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Dieses Thema hat 15 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker international
Seiten 1 | 2
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.07.2020 17:45
#16 RE: Gaslicht: Eine Chronologie Zitat · Antworten

An seinem Wiedereröffnungstag nach der Corona-Pause zeigte das Zeughauskino Berlin am 1.7. diesen schönen Film in Originalfassung. Er eröffnet die Filmreihe „Wohlbrück – Walbrook“ und wird am 6.9. noch einmal zur Aufführung kommen.



Gaslicht (Gaslight)

Thriller, GB 1940. Regie: Thorold Dickinson. Drehbuch: A.R. Rawlinson, Bridget Boland (Vorlage, 1938: Patrick Hamilton). Mit: Anton Walbrook (d.i. Adolf Wohlbrück) (Paul Mallen), Diana Wynyard (Bella Mallen), Frank Pettingell (E.G. Rough), Cathleen Cordell (Hausmädchen Nancy), Minnie Rayner (Köchin Elizabeth), Robert Newton (Vincent Ullswater), Jimmy Hanley (Cobb), Marie Wright (Alice Barlow), Aubrey Dexter (Häusermakler), Mary Hinton (Lady Winterbourne) u.a. Uraufführung (GB): 25. Juni 1940. Uraufführung (BRD): 31. August 1990. Eine Produktion von British National Films für die Anglo-American Film Corporation.

Zitat von Gaslicht
Zwanzig Jahre nach dem Mord an Alice Barlow zieht in das Haus am Pimlico Square 12 endlich wieder Leben ein: Die neuen Besitzer sind das Ehepaar Paul und Bella Mallen. Während Paul sehr korrekt auftritt, flößt das Haus seiner Frau Bella immer aufs Neue Angst ein: Seit dem Umzug plagen sie Anfälle von Vergesslichkeit und Kleptomanie; außerdem sieht sie das Gaslicht in ihrem Schlafzimmer flickern und hört Schritte aus dem abgesperrten Obergeschoss. Paul reagiert auf die Beunruhigung seiner Frau mit Unverständnis und Wut – dabei ist in Wahrheit er es, der ihre Dinge versteckt oder ihr hinterlistige Fallen stellt. Will er Bella in den Wahnsinn treiben? Was ist das Motiv für sein Vorgehen?


Bei „Gaslicht“ handelt es sich um einen britischen Film aus den frühen Vierzigerjahren, der wiederum als Kostümdrama aus viktorianischen Zeiten angelegt ist. Die Chancen, eine solche Produktion heute entweder verstaubt oder – im gegenteiligen Extrem – affektiert zu finden, stehen hoch. Thorold Dickinson überrascht jedoch mit einem hochspannenden Ergebnis, das sich seine Aktualität ebenso bewahrt hat wie der auf dem Stoff basierende psychologische Fachbegriff des Gaslighting, einer Form der gezielten Manipulation eines (Ehe-)Partners, wie sie hier von Paul Mallen gegen seine Frau Bella ausgeübt wird. Wie Kostümfilme es eben so an sich haben, wirkt Pauls Bemühen, seine Frau in den Wahnsinn zu treiben, eher nostalgisch und wie aus einer anderen Welt gefallen als ernsthaft gruselig. Dank der präzisen Abbildung viktorianischer Ehrbarkeit mit einer dahinter verborgenen düsteren Schattenseite sowie der exzellenten Schauspielerleistungen nimmt man den gezeigten Psychoterror dennoch als ernsthafte Bedrohung wahr. Diese steigert sich im Laufe des Films in beträchtliche Höhen, sodass man im letzten Drittel des Streifens tatsächlich um Bella Mallens Wohlergehen bangt (zumal man sich anders als im zensurgeplagten Amerika eines Happy Ends nicht sicher sein kann).

Pauls Methode, seiner Frau gleichzeitig geistige Umnachtung und Kleptomanie einzureden, sie mit diesen Anschuldigungen öffentlich bloßzustellen, sie jedes Außenkontakts zu berauben und hinter ihrem Rücken aus niederen Beweggründen eine Affäre mit dem Dienstmädchen einzugehen, weist ihn als Sadisten aus. Während das Publikum sein Spiel von Anfang an durchschaut, bemerkt Bella zunächst nicht, wie er sich im Geheimen als maliziöser Strippenzieher betätigt. Daraus ergibt sich der von Alfred Hitchcock stets als Merkmal guter Spannungsfilme geforderte Wissensvorsprung des Zuschauers, der die Hauptakteurin immer weiter in ihr Unheil laufen sieht und nichts gegen diese missliche Lage unternehmen kann. Dickinson charakterisiert Bella als schwache, für Einflüsterungen empfängliche Person, Paul hingegen als skrupellosen Strategen, dessen eigener Wahnsinn erst Stück für Stück enthüllt wird. Für Hauptdarsteller Adolf Wohlbrück war die Rolle des Schurken eine willkommene Abwechslung – er sprach davon, nicht einmal Shakespeare habe eine halb so schreckliche Figur erfunden.

Zitat von Michael Omasta: Zweimal neben der Rolle. In: Wohlbrück & Walbrook. Wien: Synema, 2020. S. 58
Walbrook spielt ihn als vergnügten, Walzermelodien vor sich hin pfeifenden Sadisten, der vor keiner Niedertracht zurückscheut. Dafür exemplarisch ist die Szene, in der Bella ihren ersten Zusammenbruch erleidet und sich schluchzend auf ihr Bett wirft: Mit der linken Hand bedeckt Walbrook / Mallen seine Augen – eine Geste tiefster Erschütterung –, während sein Blick darunter eiskalt kalkulierend bereits nach dem nächsten Gegenstand sucht, den versteckt zu haben er Bella unterstellen könnte. [...] Patrick Hamilton, auch bekannt als Autor des Stücks Rope [...] und des Romans Hangover Square [...], war über die Besetzung Walbrooks zunächst keinesfalls begeistert. Er hatte die Rolle nicht für einen „Deutschen“ geschrieben, sondern es handelte sich dabei um einen Engländer namens Jack Manningham. Allerdings nahm Hamilton seine Kritik zurück, nachdem er Gaslight gesehen hatte, und meinte bewundernd, es sei „ein französischer Film auf Englisch“ geworden.


Dass man bei der Besetzung dieses Thriller-Erzschurken im Kontext des Zweiten Weltkriegs ausgerechnet auf einen deutschsprachigen Schauspieler zurückgriff, ist sicher kein Zufall. Nach dem Umzug der Mallens an den Pimlico Square munkeln die Einheimischen vor der Kirche, sie haben gehört, der Mann sei Ausländer, aber trotzdem respektabel. Wenn sie wüssten! Obwohl der Film immer wieder kleine Spitzen britischen Humors einstreut, entfaltet er doch eine erstaunliche Neigung zur seelischen Brutalität und auch zur abseitigen Sexualität. In einer Szene, in der Paul seine Hausangestellten ein Gelübde auf die Bibel ablegen lässt, ist die Kamera so aufgestellt, dass sie, als das Hausmädchen das Buch küsst, Oralsex mit Paul impliziert. An anderer Stelle wird darüber spekuliert, warum die Mallens keine Kinder haben. Neben dem hocheleganten Klassiker-Stoff entdeckt man also auch aktuellere und pikantere Details. Zudem weist der Film eine enorm hochwertige Ausstattung auf und wirkt im Vergleich zur vier Jahre später entstandenen US-Fassung weniger künstlich und studiolastig. Er ist der MGM-Version mit Charles Boyer und Ingrid Bergman also deutlich vorzuziehen und man kann von Glück sprechen, dass Hollywoods Versuch, alle Kopien des britischen Originalfilms zu zerstören, scheiterte.

Ein weiterer großer Pluspunkt der Dickinson-Produktion ist Diana Wynyard, die als Bella Mallen wie eine empfindliche Porzellanpuppe wirkt, aber gleichzeitig auch menschlich und natürlich genug, um an ihrem Schicksal aufrichtig teilzuhaben. Wynyard agiert ebenso glaubwürdig wie Wohlbrück; optisch bilden beide ein herausragend schönes Paar und doch spürt man bei beiden das Brodeln hinter der Fassade. Bei Bella entlädt es sich zunächst in diversen hysterischen Anfällen, am Ende aber auch in einer dramatischen „Vergeltungsaktion“ gegen ihren Gatten. Obwohl die Szene unsagbar theatralisch angelegt ist, gelingt es Wynyard und Wohlbrück, sie nicht kitschig wirken zu lassen. Auch Nebenakteure wie die obszöne Bedienstete (Cathleen Cordell) oder die edlen Retter in der Not (Frank Pettingell, Robert Newton, Jimmy Hanley) vervollständigen das Bild auf stimmige Art und Weise, zumal ihre starke Einbindung ebenso wie der mit expressionistischen Schatten versehene Mord in der Auftaktszene dabei hilft, die Bühnenherkunft der Vorlage zu vertuschen.

Die Binsenweisheit, dass spätere Remakes oft nicht an die Qualität der ersten Verfilmung heranreichen, erweist sich auch im Fall von „Gaslicht“ als zutreffend. Der Film von 1940 ist quintessentially British, Schurke und Opfer wurden ausdrucksstark besetzt und Dickinson baute neben hochwertigem Plüschcharme auch veritablen Suspense auf. Für Fans viktorianischer Krimis ist diese Umsetzung von Patrick Hamiltons bekanntem Bühnenstück absolutes Pflichtprogramm und somit 5 von 5 Punkten wert.

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