Ich habe die DVD schon ein halbes Jahr bei mir liegen und noch nicht angesehen. Der Beschreibung nach handelt es sich eher um eine Krimikomödie, allerdings kann man eine solche unter Umständen auch im weiteren Sinn dem Giallo zuordnen.
der Film ist m.E. kein "richtiger" Giallo sondern eher ein Krimi, ein sehr unblutiger noch dazu. Trotzdem lohnt es sich auf jeden Fall, denn die Schauspieler sind richtig klasse - speziell Mastroianni und Bisset sind zusammen hervorragend und der Film ist bis in die Nebenrollen gut besetzt.
Kriminalkomödie, IT / FR 1975. Regie: Luigi Comencini. Drehbuch: Age & Scarpelli (d.s. Agenore Incrocci, Furio Scarpelli) (Romanvorlage: Fruttero & Lucentini (d.s. Carlo Fruttero, Franco Lucentini)). Mit: Marcello Mastroianni (Kommissar Salvatore Santamaria), Jacqueline Bisset (Anna Carla Dosio), Jean-Louis Trintignant (Massimo Campi), Aldo Reggiani (Lello Riviera), Pino Caruso (Kommissar de Palma), Maria Teresa Albani (Virginia Tabusso), Omero Antonutti (Benito), Gigi Ballista (Vollero), Claudio Gora (Garrone), Franco Nebbia (Bonetto) u.a. Uraufführung (IT): 16. Dezember 1975. Uraufführung (BRD): 20. August 1976.
Zitat von Die SonntagsfrauTurin ist Heimat der besten Gesellschaft des Piemont. Anna Carla, die Frau des Unternehmers Dosio, langweilt sich zu Tode und Massimo, der reiche Sprössling der Campi-Sippe, hat seine liebe Mühe, seine Homosexualität zu verbergen. Gemeinsam vertreibt sich dieses herzige Duo die Zeit mit dem Streit über die Aussprache englischer Begriffe – bis ein Mord sie auf andere Gedanken und auf die Spitzenpositionen von Kommissar Santamarias Verdächtigenliste bringt. Massimos Freund Lello beginnt, im rätselhaften Todesfall des Architekten Garrone auf eigene Faust zu ermitteln und kommt der Wahrheit bedrohlich nahe ...
Giallo oder nicht Giallo – das ist hier die Frage. Haben wir es mit einem ungewöhnlichen Exemplar der Spezies zu tun oder womöglich mit einem handelsüblichen italienischen Krimi, der diese Bezeichnung – zumindest so, wie sie im deutschsprachigen Raum verwendet wird – gar nicht verdient? Klar ist, dass „Die Sonntagsfrau“ nur wenige Gemeinsamkeiten mit den rasiermesserschwingenden Gewaltträumen eines Dario Argento oder Sergio Martino aufweist. Dennoch würzen das vornehme Turiner Milieu, der als Whodunit aufgezogene Mordfall und die provokante Mordwaffe – eine steinerne Penis-Skulptur – den Film auf eine Weise, die Genrefreunden, auch wenn sie eine neue Geschmackskombination entfaltet, gefallen dürfte.
Bei der „Sonntagsfrau“ handelt es sich um die Verfilmung des Erfolgsromans des Autorenduos Fruttero & Lucentini. Stärker als die (kaum vorhandenen) Schock- und Gruselelemente fallen kriminalistische Kombinationen, detaillierte Personenzeichnungen und ein trocken-bissiger Humor ins Gewicht, der auch und vor allem die zahlreichen sexuellen Anspielungen in Comencinis Film umfasst. Doch auch der kritische Blick hinter die Kulissen der besseren Turiner Gesellschaft wird auf humorvolle Weise aufgelockert. Wenn herkömmliche Gialli ihre Zuschauer aufmuntern wollten, beschränkten sie sich oft auf sympathischen Albernheiten (der Vermieter in „Das Geheimnis der grünen Stecknadel“ oder das kleine, kaputte Auto in „Profondo Rosso“); sarkastische Sozialkritik wie hier in „Die Sonntagsfrau“, die vor allem auf die Enttarnung von Doppelmoral abzielt, dürfte hingegen eine seltenere Ausnahme darstellen. Wirklich glückliche Beziehungen sieht man wenige – all die verkrachten Existenzen der Turiner High Society vertun ihre Zeit lieber mit intellektuellen Herausforderungen wie dem Kampf „Boston gegen Boston“, der Aufregung über das horizontale Gewerbe und der Entlassung von Dienstpersonal als damit, sich gegenseitig mit Rasiermessern und Dolchen abzuschlachten. On-screen wird in den knapp 105 Filmminuten kein Mord gezeigt, wenngleich durch eine hübsche Schnittidee alle Verdächtigen in Inspektor Santamarias Fantasie die Möglichkeit bekommen, mit dem Lithophallus auf ein unsichtbares Ziel einzuhieben.
Wo es Comencini an Schockeffekten oder Hochspannung mangelt, weiß eine hochkarätige Besetzung den Film ohne nennenswerte Längen zu tragen. Im Gegensatz zu den meisten Gialli steht die erfolgreiche und fokussierte Arbeit eines sympathischen Polizisten im Mittelpunkt des Geschehens: Marcello Mastroianni, der im Duo mit Pino Caruso ermittelt, weist in dieser Hinsicht einen Habitus auf, der regelrecht an die Strahlemann-Qualitäten eines Fuchsberger-Wallace-Inspektors erinnert. Als bodenständiger, aber kultivierter Kumpeltyp mit Ehrgeiz, Einfühlungsvermögen und einem Händchen für Frauen behält Mastroianni die Oberhand im Film, auch wenn er sich inmitten der Schickeria nicht immer wohl fühlt. Seine sonore Stimme kommt dem dialoglastigen Film darüber hinaus sehr zugute. Ihm steht Jacqueline Bisset zur Seite, die sich von anderen Hauptdarstellerinnen jener Jahre durch ihre distanzierte und exzentrische Art des Spiels auszeichnet. In der Tat wundert man sich über die skurrile Prioritätensetzung der Anna Carla Dosio in Anbetracht der verrückten Einfälle des Films sowieso nicht. Für den Tenor der „Sonntagsfrau“ ist es allerdings nur konsequent, dass Kommissar Santamaria mit Anna Carla anbändelt, aus der kurzen Romanze aber nichts Ernsthaftes erwächst.
Bemerkenswert dürfte die für das Veröffentlichungsjahr der Buchvorlage „La donna della domenica“ (hierzulande unter dem Filmtitel bei Piper erschienen) sehr offene Gestaltung der schwulen Beziehung zwischen Massimo und Lello sein, die – wiederum mit Hinweis auf das Veröffentlichungsjahr – natürlich vor Klischees und einer überklaren Rollenverteilung strotzt, auf jede explizitere Art der Liebesbekundung verzichtet und schlussendlich nicht in ein Happy End münden darf. Während der spießbürgerliche, streitsüchtige Massimo unter Mordverdacht gerät, geriert sich sein labiler Freund mit seinen Privatermittlungen und den Ankündigungen, erst darüber sprechen zu wollen, wenn er die volle Wahrheit kenne, als das idealtypischste zweite Mordopfer, das man sich vorstellen kann ...
Auch wenn das zweite wortwörtliche Zuschlagen des Mörders also alles andere als unvorbereitet kommt, so stellt es doch einen emotionalen und spannenden Höhepunkt dar, der von Comencini auf dem Trödelmarkt am Porta Palazzo in besonderer Sorgfalt umgesetzt wurde. Das erste Opfer dagegen legte Claudio Gora aus „Das Rätsel des silbernen Halbmonds“ als ein Lüstling der alleruntersten Schublade an, der alle Schlechtigkeiten des Südländers in sich zu vereinen scheint. Der Kontrast zwischen Lello Riviera und dem Architekten Garrone stellt sich gleichermaßen als Quintessenz des Films heraus, der zwischen sarkastischen, aber dennoch stimmigen Momenten der Überzeichnung und echter, einfühlsamer Dramatik ein wirkungsvolles Spannungsfeld aufbaut, das keiner banalen Brutalitäten bedarf, sondern „Die Sonntagsfrau“ zu einem vergnügsamen „Schauspielerfilm“ im besten Sinne macht.
Unterm Strich beschert „Die Sonntagsfrau“ überaus intelligente Spitzen gegen das Norditalien der 1970er Jahre, eine abwechslungsreiche Krimihandlung und hervorragende Schauspielerleistungen. Diese helfen sogar darüber hinweg, dass der Film es in puncto Dynamik und zehrender Spannung nicht mit anderen in dieser Zeit hergestellten Produktionen aufnehmen kann (es aber auch gar nicht will oder braucht). 4,5 von 5 Punkten.
Die DVD von Koch Media: Interessenten kann ohne Einschränkungen zur deutschen Auswertung von Koch Media geraten werden, die zwar mittlerweile out of print, aber noch zu verträglichen Preisen erhältlich ist. Bei dem Bild mit seiner sanften Farbgebung und guten Schärfe handelt es sich offenbar um einen Open-Matte-Transfer, der „Die Sonntagsfrau“ in 1,33:1-Vollbild präsentiert und damit oben und unten mehr zeigt, als die Kinozuschauer 1975 vermutlich zu sehen bekamen. Deutscher und italienischer Ton mit optionalen deutschen Untertiteln werden angeboten. Die in einem edlen, koch-typischen Digipak mit 8-seitigem Booklet verpackte DVD enthält zudem eine Interviewdokumentation zu dem Film mit Kameramann Luciano Tovoli, der rund 20 Minuten aus dem Nähkästchen plaudert. Ein italienischer Trailer und eine kleine Bildergalerie runden das Vergnügen ab.
Ich traue mich fast nicht, es zu sagen, da einige den Film ja beinahe lieben - aber ich empfand ihn als unausgegorene Mischung zwischen Krimi und Kömodie, die insgesamt auch noch viel zu lang geraten ist ...
Ist doch in jedem Fall Ansichtssache. Und dass "Die Sonntagsfrau" bei jedem gut ankommt, ist nicht zu erwarten, wenn man bedenkt, wie "eigen" der Film doch ist.
Mich interessieren nach "Die Sonntagsfrau" nun zwei weitere Verfilmungen nach Fruttero / Lucentini: 1995 wurde der TV-Mehrteiler "A che punto è la notte" (ebenfalls mit Marcello Mastroianni als Kommissar Santamaria) gedreht, 2011 ein Remake von "La donna della domenica". Weiß jemand (Georg vielleicht), ob es von diesen Produktionen Auswertungen für Nicht-Italiener mit deutschem oder englischem Ton / Untertiteln gab / gibt / geben wird?
"A che punto è la notte?" (Wie weit ist die Nacht?) wurde mit Sicherheit auf Deutsch synchronisiert, diesen Zweiteiler habe ich vor ca. 15 Jahren im ORF gesehen. Er spielt in Turin und ist eine teilweise zähe, aber dann doch immer spannender werdende Angelegenheit, in der ein Autokennzeichen eine besondere Rolle spielt. Hatte ich mal aufgenommen, dann aber mangels Platz (VHS-Kassetten) überspielt. Über die Neuverfilmung als Fernsehzweiteiler von 2011 weiß ich leider nichts zu berichten. Scheint auch noch nicht in Italien auf DVD erschienen zu sein.
Carlo Fruttero und Franco Lucentini sind hingegen zwei gerngelesene Autoren in Italien. Sehr empfehlenswert finde ich "La verità sul caso D.". Darin geht es um den Kriminalroman "Das Geheimnis von Edwin Drood", den Charles Dickens nie fertig geschrieben hat. Sherlock Holmes, Arsène Dupin, Pater Brown, Kommissar Maigret, Philip Marlowe, Nero Wolfe und Hercule Poirot versammeln sich, um den ungeklärten Fall zu lösen. Das Buch enthält die Originalfragmente von Charles Dickens und die Kapitel, in denen die Meisterdetektive ermitteln und zu einer Auflösung kommen. Wäre vielleicht etwas für dich, @Gubanov, als Liebhaber klassischer Kriminalliteratur. Keine Ahnung allerdings, ob das Buch auf Deutsch erschienen ist. Der wörtliche Titel ist "Die Wahrheit über den Fall D.".
Danke für den Hinweis auf die deutsche Synchro. Im Netz lässt sich dazu leider kaum etwas finden, abgesehen von einer Anmerkung des Spiegels, dass die Produktion auch 1995 bei der Cologne Conference, dem Internationalen Kölner Fernsehfest, zu sehen war.
"Die Wahrheit über den Fall D." hört sich auf jeden Fall ebenfalls interessant und sehr außergewöhnlich an!