Sie sind vermutlich noch nicht im Forum angemeldet - Klicken Sie hier um sich kostenlos anzumelden Impressum 
Forum Edgar Wallace ,...



Sie können sich hier anmelden
Dieses Thema hat 581 Antworten
und wurde 59.472 mal aufgerufen
 Film- und Fernsehklassiker international
Seiten 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | ... 39
Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

23.07.2011 15:23
#31 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten



Spiel mit dem Tode (The Big Clock)

Kriminalfilm, USA 1948. Regie: John Farrow. Drehbuch: Jonathan Latimer (Buchvorlage: Kenneth Fearing). Mit: Ray Milland (George Stroud), Charles Laughton (Earl Janoth), Maureen O’Sullivan (Georgette Stroud), George Macready (Steve Hagen), Rita Johnson (Pauline York), Elsa Lanchester (Louise Patterson), Harold Vermilyea (Don Klausmeyer), Dan Tobin (Roy Cordette), Henry Morgan (Bill Womack), Richard Webb (Nat Sperling) u.a. Uraufführung (USA): 18. März 1948. Uraufführung (BRD): 30. März 1950. Eine Produktion von Paramount Pictures.

Zitat von Spiel mit dem Tode
Beim Shakern mit der verführerischen Pauline verpasst George Stroud den Zug, der ihn mit Frau und Kind in die verspäteten Flitterwochen bringen soll. Aus Ärger über die vergebene Chance, für die er sogar seine Anstellung bei Medienmogul Janoth aufgegeben hat, durchzecht er mit Pauline die Nacht. Am nächsten Morgen wird die Blondine von ihrem Liebhaber Janoth im Affekt getötet, doch die Zeugen der Nacht werden George belasten ...


Über der düsteren Silhouette der Großstadt blendet „Spiel mit dem Tode“ auf und vereint schon in der ersten Sequenz typische Merkmale des Film Noir zu seiner besten Zeit: Die Paramount-Produktion von 1948 zoomt aus der Weite auf das Verlagsgebäude des Earl Janoth auf und schwebt durchs Fenster auf Hauptdarsteller Milland zu, der sich, vor einem Polizisten versteckend, durch das Duster in eine ausgefallene, überdimensionierte technische Apparatur hineinschleicht. Unterlegt mit seinem Erzählerkommentar, steigt man dann in eine lange Rückblende ein, die aufdeckt, wie es zu dieser brenzligen Situation gekommen ist und worum es sich bei all den Regulatoren und Blinklichtern handelt: Es ist „die große Uhr“, die den Zeitrhythmus des Janoth-Konzerns bestimmt und allen Mitarbeitern des übermächtigen Mannes ein straffes Zeitkorsett aufoktroyiert. Sie wird gemeinsam mit der geradlinig-mondänen Gestaltung der Sets über den gesamten Film zum Bildnis der Dominanz des Zeitungskönigs, seiner kalten Berechnungsgabe, seinem unmenschlichen Größenwahn und dem sich daraus ergebenden Resultat, bewundert und gefolgt zu werden.

Charles Laughton ging die Hauptrolle des Verlegers mit der ihm eigenen Selbstverliebtheit und Kauzigkeit an, die Welt nach seinen Vorstellungen umformen zu können und dabei keine Rücksichten zu nehmen. Seine Genauigkeit und die monotone Stimme eines Mannes, der sich seine Freuden nur erkaufen kann, unterstreichen den egozentrischen Charakter Earl Janoths. Er steht mit seiner Auffassung allerdings nicht allein: Auch Margaret O’Sullivan als nervige und ständig nörgelnde Ehefrau nagt an George Stroud – sie versteht sich ebenfalls als Mittelpunkt allen Geschehens, bringt ihren Mann durch Vorwürfe und Verdächtigungen erst in seine verzweifelte Lage, spielt den Mördern damit in die Hände und versucht schließlich sogar, George in einer lebensgefährlichen Situation zu belehren und zu bevormunden. Dass man George Stroud so übel mitspielt, spornte Ray Milland zu erneuten Bestleistungen in der Hauptrolle an:

Zitat von Joseph D’Onofrio: The Big Clock – TCM Turner Classic Movies, Link
But it was Ray Milland who received top billing in The Big Clock, a rather ironic turn of events considering that Laughton once helped Milland as a struggling young actor in a supporting role in Payment Deferred (1932). If anything was made of this Hollywood twist of fate, it doesn’t show in the final product. The two men work well together and Milland is, as always, the consummate professional. We feel his confusion and anxiety as a man who misses a train and has a fateful, soon-to-be disastrous meeting. A meeting which leaves him a man on the run, desperate to clear himself of murder. Born Reginald Alfred John Truscott-Jones, the official word on how he changed his name to Milland confirms that he took it from his stepfather’s surname, Mullane. But the Hollywood version of the facts is more interesting: He took the name Milland because of his fond memories of the mill lands in his home area of Neath in Wales.


Neben aller Ernsthaftigkeit und den teils widerwärtigen Charakteren lässt „The Big Clock“, der später unter dem Titel „The Judas Picture“ beworben wurde, auch eine ganz eigenwillige, schrullige Art Humor nicht vermissen. Elsa Lanchester, übrigens mit Charles Laughton verheiratet, bringt in die Rolle einer „total verrückten“ Künstlerin für ihre kurze Screentime erstaunlich viel Esprit. Dass die Komik nicht die Oberhand gewinnt, liegt einerseits an den zwei überaus realistischen Todesszenen, wobei sich die „Mordinstrumente“ – eine Sonnenuhr und ein Fahrstuhlschacht – metaphorisch ins Gesamtbild einfügen, andererseits aber auch an dem aufwendigen Finale. Im hermetisch abgeriegelten Gebäude der Janoth Publications kommen noch einmal Stil und Niveau des John-Farrow-Films in Form der atemberaubenden Architektur, des engmaschigen Handlungsgeflechts und der auffälligen Kostüme der Oscar-Preisträgerin Edith Head zu bester Geltung. Der spannende Kreis, den „The Big Clock“ schlägt, schließt sich wieder, als George Stroud die große Uhr betritt. Wie er dann das monströse Wunderwerk zum Stehen bringt, ist laut Film-Noir-Enzyklopädie ein deutliches Zeichen für die „Prophezeiung seines endgültigen Siegs über Widersacher Janoth“. Tatsächlich soll es nicht mehr lang dauern, bis der geplante Sündenbock den Magnaten mit einem verwegenen Trick und gesunder Menschenkenntnis demontieren und einer gerechten Strafe zuführen kann.

5 von 5 Punkten. Es sind allerdings 5 Punkte, die sich nicht direkt während der Filmsichtung manifestieren, sondern erst beim Nachdenken über die makellose Stilistik der „großen Uhr“ erschließen. Inhaltlich ist der Film dafür an einigen Stellen vielleicht etwas wagemutig – darüber lassen die von Laughton abgesehene Optik und die wie immer bestechende Leistung Ray Millands aber leicht hinwegsehen.

PS: Erwähnen möchte ich die gelungene DVD-Aufarbeitung von Koch Media. Wie auch bei den anderen Film-Noir-DVDs mit exzellentem Bild, dieses Mal aber sogar mit zwei deutschen Synchronisationen und US-orientiertem closed captioning für den O-Ton.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

24.07.2011 15:16
#32 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

BEWERTET: "Spiel mit dem Tode" (The Big Clock), USA 1948



Die Welt der Zeitungsmacher eignet sich in mannigfaltiger Weise für eine filmische Umsetzung, wie schon „Citizen Kane“ (1941) beweist.

Zitat von Booklet zur DVD „Film Noir Collection 2“ von Koch Media
Die titelgebende „Große Uhr“ ist rein metaphorisch: Mal meint sie das sich ewig drehende Schicksalsrad, mal die Mechanik des kapitalistischen Betriebs. Der Film nimmt den Begriff wörtlich und macht ihn real. Die gigantische Weltzeituhr, die er präsentiert, ist der Herzschrittmacher von Janoths Imperium, sie ist der Taktgeber des „Zeit ist Geld“-Systems. Der Zeitschriftenkonzern ist im Film vollends zum Abbild der (kapitalistischen) Welt geworden: Wie die brillante Aufzugsfahrt-Szene zu Beginn zeigt, gibt es keinen Bereich des Lebens, der von diesem System nicht erfasst, abgedeckt, eingenommen und kommerzialisiert wurde.


John Howard Reid schreibt folgendes in seinem Buch:

Zitat von John Howard Reid: „Mystery, Suspense, Film Noir and Detective Movies on DVD“, S. 448
Director John Farrow has handled the movie with such a sure hand, making such instinctively artful use of his players, his camera and his sets, that many (including myself) regard it as his best film. He himself, however, told me that he preferred another film in which he worked with screenwriter Latimer and actor Milland, ‚Alias Nick Beal’.

Zitat von Knut Hickethier: Filmkunst und Filmklassik „Citizen Kane“ in Fischers Filmgeschichte 2, S. 296
Die Fiktion vom Scheitern der Mächtigen als Trost für die tatsächliche Ausweglosigkeit der Ohnmächtigen.


Für einen kurzen Augenblick soll das Publikum im Glauben gelassen werden, ein einzelner Mensch (auf der Leinwand ist es zumeist ein männlicher Angehöriger dieser Spezies) könne gegen die Macht eines Trusts, einer Partei, einer wirtschaftlichen oder staatlichen Organisation vorgehen und den Kampf gewinnen, weil er besser, moralischer und edler sei als der Machtinhaber. Deshalb wurden für die Umsetzung von Kenneth Fearings Buch wichtige Änderungen vorgenommen: Ist George Stroud im Roman ein notorischer Fremdgänger, der mit der bisexuellen Pauline York eine Affäre hat, so bleibt der Familienvater im Film sauber, um die Identifikation durch den Zuseher nicht zu gefährden. Ray Milland stemmt den anspruchsvollen Part mit Leichtigkeit und hält die Balance zwischen arbeitsbesessenem Reporter, pflichtbewusstem Bürger und Mordverdächtigem, der jederzeit auf dem Sprung ist. Charles Laughton, der stets eine gelangweilte Miene zur Schau trägt, weist alle Merkmale des cholerischen, machtverliebten Magnaten auf und braucht keine Actionszenen, um furchteinflößend zu wirken. Sein Abgang am Ende säubert die verkalkten Rohre des Betriebs gründlich wie nach dem Benutzen eines Abflussreinigers. Die weiblichen Figuren reichen von konservativ-traditionell (Georgette Stroud) über extravagant-kumpelhaft (Pauline York) bis unangepasst-exzentrisch (Louise Patterson). Die eleganten Arbeitsbienen im Konzern sind vor allem in den Vorzimmern oder der Modeabteilung tätig, niemals jedoch an den Schaltern der „ernsthaften“ Themen. Die Malerin Patterson stellt somit einen Anachronismus innerhalb des soliden Gefüges dar, was sich auch in der Tatsache manifestiert, dass sie mehrere Kinder von verschiedenen Männern hat.
Der Zuseher wird in den Sog hineingezogen und beobachtet den Bienenstock fasziniert und bewundernd. Welch ein Gefühl, im obersten Stockwerk zu sitzen und alle Fäden in der Hand zu halten! Wünschen wir uns das nicht alle? Glücklicherweise wird aufgezeigt, dass eine solche Position nicht ohne Selbstverleugnung und Aufopferung zu erreichen ist, die bis zum Totschweigen eines Mordes reicht. Wer wird wohl die Nachfolge im Konzern übernehmen? Hoffen wir, dass George Stroud kurz inne hält, bevor er sich wieder wie ein Rädchen ins Uhrwerk der Nachrichtenfabrik einfügt.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.07.2011 18:40
#33 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Das britische Independentlabel Exposure Cinema baut gerade eine interessante Veröffentlichungsreihe von Film Noirs der Regielegende Fritz Lang auf. Zwei Titel sind bereits erschienen, ein weiterer ist angekündigt. Es handelt sich bei allen dreien um recht seltene Filme, die in Deutschland nicht erhältlich sind und in den USA auch nur teilweise in grottiger DVD-R-Form vertrieben werden. Da sind die professionellen Restaurationen aus England ein echter Segen.



While the City Sleeps
• VÖ: 11. Oktober 2010
• USA 1956 | Film Noir | 1.33:1 open matte
• English 2.0 | English HOH subtitles
• Bonus: Extensive stills / poster / pressbook gallery, trailer and collector’s art card
Inhalt: While a serial killer prowls the streets, a newspaper publisher pits his three top newsmen against each other to catch the maniac and scoop the story, but in the ensuing chase the hounds become entangled in professional rivalry and romantic complications – with deadly consequences. – Fritz Lang’s tense, fast-paced Hollywood thriller features an all-star cast including Dana Andrews, Vincent Price, Ida Lupino and Rhonda Fleming.

Beyond a Reasonable Doubt
• VÖ: 18. Juli 2011
• USA 1956 | Film Noir | 1.33:1 open matte
• English 2.0 | English HOH subtitles
• Bonus: Extensive stills gallery, trailer and collector’s art card
Inhalt: Hoping to expose fatal flaws in the legal system, writer Tom Garrett (Dana Andrews, Laura) places a bet that he can have himself convicted of murder on purely circumstantial evidence by planting false clues at a crime scene, before sensationally revealing his trick at the last minute. However, a series of disastrous coincidences leaves him facing execution – and a frantic search for the true killer begins.

Secret Beyond the Door
• VÖ: demnächst (noch kein konkreter Termin)
• USA 1948 | Thriller | 1.33:1 academy
• English 2.0
• Bonus: Stills / poster gallery and collector’s poster card
Inhalt: Fritz Lang’s darkly romantic thriller stars Joan Bennett as Celia, a young and impressionable New Yorker who falls for handsome architect Mark Lamphere (Michael Redgrave), whom she marries in haste. Although all seems blissful at first, mystery seems to surround Celia’s husband: his opulent mansion contains replicas of rooms in which famous murders took place and his previous wife died under suspicious circumstances. Is Celia’s imagination running wild, or does Mark really have a sinister secret – and why is one room always kept locked?

Herstellerwebsite: http://exposurecinema.com/

kaeuflin Offline




Beiträge: 1.259

28.07.2011 22:43
#34 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

"While the City Sleeps" habe ich mir vor ein paar Tagen bestellt - bin mal gespannt...

Mag der Buchswald tot sein, der Buchsgeist lebt weiter!

Happiness IS the road ! (Marillion)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.07.2011 23:34
#35 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Toll, viel Spaß damit - würde mich auch über ein paar Eindrücke zu Film und DVD freuen.

kaeuflin Offline




Beiträge: 1.259

29.07.2011 17:13
#36 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Heute angekommen zusammmen mit Langs Scarlet Street (Straße der Versuchung) 1945 (Odeon DVD) - nur wann ich zu schauen kommen werde, steht noch in den Sternen...

Mag der Buchswald tot sein, der Buchsgeist lebt weiter!

Happiness IS the road ! (Marillion)

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

03.08.2011 15:36
#37 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

FRAU IN NOTWEHR
(USA 1949, Original: The accused)




Der Film ist mehr psychologisches Melodram denn ein handelsüblicher Thriller der damaligen Zeit, konzentriert sich auf die Wandlung einer verklemmten, altjüngferlichen und sexuell frustrierten Professorin an einem College der amerikanischen Westküste, die einen zudringlichen Studenten bei einem Vergewaltigungsversuch erschlägt, zu einer selbstbewussten, attraktiven Frau, die sich verzweifelt bemüht, die Spuren ihres Notwehrverbrechens zu verwischen und der sich immer enger ziehenden Schlinge der polizeilichen Verfolgung zu entgehen, um ein neues Leben beginnen zu können. Man tat dabei gut daran, das Hauptaugenmerk vom wenig raffinierten, unspektakulären und etwas unausgereiften kriminalistischen Plot auf die innere Zerrissenheit, Verunsicherung und die letztendlich daraus resultierende persönliche Entwicklung der Frau zu verlagern. William Dieterles elegante Inszenierung lässt gemeinsam mit dem ausdrucksstarken Spiel von Loretta Young eine psychologische Spannung entstehen, die die kriminalistische in den Hintergrund drängt. Die Schauplätze des Spiels verströmen eine oft heimelige, sommerlich-unbeschwerte Aura und bilden damit einen vortrefflichen Hintergrund, klassische Filmnoir-Elemente wie etwa die nächtliche Flucht vom Schauplatz des Geschehens, der brutale Boxkampf, die Vergewaltigungsszene an der romantisch vom Mond beschienenen Klippe oder das hochdramatische Verhör im Polizeilabor entwickeln durch diesen Kontrast eine noch stimmigere Wirkung, zumal der Regisseur mit Rückblenden und Stimmen aus dem Off arbeitet.

Als Idealbesetzung erweist sich Loretta Young, die mit einer zerbrechlichen Attraktivität berührt und der es gelingt, die widersprüchlichen Aspekte ihrer Verhaltens, die Angst, durch eine gewisse, wenn vielleicht auch uneingestandene Ermutigung des labilen jungen Mannes die Katastrophe mit heraufbeschworen zu haben, Verzweiflung und Resignation, schließlich die Verwandlung vom hässlichen Professorinnen-Entlein in einen schönen, umworbenen Schwan glaubhaft zu gestalten. Robert Cummings, immer verlässlich als rettender Prinz, scheint mir in solchen Rollen meist zu gelackt, sodass ich ihm auch diesmal seine heißen Gefühle nur bedingt abnehme, es wirkt eher, als habe er ein mehr berufliches Interesse an Fall und Frau, großartig Wendell Corey als ermittelnder Beamter, hartnäckig wie ein Bluthund, unerbittlich und doch von einer stoischen Gelassenheit, gleichzeitig voller unterdrückter Gefühle und Eifersucht, sodass man sich fast ein unkonventionelles und für damals unmögliches Ende gewünscht hätte, nämlich, dass die Heldin nicht mit dem Retter, sondern dem Verfolger durchgeht.

Schade, dass es dieses Filmjuwel bisher noch nicht auf DVD gibt.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

06.08.2011 22:40
#38 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

DU LEBST NOCH 105 MINUTEN
(USA 1948, Original: Sorry, wrong number)




Im Mittelpunkt dieses kompakten, durch ungewöhnliche Struktur und Erzählweise fesselnden Thrillers steht ebenfalls eine Frau: Lorena Cotterell, verwöhnte Tochter eines Großunternehmers, mit einem nach ihren Vorstellungen geformten Mann verheiratet, neurotisch und von einer mehr oder weniger eingebildeten Krankheit ans Bett gefesselt, trotz aller Hysterie aber Mitleid erregend. Barbara Stanwycks differenzierte, kraftvolle Darstellung mit Mut zur Hässlichkeit bewahrt ihre Figur davor, dass sie einem trotz aller unsympathischer Wesenszüge auf die Nerven geht und dadurch – was noch schlimmer wäre – gleichgültig wird. Zweiter bzw. heimlicher „Hauptdarsteller“ des Films ist das Telefon, das die von einer großen, immer wieder unterbrochenen Rückblende erzählte Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes vernetzt, Symbol für die bis zum tödlich konsequenten Ende immer weiter hochgeschraubte Spannung.

Der Apparat ist an diesem einsamen Abend, in jenen verhängnisvollen eindreiviertel Stunden, in denen der Film spielt, Lorenas einzige Verbindung zur Außenwelt, bringt ihr zunächst Entsetzen, als sie durch eine Fehlschaltung Zeugin des Mordplanes zweier Männer wird und konfrontiert sie daraufhin in einer langen Reihe von Gesprächen mit verschiedenen, z.T. bereits vergessen geglaubten oder bisher unbekannten Personen mit grausamen Geheimnissen, lange verdrängten Lebenslügen, bitteren Wahrheiten und schließlich der tödlichen Gewissheit, selbst im Fadenkreuz der gedungenen Mörder zu stehen.

Die geschickte Kombination aus Kammerspiel – die trotz Telefons und belebter Nachbarschaft schutzlos ausgelieferte Frau, gefangen im obersten Stockwerk eines weitläufigen, dunklen, verlassenen Hauses, durch das die Kamera gelegentlich wie ein Eindringling schwebt - und den vielen abwechselnden Schauplätzen der Rückblenden (besonders unheimlich die düster-zwielichtigen Aufnahmen von Staten Island) zusammen mit dem raffinierten Aufbau sorgt für eine Sogkraft, der man sich schwer entziehen kann und lenkt zugleich geschickt von manchen zu gewagten Konstruktionen und Vereinfachungen ab (etwa der Tatsache, dass Lorenas alte Freundin und Rivalin jetzt mit jenem Beamten verheiratet ist, der den damals umschwärmten Mann jagt, ungeklärt schien mir auch die Person des am Ende beschworenen Verräters). Burt Lancaster als ehrgeiziger Emporkömmling, dessen Aufbäumung gegen Ehefrau und übermächtigen Schwiegervater zur Katastrophe führt, überzeugt ebenso wie die Darsteller der sorgfältig besetzten, lebendig gestalteten Nebenrollen.

Bedauerlich, dass es auch von diesem Film noch keine adäquate DVD-Veröffentlichung mit der hörenswerten deutschen Synchronfassung gibt. Mir sind noch zwei weitere Bearbeitungen des Stoffes bekannt: die etwas schwerfällig geratene NDR-Fernsehversion von 1962 mit Ingrid Andree, Harald Leipnitz und Siegfried Lowitz, demnächst in der Straßenfeger-Reihe dabei, sowie eine Hörspiel-Bearbeitung des Bayerischen Rundfunks von 1973 mit Erika Pluhar, Klaus Löwitsch, Wolfgang Büttner, Romuald Pekny und neuerlich Siegfried Lowitz, die leider um den Handlungsteil mit Lorenas alter Freundin gekürzt wurde.

Markus Offline



Beiträge: 683

07.08.2011 11:40
#39 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov
Secret Beyond the Door
• VÖ: demnächst (noch kein konkreter Termin)
• USA 1948 | Thriller | 1.33:1 academy
• English 2.0
• Bonus: Stills / poster gallery and collector’s poster card
Inhalt: Fritz Lang’s darkly romantic thriller stars Joan Bennett as Celia, a young and impressionable New Yorker who falls for handsome architect Mark Lamphere (Michael Redgrave), whom she marries in haste. Although all seems blissful at first, mystery seems to surround Celia’s husband: his opulent mansion contains replicas of rooms in which famous murders took place and his previous wife died under suspicious circumstances. Is Celia’s imagination running wild, or does Mark really have a sinister secret – and why is one room always kept locked?


Ergänzung: Für alle Englischkundigen muss das die entscheidende Version sein. Die deutsche TV-Fassung von 1970 ist, äußerst plump, um 20 Minuten gekürzt.

Gruß
Markus

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

07.08.2011 13:09
#40 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Der deutsch-französische Kultursender ARTE hat den Film vor ein paar Jahren in der ungekürzten Fassung (95 Minuten) ausgestrahlt und ich habe ihn aufgezeichnet. Die fehlenden Stellen wurden untertitelt. Auf die stilvolle Synchronfassung mit Rosemarie Fendel auf Joan Bennett und Klaus Kindler auf Michael Redgrave würde ich ungern verzichten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

07.08.2011 13:13
#41 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

@ Jack the Ripper: Ich freue mich, dass Deine sachkundigen und brillant geschriebenen Berichte nun auch den Film-Noir-Thread bereichern. Ein weites Feld, das noch viel Raum für Analysen bietet.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

08.08.2011 16:41
#42 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Vielen Dank für die Blumen Percy, viel zu viel der Ehre , kann das Lob nur zurückgeben.
In der Tat ein weites - und über weite Strecken faszinierendes - Feld.

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

13.08.2011 13:24
#43 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

DAS TODESHAUS AM FLUSS
(USA 1950, Original: House by the river)




Ein etwas in Vergessenheit geratener, selten gezeigter Psychothriller von Fritz Lang, der – zufällig oder beabsichtigt – einige Parallelen zum fünf Jahre zuvor entstandenen „Die Wendeltreppe“ aufweist. Schauplatz ist auch hier eine unbestimmte amerikanische Kleinstadt am Beginn des 20. Jahrhunderts, Übereinstimmungen lassen sich auch an der eher intimen Atmosphäre, den spärlichen und auch bei Tageslicht bedrohlich scheinenden Schauplätzen und am expressionistischen Spiel mit Licht und Schatten ablesen, Fritz Langs aufwühlende Inszenierung holt mit Gespür für psychologische Konflikte und dosiertem Humor aus dem nicht rundum gelungenen Buch das Beste heraus, gleitet nur zum Ende hin, als es gilt, dem Bösewicht seiner gerechten Strafe zuzuführen, in eine zu schwülstig-theatralische Symbolik ab. Man hätte hier durchaus die bereits vorher viel subtiler und treffender eingesetzte Metapher vom majestätischen, alles bestimmenden und verschlingenden Fluss bemühen können.

Das Kriminaldrama handelt im Grunde von zwei ungleichen Brüdern, einem egoistischen, selbstmitleidigen Schriftsteller – von Louis Hayward mit einer glaubhaften Mischung aus Arroganz, Opportunismus und Unterwürfigkeit gespielt –, der bei einem Vergewaltigungsversuch das Dienstmädchen seiner Frau tötet und einem ehrsamen, prinzipienfesten Buchhalter – Lee Bowman, innerlich zerrissen und ob seines Schicksals schließlich lethargisch -, der aus heimlicher Liebe zu seiner Schwägerin dem Bruder bei der Beseitigung der Leiche im nahe gelegenen Fluss hilft. Durch eine Verkettung unglücklicher Umstände gerät der Bruder in Verdacht, das Verbrechen begangen zu haben, während für den wahren Täter der Mord die Initialzündung zu einer erfolgreichen Schriftstellerkarriere wird. Fritz Lang beschränkt die Handlung auf wenige Orte, kontrastiert die auch die Gefühle erdrückende viktorianische Enge der Häuser mit den unheimlichen, weiten Bildern des großen, schmutzigen-trägen Gewässers, das in erstaunlicher Nähe der einsam gelegenen Häuser vorbei fließt. Inmitten dieser Szenerie wirkt die filmteilende Gerichtsverhandlung – sinnigerweise mit einem einäugigen Richter – fast wie ein unpassender Bruch. Jane Wyatt bleibt als Ehefrau der Rolle und der Handlungszeit gemäß eher schmückendes Beiwerk, Jody Gilbert darf als gedrungene, bemutternde Haushälterin des Buchhalters, deren unerwiderte Liebe in Hass umschlägt, beeindruckend aufspielen.

Editiert von Gubanov am 13.08.2011, 13.42 Uhr - Beiträge ab hier in passendes Thema verschoben

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

13.08.2011 13:28
#44 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Der Film hat mich auch schon interessiert (es gibt wohl eine exzellente französische DVD). Aus welchem Grund hast du den Bericht nicht im Film-Noir-Thread gepostet?

Jack_the_Ripper Offline




Beiträge: 388

13.08.2011 13:30
#45 RE: Sammelthread "Film Noir" Zitat · Antworten

Hab ich ehrlich gestanden überlegt, bin aber nicht sicher, ob er wegen seiner Handlungszeit dahin passt.
(Kannst ihn aber bei Bedarf gerne verschieben, danke!)

Seiten 1 | 2 | 3 | 4 | 5 | 6 | 7 | ... 39
 Sprung  
Xobor Einfach ein eigenes Forum erstellen
Datenschutz