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Dieses Thema hat 1 Antworten
und wurde 601 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Prisma Offline




Beiträge: 7.591

26.01.2014 23:08
Warum läuft Herr R. Amok? (1970) Zitat · Antworten



WARUM LÄUFT HERR R. AMOK? (1970)

mit Kurt Raab, Lilith Ungerer, Lilo Pempeit, Franz Maron, Harry Bär, Hanna Schygulla, Ingrid Caven und Irm Herrmann
eine antitheater-Produktion hergestellt von Maran Film | im Verleih der Inter Nationes
ein Film von Michael Fengler und Rainer Werner Fassbinder





»Ich glaub spießig sind wir nicht«


Eigentlich hat Herr R. keinen Grund, sich zu beklagen. Die Arbeit als technischer Zeichner in einem Architektenbüro füllt ihn aus, er hat eine nette Frau und einen Sohn. Gemeinsam mit seiner Familie wohnt er in einer hübschen Mietwohnung. Abends sieht das Ehepaar fern, am Wochenende kommen die Schwiegereltern vorbei. Alles scheint normal. An einem Abend jedoch erschlägt Herr R. seine Frau, den Sohn und eine Nachbarin, die gerade zu Besuch ist. [Zitat: "Warum läuft Herr R. Amok?", erschienen bei Kinowelt]

Man mag zu Rainer Werner Fassbinders Arbeiten stehen wie man will, auch ich persönlich beurteile viele davon eher kritisch, aber insgesamt kann man sagen, dass zahlreiche seiner Filme etwas eigenartig Zeitloses an sich haben. Die teils gestochen scharfen Psychogramme seiner Protagonisten, die gesellschaftskritischen Abhandlungen ohne demonstrativ erhobenen, und aufdringlich wirkenden Zeigefinger, und die Sterilität seiner Filme mit erstaunlich nahem Realitätstransfer, fordern gerechtfertigterweise ihre festen Plätze im Dunstkreis des anspruchsvolleren Kinos. "Warum läuft Herr R. Amok?". Diese einfach klingende Frage, die nach dem Finish auch noch eine empfunden-rhetorische wird, gibt auch heute noch zu denken, da die geschilderte Thematik aktueller denn je wirkt. Rainer Werner Fassbinder und Michael Fengler wurden für ihren Film 1971 mit dem Deutschen Filmpreis ausgezeichnet, was die Qualität dieses hoffnungslos trostlosen Films nur widerspiegelt. Für meinen Geschmack sind Filme wie dieser ganz großes Kino. Leider verschieben sich bei Fassbinder allerdings immer wieder gerne die Qualitätsebenen, und man bekommt den Eindruck von durchschnittlichem TV-Niveau vermittelt, im handwerklichen Sinne versteht sich: Spartanische Kulissen, unorthodoxer Schnitt, unflexible Kamera, mangelhafte Bildschärfe und miserabler Ton als Stilmittel. Hier funktioniert diese Vorgehensweise erschreckend präzise, da eine hohe Authentizität transportiert wird. Das Dasein des Herrn R. wirkt genau so trostlos wie die gezeigten Bilder und programmiert eine kaum zu übertreffende Nachhaltigkeit. Ungeregelte Dialoge bei denen die Personen durcheinander sprechen, die sprachliche Einfachheit wird zur Raffinesse, ja, zur Demonstration wie sich eine logische Konsequenz anbahnen kann, der Amoklauf (der in seiner Darstellung nichts mit der allgemeinen Vorstellung von heutzutage zu tun hat), wirkt in seiner Vehemenz, beziehungsweise seiner blinden Mechanik überaus verstörend.





Gleich zu Beginn sieht man Herrn und Frau R. in ganz alltäglichen Situationen. Sie debattieren über Kosten, berufliche Aufstiegschancen, familiäre und private Verpflichtungen und übers Wetter eben. Dabei fällt direkt unschwer auf, dass eigentlich Frau R. permanent spricht, ihn unterbricht, ihn in gewünschte Bahnen lenkt, ihren dressierten Mann zum funktionieren anhält. Schnell denkt man sich, dass es bestimmt nicht genügt, oder was es eigentlich bringt, wenn eine Frau nur schön ist. Beim anschließenden Treffen mit ihrer Freundin solidarisieren sich die Frauen in Windeseile, und führen ihr männliches Opfer direkt oder indirekt als Spiegel des Spießbürgertums vor. Kurt Raab stellt die Titelfigur greifbar und überragend dar. Seine Unbeholfenheit ist nahezu schockierend, seine Komplexe werden in seiner Körpersprache mehr als deutlich, er regt dazu an, großes Mitleid mit ihm zu haben und es führt sogar so weit, dass man anfängt, sich als Zuschauer in vielen Sequenzen für ihn zu schämen, sich für die Situation zu schämen. Es ist die Chronologie dieses Films, die die bevorstehende Katastrophe seelenruhig, aber unausweichlich anbahnt. Es folgen lange Schwenks über den Arbeitsplatz wo man Herrn R. bei seiner stereotypen Arbeit sieht. Permanentes Schreibmaschinen-Gehämmer stellt die einzige Geräuschkulisse dar, die Kollegen behandeln ihn oberflächlich- höflich, aber es steht ihnen in den Gesichtern geschrieben, dass sie ihn suspekt finden. Beim Kaffeeklatsch zu Hause sind seine Eltern zu Gast, Frau R. spielt die perfekte Gastgeberin, der Kopf fliegt einem beinahe weg vom leeren Gequatsche, Floskeln, Phrasen und Selbstinszenierungen bohren sich tief in den Kopf eines teilnahmslos wirkenden Herrn R., dem Zuschauer ergeht es ebenso, der erschreckt darüber ist, wie trostlos ein Dasein verlaufen kann, wobei man doch eigentlich alles Erstrebenswerte erreicht hat. Hier ist die blendende Leistung von Lilith Ungerer hervorzuheben, die ihrem Mann permanente Stiche versetzt, ohne es möglicherweise zu wollen, und vielleicht auch ohne es zu merken. Jedenfalls zunächst.


Insgesamt verlangen diese Fragmente aus dem Spießbürgertum ab, die Konversationen machen innerlich aggressiv, die Situation nimmt teils Formen an, die man selbst als innocent bystander fast nicht aushalten kann. Subtile Wortspitzen versuchen insgesamt mögliche Erklärungen zu liefern: »Wenn er einen Führerschein macht. [...] Ich erwarte von einem Mann eigentlich, dass er die Familie ernähren kann.« Herr R. ist durch die materiellen Ansprüche und Wünsche seiner Frau unter Dauerstress, unter permanentem Erfolgsdruck, außerdem ist sie eine Meisterin der Selbstdarstellung, als sie beispielsweise behauptet, er wolle ohnehin, dass sie nicht arbeite, oder wenn sie bei jeder sich bietenden Gelegenheit mit der möglichen Beförderung ihres Mannes prahlt, und finanzielle Verbesserungen in den Raum stellt. Sie spricht von nichts anderem, dass ihr dieses Leben eigentlich, und in dieser Form nicht mehr annähernd genügt. Immer mehr vernimmt man als Zuschauer, dass die Blicke abschätziger werden, die stille Verzweiflung größer wird und dass sich das andauernde, unwohle Gefühl bei diesem Film nur bestätigen wird. Die Herren der Regie haben insgesamt jedoch einen Film geschaffen, der, auch wenn es sich nun so anhört, wenig kopflastig ausgefallen ist, und sich Schuldzuweisungen aufspart. So entsteht auch beim Zuschauer keine unmittelbare Entscheidung, warum die Geschichte diesen Verlauf nehmen musste. Situationen, Umstände und Charakterzeichnungen wurden hier tatsächlich außergewöhnlich gut ausbalanciert! "Warum läuft Herr R. Amok?" ist unterm Strich eigentlich nur ein erschreckendes Beispiel geworden. Beispielhaft dafür, wie eine der 1000 möglichen Situationen aussehen kann, wenn der Verstand für eine Minute aussetzt. Irgendwo, überall, möglicherweise bei jedem. Überaus verstörend aber genau so beachtlich!

Peter Offline




Beiträge: 2.886

28.01.2014 11:08
#2 RE: Warum läuft Herr R. Amok? (1970) Zitat · Antworten

Lange nicht gesehen - aber gemäß Deiner skalpellartigen Analyse als faszinierenden und verstörenden Streifen in Erinnerung.... In der Tat kam hier Fassbinders brutale Tempoarbeit, die gemeinhin auf Kosten handwerklicher Qualität ging, diesem Sujet sehr entgegen und erzeugte eine erschreckend wirkende Realitätsnähe. Äußeren Umständen, welche uns allen nicht unbekannt sind, können schrecklichste Konsequenzen innewohnen. In dieser Botschaft steckt leider viel Wahrheit.

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