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Dieses Thema hat 20 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
Seiten 1 | 2
Gubanov ( gelöscht )
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02.04.2014 17:40
Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

Er ist der nobelste Detektiv der Literaturgeschichte. Sein Adelstitel öffnet ihm so manche Tür, aber sein feines Gespür für Verbrechen eröffnet ihm Einblicke in die Welt von Mord, Raub und Entführung. Lord Peter Wimsey trat erstmals 1923 in Dorothy L. Sayers’ Roman „Whose Body?“ auf und ermittelte darin im äußerst vertraulichen und pikanten Fall eines toten Mannes in einer Badewanne. Für viele seiner Anhänger gilt Lord Peter als einer der wichtigsten Erben der großen Sherlock-Holmes-Tradition:

Zitat von David Stuart Davies: Starring Sherlock Holmes, Titan Books, 2007, S. 129f
Dorothy L. Sayers took the Holmes format up an aristocratic notch when she created her detective, Lord Peter Wimsey, who resided in Piccadilly at number 110A, which is approximately half of 221B! His ‚Watson’ was his manservant Bunter, and his Lestrade was his brother-in-law, Inspector Parker, a sensible if shortsighted Scotland Yard man whom Lord Peter referred to, with affection, as ‚old Parker Bird’.


Wimsey, der zweite Sohn des fünfzehnten Duke of Denver, zeichnet sich nicht nur durch perfekte Manieren aus, er verfügt auch über einen runden Charakter: Ausgebildet u.a. in Eton, wurde er später für seine Verdienste im Ersten Weltkrieg geehrt. Lord Peter ist auf dem Gebiet der schönen Künste äußerst bewandert, kontrastiert diesen schöngeistigen Zeitvertreib aber gern mit den blutigen und kompromittierenden Seiten des Lebens, in die er mit unverhohlener Neugier seine spitze Nase hineinsteckt. Wimsey wird eine gewisse snobistische Ader und eine latente Arroganz nachgesagt, doch er verhält sich seinen Bekannten gegenüber loyal und freundlich.
Seine Bekanntheit erhielt sich Lord Peter durch die zahlreichen TV-Verfilmungen seiner Werke im Rahmen zweier Serien der BBC: der ersten Ära mit Ian Carmichael von 1972 bis 1975 (ein Fünf- und vier Vierteiler) und der zweiten mit Edward Petherbridge im Jahr 1987 (zwei Drei- und ein Vierteiler).



In diesem Thread soll es zunächst um eine Reihe szenischer Lesungen auf Grundlage verschiedener Lord-Peter-Wimsey-Geschichten gehen. Sie umfasst acht Teile, die sowohl gesammelt in der Editionsbox „Acht Fälle für Lord Peter“ als auch als Einzel-CDs vom Verlag Audiobuch.com erhältlich sind. Alle acht Episoden haben Peter Fricke als Lord Peter Wimsey und Dagmar von Thomas als Erzählerin gemein, bieten aber auch interessante Gastsprecher wie Rolf Becker, Klaus Herm, Felix von Manteuffel (Hörspielstimme von Hercule Poirot) und Walter Niklaus (Synchronstimme von Basil Rathbone als Sherlock Holmes). Die Radiokrimis wurden erstmals im Jahr 2003 gesendet – sie entstanden in Kooperation der Länderwellen MDR, SWR und RBB. Es handelt sich um folgende Stoffe:

1. Der Mann ohne Gesicht (The Unsolved Puzzle of the Man with No Face)
2. Der Zank um den Knochen (The Undignified Melodrama of the Bone of Contention)
3. Die Weinprobe (A Hard-drinking Question of Good Taste)
4. Die geheimnisvolle Entführung (The Incredible Elopement of Lord Peter Wimsey)
5. Das Bild im Spiegel (The Image in the Mirror)
6. In Ali Babas Höhle (The Adventurous Exploit of the Cave of Ali Baba)
7. Das Spukhaus in Merriman’s End (The Haunt House in Merriman’s End)
8. Der Pfirsichdieb (The Peach Thief)

Gubanov ( gelöscht )
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02.04.2014 18:00
#2 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Der Mann ohne Gesicht

Episode 1 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Unsolved Puzzle of the Man with No Face): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Siegfried Voss (Inspektor Parker), Klaus Manchen (1. Reisender), Thomas Just (2. Reisender), Ellen Hellwig (seine Frau), Günter Schoßböck (3. Reisender), Daniela Voss (seine Frau), Peter Groeger (4. Reisender), Hilmar Eichhorn (Salcombe Hardy, Reporter), Matthias Hummitzsch (Thomas Crowder), Susanne Böwe (Gladys Twitterton) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Der Mann ohne Gesicht
Die Zeitungen berichten von dem grausigen Fund einer namenlosen Leiche an einem englischen Strand: Der Unbekannte kann nicht identifiziert werden, weil sein Mörder ihm das Gesicht durch Schnittwunden völlig entstellte! Lord Peter Wimsey stellt auf Grundlage der Berichte einige Schlussfolgerungen an, die Scotland Yard zwar beeindrucken, aber nicht davon abbringen, einer einfacheren Lösung den Vorzug zu geben ...


Die meisterlichen Deduktionen, die Lord Peter Wimsey aus den Informationen der Mitreisenden im Zug und deren Zeitungen zieht, weisen ihn als einen würdigen Erben des berühmten Sherlock Holmes aus und verdeutlichen, dass Dorothy L. Sayers entgegen mancher gegen sie gehaltenen Vorurteile eine vollwertige Kriminalschriftstellerin und nicht nur eine exzellente Beobachterin von Charakteren war. Und doch kommt bei allem kriminalistischen Gehalt der Geschichte auch gleich zu Beginn genau dieser Schwerpunkt des hinter die Menschen Schauens zur Geltung, als Sayers ihren Dandy-Detektiv auf Personen aus Pöbel und Prekariat treffen lässt. Nicht ohne Hintergedanken stellt sie die „einfachen Leute“, die der Sensationsgier und den einfachen Denkweisen der Presse anheim fallen, dem auch um drei Ecken denkenden und gut geschulten Lord gegenüber.

Lord Peters Ermittlungserfolge sind nach dem klassischen Prinzip Amateurdetektiv gegen Scotland Yard aufgebaut, wobei bei oberflächlicher Betrachtung schlicht dem Duktus „Wir Professionelle hören nicht auf blutige Anfänger“ nachgegangen wird. Der Clou an „Der Mann ohne Gesicht“ ist dabei aber nicht die nominelle Niederlage Lord Peters, sondern die Tatsache, dass seine (wahre) Erklärung der Ereignisse so surreal und ungewöhnlich erscheint, dass sie für weniger intelligente Ermittler nicht nachvollziehbar ist. Man könnte kritisieren, dass die präsentierte Wendung weit hergeholt und unglaubwürdig sei, würde sich damit aber automatisch selbst auf das Niveau des Inspektors begeben und gegen Wimsey verlieren. Sayers verbittet sich mit diesem klugen Trick jegliche Spitzen gegen die nicht unbedingt mit den Regeln des Golden-Age-Krimis überstimmende, kaum erratbare Überführung.

Bei dem Beamten handelt es sich um Inspektor Charles Parker, der zu den regelmäßigen Gästen des Wimsey-Kanons zählt und dessen Liebesbeziehung zu Lord Peters Schwester Lady Mary sich durch mehrere Kriminalromane zieht. Die Geschichte „Der Mann ohne Gesicht“ erweckt den Anschein, als träfen sich Lord Peter und Inspektor Parker zum ersten Mal, obwohl ein solches erstes Treffen auch noch einmal in Jill Paton Walshs 2010 erschienenem Wimsey-Sequel „The Attenbury Emeralds“ vorkommt.

Gubanov ( gelöscht )
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03.04.2014 19:50
#3 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Der Zank um den Knochen

Episode 2 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Undignified Melodrama of the Bone of Contention): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Horst Hiemer (Mr. Frobisher-Pym), Marie Anne Fliegel (Mrs. Frobisher-Pym), Carl Heinz Choynski (Mr. Plunkett), Rolf Becker (Mr. Lumsden), Günter Schoßböck (Polizist), Peter Groeger (Hancock, Priester), Wolfgang Winkler (Hubbart, Gastwirt), Martin Olbertz (Haviland Burdock), Ellen Hellwig (Mrs. Winnie Burdock), Klaus Manchen (Mr. Mortimer), Horst Lebinsky (Martin Burdock), Daniela Voss (Diana Burdock), Patrick Imhof (Stallbursche) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Der Zank um den Knochen
Wenn das nur kein Schreck in der Abendstunde ist: Dem alten Plunkett begegnet bei Nacht und Nebel eine schwarze Totenkutsche, gezogen von kopflosen Pferden und gesteuert von einem kopflosen Kutscher. Der Vorfall kann nur mit dem Ableben des alten Dorftyrannen Burdock zu tun haben, dessen Testament erst nach seiner Beerdigung gefunden wird, aber augenblicklich Streit zwischen seinen beiden Söhnen verursacht ...


Die unheimliche Geschichte vom „Zank um den Knochen“ scheint nur durch übersinnliche Vorkommnisse erklärbar zu sein, findet ihre Lösung jedoch am Ende in verblüffenden, ganz im Hier und Jetzt verankerten Schlussfolgerungen. Es fallen dabei zwei parallele Handlungsstränge recht deutlich auseinander: die angeblich aus dem Jenseits herübergerittene Kutsche als Spukelement und der Erbschaftsstreit unter den Burdock-Brüdern als Vertreter des herkömmlichen, dörflich-familiären Krimis. Dabei können beide Bestandteile nicht ohne einander bestehen und werden schlussendlich intelligent zusammengeführt.

Sayers bietet sich kaum als Autorin für übernatürliche Geistergeschichten an, da die Schriftstellerin stark in christlich-humanistischen Idealen verwurzelt war und neben Kriminalromanen auch religiös beeinflusste Bücher verfasste. Diese Tendenzen erklären sich aus ihrer Biografie und dem Zeitgefühl während ihrer Schaffensperiode heraus:

Zitat von Rosemary Herbert: Whodunit? A Who’s Who in Crime & Mystery Writing, Oxford UP, 2003, S. 171f
The only child of the Reverend Henry and Helen Sayers, she was born in Oxford, where her father was headmaster of Christ Church Cathedral Choir School. [...] As a practicing Christian, Sayers was in no doubt as to the distinction between right and wrong, between free will and individual responsibility.


Die spannende Ausstrahlung der Kutschenszenen wird in erster Linie durch die atmosphärischen Sprechertexte und durch Sayers’ berühmtes Gespür für Sprache erzielt. Der Musikeinsatz bleibt im Hintergrund und die Toneffekte sind gering bemessen. An dieser Stelle macht sich – jedoch keineswegs negativ – der Unterschied zwischen einem traditionellen Hörspiel und der hier vorliegenden Dramatisationsform als szenische Lesung bemerkbar, wobei die Lesungen auf eine allzu effektvolle Ausgestaltung verzichten und dafür viel Einstimmungsarbeit vom Erzähler leisten lassen. In dieser Rolle überzeugt Dagmar von Thomas als eine ungewöhnliche Besetzung, doch sie ergänzt als hörbar betagte Frau den freundlichen und charmant-listigen Lord Peter Wimsey ganz exzellent.

Gubanov ( gelöscht )
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06.04.2014 13:55
#4 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Die Weinprobe

Episode 3 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (A Hard-drinking Question of Good Taste): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Horst Lebinsky (Peter I), Matthias Hummitzsch (Peter II), Klaus Manchen (Zugführer), Wolfgang Jakob (Alter Diener), Walter Niklaus (Comte du Rueil) sowie als Stimmen: Philipp Heitmann, Julia Maria Köhler, Jörg Malchow, Nicola Ruf, Sascha Schorn u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Die Weinprobe
Lord Peter mal drei: Auf dem Schloss des Grafen von Rueil finden sich zwei Personen, die vorgeben, Lord Peter Wimsey zu sein, sowie dessen angeblicher Vetter Death Bredon ein. Peter I und Peter II haben es partout darauf angelegt, den Grafen, von dem sie eine wichtige chemische Formel im Dienst der britischen Regierung erwarten, von ihrer Identität zu überzeugen. Es gibt nur eine Möglichkeit, den wahren Wimsey zu finden: mit einer Weinprobe und dem exzellenten Kennergaumen des Lords ...


Auch wenn es durch den gut differenzierbaren Einsatz der Stimmen sowie durch die sich nach und nach selbst enthüllende Handlung rasch möglich ist, den wahren Lord Peter auszumachen, so geht vom Wettstreit der Nachahmer und Doppelgänger doch ein besonderer Reiz aus, denn der Wettbewerb, der zwischen ihnen ausgetragen wird, ist so ungewöhnlich wie die gesamte Herangehensweise an eine Spionagegeschichte, die Sayers hier gestaltet. Mit „Die Weinprobe“ stellt die Autorin in besonderem Maße ihr Gespür für Humor unter Beweis, denn auch wenn es sich um ein Duell um die Berechtigung für den Kauf einer Giftgas-Formel handelt, von dem man sich bei anderen Schriftstellern wüste Beschimpfungen, Drohungen und tödliche Konsequenzen für jeden Hochstapler erwarten würde, gestaltet sie die Handlung keck und mit einer wissend auf die Klischees des Genres herabblickenden, amüsierten Würde.

Eingeweihte benötigen nur den Namen, um den echten Lord Peter zu finden. Die Geschichte ist nur eines verschiedener Beispiele, in denen sich der Detektiv seiner weithin unbekannten zweiten und dritten Vornamen bedient. Auf gleiche Weise verfährt er auch in „Murder Must Advertise“ (Mord braucht Reklame), wo er sich unter falscher Identität in eine Werbeagentur einschleicht und über den ausgefallenen Namen frotzelt:

Zitat von Dorothy L. Sayers: Murder Must Advertise, Harper Collins, 1995, S. 240f
„Your pompous cousin told us all about you, Mr Bredon – I suppose you’ve got a Christian name, by the way?“ – „I have. It’s spelt D-E-A-T-H. Pronounce it any way you like. Most of the people who are plagued with it make it rhyme with teeth, but personally I think it sounds more picturesque when rhymed with breath.“


Sayers muss sich ganz offensichtlich darüber im Klaren gewesen sein, dass sie mit ihrem Verwirrspiel der Identitäten kein meisterliches detektivisches Rätsel erschuf und kostete deshalb weniger den Überraschungsfaktor als die Atmosphäre des angespannten, mit Seitenhieben gespickten Zusammenseins aus, die in der Lesung nicht zuletzt durch die sonore Stimme Walter Niklaus’ in der dankbaren Rolle des Comte du Rueil an Tiefe gewinnt. Der Graf ist es dann auch, der doch noch eine Überraschung in petto hält und die Geschichte vollends in eine Persiflage auf die Tücken der Geheimdiplomatie verwandelt.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.04.2014 14:14
#5 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

BEWERTET: "Die Weinprobe" (Original: 'A Hard-drinking Question of Good Taste')
Mitwirkende: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Horst Lebinski (Peter I), Matthias Hummitzsch (Peter II), Walter Niklaus (Comte du Rueil), Klaus Manchen (Zugführer), Wolfgang Jakob (Alter Diener) sowie Philipp Heitmann, Julia Maria Köhler, Jörg Malchow, Nicola Ruf und Sascha Schorn

Die englische Regierung beauftragt Lord Peter, dem man diskretes und kluges Handeln zutraut, bei dem Comte du Rueil vorstellig zu werden. Dieser möchte die Formel für ein höchst wirksames Giftgas verkaufen, die er kürzlich entwickelt hat. Lord Peter staunt nicht schlecht, als er sich im Schloss des alten Herrn mit zwei Doppelgängern konfrontiert sieht, die ebenfalls in den Besitz der Formel gelangen möchten ...

Dorothy L. Sayers schuf ihre berühmte Detektivfigur - den reichen, gebildeten und kriminalistisch versierten Lord Peter Wimsey - aus pekuniären Gründen, da sie nach ihrer Heirat ihren Ehemann unterstützen musste, dem die Folgen des Krieges die Ausübung seines Berufs (er war Journalist) erschwert hatten. Lord Peter Wimsey lebte auf seinem Familiensitz Denver in Fenland und hatte in Oxford studiert, da die Autorin die Universitätsstadt und ihre Umgebung sehr schätzte und dort oft mit dem Motorrad unterwegs war. Sayers gepflegte Sprache verleiht den Hörspielen auch in ihrer deutschen Übersetzung Tiefe. Die detailverliebte Schilderung der Bahnfahrt, des Anwesens von Comte du Rueil und der Speisefolgen beim Abendessen, machen "Die Weinprobe" zu einem 'olympischen Genuss' wie Peter Fricke in seiner Rolle bemerkt. Er zeichnet seinen Lord Peter als Mann gewählter und vor allem überlegter Worte, der seine Widersacher in Ruhe beobachtet, seine Kombinationen still und leise verfolgt und gerade dann zuschlägt, wenn er eine Schwachstelle bei seinem Gegenüber entdeckt. Dann ist er süffisant, nonchalant und weise; schöpft aus dem Wissensschatz seiner Erfahrungen, statt sich auf seine adelige Herkunft zu berufen.

Ein gutes Beispiel dafür ist sein Besuch in Frankreich, wo verstaubte Flaschen im Weinkeller zur Klärung seiner Identität beitragen. Seine Fähigkeiten weisen ihn als Lord Peter Wimsey aus, nicht ein offizielles Dokument. Papiere lassen sich fälschen, nicht aber 'ein Gaumen für Weine, wie er in Europa unerreicht ist.' Sein Auftreten und sein Charakter bürgen für wahre Noblesse und lassen ihn zum Sympathieträger werden, weil er dem Leben zugewandt und aufgeschlossen ist und damit verhindert, dass er dem Verfall entgegensehen muss wie das Schloss Monsouci des Comte du Rueil. Walter Niklaus, dessen Stimme Basil Rathbone zu dem pfeifeschmauchenden Sherlock Holmes werden ließ, gibt dem Gastgeber einen Kern und verhindert, dass wir in dem Erfinder einen verschrobenen, auf schnellen Gewinn fokussierten Mann sehen. Insofern hält das Hörspiel sogar eine Überraschung im Finale bereit.

Die gehobene, bildreiche Sprache bereitet gerade einem heutigen Hörer erlesene Stunden. Wie Balsam schmeicheln sich die Schilderungen über verwahrloste Kiefernalleen und gebeugte, steinerne Nymphen oder knarrende Holzfuhren, die über schlecht gepflegte Waldschneisen gezogen werden, ins Ohr. Wer nimmt sich heute noch Zeit, Dinge, die dem eilenden Passanten ins Auge fallen, so anschaulich zu beschreiben? Ein Hochgenuss.

Gubanov ( gelöscht )
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06.04.2014 22:00
#6 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Die geheimnisvolle Entführung

Episode 4 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Incredible Elopement of Lord Peter Wimsey): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Felix von Manteuffel (Prof. Langley), Rolf Becker (Dr. Wetherall), Conny Wolter (Alice Wetherall), Käte Koch (Martha, alte Dienerin), Wolfgang Winkler (Wirt), Marlies Reusche (Wirtin), Daniela Voss (Dominique, ihre Tochter), Walter Niklaus (Juan Devant) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Die geheimnisvolle Entführung
Der amerikanische Professor Langley kann den Zufall gar nicht fassen: Im abgelegenen Baskenland begegnet er einem Landsmann und Kollegen, mit dessen Frau er einmal gut befreundet war. Umso größer ist sein Entsetzen, als er nun nach Jahren wieder auf seine Bekannte trifft, die von einer Krankheit so gezeichnet ist, dass sie kaum mehr menschliche Züge hat. Langley vermutet, dass Alice Wetherall nicht aus Zufall erkrankt ist und verdächtigt ihren Ehemann einer boshaften Schandtat. Zum Glück befindet sich auch Lord Peter Wimsey zu dieser Zeit in Spanien ...


Während Lord Peter häufig in amüsanten oder wenigstens ironisch angestrichenen Situationen seine Intelligenz unter Beweis stellt, zeigt ihn „Die geheimnisvolle Entführung“ nach langem, an die Nieren gehendem Vorspiel in einem erstaunlich abgründigen Fall. Die sadistische Härte, mit der der Täter vorgeht, erscheint beinah unnötig klar und drastisch formuliert – damit steht sie in Kontrast zu den leichtherzigen und nostalgisch-genüsslichen sonstigen Sayers-Erzählungen, verdeutlicht aber auch indirekt die Verlässlichkeit der adligen und kenntnisreichen Spürnase.

Als Zuhörer saugt man die von mystischer Düsternis geprägte Stimmung noch intensiver auf als im vergleichbar übersinnlichen Plot der Geschichte vom „Zank um den Knochen“. Der Aberglaube der baskischen Dorfbewohner wirkt sich ebenso bedrückend aus wie die unappetitlichen Vorgänge im abgedunkelten Landhaus der Langleys. Sayers stellte mit ihren Schilderungen unter Beweis, dass sie sich auf dem Gebiet der Medizin benahe ebenso gut auskannte wie ihre Zeitgenossin und über den Detection Club bekannte Ko-Schriftstellerin Agatha Christie. Dabei gestaltete sie die Lösung, die heute recht simpel erscheint, nach den damals neuesten Erkenntnissen der Wissenschaft, die wenige Jahre vor der Veröffentlichung der Geschichte 1933 gerade wichtige Fortschritte auf dem Gebiet der Schilddrüsenbehandlung gemacht hatte. Weiterhin verbindet Sayers und Christie in ihrem Œuvre der 1920er und 1930er Jahre die unbändige Reiselust, die Hercule Poirot an Schauplätze archäologischen Interesses im Nahen Osten und Lord Peter auf Reisen quer durch Großbritannien und Europa verschlug.

Sayers gab sich alle Mühe, den sinistren Dr. Wetherall als möglichst unleidlichen Zeitgenossen erscheinen zu lassen. So werden dem von Rolf Becker („Derrick“, „Sherlock Holmes: Das Zeichen der Vier“) gesprochenen Charakter einerseits eine glühende Eifersucht, andererseits aber auch ein abartiges Verständnis seiner wissenschaftlichen Tätigkeit anheimgestellt. Ganz ähnlich wie der ebenfalls in gruseliger Abgeschiedenheit lebende und von einem unmenschlichen, entstellten Wesen umgebene Dr. Staletti aus dem Edgar-Wallace-Roman „Die Tür mit den sieben Schlössern“ betätigt sich Dr. Wetherall auf dem Gebiet der Vivisektion. Die Tatsache, dass der bösartige Doktor die amerikanische Nationalität hat, während der kluge Lord Peter Wimsey selbst in spanischer Zauberer-Verkleidung noch die Eleganz eines englischen Gentleman ausstrahlt, spricht eine deutliche Sprache in Bezug auf Sayers’ nationalen Stolz.

Gubanov ( gelöscht )
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07.04.2014 22:30
#7 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Das Bild im Spiegel

Episode 5 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Image in the Mirror): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Klaus Herm (Robert Duckworthy), Thomas Just (Wirt), Patrick Imhof (Sergeant), Horst Lebinsky (Frisör), Horst Hiemer (Archivar), Wolfgang Jakob (Fotograf), Marlies Reusche (Mrs. Harbottle), Käte Koch (Mrs. Brown), Siegfried Voss (Chefinspektor Parker) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Das Bild im Spiegel
Robert Duckworthy erzählt Lord Peter Wimsey ungefragt die Geschichte seines Lebens: Der schwache, leidende Charakter sieht sich von Momenten plötzlicher Geistesabwesenheit verfolgt und ist der festen Meinung, dass sich sein Spiegelbild verselbstständigt hat. Er würde gern heiraten, doch er fürchtet, dass sein Alter Ego für seine zukünftige Gattin gefährlich werden könnte. Wie der Zufall es will, wird die Frau am selben Abend tot aufgefunden und Duckworthy zur Zielscheibe polizeilicher Verdachtsmomente. Mit Lord Peter hat er allerdings einen Fürsprecher, denn der Privatdetektiv glaubt nicht an abenteuerliche Fantastereien ...


Klaus Herm ist hier in einer Rolle zu hören, die dem Schauspieler auch auf dem Fernsehschirm wie auf den Leib geschnitten gewesen wäre. Vorrangig aus der Serie „Derrick“ kennt man den Mimen als weinerlich-kränklichen Underdog, der es nicht lassen kann, andere auf seine eigene Inferiorität hinzuweisen. So auch Robert Duckworthy, der eine spirituelle Beschreibung einer Begegnung mit der vierten Dimension in einem der Bücher Lord Peters zum Anlass für seine unglaubliche Erzählung nimmt. Die Geschichte von seinem „Bild im Spiegel“ ist dabei so kurios, dass man meint, es könne keine andere als die eingangs suggerierte Erklärung geben, doch Dorothy L. Sayers gelingt glaubhaft eine Uminterpretation aller zentralen Geschehnisse – egal, ob die letztlich dargelegte Version in allen Details besonders glaubhaft erscheint.

Auf der Metaebene wird die Inspiration deutlich, die Sayers beim Verfassen der Kurzgeschichte umtrieb: Sie bezieht sich offen auf den in ähnlichen Bahnen verlaufenden Stummfilm „Der Student von Prag“ von Stellan Rye und Paul Wegener aus dem Jahr 1913. Während dieser jedoch seinem Publikum verklärt-transzendente Vorkommnisse als eine Form des modernen Schauermärchens verkauft, denkt sich die Kriminalschriftstellerin mit ihrem Drang zur Untersuchung und Klärung der gezeigten Phänomene weiter in den Film- und damit ihren Kurzgeschichtenstoff hinein. Obwohl es sich bei dem damaligen Kinoschlager um eine deutsche Produktion handelte, war „Der Student von Prag“ in einer um 10 Minuten gekürzten Exportfassung auch ein großer Erfolg in anderen Ländern Europas, unter anderem in Großbritannien.

Zitat von Retrospektive 65. Internationale Filmfestspiele Berlin, Der Student von Prag, Quelle
Das Doppelgänger-Motiv ist von literarischen Vorbildern aus der Romantik inspiriert. Als „Kunstfilm“ ausgewiesen, haben ihn die technischen Lösungen, die der Kameramann Guido Seeber mit seinen avantgardistischen Doppelbelichtungen für die Erscheinungen des Spiegelbildes fand, zu einem genuinen Werk des Kinos gemacht.


Für Lord Peter Wimsey entwickelt sich die Doppelgängerfrage zu einer Ehrensache, in der er mit Sportsgeist in einem Duell gegen „old Parker Bird“ antritt. Damit überträgt Sayers auch das Motiv des Duellierens aus dem Film in ihre Erzählung, indem sie es mit Wimseys häufig zitiertem Ehrgeiz verbindet: Dem Upper-Class-Snob muss bei mancher Gelegenheit nahegelegt werden, dass sein Eingreifen in Kriminalfällen kein spielerisch-dekadenter Zeitvertreib, sondern eine für die Betroffenen ernsthafte Frage von Trauer und Verdacht, Recht und Unrecht, Bestrafung und Genugtuung ist.

Gubanov ( gelöscht )
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12.04.2014 20:30
#8 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: In Ali Babas Höhle

Episode 6 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Adventurous Exploit of the Cave of Ali Baba): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Hilmar Eichhorn (Mr. Jukes), Dieter Bellmann (Präsident, Nr. 1), Ellen Hellwig (Frau, Nr. 2), Daniela Voss (Mädchen), Klaus Herm (Nummer 22), Horst Lebinsky (Nummer 30), Horst Hiemer (Nummer 41), Günter Schoßböck (Ingenieur), Siegfried Voss (Chefinspektor Parker) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: In Ali Babas Höhle
Der Tod Lord Peter Wimseys versetzt seine Angehörigen und Freunde in Trauer. Sie wissen nicht, dass der findige Detektiv für zwei Jahre untertaucht, um einer Diebesbande den Garaus zu machen. Die Organisation, in der die vermummten Gestalten Nummern statt Namen tragen und einander unbekannt sind, wird von einem ebenfalls anonymen Präsidenten geführt, auf den es Wimsey abgesehen hat. Es erfordert einige hochgefährliche Schachzüge, ihn zur Strecke zu bringen ...


Bei Dorothy L. Sayers’ süffisanter Betrachtung der verschiedenen Herangehensweisen an Kriminalerzählungen verwundert es nicht, dass ihre Abrechnung mit Geheimorganisationen, wie sie vor allem Edgar Wallace populär gemacht hatte, geradezu fantastisch und jeder realistischen Möglichkeitsabwägung abgewandt erscheint. Die Ähnlichkeit mit Verbünden wie der Froschbande, der Gefolgschaft des roten Kreises oder den Flussratten ist unübersehbar und liegt auch zeitlich nahe: 1928 wurde die Sayers-Erzählung im Sammelband „Lord Peter Views the Body“ veröffentlicht. Auch wenn sich „In Ali Babas Höhle“ der Anonymität, der Gefährlichkeit und der böshaften Konsequenz der Bande mutwillig bedient, so wird doch klar, dass die Autorin ihren Plot selbst nicht ganz ernst nahm: Wie groß wäre schon der Nutzen, eine Bande von Einbrechern zu fangen, wenn Lord Peter dafür seinem Umfeld über Jahre hinweg den eigenen Tod vorgaukelt? Wie hätte der Verlauf der Reaktionen und Entscheidungen jemals so vorausgesehen werden können, dass die Geschichte für den Incognito-Schnüffler glimpflich ausgeht? Ist die Verwendung von Geheimtüren, Mienen und Zeitzündern nicht etwas over the top?

Ein netter Seitenhieb gelingt Sayers durch die Benennung der Nummer 1 der Geheimgesellschaft: Moriarty heißt der Urheber des Bösen und macht damit seinem Namen die gebührende Ehre. Die übrigen Charaktere bleiben so austauschbar wie die ihnen zugeordneten Zahlen und die Verwendung roher Gewalt in Form von Folterandrohungen und einer Explosion steht einer Lord-Peter-Geschichte, die sich üblicherweise durch feinsinnigere Ideen auszeichnett, nicht wirklich gut zu Gesicht. So erweist sich „In Ali Babas Höhle“ als ein Experiment auf ungewohntem Boden, das nicht recht zu den anderen Episoden der Lesungsreihe passen möchte. Man hört immerhin zum ersten Mal von Lord Peters Butler Bunter, der jedoch nicht persönlich in Erscheinung tritt, sowie von seiner Mutter und Schwester.

Gubanov ( gelöscht )
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13.04.2014 14:56
#9 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Das Spukhaus in Merriman’s End

Episode 7 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Haunt House in Merriman’s End): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Conny Wolter (Harriet, seine Frau), Daniela Voss (Schwester), Felix von Manteuffel (Arzt), Marco Albrecht (Konstabler Burt), Martin Olbertz (Mr. O’Halloran), Carl Heinz Choynski (Diener William), Susanne Böwe (Dienstmädchen) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Das Spukhaus in Merriman’s End
Eine aufregende Nacht für Lord Peter: Die Geburt seines ersten Sohnes wird nur noch übertroffen von einem spannenden kriminalistischen Rätsel. Diesmal wendet sich ein Polizist, mit dem er seine Vaterfreuden feiern will, mit einer seltsamen Geschichte an ihn: In der Halle eines Hauses in der Sackgasse Merriman’s End hat der Konstabler durch den Briefschlitz eine Leiche liegen sehen – erstochen und mit viel Blut quer über den Fußboden. Doch nach der Meldung des Verbrechens ist nicht nur der Tote, sondern das ganze Haus verschwunden!


Schritt für Schritt wird der Hörer in den letzten zwei Lesungen der Reihe an Lord Peters sich wandelnde familiäre Situation herangeführt. Sayers, der ein gewisser Hang zur Romantik nicht abgesprochen werden kann, brach die Regeln des Golden-Age-Krimis, indem sie den Detektiv nicht lebenslang Einzelgänger bleiben, sondern mit einer Frau zusammenkommen ließ (Lord Peters hochherrschaftliches Erbe möchte schließlich auch gesichert sein). Dass man im Rahmen der Inszenierung der Kurzgeschichten das Kennenlernen von Lord Peter und Harriet übersprang, ist nur natürlich, wenn man die lange Entwicklungsgeschichte dieser Ehe bedenkt:

Zitat von Rosemary Herbert: Whodunit? A Who’s Who in Crime & Mystery Writing, Oxford UP, 2003, S. 209
The defining moment of Wimsey’s career and his life, however, comes when he meets Harriet Vane, with whom he falls in love in „Strong Poison“ (1930), when she is on trial for murder. Harriet, because of her experiences, is slow to succumb but Wimsey finds strength and fulfillment in his courtship with her in „Gaudy Night“ (1935) and their marriage in „Busman’s Honeymoon“; they eventually have three sons.


„Das Spukhaus in Merriman’s End“ ist am Abend der Geburt des ersten Sohnes angesiedelt, doch das freudige familiäre Ereignis dient lediglich als Anlass, einen Sergeant so sehr mit Champagner abzufüllen, dass dieser dem Lord einen schier unglaublichen Bericht über ein nicht mehr aufzufindendes Spukhaus serviert. Dabei wird nicht nur erneut nach „Die Weinprobe“ Lord Peters eigene Trinkfestigkeit unter Beweis gestellt, auch gelingt Sayers mit kleinen Hinweisen in Sprache und Verhalten der beiden ungleichen Gesprächspartner eine Analyse der klassenbetonten englischen Gesellschaft der Zwischenkriegsjahre. Der Sergeant hält als liebenswertes, aber etwas einfältiges Bild des „einfachen Mannes“ her, der noch nie zuvor den edlen Champagner getrunken hat, lieber in Hemdsärmeln Räucherfisch verzehrt und, wenn er an die Grenzen seiner Kombinationsgabe gerät, nicht abgeneigt ist, unerklärliche Dinge einfach als Spuk abzutun.

Der Fall entwickelt sich in einer langen Rückblende, die sich stark auf die spannungsbildende Erzählstimme des Konstablers Burt (Marco Albrecht) verlässt. An dramaturgisch interessanten Punkten sorgt ein kleines unheilvolles Streicherarrangement oder ein Zwischentext für Dagmar von Thomas für ein paar Mini-Cliffhanger, die der Retrospektive ihre notwendige Struktur verleihen und den Zuhörer angespannt das Kommende erwarten lassen. Leider erweist sich die Auflösung als ein wenig zu harmlos für den eigentlich als unheimliches Mordrätsel konzipierten Fall, aber so – und das passt ja auch zur Thematik – ist „Das Spukhaus in Merriman’s End“ in diesem Punkt wenigstens kindgerecht.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

13.04.2014 15:13
#10 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

BEWERTET: "Das Spukhaus in Merriman's End" (Original: 'The Haunt House in Marriman's End')
Mitwirkende: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Conny Wolter (Harriet, Lord Peters Frau), Marco Albrecht (Konstabler Burt), Felix von Manteuffel (Arzt), Daniela Voß (Schwester), Martin Olbertz (Mr. O'Halloran), Karl-Heinz Choynski (Diener Williams), Susanne Böwe (Dienstmädchen)

Lord Peter und seine Frau Harriet sind gerade Eltern eines Sohnes geworden. Als Peter vor seinem Haus eine Zigarette raucht, fällt ihm ein Polizeibeamter auf, der offensichtlich einen Rat benötigt. Er bittet ihn in sein Haus. Bei einer Flasche Champagner erzählt der Konstabler Peter von einem seltsamen Erlebnis im Haus Nummer 13 in "Merriman's End". Durch den Briefschlitz des Gebäudes sah er einen Toten, der auf dem Marmorfußboden lag - ein Messer in seinem Hals.
Doch als er wenig später mit Verstärkung an den Tatort zurückkehrte, sah das Innere des Hauses völlig anders aus und man sagte ihm, dass es in dieser Straße gar keine Hausnummer 13 gäbe ...

Zitat von Luise Berg-Ehlers: Mit Miss Marple aufs Land - Englische Krimischriftstellerinnen zwischen Tearoom und Tatort, Verlag Elisabeth Sandmann 2013
Bei seiner detektivischen Arbeit hat Wimsey Harriet Vane, die Frau seines Lebens, kennengelernt, doch sie zögert, sein Werben zu erhören. Erst muss er sie vom Mordverdacht befreien, dann von ihrem Junggesellinnendasein - beides gelingt, das Letztere aber erst spät, nach langen und unerfreulichen Ermittlungen im Shrewsbury College, das Sayers ihrem eigenen College nachgebildet hat.


Wir begegnen in diesem Hörspiel unvermittelt einem sehr privaten Augenblick in Lord Peters Leben. Dennoch geht der Familienzuwachs nicht mit Sentimentalitäten einher, sondern wird als Deduktionsbeispiel herangezogen, um auf die gefährlichen Auswirkungen, die harmonische Zweisamkeit nach sich ziehen kann, hinzuweisen. Lord Peter gibt hier ein Bild britischen Understatements ab und sucht in einem neuen Rätsel Ablenkung von den prosaischen Dingen, die ein solches Ereignis begleiten. Den größten Anteil am Fall hat diesmal Constable Burt, ein gewissenhafter Beamter, dessen gute Beobachtungsgabe Lord Peter spannende Nachtstunden bereitet. Er löst das Geheimnis mithilfe von Kenntnissen, die sich nur einem gebildeten Bürger erschließen. Erneut betont Dorothy Leigh Sayers die Vorteile des Mannes aus der Upper Class gegenüber einem einfachen Polizisten. Zudem erhält Lord Peter Zugang zu Häusern, die anderen verschlossen bleiben, wobei er sich diesmal in die Tiefen des Kleiderschranks vorwagt, den er sich mit seiner Frau teilt und dessen untadelige, steife Garderobe auch den einen oder anderen exzentrischen Ausreißer bereithält. Peter Frickes betont trockene Contenance erweist sich als wichtiger Gegenpol zu dem aufgeregten Polizeibeamten, dessen Schilderung den größten Teil der Geschichte einnimmt. Abschließend versöhnt Martin Olbertz als irischer Freigeist des Hörers Ohr mit einer Auflösung, die originell und unerwartet daherkommt - obwohl sich die Schauermomente im sogenannten Spukhaus leider akustisch in Grenzen halten und somit eine völlig andere Geschichte erzählt wird, als man sie sich aufgrund des Titels erwartet hat.

Gubanov ( gelöscht )
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15.04.2014 21:15
#11 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten



Lord Peter Wimsey: Der Pfirsichdieb

Episode 8 der Kriminalhörspielreihe, BRD 2003. Regie: Klaus Zippel. Vorlage (The Peach Thief): Dorothy L. Sayers. Bearbeitung: Ulrich Griebel. Mit: Dagmar von Thomas (Erzählerin), Peter Fricke (Lord Peter Wimsey), Conny Wolter (Harriet Wimsey), Felix Spyrka (Bredon, beider Sohn), Marlies Reusche (Miss Quirk), Wolfgang Winkler (Mr. Puffett), Ellen Hellwig (Dienstmädchen), Walter Niklaus (Bunter, Diener) u.a. Eine Produktion von MDR, SWR und RBB.

Zitat von Lord Peter Wimsey: Der Pfirsichdieb
Entwickelt sich sein Sohn zu einem Langfinger? Lord Peter geht dem Fall des mysteriösen Verschwindens der Früchte von Mr. Puffetts Pfirsichbaum nach und findet heraus, dass dies nicht unbedingt das Werk eines Kindes gewesen sein muss. Sein Hausgast Miss Quirk ist da anderer Meinung und hinterfragt die Erziehungsmethoden der Wimseys. Und tatsächlich verbirgt der junge Bredon etwas vor seinen Eltern ...


„The Peach Thief“ – auch als „Talboys“ bekannt – war die letzte Lord-Peter-Wimsey-Kurzgeschichte, die Dorothy Sayers verfasste. Sie wurde 1942 geschrieben, gibt also Aufschluss darüber, wie Sayers’ adliger Held und dessen Familie die Zeit des Zweiten Weltkriegs verbrachte. Zu mageren Kriegszeiten verfügt der Mundraub-Diebstahl über eine größere Tragweite, als dies in der Friedenszeit zwischen den beiden Weltkriegen der Fall gewesen wäre. Auch zu dem Zeitpunkt, ab dem der „Pfirsichdieb“ regulär in den Kurzgeschichtensammlungen abgedruckt wurde (1972), würde man die Tragweite dessen, was uns eher als hinterlistiger, aber harmloser Streich erscheint, nicht sofort realisieren.

Das ist insofern nicht tragisch, als Sayers die Geschichte in einem so leichtherzigen und familiären Ton abfasste, dass man nicht erst düstere Schreckensbilder zeichnen muss. Lord Peter erscheint als dreifacher Vater besonders menschlich und sympathisch, sodass erzieherische Fragen und Streitigkeiten über Etikette und Vorurteile noch vor kriminalistischen Betrachtungen ins Zentrum der Aufmerksamkeit rücken. Kritik an der Hauptfigur, sie erscheine zu perfekt, altklug oder distanziert, räumt „Der Pfirsichdieb“ ebenso aus wie Zweifel an Sayers’ traditioneller Einstellung in Bezug auf das Kindeswohl und den Umgang zwischen Eltern und ihren Kindern (oder vornehmlich Söhnen).

Zitat von Jopi Nyman: The Detective and Crime Story: 1880 – 1945, in: The British and Irish Short Story, Blackwell, 2008, S. 76
With a narrative of family problems and child psychology, the domestication of the dectective appears complete. Here the detective-cum-father also regains the possibility of social responsibility and illustrates the words of Rzepka: „Sayer’s aim in creating Wimsey was, in part, to rehabilitate the idea of social responsibility for her own ‚lost generation’ by embodying it in a member of England’s ostensibly least responsible and currently most superfluous class“.


Präsentiert sich der Adel so lebensnah, klug und gewitzt wie in Gestalt von Lord Peter Wimsey, ist es Sayers fraglos gelungen, ihre Intentionen zu vermitteln, auch wenn sie das Bild der Familie des Herzogs und der Herzogin von Denver differenziert und nicht uneingeschränkt liebenswert vermittelt. Die Lesung durch Fricke unterstreicht jedoch die besonnene und elegante Natur des Hauptdarstellers, der zu den wenigen sich konsequent weiterentwickelnden Detektiven der Literaturgeschichte zählt. Dieser Prozess kommt durch die kluge Auswahl der Geschichten durch den MDR und die anderen an der Produktion beteiligten Verantwortlichen klar und deutlich zur Geltung.

Gubanov ( gelöscht )
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15.04.2014 21:35
#12 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

In acht verschiedenartigen Geschichten bildet die Lesungsreihe „Lord Peter Wimsey“ ein breites Spektrum aus den überraschenden, gruseligen und liebenswürdigen Kurzgeschichten von Dorothy L. Sayers ab. Deren kurze Erzählungen sind noch einmal deutlich griffiger als die teilweise recht ausschweifenden Romane und bringen von Menschenkenntnis geprägte Beobachtungen gut auf den Punkt. Häufig spielt Sayers mit dem Kontrast aus einer prosaischen Welt und übersinnlichen Vorkommnissen, ebenso oft kontrastiert die Autorin mehr oder weniger abscheuliche Verbrechen mit einer deutlichen Brise Ironie. Die Schilderungen appellieren vom heutigen Standpunkt aus darüber hinaus an das Nostalgieempfinden der Hörer, wenn von Reiserouten, Weinspezialitäten oder gepflegter Literatur die Rede ist.
Auch wenn er – abgesehen von der Haarfarbe – optisch nicht gerade die Musterbesetzung für Lord Peter wäre, so eignet sich Peter Frickes Stimme doch hervorragend für den etwas vorwitzigen, exzellent gebildeten Adligen. Dagmar von Thomas als Erzählerin zu besetzen, war ebenfalls eine ausgezeichnete Idee, denn man erhält durch ihre stimmungsvolle und mit hörbarem Augenzwinkern vorgetragenen Zwischentexte den Eindruck, als würde Dorothy L. Sayers selbst zu einem sprechen.

Hier eine persönliche Rangliste der Geschichten und ihrer Umsetzungen:

Platz 1 (5,0 Punkte) – Episode 5: Das Bild im Spiegel
Platz 2 (5,0 Punkte) – Episode 3: Die Weinprobe
Platz 3 (5,0 Punkte) – Episode 8: Der Pfirsichdieb
Platz 4 (4,5 Punkte) – Episode 7: Das Spukhaus in Merriman’s End
Platz 5 (4,0 Punkte) – Episode 4: Die geheimnisvolle Entführung
Platz 6 (4,0 Punkte) – Episode 1: Der Mann ohne Gesicht
Platz 7 (3,5 Punkte) – Episode 2: Der Zank um den Knochen
Platz 8 (3,0 Punkte) – Episode 6: In Ali Babas Höhle

Die „Lord Peter Wimsey“-Hörspiele sind empfehlenswert für alle Freunde des unaufgeregten klassischen Krimis, der keiner Action oder sonstiger aufmerksamkeitsheischender Zutaten bedarf. Stilvolle Personenstudien und interessante, wenn auch unterschiedlich schwierige intellektuelle Herausforderungen geben manchmal viel mehr – vor allem, wenn nicht viel Zeit für ein langes Hörspiel à la Paul Temple oder ein großes Hörbuch bereitsteht.

Mark Paxton Offline




Beiträge: 347

01.05.2014 12:20
#13 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

Eben entdeckt: PIDAX bringt zwei Wimsey-Mehrteiler aus den Sechzigerjahren:

GLOCKEN IN DER NEUJAHRSNACHT
erscheint am 22. August 2014, ein Hörspiel von 1966 in 4 Teilen
unter den Sprechern sind Erik Schumann, Kurt Schmidtchen, Karl Maria Schley, Wolfgang und Günther Ungeheuer
http://www.pidax-film.de/product_info.php?products_id=619

EIN UNGEBETENER GAST
erscheint am 22. August 2014, ein Hörspiel von 1962 in 6 Teilen unter der Regie von Erik Ode!
Hansjörg Felmy ist Lord Peter Wimsey, in weiteren Rollen Herbert Weißbach, Rolf Schult, Friedrich W. Bauschulte, Gerda Maurus, Lotti Krekel, Wolfgang Wahl, Frank Barufski, Marianne Rogée, Paul Hoffmann, Otto Bolesch, Harry Flatow, Walter Uerding, Kaspar Brüninghaus, Otto Rouvel, Artur Menz, Christoph Bantzer, Ursula Langrock, Harry Grüneke, Curt Faber u.a.
http://www.pidax-film.de/product_info.php?products_id=618

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

01.05.2014 12:38
#14 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

Sehr schön. Die beiden Hörspiele wandern auf jeden Fall auf meinen Wunschzettel.

Lord Peter Offline




Beiträge: 621

31.05.2014 13:35
#15 RE: Radiokrimis: Die Fälle des Lord Peter Wimsey Zitat · Antworten

Eigentlich sollte die Radioserie mit Fricke bei mir per se gut wegkommen, aber leider entspricht die Inszenierung (bzw. das Fehlen selbiger) absolut nicht meinem Geschmack. Sicher, eine "Szenische Lesung" ist kein Hörspiel, aber man kann es auch übertreiben. Der Text der Erzählerin ist an sich schon reichlich, aber wenn sie dann auch noch mitten im Dialog eingesetzt wird ("sagte Lord Peter und griff nach der Marmelade.") unterbricht das unangenehm den Erzählfluß. Ungekürzt schön und gut, aber ein wenig Bearbeitung/Kürzung hätte durchaus nicht geschadet. Musik gibt es nur als kurze Einspieler zwischen den Szenen, Geräusche sind überhaupt nicht vorhanden. So wirkt das ganze irgendwie etwas billig.

An den Sprechern liegt es nicht, daß mich die Serie nicht wirklich überzeugt. Peter Fricke überzeugt in der Titelrolle auf ganzer Linie, und Erzählerin Dagmar von Thomas erweckt tatsächlich den Eindruck, als spräche Dorothy Sayers zum Hörer. Die Gastrollen sind ebenfalls größtenteils passend besetzt.

Ganz klare Geschmackssache, ich persönlich hätte "richtige Hörspiele" oder ein "richtiges Hörbuch" (meinetwegen mit Fricke als Sprecher) vorgezogen, aber in dieser Form ist es für mich weder Fisch noch Fleisch, wie schon die "Sherlock Holmes"-, "Pater Brown"- und "Hercule Poirot"-Reihen des MDR. Die "Lord Peter"-Gesamtbox steht zwar in meinem Regal, wird aber nicht oft hervorgeholt. Aber ich bin doch mal gespannt auf die PIDAX-Ausgrabungen.

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