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Dieses Thema hat 581 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker international
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Ray Offline



Beiträge: 1.930

18.02.2019 23:20
#436 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Vielen Dank, Gubanov. Als ich vor etwas mehr als drei Jahren anfing, hätte ich wohl nicht gedacht, jemals auf 100 zu kommen. Aber das Genre hat es mir einfacch angetan. Die großartige Bildsprache, die oft vielschichtigen Storys, all die Hollywood-Größen - die "Schwarze Serie" hat einfach extrem viel zu bieten. Obwohl ich inzwischen einen guten Überblick habe, gibt es immer noch viel zu entdecken. Schön, dass du auch diesen Thread wieder mit einer Besprechung bereicherst. Sie lädt dazu ein, sich den "blonden Tiger" bald noch einmal vorzunehmen. Mit ihm bin ich zum Lizabeth Scott-Fan geworden. In "Martha Ivers" hatte sie ja noch einen eher kleineren Part, war mir mit ihrer Ausstrahlung allerdings auch bereits aufgefallen. "Späte Sühne", "Die toten Jahre" und "Pitfall" habe ich ebenfalls in (sehr) guter Erinnerung.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

02.03.2019 23:54
#437 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Auch im folgenden Noir ist Lizabeth Scott mit von der Partie...


Gangster/Das Syndikat (The Racket, USA 1951)

Regie: John Cromwell, Nicholas Ray u.a.

Darsteller: Robert Mitchum, Robert Ryan, Lizabeth Scott, William Talman u.a.



Film Noir Nummer 101:


Das titelgebende Syndikat wird von einem Gangster ohne Namen geleitet, dessen gefährlichstes Werkzeug der Kriminelle Nick Scanion (Robert Ryan) ist. Das Syndikat macht auch dem aufrechten Polizisten McQuigg (Mitchum) zu schaffen. Um Scanion aus der Reserve zu locken und damit dem Syndikat einen Schlag zu versetzen, lässt er kurzerhand gegen den Willen des Staatsanwalts Scanions Bruder sowie dessen Geliebte, die Nachtclubsängerin Irene Hayes (Lizabeth Scott) verhaften. Ob der Plan aufgeht?

Allen Unkenrufen zum Trotz ist "The Racket" ein durchaus vorzeigbarer Vertreter seines Genres. Der Story fehlt zwar zugegebenermaßen die Tiefe, dafür ist der Film erstklassig besetzt, hat ein ordentliches Tempo und bezieht aus dem andauernden Konflikt zwischen Scanion und dem Polizisten McQuigg das notwendige Maß an Spannung. Robert Mitchum und Robert Ryan hatten schon wenige Jahre zuvor in Edward Dmytryks sehenswertem Noir "Im Kreuzfeuer" zusammen agiert. Mitchum spielt den ehrenvollen Polizisten durchaus engagiert, Robert Ryan glänzt einmalmehr als Bösewicht. Lizabeth Scott spielt eine Nachtclubsängerin. Erwartungsgemäß darf sie denn auch einen kleinen Gesangsauftritt hinlegen. Ihre Rolle ist nicht sonderlich komplex, entsprechend kann sie dem Film anders als in anderen Produktionen wie dem von Gubanov unlängst besprochenen "Der blonde Tiger" nicht ihren Stempel aufdrücken. William Talman, später bekannt durch seine Rolle des Staatsanwalts Burger in der Serie "Perry Mason", unterstützt Mitchum bei den Ermittlungen tatkräftig und wird im letzten Drittel zur tragischen Figur. Howard Hughes, der Ende der 1940er-Jahre die Aktienmehrheit an RKO erwarb, machte im Laufe der Produktion seine Macht geltend und feuerte Regisseur Cromwell. Weitere Szenen wurden u.a. von Nicholas Ray gedreht. Dass man diese Unruhen dem Werk ansieht, lässt sich nicht behaupten. Allgemein gehen der Inszenierung jedoch weitgehend die charakteristischen Merkmale eines typischen Noirs ab.

Interessierte können zur spanischen DVD greifen, die den Film auch im Originalton enthält und für unter 10 Euro zu haben ist. Die Bildqualität ist solide.


Erstklassig besetzter und kurzweiliger Kriminalfilm, dem in der Inszenierung ein wenig die Charakteristika der Schwarzen Serie abgehen. Alles in allem wesentlich besser als sein Ruf. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.03.2019 19:30
#438 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Interessant - diesen Film hatte ich bislang überhaupt noch nicht auf dem Schirm. Die Besetzung liest sich sehr lohnenswert.

Ich habe mir jetzt mal neben der altgedienten "Film Noir Encyclopedia" von Silver, Ward, Ursini und Porfirio noch ein weiteres Buch zu Noirs bestellt, das aktuell hier günstig erhältlich ist und ebenfalls den Eindruck eines Standardwerks macht: "A Comprehensive Encyclopedia of Film Noir" von John Grant. Ich werde berichten, wenn ich das Buch in Händen halte und etwas darin stöbern konnte.

Vorerst auch von mir ein weiterer Bericht zu einem eher unbekannten Noir:



Einer weiß zuviel (Woman on the Run)

Thriller, USA 1950. Regie: Norman Foster. Drehbuch: Alan Campbell, Norman Foster (Story: Sylvia Tate). Mit: Ann Sheridan (Eleanor Johnson), Dennis O’Keefe (Danny Legget), Robert Keith (Inspector Ferris), Ross Elliott (Frank Johnson), Frank Jenks (Detective Shaw), Steven Geray (Dr. Hohler), John Qualen (Maibus), J. Farrell MacDonald (Seefahrer), Victor Sen Yung (Sam), Reiko Sato (Suzie) u.a. Uraufführung (USA): 12. Oktober 1950. Uraufführung (BRD): 31. Juli 1951. Eine Produktion von Fidelity Pictures für Universal Pictures.

Zitat von Einer weiß zuviel
Beim Gassigehen mit seinem Hund wird Frank Johnson Zeuge eines Verbrechermordes und erkennt im Licht einer Straßenlaterne den Schützen. Weil dieser auch scharf auf ihn schießt, verschwindet Johnson nach einer kurzen Befragung durch die Polizei lieber spurlos von der Bildfläche. Seine von ihm entfremdete Frau Eleanor macht sich gemeinsam mit dem neugierigen Reporter Legget auf die Suche nach Frank und stellt dabei fest, dass sie ihn doch immer noch liebt. Umso mehr fürchtet sie um sein Leben, als der Mörder plötzlich herausfindet, wo er Frank aufstöbern und endgültig beseitigen kann – auf einem Jahrmarkt im Schatten einer Achterbahn ...


Einen Blick auf das, was besser verborgen geblieben wäre, erhascht nicht nur Unglücksvogel Frank Johnson, der wider Willen zum Mordzeugen wird, sondern auch der Zuschauer dieses Film Noir, als er nach Franks Verschwinden ungeschminkte Auskunft über die zerrüttete Ehe der Johnsons erhält. Frank, ein Künstler, der Konflikten immer nur aus dem Weg geht, und seine Frau Eleanor, die ihre Gleichgültigkeit hinter aufgesetzt raubeinigen Kommentaren verbirgt, bilden wirklich ein „reizendes“ und einigermaßen unwahrscheinliches Paar. Aber mit ihren eigenwilligen Aktionen nach dem Verschwinden ihres Gatten sowie ihrer Abneigung gegen den routinierten Polizeiinspektor erwärmt Eleanor dann doch bald das Publikum für sich, sodass sie und nicht der untergetauchte Mordzeuge fortan der Star dieses Krimis ist. Genaugenommen machen damit sowohl der deutsche Titel, der sich auf Frank bezieht, als auch der englische falsche Vorspiegelungen, denn Eleanor ist eher auf der Jagd als auf der Flucht. Zu Ann Sheridan würde etwas anderes auch gar nicht passen: In „Einer weiß zuviel“ geht sie schließlich im Stil einer selbstbestimmten Privatdetektivin dem Geheimnis um den Mord, den ihr Mann mit ansah, auf den Grund.

Zitat von Sean Axmaker: „Woman on the Run“ at Turner Classic Movies, Quelle
Ann Sheridan was nicknamed “The Oomph Girl” (a name that she detested) by studio publicists to promote her as a Hollywood bombshell but she’s better known by classic movie fans as a talented dramatic actress [...] with a knack for both comedy and hardboiled toughness. This role showcases all three elements, with Sheridan dishing out sardonic cracks with deadpan snap and then softening as she discovers new dimensions of her estranged husband on her odyssey. It’s refreshing to see in a film noir, a genre known for predatory relationships, one-sided love affairs and sexual obsession, a story about a rediscovery of affection that has been ground to indifference and resentment over time.




In Dennis O’Keefe findet Ann Sheridan einen gelungenen Sparringspartner für ihre Ermittlungen, denn O’Keefe erweist sich als Reporter Legget als ebenso hartnäckig und wortgewandt wie Eleanor Johnson. In einigen Szenen übertreibt die Regie anfangs vielleicht die humoristischen Momente zwischen Sheridan und O’Keefe, aber der turning point zur Mitte der Geschichte wird letztlich durch das leichtherzige Verhältnis der beiden Figuren zueinander umso effektiver und überraschender. Von da an nimmt „Einer weiß zuviel“ deutlich an Spannung und auch an Düsternis zu und gerade das Finale, das sich in der Dunkelheit unter den Bohlen eines nächtlichen Vergnügungspiers abspielt, lässt dem Publikum einige Schauer über den Rücken laufen. Norman Foster, der sich sonst mit inszenatorischen Kniffen eher bedeckt hält, zeigt in diesen Szenen ein regelrecht metaphorisches Verständnis dafür, dass man es beim Film Noir immer mit den unterschätzten Schattenseiten des kalifornischen entertainment business zu tun bekommt.

Die dem Finale vorangehende lange Suche nach Frank Johnson führt Sheridan und O’Keefe durch abwechslungsreiche Lokalitäten und zahlreiche, teilweise sehr pittoreske Außenaufnahmen eines zeitgenössischen San Francisco. Interessant für Krimifreunde dürfte zudem der Auftritt des in der Stadt gebürtigen Victor Sen Yung sein, der in elf Charlie-Chan-Filmen den „Sohn Nummer zwei“ des bekannten Buch- und Leinwanddetektivs verkörperte. Hier in „Einer weiß zuviel“ stellt er einen Barbesitzer dar, der das Leben seiner Tochter ahnungsloserweise an den Hauptverbrecher verliert – wenn auch eine Neben-, so doch schon eine etwas tiefergehende Rolle, die den Film ebenso wie die differenziertere Zeichnung der Geschlechter zu einem der gesellschaftlich progressiveren Noirs macht. Unter dem reinen Krimi-Aspekt kann Fosters B picture hingegen nur eine solide Mittelfeldposition einfahren.

Mann beobachtet Mord und verschwindet, Frau sucht ihn und stößt dabei auf den Mörder. Mit Gespür für lustige und gruselige Momente erzählt „Einer weiß zuviel“ einen Standard-Krimi aus der Sichtweise einer emanzipierten, etwas abgehalfterten Ann Sheridan, der man zwar das Duell mit dem Killer, nicht aber unbedingt das Wiederaufkeimen einer zarten Romanze zutraut. 4 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

13.03.2019 23:07
#439 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Bin gespannt auf deine Rückmeldung zu Grants Werk. Habe nun auch wieder "Der blonde Tiger" gesichtet. Der sehr gute Eindruck hat sich definitiv bestätigt. Es dürfte sich um die stärkste Rolle Lizabeth Scotts handeln. Großes Lob verdient auch die Blu-Ray von Arrow, auf der sich ein neu produziertes Making-Of mit interessanten Analysen und Hintergrundinformationen befindet. Auch dem Restaurationsvorgang wird eine eigene Featurette gewidmet. Ene vorbildliche VÖ, die dem Werk absolut gerecht wird.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

16.03.2019 10:44
#440 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Ich habe das Buch "A Comprehensive Encyclopedia of Film Noir" seit mittlerweile über einer Woche vorliegen und hatte jetzt die Gelegenheit, mich etwas ausführlicher einzulesen. Was es von anderen Werken zur Filmgattung Noir unterscheidet, ist seine enorme Breite. Anstatt sich auf den engen Klassikerkanon zu beschränken, findet man darin sowohl namhafte Noirs wie "Double Indemnity" als auch Filme, die vom Genreaspekt her eher Auslegungssache sind; sowohl Produktionen aus dem Kernzeitraum als auch solche, die man als "Proto- oder Neo-Noirs" bezeichnen würde; sowohl amerikanische als auch "ausländische" Filme wie z.B. "M". Insgesamt sind laut Klappentext mehr als 3250 Filme enthalten.

Das bedeutet, dass für jeden Film trotz insgesamt über 760 Seiten Umfang nur ein bis drei Absätze zur Verfügung stehen, die Bandbreite an berücksichtigten Filmen also gewissermaßen zu einem Verlust an Tiefgang führt. Nichtsdestoweniger sind die einzelnen Einträge kenntnisreich und hochwertig geschrieben und verraten auf den ersten Blick nicht zu viel, sodass ich in diesem Buch auch Filme nachschlagen würde, die ich noch nicht gesehen habe (im Gegensatz zu Silvers "Noir Encyclopedia", die für die einzelnen Filme zwar oft profunder ist, aber auch fleißig [tlw. unnötig] spoilert).

Im Haupttext, der die Filme im Lexikonstil alphabetisch auflistet, sind keine Fotos enthalten, allerdings gibt es mehrere separate Bildteile, in denen Werbefotos, Filmplakate u.ä. thematisch sortiert enthalten sind.

Insgesamt kann ich das Buch, das als hochwertig leinengebunden mit Schutzumschlag daherkommt, als zusätzliche Recherchequelle weiterempfehlen; die Mühe des einzelnen Autors, so viele Filme zu sehen und mit Hintergrundinfos zu besprechen, ist beachtlich. Auch für die Erweiterung des eigenen Horizonts scheint mir das Buch sehr geeignet zu sein. Häufig wird als Kritikpunkt genannt, dass ein komplettes Inhaltsverzeichnis aller Filme fehlt, man also auf gut Glück suchen muss. Das habe ich noch nicht wirklich als Nachteil bemerkt; allerdings gibt es sehr wohl ein Register, das mir sehr zusagt: eines, in dem jeweils alle besprochenen Filme zu ausgewählten Regisseuren, Autoren und Hauptdarstellern aufgeführt sind. Ich kann also auf einen Blick sehen, welche Noirs es von Fritz Lang, Cornell Woolrich oder Barbra Stanwyck gibt. Das ist ziemlich cool.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

17.03.2019 23:36
#441 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Danke für deinen ausführlichen Bericht deiner ersten Eindrücke. Klingt ja durchaus vielversprechend, gerade für neue Anregungen ist das Buch sicher sehr gut geeignet.

Sicherlich findet sich auch ein Eintrag über folgenden Film...


Bumerang (Boomerang, USA 1947)

Regie: Elia Kazan

Darsteller: Dana Andrews, Jane Wyatt, Lee J. Cobb, Karl Malden u.a.



Film Noir Nummer 102:


Der allseits beliebte Pater Lambert wird auf seinem allabendlichen Spaziergang durch seine kleine Gemeinde in Connecticut hinterrücks erschossen. Als die Ermittlungen trotz erheblichen Aufwands zunächst wenig erfolgreich verlaufen, erhält der zuständige Staatsanwalt Harvey eines Abends Besuch vom Bürgermeister und anderen einflussreichen Amtsträgern, die ihn in Anbetracht bevorstehender Wahlen dazu drängen, den Fall um jeden Preis zügig aufzuklären. In der Folge wird ein Verdächtiger unter Schlafentzug zu einem Geständnis genötigt. Doch Harvey hat Zweifel an der Schuld des Mannes...

Elia Kazan, im weiteren Verlauf seiner Karriere mit drei Oscars ausgezeichnet, schuf diesen Noir mit Dana Andrews („Laura“, „Faustrecht der Großstadt“) in der Hauptrolle. Der Film ist gerade zu Anfang sehr stark im dokumentarischen Stil in Szene gesetzt. Ein auktorialer Erzähler führt in die Geschichte ein und erklärt, dass sich die auf Fakten beruhende Geschichte in jeder anderen Kleinstadt zutragen könne. Eher ungewöhnlich für einen Noir beginnt der Film nach dieser kurzen Einführung mit einer Mordszene, die durchaus interessant inszeniert ist und daher haften bleiben wird. Gezeigt wird der Pater, wie er an einem Straßenübergang steht und sich seine Pfeife anmachen möchte, während sich hinter ihm ein Mann mit Mantel und Hut bekleidet an ihn heranschleicht, die Pistole an seinem Hinterkopf ansetzt und abdrückt. Wäre die Tatwaffe keine Pistole, hätte die Szene auch einem Wallace-Film entstammen können. Dass anschließend die Mordermittlungen aus Sicht von Polizei und Staatsanwaltschaft Hauptgegenstand der Handlung sind, ist ebenfalls eher ungewöhnlich. Andrews spielt obendrein keinen gebrochenen Chrakter, sondern einen aufrechten Staatsanwalt, der trotz erheblichen politischen Drucks standhaft bleibt und vor Gericht für die Gerechtigkeit kämpft. In den Szenen vor Gericht läuft Andrews und mit ihm der ganze Film zu großer Form auf. Wie er nacheinander die vermeintlich von der Richtigkeit ihrer Wahrnehmung überzeugten Augenzeugen vorführt, hat große Klasse. In diesen Momenten erreicht „Bumerang“ Qualitäten, die man von Meisterwerken wie „Den 12 Geschworenen“ kennt. Obschon der wahre Täter wie im echten zugrundeliegenden Fall nicht entlarvt werden kann, gibt der Film doch klare Hinweise bezüglich der Identität des Täters, so dass „Bumerang“ den Betrachter zufrieden aus dem Film entlässt. Dass "Bumerang" angesichts seiner nüchternen Inszenierung und seiner positiv charakterisierten Hauptfigur von einem idealtypischen Noir ein ganzes Stück entfernt ist, verzeiht man daher nur zu gerne.

In Deutschland fehlt bis dato eine Blu-Ray- oder DVD-Auswertung. In England ist der Film in der „Masters of Cinema“-Series erschienen. Das Set enthält das Werk aus dem Hause 20th Century Fox erstklassig restauriert. Dazu gibt es eine Dokumentation über den Regisseur sowie ein edel gestaltetes, 44 (!) Seiten starkes Booklet, das einen Essay, ein abgedrucktes Interview mit dem Regisseur sowie den Zeitschriftenartikel über den wahren Fall, der als Basis für das Drehbuch zum Film diente. Eine rundum empfehlenswerte Anschaffung, zumal bei einem Preis von ca. 10 Euro auch die eigentlich unnötige Blu-Ray-/DVD-Kombo wenig stört.


Packender, auf Fakten basierender Polizei- und Gerichtskrimi mit einem starken Dana Andrews in der Rolle eines prinzipientreuen Staatsanwalts. 4,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

23.03.2019 11:40
#442 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

"Boomerang" liest sich sehr spannend, zumal Dana Andrews in der Hauptrolle auch eine vielversprechende Besetzung ist. Er war in "Laura" wirklich ausgezeichnet und hat sich ja auch in anderen Genre-Filmen wie "While the City Sleeps", "Beyond a Reasonable Doubt", "Fallen Angel" oder "Where the Sidewalk Ends" einen Namen gemacht.

Aus der US-DVD-Reihe "Fox Film Noir", in der "Boomerang" schon 2006 erschienen ist, gibt es darüber hinaus noch einige vielversprechende Titel, die man dringend unter die Lupe nehmen müsste, weil sie hier noch gar nicht angesprochen worden sind, z.B.

  • "I Wake up Screaming" (1941, R: H. Bruce Humberstone, D: Betty Grable, Victor Mature, Carole Landis)
  • "Nightmare Alley" (1947, R: Edmund Goulding, D: Tyrone Power, Joan Blondell, Coleen Gray)
  • "Dangerous Crossing" (1953, R: Joseph M. Newman, D: Jeanne Crain, Michael Rennie, Casey Adams)
  • "Black Widow" (1954, R: Nunnally Johnson, D: Ginger Rogers, Van Heflin, Gene Tierney)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

23.03.2019 21:00
#443 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten



Blinde Wut (Fury)

Gerichtsdrama, USA 1936. Regie: Fritz Lang. Drehbuch: Bartlett Cormack, Fritz Lang (Story: Norman Krasna). Mit: Sylvia Sidney (Katherine Grant), Spencer Tracy (Joe Wilson), Walter Abel (Staatsanwalt), Bruce Cabot (Kirby Dawson), Edward Ellis (Sheriff), Walter Brennan („Bugs“ Meyers), Frank Albertson (Charlie Wilson), George Walcott (Tom Wilson), Arthur Stone (Durkin), Morgan Wallace (Fred Garrett) u.a. Uraufführung (USA): 5. Juni 1936. Uraufführung (BRD): 23. Januar 1965. Eine Produktion von Loew’s Incorporated für Metro-Goldwyn-Mayer.

Zitat von Blinde Wut
Endlich hat der aufrichtige Joe Wilson genug Geld zusammengespart, um seine Freundin Katherine heiraten zu können. Auf der Autofahrt zu ihr in den Westen gerät Joe bis zum Hals in eine unangenehme Sache hinein: Fälschlich wird er als Verdächtiger in einem Entführungsfall verhaftet. Obwohl die Polizei keine belastbaren Indizien gegen ihn findet, ist sich der Mob sicher: Wilson soll ein Verbrecher sein, also ist er einer! Agitiert von einigen Wortführern zündet die Stadtbevölkerung in blinder Wut das Gefängnis an und Katherine muss mit ansehen, wie Joe in den Flammen stirbt. Zumindest nehmen sie und alle Welt das an ...


Lynchmorde sind ein dunkles Kapitel in der sonst meist so musterdemokratischen Geschichte der USA. Noch in den 1930er Jahren geschahen sie regelmäßig und wurden vor allem in den Südstaaten und hauptsächlich aus rassistischen Motiven verübt. Fritz Langs Schilderung eines Lynchmords verzichtet auf politische Konnotationen, erhebt aber dennoch einen sozialkritischen Anspruch und stellt als solche eine für ihre Zeit durchaus gewagte und ambitionierte Produktion dar. Beim ersten Film des Migranten in den USA zeigte sich die federführende MGM entweder vom deutschen Portfolio Langs beeindruckt oder gestand dem Neuling aus anderen Gründen künstlerische Freiheit zu, denn in den Katalog meist eher seichter MGM-Filme passte „Blinde Wut“ eigentlich nicht.

Obwohl Lang erst noch Fuß in der amerikanischen Filmbranche fassen und die Möglichkeiten von US-Studios, die jene in Europa weit überschritten, entdecken musste, präsentiert sich „Blinde Wut“ bereits technisch absolut ausgereift. Der Film lädt nicht nur zur Analyse verschiedener Kameraeinstellungen ein (z.B. jener aus der Perspektive des aufgescheuchten Mobs oder der Verwendung von Filmmaterial und Standbildern während der Gerichtsverhandlung), sondern weist auch einen überaus pointierten Schnitt auf, der vor der Verwendung bissiger Symbole nicht zurückschreckt. So zeigt eine überaus gelungene Passage, die im örtlichen Frisörgeschäft beginnt, die gefährlich schnelle Verbreitung unfundierter Gerüchte und setzt tratschende Frauen in einem humorvollen Parallelschnitt mit gackernden Hühnern gleich. Solche gelegentlichen amüsanten Momente nehmen dem Film jedoch nichts von seiner emotionalen Wucht, die dank der guten Hauptdarsteller und ihrer ausweglosen Situationen stets das vordergründige Interesse bleibt. So fiebert man zunächst mit Joe Wilson mit, der vom Lynchmob ermordet zu werden droht, und schließlich mit seiner Freundin Katherine, die ihn für tot hält und eine Verurteilung der Gesetzesbrecher erwartet.



In der ersten Filmhälfte sind die Positionen von tragischem Held und abstoßenden Antihelden klar verteilt. Lang war sich der Eindeutigkeit dieses Handlungsteils vollauf bewusst und inszenierte die Liebe zwischen Joe und Katherine, Joes Verhaftung und das sich anbahnende Drama in straffer Vorgehensweise, die Tempo und Spannung vermittelt. In den zweiten Teil hingegen kehrt durch Joes heftigen Gesinnungswandel ein ambivalenterer Tonfall ein, der sich zudem auch aus der Frage ergibt, ob den Mob-Beteiligten zu Recht oder zu Unrecht der Prozess gemacht wird. Zwar sind sie des Mordes nicht schuldig, weiße Westen haben sie deshalb aber noch lange nicht. Soll nur ein glücklicher Zufall sie vor der Todesstrafe retten, wo sie doch in der dezidierten Absicht handelten, einen Menschen zu töten? Diese Fragen sorgen für ein teilweise längeres Verweilen bei einzelnen Filmfiguren, ihren Gedanken und ihrer Rolle in jenem unrühmlichen Vorfall, ohne dabei den Gerichtsprozess unnötig auszubremsen. Klar ist aber, dass hier eine Konzentration auf wesentliche moralische Fragen vonnöten ist, sodass Nebensächlichkeiten wie der wahre Schuldige im Entführungsfall oder der Grund, warum Bruder Tom auf einmal Joes Mantel trägt, zurecht ausgeblendet werden.

Dass Spencer Tracy mit Langs autoritärem Regiestil nicht zurechtkam und das Verhältnis zwischen den beiden Filmschaffenden während des Drehs daher getrübt war, merkt man dem fertigen Streifen nicht an. Tracy vermittelt ausgezeichnet die kindlich-gutmütige Naivität seiner Rolle, die in eine bittere Rachsucht und schließlich eine Läuterung aus Vernunftgründen umschwingt. Auch Sylvia Sidney agiert auf dem hohen Niveau, das man von ihren weiteren Lang- und Hitchcock-Auftritten gewöhnt ist. Ihr markantes Gesicht wird mehrfach in enormer Großaufnahme gezeigt, wenn sie Schreckens- oder Erkenntnismomente durchlebt. Ihre Gefühle nehmen dann effektiv die ganze Leinwand ein. Auch die weniger angenehme Erregung der Lynchmörder, ihre schiere Lust daran, Teil einer wütenden Meute zu sein und sich über Recht und Ordnung zu erheben, kommt in abstoßender Deutlichkeit zum Tragen. Bruce Cabot gibt den entsprechend verschlagenen Rädelsführer, der ganz im Stile einer totalitären Rhetorik Leute aufstachelt und gegeneinander aufhetzt. Auch Walter Abel als verhältnismäßig junger Staatsanwalt überzeugt; für ihn ist der Prozess wegen der Verschwiegenheit der Zeugen, in der sich auch nachträglich noch großer sozialer Druck bemerkbar macht, harte Arbeit, aber zugleich eine Sternstunde, die er genüsslich vor den Radiomikrofonen, welche den Prozess landesweit übertragen, auskostet.

Lang ist mit „Blinde Wut“ ein sehr beeindruckendes Plädoyer gegen Hass, Gruppenzwang und Vergeltung gelungen, das heute noch die gleiche emotionale Bandbreite abruft wie zur Entstehungszeit, obwohl das Phänomen der Lynchmorde, das der Film thematisiert, mittlerweile der Vergangenheit angehört. Filmisch exzellent zusammengestellt und auf die Schultern hervorragender Darsteller gelegt, trifft der Film den schmalen Grat zwischen Sozialdrama, Gerichtskrimi und Romanze. 5 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

24.03.2019 23:10
#444 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #442
Aus der US-DVD-Reihe "Fox Film Noir", in der "Boomerang" schon 2006 erschienen ist, gibt es darüber hinaus noch einige vielversprechende Titel, die man dringend unter die Lupe nehmen müsste, weil sie hier noch gar nicht angesprochen worden sind, z.B.
  • "I Wake up Screaming" (1941, R: H. Bruce Humberstone, D: Betty Grable, Victor Mature, Carole Landis)
  • "Nightmare Alley" (1947, R: Edmund Goulding, D: Tyrone Power, Joan Blondell, Coleen Gray)
  • "Dangerous Crossing" (1953, R: Joseph M. Newman, D: Jeanne Crain, Michael Rennie, Casey Adams)
  • "Black Widow" (1954, R: Nunnally Johnson, D: Ginger Rogers, Van Heflin, Gene Tierney)



Das sind sehr schöne Anregungen, denen ich gerne nachgehen werde. Vorher gibt es aber erstmal einen Bericht zu einem Genre-Vertreter, den du unlängst vorgestellt hast...


Einer weiß zuviel (Woman On The Run, USA 1950)

Regie: Norman Foster

Darsteller: Ann Sheridan, Dennis O'Keefe, Robert Keith u.a.



Film Noir Nummer 103:


Ein Mann wird eines Abends Zeuge eines Mordes. Als er sich der Schutzhaft der Polizei entzieht, wendet sich die Polizei an dessen Ehefrau. Diese zögert jedoch zunächst, der Polizei zu helfen. Mehr Überzeugungsarbeit weiß der Journalist Danny zu leisten. Gemeinsam begeben sie sich auf die Suche...

Eine ungewöhnliche und im Ansatz allemal reizvolle Story präsentiert "Einer weiß zuviel". Der in der Eingangssequenz dargestellte Mord hinterlässt nicht nur Fragen im Hinblick auf die Täterschaft und weckt so die Neugier des Publikums. Da in der Folge nicht der Zeuge des Verbrechens, sondern seine Ehefrau zur Hauptfigur wird, steht der Film vor der Aufgabe, diese hinreichend interessant zu machen, damit das Publikum ihrer Suche nach dem Ehemann bereitwillig folgt. Das gelingt zunächst gut. Bei ihrer Befragung durch die Polizei deutet sich an, dass es in der Beziehung nicht zum Besten steht und der Ehemann sie möglicherweise verlassen wollte. Dennis O'Keefe, der den Journalisten verkörpert, scheint als Ersatz bereit zu stehen, falls Ann Sheridan den Film-Ehemann nicht wird finden können. Trotz vieler Außenaufnahmen fehlt es dem Mittelteil, in dem sich Sheridan und O'Keefe intensiv an die Suche machen, jedoch ein wenig an Zugkraft, um das Interesse an der Handlunng durchgängig aufrechtzuerhalten. Für Entschädigung sorgt dann aber das gelungene Finale. Dieses wartet zum einen mit einer mehr oder weniger großen Überraschung im Hinblick auf die Täterschaft auf. Zum anderen wird der Schauplatz, eine Kirmes, für den finalen Kampf zwischen Sheridans Film-Ehemann und dem Täter höchst effektiv eingesetzt. Während die beiden kämpfen, muss Sheridan auf der Achterbahn hilflos zuschauen. Angesichts der qualitativ hochwertigen Konkurrenz im Genre ist "Woman On The Run" dennoch alles in allem nur Durchschnitt.


"Einer weiß zuviel" beginnt vielversprechend und wartet mit einem überzeugenden Finale auf. Dazwischen weiß der Film aber nicht durchgängig zu überzeugen. 3,5 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

05.04.2019 23:00
#445 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Die Spinne (Black Widow, USA 1954)

Regie: Nunnally Johnson

Darsteller: Van Heflin, Gene Tierney, George Raft, Ginger Rogers u.a.



Film Noir Nummer 104:


Der erfolgreiche und glücklich verheiratete Theaterproduzent Peter lernt auf einer Party die junge Drehbuchautorin Nancy kennen. Da Peters Frau verreist ist, um ihre Mutter zu pflegen und Nancy vorgibt, sich einsam zu fühlen, lädt Peter sie zum Essen ein, ohne weitere Absichten zu hegen. Die beiden halten Kontakt. Eines Tages wird Nancy erhängt in Peters Wohnung aufgefunden...

Bunte Bilder, Cinemasope, Whodunit - nicht unbedingt die typischen Noir-Ingredenzien und dennoch ist dieser Thriller von Nunnally Johnson (Drehbuch zu "Gefährliche Begegnung" u.a.) aus dem Jahre 1954 sehenswert. Dafür sorgt schon die mit Noir-Veteranen gespickte Besetzung. Hauptdarsteller Van Heflin wirkte in "Die seltsame Liebe der Martha Ivers" mit. Genre-Ikone Gene Tierney war zur Produktionszeit trotz ihres noch jungen Alters wohl schon über den Zenit ihrer Karriere hinaus, ihr Part als Peters Ehefrau fällt entsprechend kleiner aus als Rollen in vorangegangenen Noir-Beiträgen. Sichtlich gealtert ist auch George Raft, der etwa im Prä-Noir "You and Me" von Fritz Lang als Hauptdarsteller mit von der Partie war und hier durch eine engagierte Darbietung als Ermittler überzeugt.

Nach der kurzen Einführung schildert Peter zunächst in Rückblenden Nancys letzte Monate bis zum Tod, anschließend stehen die Ermittlungen im Vordergrund. Peter stellt sich mit seinen entschiedenen Zweifeln an einem etwaigen Selbstmord Nancys scheinbar selbst ein Bein, gerät er doch schnell selbst in Verdacht. Eine Affäre zwischen Nancy und ihm steht im Raum. Hat Nancy ihn unter Druck gesetzt und wurde so Opfer eines inszenierten Selbstmords? Trotz der vordergründigen Verdachtsmomente gelingt es Van Halen, die Sympathien der Zuschauer auf sich zu ziehen, weswegen man hofft, dass er nicht hinter Nancys Tod stehen mag. Hinten raus kommt es denn zu einer durchaus überraschenden Auflösung, für die sich Regisseur Johnson beinahe ein wenig viel Zeit lässt. Angesichts der Farbe und des Breitbild-Formats hätten dem Film mehr Außenaufnahmen von New York sicher nicht geschadet. Statt dessen spielt sich das Geschehen ganz überwiegend in den Wohnungen der Hauptfiguren auf, was für wenig optische Abwechslung sorgt. Davon abgesehen handelt es sich um einen gelungenen Kriminalfilm, bei dem man bedenkenlos einen Blick riskieren kann.


Spät-Noir in Farbe und Breitbildformat, der aus den technischen Möglichkeiten zwar zu wenig herausholt, inhaltlich und darstellerisch indessen solide Krimi-Unterhaltung bietet. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

14.04.2019 20:30
#446 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Danke für diesen interessanten Einblick in einen der wenigen Farb-Noirs, die immer eine ganz besondere Wirkung ausüben.



The Chase

Thriller, USA 1946. Regie: Arthur Ripley. Drehbuch: Philip Yordan (Romanvorlage „The Black Path of Fear“, 1944: Cornell Woolrich). Mit: Robert Cummings (Chuck Scott), Michèle Morgan (Lorna Roman), Steve Cochran (Eddie Roman), Peter Lorre (Gino), Lloyd Corrigan (Emmerrich Johnson), Jack Holt (Commander Davidson), Don Wilson (Fats), Alexis Minotis (Lieutenant Acosta), Nina Koshetz (Madame Chin), Jimmy Ames (Messermörder) u.a. Uraufführung (USA): 17. November 1946. Eine Produktion von Nero Films für United Artists.

Zitat von The Chase
Ein Zufall spielt dem aufrichtigen Ex-Soldaten Chuck Scott eine neue Anstellung als Chauffeur des Gangsterbosses Eddie Roman in die Hände. Roman, ein gewissenloser Mörder, ist mit „Scottys“ Diensten zufrieden, bis er erfährt, dass sein Fahrer und seine Frau sich in einander verliebt haben und gemeinsam nach Havanna fliehen wollen. Kaum in der fremden Stadt angekommen, stirbt Lorna Roman in den Armen von Chuck Scott – an einem Messer, das dieser kurz zuvor selbst gekauft hatte. Dass es sich nur um eine ausgetüftelte Falle handelt, um Lorna zu beseitigen und Scott zu belasten, ahnt die Polizei nicht. Und auch Scott erlebt noch mehrere Überraschungen ...


„The Chase“ ist ein eher unbekannter Noir von einem unbekannten Regisseur, der in der Hauptsache für Kurzfilme verantwortlich zeichnete. Nichtsdestoweniger erfüllt die vorliegende Produktion, die in Deutschland nie zur Aufführung kam, in Bezug auf Ausstattung und Inszenierung auch hohe Ansprüche, wenngleich ihre inhaltliche Struktur etwas gewöhnungsbedürftig ausfällt. Während Zuschauer, die Gefallen an „The Chase“ gefunden haben, betonen, dass es sich um ein frühes Beispiel nichtlinearer Erzähltechnik handelt, führen kritischere Stimmen an, der Film sei verwirrend und die Auflösung eine faule Ausflucht aus einer allzu vertrackten Situation. Tatsächlich kann man festhalten, dass sich der Plot in den ersten zwei Dritteln sehr stringent und interessant entwickelt, bevor er dann eine unvorhergesehene und durchaus auch Erklärungen schuldig bleibende Wendung nimmt. Dies eröffnet ein weites Feld der Spekulation über den eigentlich harmlos-sympathisch wirkenden Helden Chuck Scott, bei dem es sich – typisch für Noirs aus dem Jahr 1946 – offenbar um einen psychisch labilen Kriegsveteranen mit entsprechenden Neurosen handelt. Ripleys Film enthüllt im letzten Drittel nicht nur die Gedankenfragmente des Handlungsträgers, sondern überträgt sie in einer unzusammenhängenden Schilderung mittels interessanten Zeitebenenspiels auch auf das Publikum.



Entwickelt sich Robert Cummings’ Figur im Laufe des Films auf diese zwiespältige Weise weiter, so besteht dieser Bedarf bei seinem von Steve Cochran verkörperten Gegenspieler nicht. Cochran porträtiert den Alpha-Gangster Eddie Roman von Anfang bis Ende als kompromisslosen Ego- und Sadisten, dem es Freude bereitet, sein Umfeld zu kontrollieren, malträtieren und terrorisieren. Ein eher amüsanter Ausdruck dieses Kontrollzwangs ist die Apparatur in seinem Wagen, mit der er vom Rücksitz aus seinem Chauffeur die Geschwindigkeitsregelung abnehmen kann und diesen so in lebensgefährliche Situationen bringt. Frauen, die sich in Eddie Romans Abhängigkeit begeben haben, werden eingesperrt und geschlagen; seine „Geschäftspartner“ nötigenfalls auf brutale Weise getötet. Insbesondere die Szene im Weinkeller, in der Roman seinen Hund auf einen widerspenstigen Komplizen loslässt und dessen Blut von einer zerbrochenen Weinflasche symbolisiert wird, lässt dem Zuschauer kalte Schauer über den Rücken laufen. Momente wie diese zeigen auch, dass „The Chase“ ein Film der gelungenen Atmosphären und Bildeindrücke ist, was von den sehr aufwendig gestalteten Sets und ansprechenden Lichtstimmungen immer wieder unterstrichen wird.

Neben den starken Performances von Cummings und Cochran bleiben für andere Darsteller nur kleinere Parts übrig. Ursprünglich hätte Eddie Romans Frau Lorna nicht von Michèle Morgan, sondern von Joan Leslie verkörpert werden sollen. An ihrer Stelle verleiht die französische Schauspielerin, die auch in der 1959er-Verfilmung von „Menschen im Hotel“ zu sehen war, unterwürfig bittenden und wehmütig romantischen Momenten die angemessene Inbrunst, ist in ihrer Rolle aber freilich sehr passiv angelegt. Auch Peter Lorre bekommt in einem typischen Handlangerpart nicht wirklich viel zu tun; immerhin bereichert er die Handlung ebenso wie Nina Koshetz als stimmiges Charaktergesicht. Was die Rollen von Lorre und Koshetz darüber hinaus verbindet, ist ihr jeweils sehr unrühmliches Ende als Kollateralschäden eines größeren Plans – in solchen Momenten zeigt sich nicht nur die Kompromisslosigkeit des auf einem Cornell-Woolrich-Roman basierenden Films, sondern auch der Grund dafür, warum man die Schwarze Serie schwarz nennt ...

Mit sehr gutem Händchen für eine Kombination leichtherziger und klaustrophobisch-beklemmender Momente, aber einer etwas unklaren Umsetzung der komplexen Handlungsstruktur präsentiert sich „The Chase“ als ein Noir der großen Unsicherheiten und der in bemerkenswerte Szenen gegossenen Traumbilder. Cummings und Cochran agieren souverän als interessante Persönlichkeiten mit Schattenseiten. 4 von 5 Punkten.

Stroheim Offline




Beiträge: 170

09.05.2019 09:34
#447 Sammelthread "Film Noir" - Pushover (1954) Zitat · Antworten

´
Hab mir die Noir Box II von Columbia Pictures im Bildanhang (fünf Filme auf 5 DVDs) seinerzeit vor allem wegen 'Nightfall' (Regie Jacques Tourneur, 1957) & 'Human Desire' (Fritz Lang, 1954) zugelegt.

Absolut sehenswert ist in meinen Augen jedoch auch 'Pushover' von Richard Quine, welcher ebenfalls 1954 in die Kinos kam.
Mit Fred MacMurray in der Rolle eines kriminellen Cops, der Gangsterliebchen Kim Novak, damals gerade 21 Jahre alt, nachstellt.


Kurzer Trailer: https://www.youtube.com/watch?v=mYUO8T8oQrs

Und eine Kritikerstimme: https://davidnilsenwriter.com/2015/06/10/pushover-1954/

...... |addpics|7mg-w-9f48.jpg|/addpics|

Ray Offline



Beiträge: 1.930

10.06.2019 14:08
#448 RE: Sammelthread "Film Noir" - Pushover (1954) Zitat · Antworten

Berlin-Express (Berlin Express, USA 1948)

Regie: Jacques Tourneur

Darsteller: Robert Ryan, Merle Oberon, Paul Lukas u.a.



Film Noir Nummer 105:


Personen unterschiedlicher Nationen und mit verschiedenen Beweggründen besteigen einen Zug in Frankreich, der durch das besetzte Deutschland bis nach Berlin fahren soll. Kurz vor Frankfurt wird der Friedensaktivist Dr. Bernhardt, dem eine Schlüsselrolle bei Gesprächen über ein vereinigtes Deutschland zugeschrieben wird, vermeintlich von einer Bombe getötet. Nachdem die Passagiere in Frankfurt verhört werden, stellt sich schnell heraus, dass der Tote gar nicht Dr. Bernhardt ist, sondern sein Leibwächter. Dr. Bernhardt hat sich für einen anderen ausgegeben. Doch der Aktivist ist weiterhin nicht sicher, denn die feindlichen Kräfte sind gut vernetzt...

Dieser unter der Regie von Jacques Tourneur ("Katzenmenschen", "Goldenes Gift") inszenierte Spionage-Krimi war der erste amerikanische Film im Europa der Nachkriegszeit. Entsprechend filmhistorisch wertvoll ist das Material, das dem Zuschauer geboten wird. Die Bilder vom zerbombten Frankfurt und Berlin beeindrucken und wirken nach. Aber nicht nur in Berlin und Frankfurt, sondern auch in Paris wurde gedreht und dabei die zentralen Sehenswürdigkeiten mitgenommen. Dazu gibt es hochatmosphärische Bahnhofs- und Zugimpressionen, die für Nostalgiker einiges zu bieten haben. Die Story ist überdies keinesfalls schlecht. Natürlich kann man mit dem Kritiker bei der-film-noir.de fragen, warum Dr. Bernhardt nun tatsächlich so zentral für die Frage eines vereinigten Deutschlands ist. An dieser und anderen Stellen bleibt sicherlich manches dunkel, letztlich fungiert der Aktivist als ein MacGuffin, der im Laufe der Handlung vermeintlich getötet, entführt und am Ende nochmals angegriffen wird. Robert Ryan, ein Bekannter im Genre und sonst auf Schurken gebucht ("Im Kreuzfeuer", "Wenig Chancen für morgen"), darf ausnahmsweise mal eine sympathische Figur verkörpern. Der Film ist nicht zuletzt durch die wechselnden Schauplätze sehr kurzweilig. Das Finale kann zudem mit einer hoch spannenden Suspense-Sequenz im Zug aufwarten, in der Ryan im Spiegel eines vorbeifahrenden Zuges sieht, wie nebenan ein Mordanschlag auf Dr. Bernhardt verübt wird. Ob er rechtzeitig zur Hilfe kommen kann, soll an dieser Stelle nicht verraten werden. Inhaltlich ist "Berlin-Express" zwar mehr Spionagekrimi als Noir, aber das stört nicht wirklich. Spürbar sind freilich die leicht propagandistischen Tendenzen und das bemüht friedvolle Ende, allerdings kann man auch darüber weitgehend hinwegsehen. In Deutschland kam der Film übrigens erst 1954 und in einer gekürzten und stark entpolitisierten Version in die Kinos. Glücklicherweise wurde 2001 eine neu synchronisierte Fassung im deutschen Fernsehen ausgestrahlt, die auch Grundlage für die deutsche DVD ist.


"Berlin-Express" bietet effektvolles Spannungskino im Nachkriegsdeutschland. Bilder aus zerbombten Städten (Frankfurt, Berlin) sind interessante Zeitdokumente und sorgen für eine bedrückende Atmosphäre. 4,5 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

21.07.2019 00:40
#449 RE: Sammelthread "Film Noir" - Pushover (1954) Zitat · Antworten

Die lange Nacht (The Long Night, USA 1947)

Regie: Anatole Litvak

Darsteller: Henry Fonda, Vincent Price, Elisha Cook Jr., Ann Dvorak, Barbara Bel Geddes u.a.



Film Noir Nummer 106:


Kriegsveteran Joe Adams (Henry Fonda) erschießt in seiner Mietwohnung den Magier Maximilian. Umgehend rückt die Polizei an, doch Joe denkt nicht daran, sich zu ergeben...

Anatole Litvak ("Du lebst noch 105 Minuten") inszenierte 1947 dieses Krimidrama mit auf dem Papier beachtlicher Besetzung. Dem Regisseur gelingt dabei eine sehr ordentliche Einführung in den Film. Schon nach wenigen Momenten sieht man den von Vincent Price gespielten Magier aus Joes Wohnung fallend das Treppenhaus hinunterpurzeln. Zwangsläufig drängt sich die Frage nach dem Motiv auf. Während der sich anschließenden Belagerung beginnt Joe über sein Handeln zu refeklektieren. Im Wechsel zur fortlaufenden Handlung um die Belagerung wird nun in Rückblenden erzählt, wie es zu Joes Tat kam. Inhaltlich entpuppt sich der Film als Vierecksgeschichte, denn Joe und der Magier Maximilian teilten sich zwei Frauen. Zum einen die Bardame Charlene, zum anderen das Blumenmädchen Jo Ann. Mit dem bodenständigen Joe auf der einen und dem selbstherrlichen Magier auf der anderen Seite prallen gewiss zwei Welten aufeinander. Auch die beiden Damen unterscheiden sich in offensichtlicher Art und Weise. Gleichwohl vermag die Story nicht recht zu zünden, was einerseits an den eindimensiionalen Figuren, andererseits an dem nicht durchweg überzeugenden Spiel der Darsteller liegt. Die Figur des Blumenmädchens ist arg naiv ausgestaltet, zudem bleiben sowohl die sie verkörpernde Barbara Bel Geddes als auch Ann Dvorak in der Rolle der Bardame Charlene blass, was für einen Noir grundsätzlich und in einem derartigen Beziehungsdrama erst recht schlechte Voraussetzungen sind. Henry Fonda müht sich, vermag das Publikum aber auch nicht recht auf seine Seite zu reißen. Vincent Price sieht mit seinen an den Seiten weiß gefärbten Haaren nicht nur optisch gewöhnungsbedürftig aus, er agiert mitunter auch so. Rein handwerklich ist Litvak wenig vorzuwerfen, seine Inszenierung genügt den Noir-Standards allemal. Jedoch vermag dieser Umstand über die dargelegten Schwächen nur bedingt hinwegzutrösten.

Ordentlich fällt dagegen die DVD-Veröffentlichung von Polarfilm aus, welche die deutsche und die um einige Minuten längere englische Fassung enthält und eine solide Bildqualität aufweist.


Handwerklich ordentlicher, inhaltlich und darstellerisch aber eher unbefriedigender Vertreter der Schwarzen Serie. Noch 3 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

01.08.2019 00:14
#450 RE: Sammelthread "Film Noir" - Pushover (1954) Zitat · Antworten

Zwischen Frauen und Seilen (Champion, USA 1949)

Regie: Mark Robson

Darsteller: Kirk Douglas, Arthur Kennedy, Marilyn Maxwell u.a.



Film Noir Nummer 107:


Über Umwege gelingt es dem mittellosen Midge Kelly, im professionellen Boxsport Fuß zu fassen. Doch hat er es dort nicht nur im Ring mit Gegnern zu tun. Auch wird er von schönen Frauen umgarnt und von einflussreichen Boxpromotern zu Manipulationen gedrängt...

Das Boxermilieu ist ein durchaus gern gesehenes im klassischen Film Noir. Schon Robert Siodmaks "Die Killer" präsentierte eine (ehemals) boxende Hauptfigur, auch Filme wie "Ring frei für Stoker Thompson" mit Robert Ryan oder "Jagd auf Millionen" mit John Garfield sind in diesem Milieu angesiedelt. Und dies verwundert nicht, steht doch der Boxsport wie kaum eine andere Disziplin für wahr gewordene (Männer-)Träume und die Chance, wahrhaft vom Tellerwäscher zum Millionär zu werden. Als ein solcher Tellerwäscher verdingt sich Midge Kelly, gespielt von Kirk Douglas, zu Anfang des Films. Nach einer kleinen Vorwegnahme des Finales, in der man Kelly anlässlich eines großen Kampfes in den Ring steigen sieht, bekommt das Publikum in Rückblicken den Weg Kellys vom Tellerwäscher zum umjubelten Boxchampion geschildert. Als große Pluspunkte des Films erweisen sich dabei die Inszenierung Mark Robsons sowie die Darbietung von Kirk Douglas. Robson gelingt es, epische, kontrastreiche Bilder einzufangen. Die Kampfszenen strotzen nur so vor Dynamik und sind für die damalige Zeit bemerkenswert schnell geschnitten. Kirk Dougles spielt wie zwei Jahre später in Billy Wilders "Reporter des Satans" einen von der Gier nach Ruhm Getriebenen. Körperlich topfit, liefert er ein höchst glaubhaftes und mitreißendes Porträt eines aufsteigenden Boxers innerhalb wie außerhalb des Rings ab. Abgesehen von den Betrügereien im Boxsport steht der kriminalistische Aspekt zwar eher hinten an, aber darüber kann man weithin hinwegsehen, offerieren die Figuren, Erzählweise, Atmosphäre, Inszenierung und Dramaturgie doch sehr viel, was man sich von einem Film Noir wünscht. Der Film wurde in sechs Kategorien für den Oscar nominiert, gewonnen wurde die begehrte Trophäe allerdings nur in der Kategorie "Bester Schnitt".

"Zwischen Frauen und Seilen" ist hierzulande noch nicht auf DVD und Blu-Ray erschienen. Wer jedoch Interesse am Film hat und auf deutschen Ton verzichten kann, ist mit der spanischen Blu-Ray, die den Film mit Originalton enthält, bestens bedient. Sehr gutes Bild, noch dazu günstig im Preis (aktuell für unter 7€ zu haben).


"Zwischen Frauen und Seilen" gewährt dem Betrachter über den von Kirk Douglas hervorragend verkörperten Boxer Midge Kelly Einblicke in die Licht- und Schattenseiten des amerikanischen Boxsports der 1940er-Jahre. 4,5 von 5 Punkten.

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