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Dieses Thema hat 14 Antworten
und wurde 2.346 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker national
Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

30.12.2012 11:56
#1 Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

ONKEL HARRY (1962)



„Onkel Harry“ besticht durch die differenzierte, tiefgehende psychologische Zeichnung seiner Figuren, die für Spannung jenseits von Schockmomenten und billig zusammengeschusterten Krimiversatzstücken sorgt und über den Abspann hinaus wirkt. Peter Beauvais’ punktgenaue Regie konzentriert sich fast ausschließlich auf die Protagonisten des makaberen Totentanzes, vermittelt durch immer wiederkehrende Nahaufnahmen die emotionalen Entwicklungen, denen sie unterworfen werden, lässt die düsteren, erstickenden und doch so prachtvollen viktorianischen Schauplätze, die erst am Ende durch karge Bilder aus Gefängnis- und Todeszelle ersetzt werden, nicht nur behaglich-gruselige Krimikulisse sein, sondern weist ihnen eine tiefere Bedeutung zu. Trotzdem verliert der Regisseur nie die profanen Notwendigkeiten der Kriminalgeschichte aus den Augen, widmet ihnen bei Bedarf genügend Raum und Aufmerksamkeit. Rudolf Platte verkörpert mit schauspielerischer Bravour einen auf den ersten Blick liebenswerten Kerl, bevormundet und bemuttert von seinen beiden altjüngferlichen Schwestern, vermeintlich glücklich und zufrieden mit einem ereignislosen Leben zwischen Malerei und abendlichem Klavierspiel in der Kneipe. Man empfindet Anteilnahme und Mitleid mit seiner Figur, wenn er wie verloren am Klavier in der billigen Kneipe sitzt oder beim Nachmittagstee in einem albernen Schüleranzug erscheint. Der Besuch einer „alten Liebe“ bringt nach und nach seinen wahren Charakter eines hemmungslosen Egoisten zum Vorschein, lässt ihn mit diabolischer Kaltblütigkeit, gepaart mit einem Hauch rationalen Wahnsinns, einen perfiden Mordplan schmieden, dem seine beiden Schwestern zum Opfer fallen sollen. Doch die nachfolgenden Entwicklungen kann er nicht mehr so einfach dirigieren … Die beiden Frauen ergehen sich in endlosen, infantilen häuslichen Streitigkeiten, unterbrochen von den Auswüchsen, die die Bevormundung ihres Bruders inzwischen angenommen hat, wobei Ursula Grabley der etwas undankbarere Part zukommt, während Edith Herdeegen in den Schlussszenen – als sie mit den eleganten Kleidern und schmückenden Rüschen und Kameen auch ihr ganzes früheres Leben abgelegt zu haben scheint – ungeheuer beeindruckend und berührend agiert. Neben diesen beiden – bzw. drei – Darstellern verblasst die weitere Riege etwas, kann jedoch dank der Regie durchaus Akzente setzen: etwa Reinhard Kolldehoff als schwerfälliger Verlobter, Margaret Carl als Harrys Liebe oder Harry Wüstenhagen als überwitziger Apotheker.

Spoiler:
Meine ersten Gedanken über Onkel Harry und seine Entwicklung waren – trotz des viktorianischen Hintergrundes - zunächst: „warum verlässt er nicht einfach die beiden keifenden Weiber und führt sein eigenes Leben“ bzw. später „warum begeht er nicht Selbstmord, wenn er schon sterben will“, doch bei genauerer Betrachtung bemerkte ich erst die bis ins letzte durchdachte Gestaltung dieser Figur, in dessen egozentrischem Gehirn solche Auswege bzw. Ideen wohl gar nicht erst entstehen konnten.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

05.01.2013 23:08
#2 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

BEDAURE, FALSCH VERBUNDEN (1962)



Ich muss mein bisher etwas kritisches Urteil zur deutschen TV-Version von „Sorry, wrong number“, das hauptsächlich auf dem direkten Vergleich mit dem amerikanischen Kinofilm aus dem Jahr 1948 beruht, nach dem diesmaligen Wiedersehen revidieren, beide Fassungen entwickeln durch die unterschiedliche Bearbeitungsweise und Entstehungsart Vorzüge und Nachteile, die auch eine differenzierte Sichtweise auf Lucille Fletchers raffinierter (Hörspiel-)Geschichte ermöglichen. Am Augenscheinlichsten ist das erzählerische Tempo, während der Stanwyck-Film mit einer geradezu fiebrigen Spannung aufwartet, seine Geschichte vorantreibt und in 84 Minuten abhandelt, dabei jedoch den einen oder anderen Handlungsstrang vernachlässigt, nimmt sich Paul Verhoevens gediegene Version mehr Zeit, nutzt die vollen 105 Minuten der vorgegebenen Zeitspanne, was auf den ersten Blick behäbig erscheinen mag, einem die von ineinandergreifenden Rückblenden bestimmte Geschichte aber auf eine eingängigere Weise nahebringt und dabei manche Konstruktionsunebenheiten geschickter ausbügelt. Die deutsche Version besticht durch eine sorgfältige, aufwändige Herstellungsweise auf Film, bei der auch für kleine Szenen keine Mühen gescheut wurden, um möglichst authentische, der Vorgabe entsprechende amerikanische Schauplätze zu schaffen – was mit Abstrichen recht glaubwürdig gelungen ist.

Es ist die Geschichte eines verwöhnten Mädchens aus reichem und mutterlosem Haus (Ingrid Andrée verkörpert mit spröder Verzweiflung eine kranke Frau, die zu lange die Augen vor der Wirklichkeit verschlossen hat), von ihrem patriarchalischen Vater (P. Walter Jacob bleibt unter den Möglichkeiten der Rolle, wodurch seine Mitschuld am Geschehen schwächer herausgearbeitet ist als im Hollywoodfilm) verwöhnt und vielleicht deshalb in eine nur mit Widerwillen akzeptierte Ehe mit einem attraktiven Habenichts mit ehrgeizigen Plänen (Harald Leipnitz’ Darstellung des Tunichtguts zeigt Wandlungsfähigkeit, beschränkt sich nicht nur auf die Verkörperung eines arbeitsscheuen Playboys) geflüchtet. Doch der Alltag im goldenen Käfig hält für beide unliebsame Entwicklungen bereit: die Frau muss erkennen, dass ihr Gemahl nicht nur das willenlose Schoßhündchen und der charmante Begleiter ohne eigene Meinung ist, der Mann, dass er seine großspurigen Pläne gegen den übermächtigen Schwiegervater nicht durchzuboxen vermag. Die Frau reagiert darauf schließlich mit psychischen Problemen, die sich in einer Art körperlicher Behinderung bemerkbar machen, der Ehemann flüchtet aus einer unbefriedigenden Ehe und einem lähmenden Job in einen gefährlichen, kriminellen Nervenkitzel, der den Ausgangspunkt für den vom Telefon bestimmten finalen Akt des Dramas darstellt, das mit einer immer wieder beeindruckenden Konsequenz und Ausweglosigkeit auf sein letales Ende zusteuert. Ihren Teil zum Gelingen und zur stetigen Steigerung der Spannung tragen auch Lis Verhoeven und besonders Siegfried Lowitz bei – letzterer mit der intensiven Darstellung eines kleinen Angestellten, der unvermutet die Möglichkeit erhält, sich mit unerlaubten Mitteln seinen ureigenen Lebenstraum finanzieren zu können, dabei jedoch den Absprung zur rechten Zeit verpasst.

Bonusfilm "Anruf am Abend": ein charmanter kleiner Thriller, die Geschichte einer burschikosen jungen Frau, die in ihrem einsam gelegenen Haus von einem Eindringling bedroht wird, während ihr Ehemann das Geschehen hilflos am Telefon mitverfolgen muss. Unterhaltsam, darstellerisch mit einem leichten Hang zur Theatralik, an den technischen Möglichkeiten und auch ein bissl am fehlenden Höhepunkt leidend.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

13.01.2013 11:46
#3 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten



DIE FALLE (ORF 1960)

Robert Thomas’ 1960 in Paris uraufgeführtes Kriminalstück muss schnell ein durchschlagender internationaler Erfolg geworden sein. Das zeigt sich unter anderem daran, dass unabhängig voneinander alle deutschsprachigen Sender eine Fernsehversion anfertigten, der ORF und das Schweizer Fernsehen noch 1960 (im selben Jahr entstand auch eine dreiteilige Hörspielfassung des BR), die ARD 1961. 1982 nahm sich das ZDF des Stoffes an und auch heute noch taucht das Stück – z.T. als Kriminalkomödie vermarktet – auf den Spielplänen mancher (Provinz)-Theater auf. Was macht nun den Reiz dieser Geschichte aus, deren Schauplatz bühnenbedingt mehr oder weniger aus dem Wohnzimmer eines einsam gelegenen Ferienhauses besteht und dessen Ensemble „nur“ sechs Personen umfasst? Auf den ersten Blick sicher die ausgesprochen raffinierte, überraschende Pointe, auf die die ganze Handlung ausgerichtet ist. Doch diese Pointe würde relativ wirkungslos verpuffen, wenn nicht bereits die Vorgeschichte auf sehr einfallsreiche Weise Unsicherheiten, Verwirrungen, vermeintliche und wirkliche Doppelspiele variieren würde, unmittelbar wird man in das Geschehen gezogen, überschlagen sich die Ereignisse, die ungefähr die Dauer eines Tages umfassen, staunt man über den Zickzack-Kurs, den die Handlung schlägt. Die Protagonisten bleiben durch die atemlose Vorgabe des Spiels unfassbar und undefinierbar – keiner von ihnen scheint der zu sein, der er vorgeblich ist, jeder weckt Misstrauen, schürt Rätsel an seiner Motivation, ja seiner wahren Identität. Dass man die Akteure so schwierig fassen kann, führt dazu, dass sie auf gewisse Weise nur Schattenfiguren, Hohlkörper bleiben, auf eine für das Gelingen des Spiels allerdings unerlässliche Weise oberflächlich gezeichnet werden, um sie damit zu idealen Transporteuren des fast fieberhaften, sich immer wieder neu entwickelnden Kampfes machen. Dass man dabei manche Kompromisse mit Logik und darstellerischer Interpretation eingehen muss, soll nicht außer Acht gelassen werden.

Und auch wenn man den Schluss schon kennt, bleibt der Spaß an einem flotten, turbulenten kriminalistischen Rätsel, das gerade mit den künstlerischen Möglichkeiten der Bühne gekonnt spielt, sie ausreizt und auf einfallsreiche Weise ausnutzt. Die Übertragung auf das Fernsehen in der mir einzig bekannten Version des ORF ist größtenteils glücklich, mit manchen der Entstehungszeit geschuldeten technischen Abstrichen gelungen, ohne dass man dabei die Theateratmosphäre, die sich ja nicht immer leicht auf den Bildschirm transportieren lässt, aus den Augen verloren hätte. Die schwierige Hauptrolle des jungen Gemahls, dem plötzlich seine Frau abhanden kommt, meistert Heimatfilm- und Operettenstar Gerhard Riedmann vorzüglich, die des gebeutelten Ehemanns, der in einen fast kafkaesken Albtraum geraten ist und wie der Zuschauer nicht weiß, wie ihm geschieht. Sehr überzeugend fand ich auch den mir leider ganz unbekannten Hans Dolf als Kriminalkommissar, ihm gelingt es, französisches Inspektorengehabe, Verständnis und Misstrauen, Engagement und psychologischen Scharfsinn gleichzeitig glaubhaft zu vermitteln. Erwähnenswert auch "Nebenrollenkönig" Manfred Inger als zwielichtiger Landstreicher.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

13.01.2013 20:31
#4 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

Danke für den schönen Beitrag, Jack, ergänzend noch als Info für Interessierte: die dt. Erstinszenierung am Theater 1960 machte kein geringerer als Erik Ode (seine erste Krimiregie und überhaupt sein erster Kontakt mit dem Genre, wie er in seiner Autobiographie schreibt) und selbiger war auch noch während (so zwischen Folge 53 und 58) und nach dem "Kommissar" mit dem Stück auf Tournee - klarerweise spielte er den Kommissar. Schließlich ist noch erwähnenswert, dass sogar Alfred Hitchcock mit dem Stoff liebäugelte.
Insgesamt ist die ORF-Version von 1960 sicherlich die atmosphärisch gelungenere, tolles Ambiente im winterlichen Chatelet, die ZDF-Verfilmung von 1982 punktet zwar durch Hans Caninenberg in der Rolle des Kommissars, hat aber bei Weitem nicht den schönen 60er-Jahre-Charme.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

27.01.2013 11:12
#5 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

VERRÄTERISCHE SPUREN (ARD 1962)



Ein damals wie heute aktuelles Problem, Alkohol am Steuer und seine – oft auch tödlichen - Folgen, bildet das Thema dieses rund 70-minütigen Fernsehspiels, das sich bei aller Spannung primär damit auseinandersetzt, wie so ein Vorfall das Leben eines honorigen Bürgers aus den Angeln reißen kann, dabei vielleicht dem bedauernswerten Opfer etwas zu wenig Aufmerksamkeit einräumt. Im Mittelpunkt der Handlung steht ein Ingenieur in mittleren Jahren, kurz vor der ersehnten Beförderung, ein typischer Vertreter der Wirtschaftswunderzeit, mit gemütlichem Eigenheim, eingerichtet wie aus dem neuesten Möbelkatalog der frühen Sechzigerjahre, Garage mit Auto, einer liebenden, wenn auch manchmal quengelnden Ehefrau und zwei Kindern, natürlich Sohn und Tochter, samt deren üblichen Teenagerproblemen. Ein Herrenabend abseits dieser biederen Idylle ist der Auslöser für ein Drama, dass das Leben des Mannes zumindest für ein paar Tage auf den Kopf stellt. Die Handlung setzt am Morgen nach dem feuchtfröhlichen Geschehen ein, als dem Ingenieur mit schwindendem Kater langsam dämmert, dass er möglicherweise ein paar Stunden vorher in betrunkenem Zustand einen Radfahrer überfahren und getötet hat.

Siegfried Lowitz verkörpert diesen Allerweltstypen mit der ihm eigenen darstellerischen Wandlungsfähigkeit und Qualität, zeigt die ganze Palette der auf ihn einprasselnden Gefühle - Hoffnungslosigkeit, Verzweiflung, Entmutigung, aber auch Entschlossenheit, eine Kraft zur Vertuschung und Verdrängung. Und obwohl man in manchen Szenen fast eine Art Sehnsucht nach Ausbruch aus seinem bürgerlich vorprogrammierten Leben zu erahnen meint, überwiegt hauptsächlich doch sein verbissener Kampf, um unentdeckt zu bleiben und bald wieder in eingelullten Alltagstrott und alte Verhaltensweisen zurückzufallen. Zum weiteren Personal der Fahrerfluchtgeschichte gehören neben der Familie – Käte Pontow als Frau, die ihrem Mann trotz Eheroutine in guten wie in schlechten Zeiten zur Seite steht und Ingrid Capelle als verwöhntes Töchterchen, der Sohn bleibt gesichtslos – noch ein befreundeter Anwalt, der eloquente Hans Cossy (so einen Freund hätte ich auch gern an der Seite, falls ich mal in eine ähnliche Bredouille gerate), außerdem Sigfrit Steiner, ein gewissenhafter, freundlicher und hartnäckiger Ermittler aus dem Lehrbuch für TV-Kommissare und schließlich zwei nicht ganz schuldlos in den Fall verstrickte Zeugen. Zum einen Konrad Georg, der joviale „alter Junge“-Typ, der auf subtile Weise versucht, aus seinem Wissen bzw. seiner Beteiligung Kapital zu schlagen, zum anderen Karl Bockx, der seine Erpressung deutlicher artikuliert, vermutlich angetrieben von seinem hartherzigen Eheweib, der köstlichen Franziska Liebing, deren Spiel mit der Handtasche preisverdächtig ist. „Verräterische Spuren“ besticht durch eine spannende, psychologisch geschickt strukturierte Story, sehr gute Darsteller und einer weitgehend sorgfältigen Machart, die vielleicht ein bisschen unter der statischen Einschauplatz-Studioatomsphäre leidet (wenn ich ganz pingelig wäre, müsst ich auch eine Unentschlossenheit in der jahreszeitlichen Darstellung ankreiden, für die Spielzeit Dezember schien mir der häusliche Garten recht sommerlich belaubt).

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

03.02.2013 11:40
#6 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

BRIDGE MIT ONKEL TOM (ORF 1961)



Kritik an gesellschaftlichen Missständen gekleidet in den Mantel einer Kriminalgeschichte scheint eine Spezialität des engl. Autors R.C. Sherriff gewesen zu sein. War es im oben besprochenen Fernsehspiel das Problem ‚Alkohol im Straßenverkehr’, widmet er sich hier einem weniger öffentlichkeitswirksamem, vielleicht sogar etwas unterschätztem Thema, dem des unschuldig in den Dunstkreis eines Verbrechens geratenen Bürgers, an dem der Makel des Verdachtes – in diesem Fall die schlimmste aller Möglichkeiten, nämlich ein Mörder zu sein – für immer hängen bleibt. Dieser Problematik hat sich ja gelegentlich auch Herbert Reinecker in seinen Kriminalfällen angenommen, dabei geschickt und nachfühlbar aufgezeigt, wie das Leben aller, die in eine Gewalttat – besonders Mord – verwickelt sind, auf fast unkontrollierbare Weise vergiftet wird. Von dieser bodenständigen, intimen, in gewisser Weise deutschen Interpretation unterscheidet sich „Bridge mit Onkel Tom“ in mehreren Aspekten, was sowohl mit dem reißerischen Aufbau der Geschichte als auch mit dem britisch distinguierten Schauplatz, der im Zuschauer in der Regel eine andere Erwartungshaltung weckt, zu tun hat. Der Spagat zwischen Gesellschaftskritik und Kriminalmärchen ist dem ORF in dieser Bearbeitung aber auf glaubhafte Weise gelungen. Sicher mit ein Verdienst des fähigen Erich Neuberg, der bis zu seinem frühen Tod 1967 ein Hauptverantwortlicher der ORF-Fernsehspielabteilung war, und der auch in dieser Produktion sein großes Gespür für die gesamtheitliche Wirkung einer fantasievollen Inszenierung, gepaart mit rollengerecht ausgesuchten Darstellern und sorgfältig ausgestatteten Schauplätzen zeigt und damit auch heute noch überzeugt, sodass manche Unzulänglichkeiten (eine kurz ins Bild gleitende Kamera oder standesgemäße Briten, die mit Wiener Tonfall palavern) den Charme und die Qualität eher intensivieren denn stören. Auch gelang es, den Flair einer Studioproduktion zum Vorteil der Geschichte einzusetzen, dank Licht und Kamera einen zu statischen Eindruck zu umgehen, zumal auch Aspekten wie der musikalischen Untermalung oder der Gestaltung der Titelsequenzen merkliche Aufmerksamkeit geschenkt wurde, um den schlüssigen Gesamteindruck abzurunden. Ob die spartanisch gefilmte und als Story-Break dienende Gerichtsverhandlung aus Sparmaßnahmen oder des künstlerischen Anspruchs wegen so gestaltet wurde, vermag ich nicht zu beurteilen, würde aber – gerade im Hinblick auf die sonst so üppige, abwechslungsreiche Ausstattung – eher auf letzteres tippen.

Hauptfigur ist ein erfolgloser junger Schriftsteller, durch eine verhängnisvolle Indizienkette in den Verdacht geraten, ein Frauenmörder zu sein. Obwohl er dank seines Onkels und dessen Freunde ein unerschütterliches Alibi besitzt, lässt er sich verhaften und zum Tode verurteilen, erhofft sich durch dieses riskante Spiel mit dem Feuer und dem Paukenschlag der Entlastung in letzter Minute einen rasanten Karriereschub und landes- wenn nicht weltweite Berühmtheit … Ernst Stankowski zeigt einen ehrgeizigen, von sich überzeugten jungen Mann, bereit, für Ruhm und Geld alles zu tun, dessen nicht unbedingt sympathische Selbstüberschätzung zum Ende hin einen massiven Dämpfer erhält. Man hätte gerne gewusst, wie er auf dieses einschneidende Erlebnis reagiert, wie sein weiteres Leben verläuft. Heimlicher Star des Fernsehspiels ist „Onkel Tom“ Paul Henckels, ein mir bis dato nur dem Namen nach bekannter Schauspieler, dessen Interpretation wie selten eine die Bezeichnung „Idealbesetzung“ verdient. Ein Mann am Ende seines Lebens, unverheiratet, ein Mann, der Blumen züchtet und von einem eigenen Treibhaus träumt, dessen einziger Verwandter dieser junge, stürmische Neffe ist, der ihn unvermutet in die turbulente Geschichte zieht. Aber auch ein Mann, der seinen messerscharfen Verstand hinter einer angenehm charmanten Schusseligkeit und Freundlichkeit verbirgt, mit seinen Gesten und Bemerkungen eine Weltfremdheit suggeriert, die es ihm am Ende ermöglichen dürfte, relativ unbeschadet wenn nicht sogar belohnt aus der Geschichte herauszukommen. Unter den Nebendarstellern findet man einmal mehr den leider etwas in Vergessenheit geratenen P. Walter Jacob, der auch hier wieder mit einem engagierten, verschmitzten Auftritt überzeugt.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

10.02.2013 11:39
#7 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

DIE KLEINEN FÜCHSE (ARD 1961)



Lillian Hellmans bitterböses, zynisches Familienstück, angesiedelt im amerikanischen Süden an der Schwelle zum 20. Jahrhundert, erlangte durch William Wylers süffisanter Kinoversion aus dem Jahr 1941 und Bette Davis’ emanzipierter Darstellung Bekanntheit. Peter Beauvais’ konzentrierte sich in seiner zwanzig Jahre später entstandenen Fernsehbearbeitung auf die Kernhandlung um die drei geldgierigen, egoistischen Geschwister Hubbard, die den wirtschaftlichen Aufbruch der neuen Ära für ihre Zwecke nutzen wollen. Ein großer Deal soll ihnen Reichtum, Unabhängigkeit und Macht bringen. Doch die Beteiligung der Schwester scheint durch die Weigerung ihres schwerkranken Ehemanns, Geld beizusteuern, gefährdet. Betrug und ein Todesfall ebnen im weiteren Verlauf das Gelingen, spielen besonders der zunächst von den Brüdern übervorteilten Frau in die Hände … Beauvais beweist mit dieser Arbeit neuerlich seine Qualitäten als innovativer Regisseur, besticht durch raffinierte Kamerawinkel und außergewöhnliche Nahaufnahmen, durch die Einbindung des Schauplatzes auf lebendige, bewegliche Weise, die auch beinhaltet, für kurze Szenen eigene Raumdekorationen zu errichten. Alle handwerklichen Finessen dienen letztendlich aber „nur“ dazu, das Wichtigste, die Handlung, auf intensive Weise nahezubringen und zum Leben zu erwecken. Dass er – wie in diesem Fall – auf eine raffinierte Geschichte und vorzügliche Darsteller zurückgreifen konnte, unterstreicht sein inszenatorisches Talent erst recht.

So einig sich die drei Geschwister in ihrem menschenverachtenden Streben nach Macht und Reichtum sind, so sehr unterscheiden sie sich in ihrem persönlichen Auftreten und ihrer Art, Unterschiede, die Regie und Darstellung gekonnt ausreizen und intensivieren. Ben Hubbard ist ein alter Junggeselle, ein Sanguiniker, den Genüssen des Lebens nicht abgeneigt, ein kluger und durchaus auch charmanter Taktierer, der weiß, wann er kapitulieren muss, zugleich bereits an seinen nächsten durchtriebenen Plänen feilt. Walther Suessenguth, ein bekannter Synchronsprecher, macht die Figur trotz aller Wesenszüge sympathisch. Sein Bruder Oscar poltert cholerisch und undiplomatisch durch die Szenerie, handelt ohne nachzudenken. Dass er seine Frau körperlich und psychisch misshandelt und damit in den Suff getrieben hat, rund das hässliche Bild, das sein Charakter abgibt, auf glaubwürdige Weise ab. Eine interessante Erfahrung, „Sir John“ Siegfried Schürenberg in dieser Rolle zu erleben, man nimmt ihm sein Verhalten, seine Berechnung in jeder Szene ab. Regina schließlich führt ein für damalige Verhältnisse sicher ungewöhnlich selbständiges Leben, sie verachtet ihren todkranken, schwächlich wirkenden Ehemann, der nie ihren Traum von Geld und elegantem Chicagoer Großstadtleben realisieren konnte oder wollte. Die Beziehung zu ihrer Tochter spielt sich auf einer eigentümlich emotionslosen Ebene ab, ob der Versöhnungsversuch am Ende aus einer plötzlichen Erkenntnis der Mutter heraus erfolgt, dass sich die zum Greifen nahe Erfüllung des Lebenstraumes als verhängnisvoller Weg in die Einsamkeit erweisen könnte oder nur der halbherzige Versuch ist, die Ordnung wiederherzustellen, kann ich schwer beurteilen. Gisela Uhlens beherrschte Interpretation lässt viele Deutungsmöglichkeiten zu, erweckt eine ausgesprochen ambivalente und faszinierende Frauenfigur zum Leben, über deren Schicksal man gerne mehr erfahren hätte. Werner Pochath schließlich eignet sich mit seinem verschlagenen Blick ideal als dummer und gemeiner junger Erfüllungsgehilfe, ein wahrer Sohn seines Vaters und verständlicherweise von der eigenen Mutter verachtet.

Oft vermögen sich die sogenannten „Guten“ in einem Drama gegen die „Bösewichter“ nicht durchzusetzen, bleibt ihnen nur die undankbare Rolle der Stichwortgeber. Doch die Ausgewogenheit in Handlung und Regie sorgt auch in diesem Fall für ausgefeilte Charaktere und hohe Darstellungskunst, Dieter Borsches Aufbäumen geben die Ränkespiele seiner Verwandtschaft scheitert an deren starken Persönlichkeiten und der eigenen körperlichen Schwäche, verzweifelt muss er am Ende erkennen, dass ehrliche Gefühle, Toleranz und Verständnis keine Chance zu haben scheinen. Überzeugend auch die junge Dunja Movar, die harte Erkenntnisse auf ihr späteres, hoffentlich eigenständiges und erfülltes Leben vorbereiten, Erika Dannhoff, der die Hubbards alle Lebensfreude genommen haben, mag als abschreckendes Beispiel dabei gute Dienste tun.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

16.02.2013 12:43
#8 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

WER SAH IHN STERBEN (ZDF 1977)



Diese ZDF-Produktion aus dem Jahr 1977 hinterlässt einen zwiespältigen Eindruck, das Gefühl, einen eigentlich interessanten Thriller mit einigen vertanen Chancen gesehen zu haben. Überwiegt am Ende doch über der Freude an mitreißenden darstellerischen Leistungen und der durchtrieben konstruierten Story, die einige Haken, doppelte Böden und Überraschungsmomente bereithält der Ärger über die sterile Herstellungsweise und die gedankenlose Verschwendung der Schlusspointe. Dass die Vorlage auf einem Theaterstück beruht, mag ich in diesem Fall nur bedingt gelten lassen. Ich kann auch schwer einschätzen, wieviel Schuld Regisseur Theodor Grädler am Gesamtbild trägt, da gerade dessen Begabung für Schauspielerführung in allen Facetten in dieser Produktion wieder eindrucksvoll zur Geltung kommt. Sparmaßnahmen mögen ihren Anteil haben, dass die klinisch grellen, in ihrer scharfen Klarheit jede Atmosphäre tötenden Studioaufnahmen die Geschichte ihres klassischen britischen Hintergrundes berauben (wie man’s besser und eleganter löst, zeigt ja z.B. der im selben Jahr ausgestrahlte Durbridge-Mehrteiler „Die Kette“). Dieses Handicap fällt in der ersten großen Szene, die bezeichnenderweise in der Praxis eines Arztes spielt, noch nicht so ins Gewicht, stört in der zweiten vor dem Hintergrund einer noch nicht eingerichteten Wohnung schon mehr und schadet besonders der großen Schlussszene, des Showdowns zwischen den beiden Protagonisten, angesiedelt im düsteren, feuchten, modrigen Keller tief in den Eingeweiden eines alten englischen Gebäudes. Achtung Spoiler! Schade auch, dass man die im wahrsten Sinne explosive Schlusspointe nicht in irgend einer Form visuell interpretiert hat, sondern in einem lapidaren Halbsatz – den man, wenn man nicht gut aufpasst, glatt überhören könnte – abgehandelt hat. Spoiler-Ende

So bleibt zumindest der Spaß am schauspielerischen Duell zwischen Harald Leipnitz und Hans Caninenberg, dem Psychokrieg zwischen einem mit allen Wassern gewaschenen Verbrecher mit anziehendem Charme und tödlicher Aura, der mit einem letzten Coup endgültig seinen Verfolgern entwischen möchte und einem abgeklärten, müden Scotland Yard-Inspektor am Ende einer bescheidenen Karriere, für den der Gangster ewiges Feindbild und Stachel im Fleisch ist. Beider Gedanken drehen sich fortwährend nur um Verbrechen, um ihre Ausführung und Verhinderung, um Tricks und Winkelzüge, sodass beiden die Herausforderung eines Lebens ohne den anderen gleichzeitig verlockend und grauenhaft erscheinen mag. Die Grenzen zwischen Gut und Böse verschwimmen in diesem Kampf bis aufs Messer immer mehr. Thekla Carola Wied spielt das Gangsterliebchen, bleibt dabei rollengerecht attraktiver und zugleich nervtötender Aufputz, Peter Fricke spielt den zwielichtigen Arzt mit der ihm eigenen unruhigen, spröden Nervosität, die zugleich Sympathie und Respekt einfordert und die ihn für viele Rollen in Ringelmann-Produktionen unverzichtbar machte.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

17.02.2013 17:36
#9 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

In den letzten beiden Wochen habe ich auch wieder ein paar alte TV-Krimis Revue passieren lassen, von denen es einige mittlerweile ja auch in die Straßenfeger-Reihe geschafft haben.
Jacks Besprechungen kann ich hier nur voll und ganz unterschreiben, vor allem „Bridge mit Onkel Tom“, „Verräterische Spuren“ und „Die Falle“ sind sicherlich drei besondere Stücke der Krimiunterhaltung jener Jahre, „Die kleinen Füchse“ ist nicht nur wegen der tollen düsteren Inszenierung Peter Beauvais‘ sehenswert, sondern vor allem auch wegen Siegfried Schürenberg, der hier mal beweisen kann, welch herausragender Charakterdarsteller er war, wo er doch sonst eher in dümmlichen Rollen „verkümmern“ musste.
Zu den Inhalten der folgenden Filme gibt’s genügend auf meiner Homepage nachzulesen, weshalb ich diese hier nur anschneide.

ANKUNFT BEI NACHT
Erstsendung: 27.06.1965 (ARD)
Regie: Dr. Karl Peter Biltz
Darsteller: Anneli Granget, Gerhard Riedmann, Joseph Offenbach, Herbert Fleischmann

Igna Vargas und ihre Mutter steigen in einem Pariser Hotel ab. Aus Platzgründen muss Igna die erste Nacht woanders verbringen. Als sie am nächsten
Tag wieder ins Hotel kommt, ist ihre Mutter verschwunden und niemand will etwas von ihrer Existenz wissen. Was ist geschehen?
Die Geschichte von Hans Rothe wurde vielfach verwendet, kam als Hörspiel heraus und schaffte es sogar in die „Alfred Hitchcock“-TV-Serie. Der Südwestfunk brachte 1965 eine Version ins Fernsehen, die der damalige Produktionschef Karl-Peter Biltz selbst inszenierte und auch fürs TV adaptierte. Entstanden ist ein nicht uninteressanter Film, der jedoch kein Kriminalfilm im eigentlichen Sinne ist, da man dramaturgisch aus dieser Sicht den Fehler begangen hat, gleich zu verraten, was mit der Mutter geschieht und man dem Zuschauer daher nur das Vergnügen bereiten kann, mit der Tochter zu verfolgen, wie die Wahrheit ans Licht kommt. Als Szenenbild gibt es nur stilisierte Säulen und Wände, die alle den Stadtplan von Paris zeigen. Dieser ist anachronistisch, denn überall prangt der Eifelturm, der 1867, in jenem Jahr, in dem der Film spielt, noch nicht existierte. Schauspielerisch ist gegen den Film nichts einzuwenden, im Gegenteil, Anneli Granget (die sympathische Krankenschwester aus der Serie „Hafenkrankenhaus“ (leider schon 1971 verstorben!)) ist eine ideale Wahl für die junge Frau, die verzweifelt nach ihrer Mutter sucht und überall und von alle belogen wird. Gerhard Riedmann als ihr Schatten, der ihr auf Schritt und Tritt folgt passt ebenso in die Rolle wie Herbert Fleischmann, der sich der jungen Frau treu ergeben zeigt. Joseph Offenbach als Rezeptionist rundet die gelungene Besetzung ab. Insgesamt ein doch sehenswerter TV-Film, der bewusst gegen den Mainstream anspielt, auf Ausstattung weitgehend verzichtet und sich auf die Stärke des Textes und der Schauspieler verlässt.



HOTEL ROYAL
Erstsendung: 14.12.1969 (ZDF)
Regie: Wolfgang Becker
Darsteller: Joachim Fuchsberger, Hanns Ernst Jäger, Paul Hubschmid, Nadja Tiller, Lil Dagover, Pinkas Braun u. v. a.

Verschiedene noble Gäste des renommierten Schweizer Hotel Royal werden in eine Geschichte verwickelt, bei der niemand der ist, der zu sein vorgibt und in der es um Diamantenraub und einen Mord am hoteleigenen Golfplatz geht …

Der Krimi-Becker hat eine ganz ordentliche Krimikomödie abgeliefert, die vor Stars nur so wimmelt und die sich an manchen Stellen in meinen Augen fast zu sehr auf das starke Ensemble vor der Kamera verlässt. So kann man einige Schwächen mit Augenzwinkern den humorigen Absichten des Autorenpaars Answald Krüger und Maria Matray zurechnen und die tolle Kulisse samt der Stars und des Ohrwurmsoundtracks von Peter Thomas bereiten einem im Nu vergehende 90 Minuten. Besonders hervorzuheben ist unter allen schauspielerischen Leistungen der vorzügliche Hanns Ernst Jäger, der mal als naiver verheirateter Ehemann auftritt, der sich von Nadja Tiller verführen lässt, dann aber als knallharter Polizeiermittler zu sehen ist. Lil Dagover, Pinkas Braun, Friedrich Joloff und Paul Hubschmid sind ebenbürtige Partner für Blacky Fuchsberger, der scheinbar alle Stunts selbst gemacht hat. Produzent Helmut Ringelmann jedenfalls hat sich damals mit dem Film einen Traum erfüllt und dem Publikum einen starbesetzten Film hinterlassen, der so prominent besetzt auch beim „Kommissar“ sich so schnell nicht wiederholen sollte. Sogar die wenigen einleitenden Off-Worte sprach ein bekannter Mann: Charles Regnier.



DER VORGANG
Erstsendung: 07.03.1973 (ARD)
Regie: Fritz Umgelter
Darsteller: Horst Frank, Rolf Becker, Klaus Schwarzkopf, Ivan Desny, Guido Wieland, Heinz Weiss, Andrea Dahmen u. v. a.

Der Chef eines Chemiekonzerns hat Angst ermordet zu werden. Er kann die Bedrohung allerdings nicht konkretisieren und sucht einen alten Schulfreund auf, der als Psychiater arbeitet. Ihm schildert er die Umstände …

Ein Psychothriller der sicherlich seines gleichen sucht. Fritz Umgelter hat hier einen vorzüglichen Genreklassiker abgeliefert, der in jeder Sekunde authentisch wirkt und mit Horst Frank, Rolf Becker und Klaus Schwarzkopf in den entscheidenden Rollen grandios besetzt ist. Allerdings verließ er sich damals zu sehr auf die Genauigkeit und die Kombinationsgabe des deutschen Publikums, denn nie zuvor hatten nach der Ausstrahlung des Films so viele Leute beim ZDF angerufen. Sie alle wollten wissen, wer denn nun der Mörder war. Umgelter legt bewusst viele falsche Spuren, scheitert aber daran, in der entscheidenden Szene klar und deutlich für jedermann zu zeigen, wer den armen Dr. Brandner in den Wahnsinn treiben will. Als ich den Film, dessen enge Gassen in Regensburg und Passau toll zu der etwas klaustrophobischen Atmosphäre passen, vor 20 Jahren das erste Mal sah, stand ich mit der gleichen Frage da. Glücklicherweise erklärt Hauptdarsteller Rolf Becker im Bonusinterview der Straßenfeger-DVD noch mal die Zusammenhänge und weist auch darauf hin, dass man Umgelter damals bei den Dreharbeiten schon auf die Komplexität und die etwas schwer zu verstehende Auflösung hingewiesen habe. Trotz allem aber ein starker Film mit einem starken Inhalt und tollen Leuten bis in die kleinsten Nebenrollen, so sind hier unter anderem auch Sky DuMont oder Rolf Schimpf in Minirollen zu sehen. Dass der Film so vorzüglich ist, verdankt er dem tollen Skript von Qualitätsdrehbuchautor Helmut Pigge, der hier für die Bavaria auch als Produzent fungierte.



NERZE NACHTS AM STRASSENRAND
Erstsendung: 24.08.1973
Regie: Wolfgang Staudte
Darsteller: Peter Eschberg, Herbert Steinmetz, Ruth Hausmeister, Jochen Busse, Witta Pohl, Hermann Lenschau, Walter Jokisch

Ein Hamburger Kriminalbeamter wird bei einem Nerzdiebstahl in einem kleinen Dorf niedergeschlagen, geht der Sache nach und steht bald vor der Klärung eines Mordes …

Regisseur Wolfgang Staudte hat hier einen Film gedreht, der sehr viel norddeutsche Dorf-Atmosphäre aufweist, originelle Typen präsentiert und auch mit einer überaus modernen Hand-Kameraarbeit (kein Wunder: hierfür war Gero Erhardt verantwortlich!) eine originelle Bildgestaltung aufweist. Untermalt wird der Film mit verschiedenen Melodien, unter anderem auch mit den Les Humphries-Singers, die Staudte ja auch beim „Kommissar“ einsetzte. In der Hauptrolle agiert Peter Eschberg als Hamburger Kommissar in einer Rolle, in der er gänzlich mit dem widerlichen Mark Paxton aus „Wie ein Blitz“ bricht und auf die er lange warten musste. Nach dem Durbridge-Klassiker stellte sich nämlich der erwartete große Erfolg nicht ein, zumal man ihm nur Schurkenrollen anbot. Hier kann er etwas völlig anderes spielen und taucht als neugieriger, kompetenter Ermittler, der zufällig in eine Kriminalgeschichte auf dem Land tappt, in eine interessante Geschichte ein. Diese basiert auf einem Roman von Hansjörg Martin, der für das TV von Bruno Hampel adaptiert wurde. Zwei absolute Profis also, da kann dramaturgisch und spannungsmäßig nichts schief gehen. Insgesamt bietet sich ein in das herbstlich-neblige getauchte Dorfleben spannender Whodunit, der eine originelle Abwechslung zu anderen 08/15-Kriminalgeschichten ist.



TAXI 4012
Erstsendung: 28.09.1976
Regie: Theodor Grädler
Darsteller: Thekla Carola Wied, Harald LEipnitz, Horst Janson, Karl Walter Diess, Horst Naumann, Bruni Löbel, Gerd Baltus, Werner Kreindl

Ein junger Taxifahrer ist ermordet worden. War der Münchner in eine Spionageaffäre verwickelt?

Multitalent Paul Verhoeven schrieb das Drehbuch zu diesem doch recht spannenden Kriminalfilm, der sehr prominent besetzt ist und neben dem klassischen Whodunit in Form von Gerd Baltus als neugierigem Journalisten und Bruni Löbel als Vermieterin auch einige humorige Elemente zu bieten hat. Regisseur Theodor Grädler hat einen doch zügigen Film abgeliefert, zu dem die Musik von Joachim Ludwig enorm viel beiträgt. Kreindl liefert als Kommissar schon mal die Generalprobe für seinen Göttmann in „Soko 5113“ ab, Leipnitz taucht erst nach 45 Minuten auf, reißt dann aber die volle Aufmerksamkeit an sich. Insgesamt gelungen!



WER SAH IHN STERBEN?
Erstsendung: 27.09.1977
Regie: Theodor Grädler
Darsteller: Thekla Carole Wied, Hans Caninenberg, Harald Leipnitz, Peter Fricke, Ulrich Beiger u. v.a.

In einem Londoner Vorort kommt es zu einem tödlichen Verkehrsunfall. Starb dabei tatsächlich der von Inspektor Pratt gesuchte raffinierte Verbrecher Jack Robin?

Jack the Rippers Worte zu diesem Film kann ich völlig unterschreiben. War „Taxi 4012“, vom selben Team ein Jahr zuvor hergestellt, noch eine zügige und spannende Angelegenheit, herrscht in „Wer sah in sterben?“ über weite Strecken gepflegte Langeweile. Einzig das Duell Caninenberg – Leipnitz in der letzten halben Stunde des TV-Films ist schauspielerisch beispielhaft und ein Vergnügen, ansonsten vertut diese Produktion an allen Stellen Chancen. Das eintönige Studioszenenbild, das gar nicht britisch anmutet, trägt auch nicht zur Optimierung bei. Auch die spektakuläre Auflösung geht in der Form, wie sie im Film gezeigt wird, völlig unter und der Zuschauer läuft Gefahr, den großen Abschlusscoup des Autors völlig zu verpassen, wenn man eine Sekunde nicht hinhört. Positiv ist noch Peter Fricke als eiskalter Arzt zu erwähnen. Der Rest ist Schweigen.



ÜBERFALL IN GLASGOW
Erstsendung: 05.01.1981
Regie: Wolfgang Hantke
Darsteller: Götz George, Hans-Helmut Dickow, Klaus Barner, Ferdy Manye, Dietlinde Turban, Evelyn Opela, Günter Mack, Manfred Lehman

In einem Werk in Glasgow kommt es eines Nachts zu einem Brand. Raffinierte Gangster nutzen diese Chance für einen genialen Coup. Die US-Bosse der Fabrik schicken den smarten Versicherungsagenten Craig um der Sache auf den Grund zu gehen. Doch schon bald stolpert diese über eine Leiche…

In dieser Bil-Knox-Verfilmung, die glücklicherweise ausschließlich an Originalschauplätzen in Glasgow gedreht wurde, was dem Film natürlich sehr zu gute kommt, agiert Götz George in seiner üblichen Rolle als etwas smarter, unkonventioneller, Frauenherzen erobernder Detektiv. Inszenatorisch in großen Teilen nicht uninteressant, hätte dem Film, der mit durchwegs guten Leuten besetzt ist, eine Straffung an einigen Stellen nicht schlecht getan. Es macht Spaß, Dickow als Ermittler zuzusehen. Der Whodunit, der zwar vorhanden ist, lässt dann aber bald nur mehr wenige Verdächtige zu. Insgesamt sicherlich nicht schwach, man muss Götz George aber in diesen Rollen schon mögen …



DER FEHLER DES PILOTEN
Erstsendung: 28.07.1985 (ZDF)
Regie: Hartmut Griesmayr
Darsteller: Peter Ehrlich, Horst Michael Neutze, Wolfgang Völz, Dieter Kirchlechner, Nicols Brieger, Ingeborg Lapsien, Udo Thomer, Andrea L’Arronge, Hannelore Cremer

Inspektor Colin Thane ermittelt in einem mysteriösen Flugzeugabsturz und findet heraus, dass es sich dabei um Mord handelt.

Die zweite Bill-Knox-Verfilmung kommt wesentlich sympathischer als „Überfall in Glasgow“ daher. Dazu trägt sicherlich die Besetzung bei. Peter Ehrlich agiert als ständig an einer Grippe leidender und dadurch auch stellenweise komisch wirkender Glasgower Polizeibeamter, der im Zusammenspiel mit seinem Kollegen Phil, der mit Horst Michael Neutze eine tolle Ergänzung zu Ehrlich ist, ein raffiniert geplantes Verbrechen aufklärt. In weiteren Rollen agieren Wolfgang Völz (wie immer herrlich!) und Udo Thomer, der hier als Streifenpolizist schon sehr ähnliche Züge wie Pfeiffer in „Der Bulle von Tölz“ aufweist. Die tollen Außenaufnahmen in Glasgow unterstreichen das angenehme Krimiwohlfühlgefühl, so dass auch dank Genrespezialist Hartmut Griesmayr ein angenehmer Eindruck von diesem Film übrig bleibt.



DER TOD AUS DEM COMPUTER
Erstsendung: 02.01.1985 (ARD)
Regie: Dieter Finnern
Darsteller: Susanne Uhlen, Bernd Herzsprung, Klaus Schwarzkopf, Alexander Kerst, Friedrich Georg Beckhaus, Karl Schulz u. v. a.

Ein Berliner Taxifahrer stolpert in eine mysteriöse Geschichte. Ein Fahrgast, der sich bei ihm als Rechtsanwalt vorstellt, erzählt ihm, seine Frau sei erschossen worden. Wenig später stellt der Taxifahrer, der dem armen Mann helfen will, fest, dass weder der Rechtsanwalt existiert, noch der Mord stattgefunden hat. Dafür steht er mit seiner Freundin auf einer mysteriösen Todesliste, von der schon einige Menschen ermordet wurden …

Buch: Detlef Müller. Das sagt eigentlich schon alles. Der Meister des Fernsehkrimis hat hier eine sehr spannende Arbeit abgeliefert, die mit tollen Darstellern umgesetzt wurde. An der Seite von Bernd Herzsprung als ständig in Geldnöten befindlichem Taxifahrer finden wir die bezaubernde Susanne Uhlen, die mit ihm gemeinsam einen Wettlauf gegen die Zeit unternimmt. Herrlich – wie in jeder Rolle – ist Klaus Schwarzkopf, dessen undurchsichtiges Spiel große Rätsel aufgibt, Alexander Kerst macht sich ebenso höchst verdächtig und Friedrich Georg Beckhaus ist als Ermittler eine interessante Alternative. Passt!

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

12.03.2013 10:19
#10 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

DIE TRUHE (WDR 1964)



„Die Truhe“ bietet gediegene Krimiunterhaltung mit Thrillerelementen im Atelier-Stil der Mitt-1960er-Jahre, bleibt aber trotz überraschender Auflösung und stimmungsvoller Aufmachung etwas hinter den Möglichkeiten zurück, was vor allem an der nicht ganz glücklichen Besetzung der männlichen Hauptrolle und der etwas uninspirierten Inszenierung von Paul May liegt. May, später u.a. verantwortlich für die Durbridge-Mehrteiler „Die Schlüssel“ und „Melissa“, muss man schon hier ankreiden, was man später besonders seinen „Schlüsseln“ vorwerfen konnte, eine gewisse Schwerfälligkeit in der Regie, die für Längen und Leerläufe sorgt – in der „Truhe“ im Mittelteil, doppelt schade, dass man dafür das Ende mit der Rückblende nicht ausgebaut hat – sowie eine wenig britische Atmosphäre, die besonders in den Außenaufnahmen auffällt. Die hier wie auch in den „Schlüsseln“ aufdringlich ins Bild gerückte Telefonzelle könnte man als gravierendstes Beispiel für solche Parallelen anführen.

Die vornehme und geheimnisvolle Welt der Antiquitäten bildet den Rahmen der Geschichte, wobei die Truhe als adäquates Symbol dieser abgeschotteten, der vermeintlichen Schönheit verpflichteten und für viele schwierig zugänglichen Welt fungiert, ein altes schweres Piratenmöbel, von üppigen Verschlägen zusammengehalten und einem riesigen Schlüssel gesichert. So düster erdrückend und zugleich prunkvoll wie dieses Monstrum zeigen sich auch die sehr sorgfältig und zum Teil verschwenderisch ausgestatteten Schauplätze – besonders der Laden sowie der Haupthandlungsort, das Cottage, das gelegentlich die kalte Atmosphäre eines jahrhundertealten englischen Schlosses verströmt. In den Innenaufnahmen gelang es auch am nachdrücklichsten, britischen Hintergrund zu suggerieren.

Inge Langen eignet sich mit ihrem spröden Spiel und ihrer harten Stimme vorzüglich für die Hauptrolle der selbständigen, klugen und attraktiven, allerdings auch etwas verschlossenen Frau, der nach dem mysteriösen Tod ihres Arbeitgebers eine hohe Erbschaft zufällt. Sie flüchtet vor ihrem nichtsnutzigen Freund, dem aufdringlichen Thomas Braut und seinen Versprechungen und Forderungen in ein einsames Wochenende im geerbten Cottage auf dem Lande. Die Versteigerung der titelgebenden Truhe ist dort Auftakt für unheimliche und beängstigende Ereignisse, die in einem überraschenden Ende münden. In Nebenrollen trifft man auf skurrile, jedoch nicht eindimensionale Typen und Charaktere, die für einen angenehmen Eindruck sorgen, ohne die Handlung zu verwässern, dabei den Schrecken geschickt auflockern bzw. verstärken: der hilfsbereite, etwas zwielichtige Notar (Kurt Waitzmann), die bodenständige Haushaltshilfe nach britischem Muster (Carla Neizel), der spitzbübische Auktionator (Hans Müller-Westernhagen), der steife, fast unfreiwillig komische Inspektor (Alfred Abel-Edermann), die trinkfesten Männer der Spedition, der naseweise Milchjunge (Marius Müller-Westernhagen in einem frühen, möglicherweise seinem ersten Fernsehauftritt). Ein Problem hab ich mit Heinz Weiss in der männlichen Hauptrolle, ein sympathischer, angenehmer Darsteller, der leider in seinen Auftritten oft sehr farblos wirkt. Und auch in der ambivalenten Rolle des seltsamen Fremden, von dem bis zum Schluss unklar ist, was er wirklich im Schilde führt und auf welcher Seite er steht, hätte ich mir einen etwas gestandeneren Darsteller gewünscht, einen, dem man alles Böse zutraut und von dem man gleichzeitig hofft, dass er die Heldin beschützt und in ein glücklicheres Leben entführt. Schade auch, dass durch das überhastete Ende der fabelhafte Friedrich Joloff in der Rückblende viel zu kurz kam, kaum seinen diabolischen Charme und die ihm angedichteten Abgründe ausspielen konnte. Als Fazit bleibt: für den ganz großen Wurf fehlt manches, da eine Schwachstelle in der Handlung, dort eine unvollkommene Besetzung, trotzdem erlebt man ein sehenswertes, solides Stück deutscher Krimiproduktion aus damaliger Zeit.

Mark Paxton Offline




Beiträge: 347

22.04.2014 18:59
#11 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

DAS GANZ GROßE DING

Fernsehfilm BRD 1966
Regie: Erich Neureuther
Mit Carl Heinz Schroth und Horst Tappert, Brigitte Grothum, Herbert Mensching

Dieser, nunmehr von Studio Hamburg auf DVD veröffentlichte Fernsehfilm bietet eineinhalb Stunden gute Krimiunterhaltung mit Carl Heinz Schroth in einer superben Doppelrolle. "Derrick" Tappert ist als Gentlemanverbrecher zu sein, was er wohl seinem Auftritt als Posträuber kurz zuvor zu verdanken haben dürfte. Victor Canning bringt eine temporeiche Geschichte, die der Regisseur des Stücks, Erich Neureuther, flott umsetzt: und das sogar an Originalschauplätzen! Richtiges England-Feeling kommt auf und wir Edgar-Wallace-Fans dürfen uns über Brigitte Grothum und Tilly Lauenstein freuen, zudem sind Art Brauss und Herbert Mensching mit dabei, die ja immer eine Bereicherung sind.
Ich würde diesen Fernsehfilm mal blind weiter empfehlen, der gehört in jede Sammlung eines Krimifans (auch wenn es keine Mördersuche ist!)

Georg Offline




Beiträge: 3.263

26.04.2014 19:45
#12 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

Vor ca. 10 Jahren hatte ich mal längeren Kontakt mit Erich Neureuther, leider finde ich das, was er mir damals über Das ganz große Ding geschrieben hat, nicht mehr. In jedem Fall jedoch ein starker TV-Krimi!!!

In der letzten Zeit sah ich auch einige Kriminalfernsehspiele wieder, die auch beim wiederholten Sehen absolut bestechen und Spaß machen. Einige davon wurden oben weiter schon perfekt von Jack_the_Ripper beschrieben. Da sie bisher leider noch keine DVD-Veröffentlichung erfahren haben, möchte ich sie hier ein wenig besprechen. Genaueres dazu auf meiner Seite.


Beginnen möchte ich meine kurzen Besprechungen mit zwei Verfilmungen R. C. Sherriffs:

VERRÄTERISCHE SPUREN
Erstsendung ARD II: 17.02.1962
Regie: Raoul Wolfgang Schnell
Darsteller: Siegfried Lowitz, Konrad Georg, Hans Cossy, Sigfrit Steiner

Siegfried Lowitz ist hier in einer beeindruckenden Rolle zu sehen: nach einer durchzechten Nacht mit seinen Kollegen kann er sich nicht mehr daran erinnern, was auf der Heimfahrt geschah. Hat er möglicherweise einen Radfahrer gerammt und getötet? Die Spuren an seinem Fahrzeug deuten darauf hin. Die Spannung entsteht nun aus der Frage: „Hat er es getan oder nicht?“. Hans Cossy als sein Anwalt konstruiert ein Alibi, die Zeugen, die sich Lowitz anschaffen will, versuchen ihrerseits Profit aus der Situation zu schlagen, Konrad Georg ist als einer der Männer zu sehen, die – wenn auch unterschwellig – die Situation ausnutzen wollen. Offensichtlicher machen dies Karl Bockx (immer wieder gern gesehener Nebenrollendarsteller) und seine Frau, gespielt von Franziska Liebing. Beachtlich spielt Sigfrit Steiner als Kommissar – diese Rolle passte wunderbar zu ihm. Regisseur Raoul Wolfgang Schnell – in jenen Jahren bei der Bavaria beschäftigt – liefert ein fesselndes Fernsehspiel ab!

BRIDGE MIT ONKEL TOM
Erstsendung ORF: 11.11.1961
Regie: Erich Neuberg
Darsteller: Ernst Stankowski, Paul Henckels, P. Walter Jacob, Helmuth Janatsch, Herbert Fux

Erneut eine Geschichte von R. C. Sherriff und eine, die die Verräterischen Spuren haushoch übertrifft: Allroundgenie Erich Neuberg hat mit diesem Film wohl einen der ungewöhnlichsten Kriminalfilme der TV-Geschichte inszeniert. Der Mord und der Mörder spielen nur eine untergeordnete Rolle und es fließt kein Tropfen Blut. Dennoch ist die Geschichte derart wendungsreich, dass man mehrfach den Atem anhält. Um nicht zuviel zu verraten, sei hier vom Inhalt nichts erwähnt und lediglich auf das perfekte Drumherum hingewiesen. Da ist zunächst die Ausstattung: das Szenenbild sorgt für ein absolut britisches Ambiente. Die Musik Hans Hagens ist wunderbar passend, die Beleuchtung (Jack hatte es schon angesprochen) herrlich stimmig und die Besetzung hervorragend. Neben Ernst Stankovski in der Titelrolle brilliert Paul Henckels als dessen Onkel Tom. P. Walter Jacob – den meisten hier wohl eher nur aus den Paul-Temple-Hörspielen bekannt – hat mit seinem sympathischen Part als Gefängnisdirektor einen Schlüsselpart inne. Absolut perfekte Krimiunterhaltung! Es muss nicht immer Whodunit sein!

ZWEI FINGER EINER HAND
Erstsendung ZDF: 09.12.1975
Regie: Georg Marischka
Darsteller: Ferdy Mayne, Wolfram Schaerf, Werner Schumacher, Gaby Blum

Georg Marischkas schwarz-weiß-Film nach einem Drehbuch von Egon Eis erinnert an die allerbesten Folgen der Reihe Stahlnetz. Detailverliebt und im dokumentarischen Stil, zeichnet er die Aufklärung des Mordes an einem jungen Mädchen nach. Der Fall hatte sich 1948 in England tatsächlich ereignet. Gedreht wurde ausschließlich an Originalschauplätzen, was für eine gelungene Atmosphäre sorgt. Spannung entsteht dadurch, zu sehen, wie der Ermittler Chefinspektor Brooks, gespielt vom immer sehenswerten Ferdy Mayne, dem Täter auf die Spur kommt: mit einer schier unglaublichen und bisher nicht dagewesen (und auch wenig Erfolg versprechenden) Methode. Aber siehe da: sie führt zum Erfolg. Realitätsnahe Krimispannung mit sehr guten Darstellern!

DER HIMMEL KANN WARTEN
Erstsendung ORF: 17.02.1962
Regie: Herbert Fuchs
Darsteller: Willy Fritsch, Hans Leibelt, Veit Relin, Christiane Nielsen, Peter Matic

Eine recht originelle und ebenso spannende wie unterhaltsame „britische“ Krimikomödie: Krimiautor Alexander Arlington (Fritsch) kommt im Himmel an und muss vom Erzengel Michael (Leibelt) erfahren, dass er ermordet wurde. Arlington kann sich das nicht vorstellen und so darf er für 24 Stunden auf die Erde zurück, um herauszufinden, wer denn da so böse war. Die Spannung entsteht also aus der Frage: wer wird es tun? Im Hause des renommierten Schriftstellers hätten nämlich alle ein Motiv dazu. Für englische Atmosphäre sorgt das schöne Szenenbild, aber auch sonst sorgen die Musik Hans Hagens, die gelungene Titelgestaltung aber auch das Rundherum (Nacht, Blitze und Regen) für schöne Krimiunterhaltung mit Schmunzeln. Kein Wunder: der talentierte Erich Neuberg war als ORF-Produzent tätig. Unter der Regie Herbert Fuchs‘ spielen Willy Fritsch (grandios als Krimiautor) auch Christiane Nielsen und Veit Relin. Besonders hervorheben möchte ich Hans Leibelt als Erzengel Michael, der Arlington vom Himmel aus immer wieder „unterstützt“. Klingt kitschig, ist es aber nicht.

GNADE FÜR TIMOTHY EVANS
Erstsendung ZDF: 20.08.1969
Regie: Korbinian Köberle
Darsteller: Josef Fröhlich, Friedrich Georg Beckhaus, Andrea Grosske, Claudia Gerstäcker

Gnade für Timothy Evans erzählt die wahre Geschichte des Londoner Frauenmörders John Christie, die 1971 auch mit Richard Attenborough unter dem Titel John Christie – Der Frauenwürger von London fürs Kino verfilmt wurde. Für die deutsche Fernsehversion finde ich nur ein Wort: beeindruckend! Ich kenne auch den Kinofilm und abgesehen von der Tatsache, dass dafür ganz andere Mittel zur Verfügung standen, steht Korbinian Köberles kriminalistisches Dokumentarspiel der Produktion für die große Leinwand in nichts nach! Friedrich Georg Beckhaus als frauenmordender John Christie spielt unglaublich gut, ich hatte oben das Wort beeindruckend schon verwendet. Er brilliert! Die Inszenierung legt wert auf Spannung, die Erzählweise mit Rückblenden ist interessant und die Gerichtsverhandlung gekonnt in Szene gesetzt. Korbinian Köberle war ein sehr guter Krimiregisseur, wie er unter anderem auch bei Freitag muss es sein (siehe unten), Jennifer …?, Nebel oder Atze Brauners Produktion Kassensturz (ebenfalls nach einem wahren Kriminalfall) bewies. Leider kam er nur relativ selten zum Zug.

DER MANN AUS MELBOURNE
Erstsendung ARD: 07.08.1966
Regie: Wilm ten Haaf
Darsteller: Horst Tappert, Konrad Georg, Hannelore Elsner, Alexander Golling , Alf Marholm, Helmuth Rudolph

Ist er es oder ist er es nicht? Diese Frage stellt man sich, als der tot geglaubte Charles nach zwanzig Jahren nach Hause heim kehrt. Während ihm alle misstrauen und ihn für einen Betrüger halten, überzeugt er die wichtigste Person: seine Mutter! Wilm ten Haaf hat mit diesem Film ein vorzügliches Kriminalspiel abgeliefert, das Tappert in einer seiner besten Rollen zeigt und Konrad Georg als Advocatus Diaboli als passende Ergänzung. Der Typ des undurchsichtigen Mannes, dessen Identität nicht ganz klar ist, wird sehr glaubhaft vom späteren „Derrick“ verkörpert. Spaß macht die Besetzung: neben Tappert und Georg, die immer wieder gerne gesehen werden, sind Hannelore Elsner, Helmuth Rudolph und Alexander Golling zu sehen. Das Stück beruht auf einem Stoff von Robin Maugham und erinnert stark an die zu allererst gedrehte Ein Fall für zwei-Folge Der Erbe. Ob Karlheinz Willschrei da abgeschrieben hat oder sich zumindest von dem Kriminalstück inspirieren ließ?

FREITAG MUSS ES SEIN
Erstsendung ZDF: 24.02.1967
Regie: Korbinian Köberle
Darsteller: Hans Caninenberg, Günther Ungeheuer, Brigitte Grothum, Karl Bockx

Muss es immer Mord sein? Nein, wenn ein Krimi so wie dieser spannend und flott inszeniert ist und es sich um ein Gentlemandelikt handelt. Hans Caninenberg beschließt seine eigene Bank auszurauben und hat einen präzisen Plan, zu dem er Günther Ungeheuer anwirbt, der als ehemaliger Lehrer nun ein arbeitsloses Dasein an der Seite von Brigitte Grothum fristet. Die an Originalschauplätzen in London gedrehte Geschichte wartet immer wieder mit netten Überraschungen auf und offeriert ein Finale, mit dem man nun gar nicht gerechnet hätte. Der flotte Soundtrack von Carlos Diernhammer trägt das Seinige bei. Köberle erweist sich einmal mehr als optimaler Regisseur für dieses Genre. Flott, die Zeit vergeht wie im Nu. Macht sehr viel Spaß!

HINTER DIESEN MAUERN
Erstsendung ZDF: 21.12.1966
Regie: Karlheinz Bieber
Darsteller: Fritz Wepper, Max Eckard, Karl John, Ilse Steppat, Erwin Linder, Hermann Lenschau

Die TV-Presse urteilte: „[…] stellt jeden Krimi in den Schatten“. Sie hat recht. Wenn man einen Preis für den besten Fernsehkrimi vergeben müsste, hätte dieser im Jahr 1966 sicherlich den ersten erhalten. Karlheinz Bieber inszenierte diesen Film mit Fritz Wepper in der Hauptrolle an Originalschauplätzen in England. Damit punktet er natürlich durch die britische Atmosphäre. Durch Szenenwechsel, passende Musik, Licht- und Schattenspiel und großartige Schauspieler stellt Hinter diesen Mauern jedoch so manchen Kinokrimi in den Schatten. Man hat in jedem Moment den Eindruck: hier wurde für die große Leinwand produziert! Fritz Wepper spielt einen jungen Mann, der erfahren will, was wirklich geschehen ist, sehr gut, Max Eckard in einer seiner wenigen TV-Rollen tritt leider erst im dritten Drittel auf, sorgt aber mit seiner sonoren Stimme für einen unvergesslichen Auftritt. In Nebenrollen erfreuen viele bekannte Darsteller wie Karl John, Erwin Linder, Hermann Lenschau, Ilse Steppat, Karl Heinz Gerdesmann, Gerdamaria Jürgens, Til Erwig usw.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

01.05.2014 21:02
#13 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten



Das ganz große Ding

TV-Krimi, BRD 1966. Regie: Erich Neureuther. Drehbuch: Oliver Storz (Vorlage: Victor Canning). Mit: Carl Heinz Schroth (Gerald Bennett / Dickie Gray), Horst Tappert (Jimmy Warren), Brigitte Grothum (Grace Harman), Herbert Mensching (Kennworthy), Hans Zander (Marty Fowler), Nora Minor (Flora Fowler), Tilly Lauenstein (Carla Gray), Anne Book (Diana Warren), Alfons Höckmann (Phillips), Arthur Brauss (Nicky) u.a. Erstsendung (ARD): 28. Mai 1966.

Zitat von Das ganz große Ding
Wie der Zufall manchmal spielt: Der schmierige Kleinganove Marty Fowler begegnet – so denkt er zumindest – dem alten Bekannten Dickie Gray, der gerade frisch aus dem Gefängnis entlassen wurde. In Wahrheit handelt es sich um den Juwelier Bennett, der Gray zum Verwechseln ähnlich sieht. Da beginnt das Gaunerhirn zu arbeiten: Unter Leitung des Gangsterbosses Jimmy Warren ziehen Fowler, Gray und Komplizen einen beinah perfekten Juwelendiebstahl auf ...


Wie eine Mischung aus „Das Verrätertor“ und „Die Gentlemen bitten zur Kasse“ wirkt „Das ganz große Ding“, das damit ganz im Trend seiner Herstellungszeit lag und sich mehrerer offensichtlicher Parallelen bediente. Natürlich kommt die „Doppelgänger begeht Verbrechen“-Geschichte nicht nur im „Verrätertor“ vor, doch im Kontext des wallace-geprägten Sixtiesdeutschland kann man sich gut erklären, warum ausgerechnet dieser Victor-Canning-Stoff vom HR für eine Adaption ausgewählt wurde. Gemein mit den beiden Produktionen hat er außerdem seine Anlage als Heist-Movie, das sich auf Planung und Durchführung eines Raubes konzentriert und dessen Aufklärung mit weniger Detailverliebtheit schildert als die der Tat vorangehenden Aktionen.

Klares Verbindungsstück zu den „Gentlemen“: Horst Tappert, der seine Rolle als kluger Meisterverbrecher wiederholt – nur wenige Monate, nachdem man ihn als Major auf den Bildschirmen hatte sehen können. Genüsslich raucht er dicke Zigarren, gefällt sich in seiner eigenen Vornehmheit ausgesprochen gut, spricht kaltblütig über lückenlose Vorbereitungen und die Notwendigkeit, Zeugen aus dem Weg zu schaffen. Seine eigene Selbstsicherheit verleitet ihn zwar zu enorm genauen Vorbereitungen, bricht ihm am Ende aber auch das Genick, weil er meint, sich blind auf die getroffenen Vorkehrungen verlassen zu können.

Wie in Heist-Movies üblich, identifiziert sich der Zuschauer dennoch eher mit den Verbrechern als den Opfern. Mit der Polizei erst recht nicht, denn die kommt ja eigentlich gar nicht vor. Deshalb enttäuscht das Finale, das einerseits unglaubwürdig zusammenkonstruiert wirkt (wenn Warren den Juwelier aus dem Weg räumen wollte, warum tat er das nicht gleich nach dessen Entführung?), andererseits besser mit einem Erfolg für Dickie Gray geendet hätte. Der letzte Dreh, durch den der sympathische Doppelgänger dann doch mehr oder weniger zufällig in die Hände der Polizei gelangt, ist ärgerlich und überflüssig wie ein Kropf – er nimmt der Produktion jeden Mut und eine große Portion ihrer eigenen Kreativität. Wäre der Film mit dem Telefonat Dickies mit seiner Frau („Es muss ein Land sein, das nicht ausliefert.“) beendet gewesen, wäre alles paletti.

Erich Neureuther inszenierte „Das ganz große Ding“ in gemächlichem, aber dennoch fesselndem Tempo, wobei einige Aspekte aus Vorbereitung und Durchführung der Kürzung bedurft hätten (z.B. Dickies Studium der Bennett’schen Eigenheiten oder die Verlegenheit mit dem Fehlen der Schlüssel beim vorzeitigen Abschließen des Tresors, die sich zieht wie Kaugummi und nach anfänglicher Zuträglichkeit für den Spannungsbogen schließlich eher lächerlich wirkt). Einige Momente hätten zudem durch eine präsentere Musikuntermalung an Ausdrucksstärke hinzugewinnen können. Dort, wo Ferstls Musik eingesetzt wurde, wirkt sie allerdings recht treffsicher.

Carl Heinz Schroth steht im Mittelpunkt der Handlung und meistert seine Doppelrolle mit Bravour. Die Unterschiede zwischen Dickie Gray und Gerald Bennett zeichnet er mit professioneller Theatersicherheit bis in Gesten und Stimmlagen hinein. Anrührend geraten die Szenen mit seiner Frau, die von Tilly Lauenstein gespielt wird und – bei dieser Personalie erstaunlicherweise – völlig ernst und besorgt angelegt ist. Brigitte Grothums Auftritt als Sekretärin des Juweliers fällt kleiner aus als gedacht, beschert dem freundlich-harmlosen Wallace-Girl aber eine schlagfertige, vampige Note, die die Schauspielerin ganz bezaubernd meistert. Die Nebenrollen wurden mit einer ganzen Reihe typischer Galgenvögel (Zander, Brauss, Lüönd, Minor etc.) besetzt, wobei die Truppe dank der insgesamt stilsicheren Anlage der Geschichte dankenswerterweise nicht zu sehr ins abgründige Schurkenmilieu abgleitet.

Dazu tragen auch die London-Aufnahmen bei, die dem „ganz großen Ding“ eine besondere Wertigkeit verleihen, zumal sie in Schwarzweiß natürlich ausgesprochen gut zur Geltung kommen. Die ganze Produktion durchströmt ein echt britisches Sehgefühl, womit dieser Krimi diesbezüglich sogar auf dem Niveau der besseren Durbridges spielt.

Recht kurzweilige Gangsterposse mit liebenswertem Kleinganoven, der in die Rolle eines blasierten Juweliers schlüpft. Auch wenn Regisseur Erich Neureuther die Spannungsmomente teilweise geradezu übereifrig ausnutzte, hätte bei präziserem Musikeinsatz und einem gewagteren Ende der Gesamteindruck noch besser ausfallen können. Da schauspielerisch absolut überzeugende Leistungen geboten werden und das London-Flair sehr löblich in Szene gesetzt wurde, verteile ich knappe 4 von 5 Punkten. Diese Produktion ist dem Canning-Mehrteiler „Verräter“ eindeutig vorzuziehen.

Die DVD von Studio Hamburg: An sich ist an der Bildqualität, in der „Das ganz große Ding“ präsentiert wird, nichts auszusetzen. Das Bild wirkt sogar erstaunlich frisch und wenig fernseh-, sondern eher filmtypisch, was wohl mit der hochwertigen damaligen Aufnahmetechnik zu tun haben wird. Ärgerlich ist es allerdings, dass Studio Hamburg das Interlacing nicht in den Griff bekam und die DVD so auf dem Computer unsehbar wird, weil alle Bewegungen je nach Einstellung der Wiedergabesoftware entweder zu Streifenentwicklung oder Verwischen führen. Am guten alten Röhrenfernseher fällt das glücklicherweise nicht auf. Die DVD ist absolut barebones (wieder einmal ohne Kapitelwahl und Untertitel, von Bonusmaterial ist erst recht nicht die Rede), stellt aber eine nette Ergänzung für die klassische TV-Krimi-Sammlung dar. Pikant allerdings, dass Studio Hamburg sich so wenig um seine eigenen Releases kümmert, dass das Label fast zwei Monate nach der Veröffentlichung noch immer nicht das endgültige Cover ins Netz gestellt hat und Käufer mit einem „Vorab-Cover“ abspeist.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

03.10.2015 14:26
#14 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

BEWERTET: "Das ganz große Ding" (1965)
mit: Horst Tappert, Carl Heinz Schroth, Tilly Lauenstein, Herbert Mensching, Brigitte Grothum, Anne Book, Hans Zander, Nora Minor, Alfons Höckmann, Artur Brauss, Walo Lüönd, Michael Berger u.a. | Deutsche Fassung und Bearbeitung: Oliver Storz nach Victor Canning | Regie: Erich Neureuther

Dickie Gray wird nach einer Haftstrafe wegen Scheckfälschung nach fünfzehn Monaten aus dem Gefängnis entlassen. Dem Kleinganoven Marty Fowler fällt Grays Ähnlichkeit mit dem Nobeljuwelier Gerald Bennett auf und er gibt dem Profigangster Jimmy Warren einen Tipp. Dieser bringt Gray dazu, bei seinem genialen Coup mitzumachen: Der ehemalige Schauspieler soll für ein paar Stunden in die Rolle des Juwelenhändlers schlüpfen, um für Warren den Weg zu den Preziosen frei zu machen. Was Gray nicht weiß: Warren schreckt auch vor Mord nicht zurück....



Obwohl Carl Heinz Schroth die Hauptrolle spielt, steht Horst Tapperts elegante Performance des kühlen Verbrechergenies Jimmy Warren im Mittelpunkt. Er scheint die SWR-Produktion genutzt zu haben, um sich für den großen Coup vorzubereiten, der im September 1965 mit Dreharbeiten in England begann: seine Rolle des Postzugräubers Michael Donegan. Der Mastermind hinter dem lange im Voraus geplanten Überfall gleicht seiner Figur aus "Das ganz große Ding" bis in die manikürten Fingerspitzen. In einem Punkt unterscheiden sich die beiden Männer jedoch: während Donegan Gewalt ablehnt, kalkuliert Warren auch die endgültige Beseitigung eines Augenzeugen mit ein. Schroth schafft den Spagat, sich in zwei unterschiedliche Figuren einzufühlen, gekonnt. Sein Edelsteinhändler ist ebenso routiniert blasiert wie sein Gray ehrlich und ungekünstelt daherkommt. Er fügt sich diszipliniert in die Organisation von Warren ein, behält aber einen Ausweg für sich in der Hinterhand.



In der männerlastigen Handlung bilden drei Damen das Zünglein an der Waage, wenn es darum geht, die Pläne ihrer Partner zu kommentieren und als nicht ganz unbeteiligte Beobachterinnen im Lauf der Geschichte innezuhalten. Tilly Lauenstein ahnt bereits zu Beginn, dass ihr Dickie nicht lange einem Broterwerb nachgehen, sondern bei Gelegenheit einem krummen Ding erliegen wird. Sein Bedürfnis, dem Leben ein Schnippchen zu schlagen und seine Schlauheit unter Beweis zu stellen, treibt ihn dazu. Anne Book liebt die Annehmlichkeiten, die die Ehe mit Jimmy ihr bietet, ist aber der Ansicht, dass der erreichte Wohlstand ihnen nun ein ruhiges, seriöses Leben sichern sollte. Sie hat aber nicht bedacht, dass ihr Mann den Nervenkitzel und das Abenteuer liebt und Bestätigung im Gelingen seiner Gedankenspiele sucht. Die interessanteste dieser drei Rollen wurde mit Brigitte Grothum besetzt, die zu Beginn das übliche hübsche Vorzimmermädchen spielt, das zwischen Morgenpost und dem Tippen von Geschäftsbriefen ein paar Schmatzer mit seinem Chef austauscht. Die Sekretärin hat aber weitaus mehr drauf, als ihr Zahnpasta-Lächeln zu zeigen. Blitzschnell wechselt sie von naiv auf raffiniert und durchtrieben und sorgt dabei für die erste große Überraschung des Fernsehspiels. Der Spiegel, den Grace den sie unterschätzenden Männern vorhält, zeigt Verblüffung und den ersten Riss im angeblich so makellosen Plan der Organisation.

In den anderthalb Stunden zeigt die Geschichte von Victor Canning wie ein Verbrechen von der Pike auf geplant und ausgeführt wird. Von der Idee über die Beobachtung der Gewohnheiten des künftigen Opfers bis hin zum Griff nach dem Tresor werden die Hürden in Szene gesetzt, welche die Bande überwinden muss. Über das Ende lässt sich streiten, doch es zeigt, wie banal die Wirklichkeit große Helden oft wieder auf den Boden zurückholt. 5 von 5 Punkten

Ray Offline



Beiträge: 1.930

01.11.2015 21:53
#15 RE: Bewertet: Deutsche Fernsehkriminalspiele Zitat · Antworten

Das ganz große Ding, BRD 1966

Regie: Erich Neureuther

Darsteller: Carl Heinz Schroth, Horst Tappert, Brigitte Grothum u.a.


Nachdem sich der Film bei mir schon länger "in Warteschleife" befand, habe ich ihn mir heute vorgenommen und mir folgende Meinung gebildet:

Wie schon angeklungen ist, verkörpert Horst Tappert in diesem Fernsehspiel eine Figur wie im Mehrteiler "Die Gentlemen bitten zur Kasse". Mir persönlich gefällt er in derartigen Rollen besser als etwa in dem Part als "braver Ermittler". Wie bei den Gentlemen versprüht Tappert auch im vorliegenden Film eine ordentliche Portion Charisma und es macht einfach Spaß, ihn beim Planen des Coups und beim Anweisen seiner Kumpanen zuzusehen. Meiner Meinung nach hätte man seine Rolle noch stärker ausbauen müssen und auf der anderen Seite Schroth etwas Screentime "abnehmen" sollen, denn Schroth macht seine Sache zwar solide, gleichwohl ist Tappert die Attraktion des Films und das wird formal m.E. nicht hinreichend betont. Hervorzuheben sind im Übrigen die wirklich gelungenen London-Aufnahmen, die einen derartigen Film zwangsläufig aufwerten.

Trotz einiger Längen weiß der Film gut zu unterhalten, wobei auch ich das Ende für ein wenig misslungen halte. Die Verrenkung mit Grays "Rückkehr zur Legalität" hätte man sich sparen können, hätte man im Laufe des Films einen Ermittler ins Spiel gebracht. Auch die Art und Weise, wie Gray letzten Endes überführt wird, empfinde ich aus filmischer Sicht als ungeschickt, auch wenn der Zufall im Leben natürlich immer eine gewisse Rolle spielt.


Wertung: 4/5

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