochter). Wer denkt sich so etwas aus? Oder bin ich nur hoffnungslos altmodisch? Da sind die Münsteraner für mich die einzigen, die bleiben, weil offensichtlich als (Teil-)Comedy angelegt (so ein bisschen nach Kottan). Aber die anderen Tatorte wollen wohl auch noch "ernsthaft" sein und wenn dann noch eine gesellschaftliche "Botschaft" dabei ist ... *würg*. Sozusagen "Krimis" wie "Unter uns", "Lindenstraße", "Verbotene Triebe" usw. - nein danke. Dann lieber die zig-te Wiederholung eines 70er-Tatorts!

Georg Offline




Beiträge: 3.263

04.09.2014 15:13
#30 RE: Die 1970er-"Tatort"-Kommissare: Haferkamp (Hansjörg Felmy) Zitat · Antworten

Zitat von Havi17 im Beitrag #27
Heutzutage werden üblicherweise mehr und mehr Darsteller vom "Produzenten" ausgewählt (wegen der Quote).

Der letzte Produzent, der sich seine Schauspieler von A bis Z noch selbst aussuchen konnte, war die "Institution" Helmut Ringelmann. In der Regel ist es heute jedoch leider so, dass die zuständigen Redakteure ein fixes Team vor und hinter der Kamera zusammenstellen und den Regisseur vor vollendete Tatsachen stellen. Sollte diesem eine Besetzung nicht passen, dann kann eher er gehen, als dass der Schauspieler ausgewechselt wird. Das habe ich mehrfach von heutigen Regisseuren gehört. Leider ...

Doch zurück zu einem sehr erfreulichen, weil sehr gelungenen Tatort:

TATORT ESSEN - Haferkamps Fälle (14):
Lockruf

(Tatort Nr. 89)

Erstsendung ARD: 02.07.1978
Buch: Herbert Lichtenfeld
Kamera: Joseph Vilsmaier
Regie: Wolfgang Becker
mit Hansjörg Felmy, Willi Semmelrogge, Agnes Fink, Herbert Fleischmann, Dieter Schidor, Gracia-Maria Kaus, Wolfgang Grönebaum, Karin Eickelbaum, Sonja Jeannine u.v.a.

Der verheiratete Herr Huck hat ein Verhältnis mit der wesentlich jüngeren Simone Karelus. Seiner Ehefrau erzählt er, dass er nach Frankfurt fährt, während er sich in Wahrheit in sein einsam gelegenes Waldhäuschen begibt, wo er sich mit Simone zum Stelldichein trifft. Der Zufall will es, dass Frau Huck dahinter kommt und ihren Mann mit seiner Geliebten, die ihren Mantel trägt, beobachtet. Sie fährt nach Hause und beschließt, ihren Gatten vorerst darauf nicht anzusprechen. Als er erneut verreist und ihr erzählt, nach Frankfurt zu fahren, begibt sich die eifersüchtige Ehefrau zum Waldhaus. Das Schicksal will es, dass ihr Sohn Heiko dort eine aus einem Heim ausgerissene junge Frau untergebracht hat, die Frau Huck - blind vor Wut - mit der Geliebten ihres Mannes verwechselt, zumal sie denselben Mantel trägt. Helga Huck zögert nicht und holt rasend vor Eifersucht das Gewehr aus dem Schrank. Ein gezielter Schuss trifft Sabine Knoop, so der Name des knapp achtzehnjährigen Mädchens, genau ins Herz. Kommissar Haferkamp ermittelt ...

Die Episode Lockruf rangiert mit Abendstern bisher an der Spitze der Haferkamp-Tatorte. Wen wundert es da, das zwei ausgesprochene Profis dafür verantwortlich zeichnen? Herbert Lichtenfeld als Autor und Wolfgang Becker als Regisseur. Diese Kombination funktioniert genau so gut wie die Kombination Lichtenfeld und Wolfgang Petersen bei den Finke-Tatorten. Im Übrigen könnte man sich gerade den vorliegenden 14. Haferkamp-Fall auch als Fall für den von Klaus Schwarzkopf dargestellten Kieler Ermittler gut vorstellen.

Die Geschichte ist recht spannend strukturiert, auch wenn ab einem gewissen Zeitpunkt absehbar ist, welches Schicksal die junge Sabine ereilen wird. Lockruf punktet durch gut gewählte Schauplätze (wieder mal fast alles in München, u.a. die Pilzvilla, die auch beim Kommissar, Alten und bei Derrick häufig auftauchte) und natürlich durch die Besetzung.

Agnes Fink als vor Eifersucht erblindete Ehefrau war eine sehr gute Wahl und gefällt mir, im Unterschied zu vielen sonstigen Auftritten, ausgesprochen gut in dieser Rolle. Herbert Fleischmann (mit Vollbart!) als Gatte und Ehebrecher passt da eigentlich optisch gar nicht dazu und gerade das macht es aus, dass er für die Rolle optimal war: denn die Hucks passen schon auf den ersten Blick nicht zueinander. Das außereheliche Vergnügen Fleischmanns wird von Wolfgang Beckers Lebensgefährtin Gracia-Maria Kaus dargestellt (eine Augenweide!), (Dr.!) Dieter Schidor, damals schon wesentlich älter als seine Rollenfigur, als Sohn ist nicht so nervig wie in manchen Derrick-Rollen, im Gegenteil, er macht gute Figur. In einer Nebenrolle glänzt "Mister XY" Wolfgang Grönebaum als Hotelrezeptionist.

Becker hat ein gutes Gespür für Spannung und Tempo und ebenso einen ausgezeichneten Griff bei der Wahl der Musik, die sich stimmig in die von Josef Vilsmaier eingefangenen Bilder mischt.

Haferkamp und Kreutzer haben in dieser Episode beinahe so etwas wie eine Ehekrise, nachdem der Chef seinen Assistenten verdächtigt, gegen die Vorschriften gehandelt zu haben. Gerade diese Szenen und die "Aussöhnung" am Ende der Folge machen das Ermittlerteam aber herrlich sympathisch. Karin Eickelmann als Ingrid mischt in dieser Folge nach einer Pause auch wieder mit und wird in die Fall verwickelt, darf aber auch charmant an ihrem Ex herumkritisieren.

Eine Toppfolge, für mich eine der besten der 70er-Jahre-Episoden überhaupt!

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