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Dieses Thema hat 337 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
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20.02.2020 18:45
#271 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten



Der Alte: Verena und Annabelle

Episode 9 der TV-Kriminalserie, BRD 1977. Regie: Alfred Vohrer. Drehbuch: Karl Heinz Willschrei. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Michael Ande (Gerd Heymann), Krista Keller (Verena Moldau / Annabelle Moldau), Paul Hoffmann (Yves Moldau), Heinz Drache (Walter Preus), Werner Pochath (Harry Fuchs), Günther Tabor (Psychiater), Max Strecker (Waffenhändler), Thomas Braut, Michael Berger u.a. Erstsendung: 27. November 1977. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (9): Verena und Annabelle
Verena Moldau greift bedenkenlos zu einem Likörfläschchen und nimmt einen fatalen Schluck – der Inhalt war vergiftet! In letzter Minute kann sie vom Notarzt gerettet werden, doch die Anschläge auf ihr Leben setzen sich nicht weniger heimtückisch fort. Immer wieder entkommt Verena einem schrecklichen Schicksal. Wer könnte ihr nach dem Leben trachten? Für die Betroffene ist klar, dass nur ihre Zwillingsschwester Annabelle als Mörderin in Frage kommt. Da gibt es nur ein Problem für Kommissar Köster: Annabelle ist seit acht Jahren verschwunden und selbst als Zeugen behaupten, sie in der Stadt gesehen zu haben, kann er ihrer nicht habhaft werden ...


Missglückte Mordanschläge streuen die Verdachtsmomente für gewöhnlich besonders weit: Wer könnte ein Interesse haben, die Zielperson zu töten? Oder täuscht diese als Ablenkungsmanöver lediglich eine Gefahr vor? In dieser Ausgangslage erinnert Alfred Vohrers „Verena und Annabelle“ an Agatha Christies „Das Haus an der Düne“, dessen Bewohnerin Nick Buckley ebenfalls mehrfach nur knapp mit dem Leben davonkommt. Unterstützt wird diese Assoziation durch einen gewissen althergebrachten Charme, der sich aus den überkomplizierten Mord(-versuchs-)methoden – Gift, Starkstrom, durchschnittene Bremskabel, Auftragsmörder –, dem ewigen Scheitern aller Attentate sowie dem Bilderbuchmotiv mitsamt anstehendem Familienerbe ergibt. Ebenso wie Nick Buckley überlebt auch Verena Moldau die Anschläge, die sie aber in einen immer verwirrteren, hysterischeren Zustand versetzen. Die fetzige Krista Keller versteht es mit Inbrunst, alle von ihr verlangten Register zu ziehen und so exaltiert aufzuspielen, dass man ihr Mienenspiel spätestens in der zweiten Hälfte der Folge für ordentlich überkandidelt halten darf.

„Verena und Annabelle“ hätte folglich alles Zeug dazu gehabt, eine Persiflage zu werden. Die alptraumartige, schizoide Stimmung, die durch das phantomartige Feindbild der bösen Zwillingsschwester Annabelle heraufbeschworen wird, verhindert jedoch, dass man über den Fall lacht. Stattdessen werden die Elemente eines Psychothrillers eingestreut und auch konsequent zu Ende verfolgt, wenngleich diese Konsequenz zulasten des Überraschungsfaktors geht, da man den Schluss lange vorher kommen sieht. Man ist jedoch durch einige nette – und äußerst passend besetzte – Nebenhandlungen um Annabelles ehemaligen Liebhaber (Heinz Drache in bester Playboy-Stimmung) sowie einen panischen Contract Killer (Werner Pochath auf Hatz im Parkhaus) reichlich abgelenkt.

Alfred Vohrer arbeitete mit unverhohlenen Schockelementen, schnellen Zooms und soliden Maskentricks, die aus Keller zwei unterschiedliche Charaktere formen, von denen beide auf unheimliche Weise über den Realitäten schweben. Wie auch in anderen Rollen beweist Keller den Mut zu kompromittierenden Szenen, in denen sie als seelisches Wrack nicht zurückhält. Schade ist nur, dass wegen der Abgehobenheit ihrer Rolle nur recht wenig echte Interaktion mit Siegfried Lowitz stattfindet. Dieser ermittelt fast ausschließlich auf der psychologischen Ebene, anstatt ernsthaft zu versuchen, die Hauptverdächtige Annabelle auszumachen – auch seines üblichen Revierumfelds bedient er sich hier eher wenig. Insgesamt wäre der Fall wohl eher etwas für einen Arzt als für einen Polizisten gewesen und passt daher eher schlecht als recht ins ZDF-Sendeschema.

Eine merkwürdige Mischung aus Cozy Mystery und Broken Doll-Motiven tischen die optisch so ähnlichen und charakterlich so ungleichen Schwestern Verena und Annabelle in Gestalt der notorischen Krista Keller auf. Es ist ein Zeichen für Alfred Vohrers exzellente Handwerklichkeit, dass das Rätsel um die Mordanschläge bis zum Ende attraktiv bleibt, obwohl es sehr durchschaubar und gleichzeitig auch konstruiert geriet. 3,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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26.02.2020 16:45
#272 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten



Der Alte: Erkältung im Sommer

Episode 10 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie: Alfred Vohrer. Drehbuch: Oliver Storz. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Anaid Iplicjian (Renate Assenau), Helmuth Lohner (Rolf Assenau), Michael Ande (Gerd Heymann), Christian Quadflieg (Michael Bannert), Jan Hendriks (Martin Brenner), Henning Schlüter (Franz Millinger), Charlotte Kerr (Fernsehmoderatorin), Werner Schnitzer (Fernsehmoderator), Martin Bauer u.a. Erstsendung: 27. Januar 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (10): Erkältung im Sommer
Zum letzten Paartanz angetreten: Rolf und Renate Assenau, die ehemaligen beliebten Turniertänzer, führen keine so harmonische Ehe mehr wie noch in den Anfangsjahren. Es überrascht Renate dennoch, als sie von Rolfs Plan erfährt, dass ein Auftragsmörder sie aus dem Weg räumen soll. Praktischerweise offenbart sich ihr der Killer persönlich – sodass sie umgehend ebenfalls einen Pakt mit dem Teufel schließt und den Pistolenschützen nun gegen Zahlung der Restsumme vielmehr auf ihren Gatten ansetzt. Sie ist damit aber noch nicht ganz am Ziel, denn um Freiheit und Geld in Ruhe genießen zu können, muss auch noch ihr Komplize verschwinden. Sie hat sie Rechnung allerdings ohne Kommissar Köster gemacht ...


Dramaturgisch mutet es ein wenig ungeschickt an, zwei sich so sehr ähnelnde Geschichten wie in „Verena und Annabelle“ und „Erkältung im Sommer“ unmittelbar nacheinander zur Ausstrahlung zu bringen. In beiden Fällen – beide von Alfred Vohrer inszeniert – geht es um missglückte Mordanschläge im gehobenen Milieu, welches den altgedienten Krimiveteranen zu sommerlichen Aufnahmen im Grünen, aber auch zu umso dunkleren Einblicken in menschliche Abgründe veranlasst. Betrachtet man die Episoden im direkten Vergleich, zieht „Verena und Annabelle“ eindeutig den Kürzeren, denn in „Erkältung im Sommer“ geht die Gleichung aus Profitgier und Rachlust hinter der (vor allem weiblichen) Wohlstandsfassade viel besser auf. Im Mittelpunkt steht mit Anaid Iplicjians Renate Assenau eine starke Frau, die aus Enttäuschung heraus nichts anderes tut, als den Spieß umzukehren, den ihr Mann gewetzt hat. Dabei durchläuft die Figur Phasen der Ahnungs-, dann der Sprachlosigkeit, der Pragmatik und schließlich auch selbst der strategischen Gefühlskälte, sodass sie im letzten Drittel regelrecht zum Killer-Vamp mutiert, weshalb es kurios wirkt, dass sie ungeschoren mit einem Doppelmord davonkommt.

Diese „Revolution“ im klassischen deutschen Fernsehkrimi (man kennt derlei Tricks z.B. von „Derrick“ nur aus späteren Jahren) dürfte wohl in erster Linie der Tatsache geschuldet sein, dass Oliver Storz’ Drehbuch so facetten- und wendungsreich ausfiel, dass es für einen 60-Minüter hoffnungslos überdimensioniert ist. Die komplexe Handlung wirft so viele Optionen auf, von denen einige regelrecht weggeworfen werden müssen, um den Plot wenigstens einigermaßen zu Ende führen zu können. Das betrifft gerade auch die Ermittlungsarbeit von Köster und Co., die – eigentlich eher ein Merkmal später Routineepisoden – lediglich rudimentär ausgeprägt ist. Dem Killer und seinem Auftraggeber kommen die Beamten zum Beispiel binnen fünf Minuten auf die Schliche, indem sie die MAZ-Bänder einer Fernsehshow betrachten ... die „mühevolle Kleinarbeit des Kriminalbeamten“, wie sie seinerzeit noch das „Kriminalmuseum“ anpries, sieht anders aus.

Dieses Zuviel an Möglichkeiten ist wohl der schönste Kritikpunkt, den man einem Fernsehkrimi anlasten kann. So bleibt „Erkältung im Sommer“ von Anfang bis Ende durchgehend hochspannend; zugleich erzeugt Vohrer eine dichte Stimmung, die sich aus dem kuriosen Gegenspiel der zeitlosen Assenaus mit einigen typischen 70er-Jahre-Ingredienzien ergibt. Christian Quadflieg als verknallter Auftragsmörder ist so eine wilde Ergänzung des Figurenkatalogs, wie man sie wohl nur in diesem Jahrzehnt vorfinden kann. Auch das dem J.-M.-Simmel-Film „Der Stoff, aus dem die Träume sind“ entnommene musikalische Leitthema erweist sich nach dem Recycling noch als veritabler Ohrwurm mit Sehnsuchtsgarantie. Man darf ruhig bedauern, dass Lohner und Iplicjian zu diesen Tönen nicht noch einen letzten engen Tanz aufs Parkett legten, bevor das Gemetzel begann ...

Die ausgefallene Backstory hinter den Morden der Renate Assenau stellt sie in Kommissar Kösters unkonventioneller Ansicht vielleicht eine Stufe übers Gesetz, sodass ihr am Ende dieser ereignisreichen Episode eine Verhaftung erspart bleibt. Das offene Ende wirkt etwas unrund, aber dafür wird man Zeuge einer sehr ausführlich und engagiert dargelegten Charakterstudie mit gleich mehreren Knalleffekten. 4,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

03.03.2020 15:30
#273 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten



Der Alte: Nachtmusik

Episode 11 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Lichtenfeld. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Michael Ande (Gerd Heymann), Hellmut Lange (Gregor Kerner), Maria Sebaldt (Eleonore Kerner), Andreas Seyferth (Arno Kerner), Alexander Kerst (Huckner), Manfred Seipold (Prago), Jan Hendriks (Martin Brenner), Henning Schlüter (Franz Millinger), Katerina Jacob (Bea) u.a. Erstsendung: 27. Januar 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (11): Nachtmusik
Während im Hause des Bankiers Gregor Kerner klassische Musik gefiedelt wird, nutzt Sohn Arno die Mußezeit, um bei den Gästen seines Vaters einzubrechen. Vom erbeuteten Geld finanziert er die Rauschgiftsucht seiner Freundin Bea. An einem Abend stolpert Arno über unvorhergesehene Probleme, als er einen zufällig im gleichen Haus umherschleichenden zweiten Einbrecher tödlich niederschlägt. Der Familie Kerner beschert das nur Probleme: Neben Kommissar Köster sind Arno nun auch die Komplizen des Toten auf den Fersen – und sein Vater wird von einem Bekannten mit dem Wissen um die Täterschaft seines Sohnes erpresst ...


Die Episode „Nachtmusik“ schafft vor allem eines: Sie verdeutlicht, wie nah das, was man für gewöhnlich als Ober- und Unterwelt kategorisiert, manchmal beieinanderliegt. Stimmt man sich nach den anfänglichen Bildern mit Kammermusik und gut betuchtem Partysmalltalk auf einen Krimi ein, der unter der crème de la crème der Münchner Gesellschaft spielt, so wird man mit dem Auftauchen solcher Gesellen wie Andreas Seyferth, Katerina Jacob oder Manfred Seipold bald eines Besseren belehrt. Es ist wie so oft beim „Alten“: Man versuchte, die Episoden nicht einfach und geradeheraus zu stricken, sondern jedem Fall einen ausgefallenen Twist zu verleihen. An diesem Ziel verschluckt sich die „Nachtmusik“, denn die Vorgänger- und Konkurrenzserien des erfahrenen Herbert Reinecker orientieren sich erfolgreich an einer anderen Ausrichtung: dem Reiz der erzählerischen Einfachheit. „Nachtmusik“ wartet nicht nur mit einer großen Riege von Charakteren auf, sondern auch mit einer ähnlich umfangreichen Palette an Langweiligkeiten.

So stark das Sendejahr 1978 für den „Alten“ begann, so schnell sinkt die Qualität in unmittelbarer Folge also auf ein kurzes Zwischentief. Leider markiert dieses (und steht auch in direktem Zusammenhang mit) Helmuth Ashleys Einstieg in die Krimireihe. Der versierte Krimiklassiker-Regisseur fand hier ähnlich wie in vielen seiner „Derrick“-Folgen der gleichen Zeit keinen festen Halt, sodass die gesamte Episode in ihrem Spannungsverhältnis zwischen Schickeria und Drogensumpf schwammig und unaufregend wirkt und nur von pompösen Dekors und der niedlichen Grundidee der in sicherer Abwesenheit der Hausbewohner verübten Einbrüche zu leben scheint. Die zaghaft eingestreute Action zündet kaum und das Spiel – gerade auch der Jungdarsteller und Ganoven – wirkt teilweise hölzern. Der Fairness halber muss noch einmal darauf verwiesen werden, dass auch Herbert Lichtenfeld keinen guten Tag erwischte: Sein Drehbuch präsentiert einen praktisch sinnfreien Auftaktmord und hangelt sich dann mittels einer leidlich mit dieser Thematik verbundenen Erpressungsgeschichte über eine Stunde hinweg. Man hat sowohl die Verbrecher als auch den zähen Hund Köster schon angriffslustiger gesehen. Dessen bester Moment kommt kurz vor Schluss der Folge, als er Ösi-Gangster Hanno Pöschl in einem Verhör mit „Also pack aus, ich will ins Bett“ anraunzt und damit das Gefühl des Publikums in Worte fasst.

Die Trägheit der „Nachtmusik“ hat auch damit zu tun, dass die Folge ihren eigentlich irrelevanten Charakteren zu viel Aufmerksamkeit schenkt. Man merkt schon am belanglosen Titel, dass die Episode ein Problem mit der Konzentration aufs Wesentliche hat – und auch daran, dass man Ewigkeiten mit dem Geplänkel von Hellmut Lange und Alexander Kerst ums liebe Geld zubringt, während die Schurken, gegen die sich Arno zur Wehr setzen muss, oberflächliche Schießbudenfiguren bleiben. Natürlich machen Lange und Kerst ihren Job als (semi-)graue Eminenzen erwartbar ordentlich; doch gerade das zentrale Gespann um Andreas Seyferth und Katerina Jacob gleitet durch unglaubwürdige Dialoge und plakative Szenen ins Chargieren ab. Außer der rauschgiftsüchtigen Bea scheinen Lichtenfeld und Ashley aber auch keine nützliche Verwendung für die anderen Damen der Episode gehabt zu haben: Die Ehefrauen der Kerner-Partygäste fungieren als reine Stichwortgeberinnen und Statussymbole ihrer Ehemänner; in einem familiären Streitgespräch zwischen Lange und Maria Sebaldt gibt ihm letztere zumindest für einen kurzen Augenblick etwas Kontra.

Da hatten sich die Beteiligten wohl etwas verkalkuliert: Statt eine stringente Erpressungsgeschichte zu erzählen, springt „Nachtmusik“ von einem Nebenschauplatz zum anderen und vergalloppiert sich dabei in seinen zahlreichen Nebenfiguren. Der Thrill bleibt auf der Strecke; das Geschehen wirkt lapidar und teilweise unfreiwillig komisch und der Unterhaltungsfaktor liegt ähnlich niedrig wie beim ebenfalls von Ashley verbrochenen Derrick-Ausflug zum „Klavierkonzert“. 2,5 von 5 Punkten.

Ray Offline



Beiträge: 1.929

03.03.2020 19:30
#274 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Ui, die Folge habe ich als eine der besten in Erinnerung. Aber das trifft ja auch auf das "Klavierkonzert" bei "Derrick" zu. Insofern passt es ja wieder.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.03.2020 15:30
#275 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Das denke ich auch – manchmal liegen wir weit auseinander, aber der Stil dieser beiden Folgen ist so ähnlich, dass einem entweder beide ge- oder missfallen. Übrigens kannte ich die ersten 11 „Der Alte“-Folgen von meinen früheren Sichtungen her und „Nachtmusik“ war die einzige, die ich ohne Resterinnerung komplett verdrängt hatte. Jetzt geht es weiter mit einigen Neuentdeckungen für mich:



Der Alte: Ein Koffer

Episode 12 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie: Michael Braun. Drehbuch: Karl Heinz Willschrei. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Michael Ande (Gerd Heymann), Harald Leipnitz (Rolf Bär), Liselotte Pulver (Ursula Bär), Uschi Glas (Karin Runge), Werner Pochath (Hasso Pohlmann), Hans Söhnker (Dr. Knopp), Panos Papadopulos (Carlos), Peter Gebhart (Drogenfahnder), Klaus Krüger (Polizeiarzt) u.a. Erstsendung: 27. Januar 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (12): Ein Koffer
Im richtigen Moment schaltet Rolf Bär blitzschnell: Als ihn Hasso Pohlmann bei der Grenzkontrolle im Schnellzug nach München bittet, für einige Tausend Mark die Koffer zu tauschen, willigt der Reisende gern ins Geschäft ein. Bevor Pohlmann vom Grenzschutz aus dem Verkehr gezogen wird, gibt ihm Bär eine falsche Kontaktadresse an ... und verschwindet mit dem wertvollen Gepäckstück. Wie viel der Koffer wirklich wert ist, finden Bär und seine Geliebte jedoch erst heraus, als sie das Heroin im doppelten Boden entdecken – es lässt sich für über eine Million Mark verscherbeln. Da ist es verständlich, dass Pohlmann Jagd auf den betrügerischen Bär macht und selbst vor Mord nicht zurückschreckt ...


Geschickt verteilte Michael Braun in seiner einzigen Regiearbeit für „Der Alte“ die Aufmerksamkeit auf die Schultern seiner menschlichen und eisernen Stars. Der Tauern-Orient-Marmara-Express bildet einen würdigen Rahmen für die Auftritte einiger Stars von Kinoformat und legt zugleich wörtlich – schließlich befindet man sich an Bord eines Schnellzugs – ordentlich Tempo vor. So darf der Auftakt mit der Zollkontrolle und der Schmuggelbeihilfe als einer der besten Episodeneinstiege gelten, denn er garantiert sofortiges Mitfiebern und macht den Zuschauer sofort mit (fast) allen Protagonisten vertraut. Da ist zunächst der offensichtliche Schwerenöter Werner Pochath, dem die stille Panik ins Gesicht geschrieben steht. Pochath, der sonst hin und wieder zu Übertreibungen neigte, ist hier treffsicher besetzt und stiehlt auch deshalb den anderen nicht die Show, weil er mit Harald Leipnitz und Uschi Glas zwei echten schauspielerischen Schwergewichten entgegentritt (einer Kombo übrigens, die an Francis Durbridges „Die Kette“ aus dem Vorjahr erinnert). Mit seinem erzwungenen Angebot an Rolf Bär öffnet Pochaths Hasso Pohlmann die sprichwörtliche Büchse der Pandora und man kann förmlich mitverfolgen, wie sich Leipnitz’ Figur augenblicklich mit der herausgekrochenen Habgier infiziert.

Harald Leipnitz agiert als Dreh- und Angelpunkt der Geschichte und verfügt sowohl über fehlgeleitete Biedermann- als auch über verschmitzte Abenteurer-Qualitäten. Ob man über den Tod von Rolf Bär schockiert oder befriedigt sein soll, überlässt Karl Heinz Willschrei wertungsfrei dem Zuschauer – auf jeden Fall freut man sich darüber, dass die Vorgeschichte genüsslich ausgekostet wird und sich der Mord (und damit auch das Erscheinen des „Alten“) auf die zweite Hälfte von „Ein Koffer“ verschiebt. Zwar verliert die Folge im Anschluss ein wenig an Fahrt, aber immerhin kommt sie nicht zum Erliegen, weil sie vorher wirklich genügend Gelegenheiten hatte, Schwung aufzunehmen. Für diesen sorgen auch unkonventionelle Einfälle wie der tuntige Barkellner (Michael Braun in einem Cameo-Auftritt) oder das Festhalten am Bahnmilieu, was die Drogenstory davor bewahrt, in Klischees zu verfallen. Die Musik von Klaus Doldinger und die sich gegenseitig verfluchenden Frauenrollen von Uschi Glas (mit breitem bairischen Dialekt) und Liselotte Pulver (elegant-verschlagen) tun ihr Übriges.

Natürlich wäre es absolute Schönfärberei, zu behaupten, „Ein Koffer“ trüge auch nur einen Funken Realitätssinn in sich. Ebenso wie in den anderen frühen „Der Alte“-Folgen steht das Motto „Versuch macht kluch“ über allem. Was die Folge ebenfalls klar als einen Fall der ersten Serientage klassifiziert, ist der Umstand, dass sich Kommissar Köster – nach einer Kneipenzecherei besonders „inspiriert“ – wieder einmal eines schmutzigeren Tricks zum Erzwingen von Geständnissen bedient. Der alte Hase verlässt sich auf seine Menschenkenntnis, die ihm verrät, bei welchem Protagonisten er das „Brecheisen“ ansetzen muss und welche Tasten auf der Gefühlsklaviatur die entsprechenden Reaktionen provozieren. Man wird mit einem schönen Finale belohnt, das so wie auch der Rest der Folge nicht mit deftigeren Tiefschlägen hinterm Berg hält. Und erst am Ende kristallisiert sich mit aller Deutlichkeit heraus, dass das, was als Schmuggelabenteuer begann, sich zu einer veritablen Katastrophe ausgeweitet hat.

Vor unseriösen Reisebekanntschaften wird gewarnt: Werner Pochath im Zug zu begegnen, ist nicht nur in „Horrorsex im Nachtexpress“ eine fatale Angelegenheit. Dieser zwölfte „Alte“ zeigt, dass man dann neben Mord auch mit hohen Unterhaltungswerten rechnen kann. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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24.03.2020 13:30
#276 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten



Der Alte: Ein unkomplizierter Fall

Episode 13 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie: Dietrich Haugk. Drehbuch: Leopold Ahlsen. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Klausjürgen Wussow (Karl Markolm), Sylvia Lukan (Hanna Markolm), Lisa Kreuzer (Daisy), Michael Ande (Gerd Heymann), Christian Spatzek (Georg „Schorsch“ Neumann), Diana Körner (Irene von Nort), Henning Schlüter (Franz Millinger), Hans Zander (Barkeeper), Ingrid Seibert (Inge) u.a. Erstsendung: 21. April 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (13): Ein unkomplizierter Fall
Noch am Abend der Beerdigung seiner achtjährigen Tochter besucht Karl Markolm nach einem Streit mit seiner Frau eine Prostituierte. Die Stricherin liegt am nächsten Tag erwürgt in ihrer Wohnung und der Verdacht liegt nahe, dass der seelisch aus der Bahn geworfene Herr Markolm sie auf dem Gewissen hat. Kommissar Köster taucht in das wenig ersprießliche Privatleben seines Hauptverdächtigen ein, das von anhaltenden ehelichen Streitigkeiten und Machtdemonstrationen seiner herrischen Gattin bestimmt ist. Zugleich tut sich mit dem erpresserischen Zuhälter der Toten eine weitere Spur auf ...


Dass wir es mit einem ungewöhnlichen Fall zu tun bekommen werden, merken wir bereits am Vorspann, der ohne die aufpeitschende Serientitelmusik von Peter Thomas auskommen muss. Dietrich Haugk wählte stattdessen zunächst bedrückende Stille und dann immer wieder einmal kammermusikalische Töne des Komponisten Arnold Schönberg. Sie kleiden den Trauerfall im hohen Hause Markolm-von Nort sowie das sich anschließende Mord- und Ehedrama in angemessen bedeckte Töne, welche sich mit der gräulich-kühlen Bildstimmung von Josef Vilsmeier vortrefflich ergänzen. Beide stehen sinnbildlich für die Tristesse und Bitterkeit im Leben der streitsüchtigen Eheleute, wie sie für die Drehbücher von Leopold Ahlsen typisch ist. Er lieferte stets Stoffe mit Hang zum Psychologischen und Depressiven ab, was sich auch hier bemerkbar macht: Insbesondere die Ehefrau Hanna präsentiert sich als vergrämter Eisklotz, aber auch ihr Ehemann Karl zeigt nach und nach immer deutlicher, dass sich hinter seiner Impulsivität Schwäche und Unsicherheit verbergen. Die Besetzung der zwei zentralen Rollen mit Sylvia Lukan und Klausjürgen Wussow darf als besondere Stärke der Episode verbucht werden, streiten sie sich doch aufs Schönste, ohne in billige Theatralik zu verfallen.

Dass der Fall auch so unkompliziert ist wie der Titel andeutet, kristallisiert sich erst im Laufe der Episode heraus. Blickt man nach dem Abspann auf das Gesehene zurück, so hat man kriminalistisch tatsächlich kein Glanzstück erlebt. Zwar dürfen Köster und Heymann einige schöne Routineermittlungen angehen; die allzu simple Tätersuche ist hier aber ein im Gesamtkonstrukt der Folge total untergeordneter Aspekt. Es kommt Ahlsen eher auf den emotionalen als auf den Überraschungseffekt an, sodass er hier im Grunde eine extrem simple Geschichte mit allerlei (absolut wirkungsvollem) Leidensplüsch ausstaffierte. Das führt auch dazu, dass einige interessante Aspekte – zu denen zum Beispiel der Tod der Tochter, angeblich Unfall, gehört – nicht optimal ausgekostet werden. Dass der Eindruck trotzdem positiv ausfällt, hat viel damit zu tun, dass Haugk den düsteren Stoff mit Geschmack und stellenweise auch mit heiterem Gemüt anfasste (die eineiigen Schüler-Zwillinge als Sekretärinnen, Diana Körner in Gesichtsmaske oder gewisse ironische Einblicke ins Rotlicht- und Zuhältermilieu).

Siegfried Lowitz hält mit den starken Leistungen der Gastdarsteller problemlos mit und hält ihnen teils eloquent, teils ohne große Worte einen Spiegel ihrer eigenen Jämmerlichkeit vor. Als wäre von Vornherein klar gewesen, dass die Assistentenfiguren gegenüber so aufgewühlten Charakteren chancenlos sind, arbeitet Köster diesmal praktisch im Alleingang und schiebt den getreuen Heymann auf einen Seitenaspekt der Ermittlung ab, der letztlich im Sande verläuft. Dies sorgt dafür, dass das Tempo der Folge nicht immer das höchste ist; aber die Familienzwistigkeiten sowie manche innovative Schnitttechnik (Jump Cuts und Gespräche mit gedämpftem, ausblendendem oder ganz ohne Ton) sorgen doch regelmäßig genug für interessante Zerstreuung.

Im typischen Stil eines Leopold Ahlsen ist dieser dreizehnte „Der Alte“-Fall eine etwas unglückliche Mischgestalt: dramatisch top, kriminalistisch mau. Das stilsichere und hochemotionale Feuerwerk, das Dietrich Haugk, Klausjürgen Wussow und Sylvia Lukan um diese Konstruktion herum abfeuerten, lässt über die Schwächen jedoch leicht hinwegsehen. 4 von 5 Punkten.

Jan Offline




Beiträge: 1.753

24.03.2020 14:35
#277 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Wie schön, dass es mit Dir, Gubanov, noch einen dieser Episode gegenüber wohlgesonnenen Betrachter gibt. Ich befürchte, dass wir zwei allein dabei sein könnten aber sei's drum. Ich sehe die Stärken dieser ungewöhnlichen Episode ganz ähnlich bei den Darstellern und der Regie. Klausjürgen Wussow brilliert als überforderter Ehemann geradezu jämmerlichen Ausmaßes. Eine echte Sternstunde seiner Schauspielkunst selbst da noch, wo sich das Buch in reichlich verkürzter Laien-Psychologie suhlt. Der Plot ist nicht der feinsinnigste, aber er ist interessant und mitreißend genug, um 60 Minuten abseits eines echten Krimigeschehens zu unterhalten. Zudem löst Ahlsen das in dieser Art Geschichten stets bestehende Problem des an sich überflüssigen Ermittlers gekonnt, indem Köster hier weniger den Polizisten als sehr überzeugend den Lebensberater gibt.

Gruß
Jan

Gubanov ( gelöscht )
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25.03.2020 14:52
#278 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Ich glaube nicht, dass wir mit lobenden Worten zu "Ein unkomplizierter Fall" allein dastehen. Auch die Besprechung von Percy Lister und der Sausentext von Blap lesen sich wohlwollend bis euphorisch. Ich finde es spannend zu lesen, dass sich deine Einschätzung des Drehbuchs seit deiner ersten Rezension von 2009 mittlerweile etwas relativiert hat; die grundlegende Begeisterung aber scheint geblieben zu sein. Bei mir wird es trotz allem für "Ein unkomplizierter Fall" nicht zu einem Spitzenplatz in Box 1 reichen, aber die Episode bereichert die ohnehin vielschichtige Serienanfangsphase auf jeden Fall um eine Herangehensweise, die ich nicht missen möchte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.03.2020 13:30
#279 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten



Der Alte: Bumerang

Episode 14 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie und Drehbuch: Alfred Vohrer. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Michael Ande (Gerd Heymann), Hans Caninenberg (Dr. Berger), Alwy Becker (Vera Berger), Joachim Ansorge (Bernd Hartog), Roland Renner (Oliver Berger), Richard Münch (Dr. Kargus), Michael Maien (Carlo Girotti), Henning Schlüter (Franz Millinger), Jan Hendriks (Martin Brenner) u.a. Erstsendung: 19. Mai 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (14): Bumerang
Eines Abends erhält die Industriedolmetscherin Laura Mattis in ihrem Badezimmer ungebetenen Besuch eines Mannes in Tennisschuhen, der eine Pistole auf sie richtet und damit ihre Affäre mit Dr. Berger für immer beendet. Da Laura Mattis schwanger war, gerät Dr. Berger natürlich unter sofortigen Verdacht, doch Kommissar Köster hält diese Herangehensweise für zu einfach. Er findet in Bergers Umfeld, unter den Bekannten seiner ebenso untreuen Gemahlin sowie im beruflichen und privaten Dunstkreis von Frau Mattis einige weitere Personen mit Mordmotiven – und Tennisschuhen. Behält Köster den Durchblick, als es auch noch zu verschiedenen Erpressungen kommt?


Hui Herr Vohrer, was haben Sie denn da veranstaltet? – Dem aufmerksamen Zuschauer solcher Gustostücke wie „Der Gorilla von Soho“ oder „Das gelbe Haus am Pinnasberg“ wird nicht entgangen sein, dass es vielleicht nicht unbedingt das vorteilhafteste Attribut eines Films ist, von Alfred Vohrer geschrieben worden zu sein. Wo der wilde Zampano auf dem Regiestuhl oft wahre Wunder vollbrachte, ist seine Autorenlaufbahn zurecht eher überschaubar; „Bumerang“ ist ein weiterer Beweis seiner in dieser Hinsicht nicht unbedingt sonderlich ausgeprägten Begabung. Bei „Der Alte“, wo kein verlässlicher Dauerautor wie bei „Derrick“ im Hintergrund stand, war der Durst nach neuen Schreiberlingen freilich stets groß, sodass sich Produzent Helmut Ringelmann gelegentlich auch auf solche unkonventionellen Writer-Director-Kombinationen einlassen musste. Vohrer überfüllt seine Story nach der Herzenslust eines Amateurs mit falschen Spuren, unlogischen Indizien und kuriosen Figuren, die sich ohne Sinn und Verstand bewusst verdächtig verhalten. Der Ermittlungsmotor läuft auf höchsten Drehzahlen, aber dementsprechend sucht man ernstzunehmende Charakterprofile wie noch in der vergangenen Episode vergeblich.

Als altem Hasen gelang es Vohrer freilich, aus der kriminalistischen Fastfood-Kost ein annehmbares Menü zu zaubern. Man darf sich von bunten Seventies-Farbspielen, spontanen Crashtest-Überschlägen, soliden Verfolgungsjagden und ähnlichen Kniffen vom Fortgang der zunehmend abstrusen Handlung ablenken lassen und außerdem der Geburtstagsfeier von Kösters persönlicher Laura Mattis, der ewig verständnisvollen Anna Gautier, beiwohnen. Das Gesamtpaket zielt klar auf den gut konsumierbaren Entertainment-Faktor ab, den man der Episode nur schwerlich absprechen kann. Dazu trägt bei, dass sich Vohrer auf den etablierten Ringelmann-Stab verlassen konnte; in den Bereichen Kamera, Musik, Schnitt, Ausstattung und Co. werden erwartbar hohe Standards bedient.

Oscarreifen Darstellerleistungen entzieht das Skript freilich die Grundlage; wohl aber schlagen sich die meisten Mimen recht ordentlich. Die vielleicht größte Freude der Folge ist es, den zunehmend angespannten Streitgesprächen der Ex-Liebhaber Alwy Becker und Joachim Ansorge zu lauschen. Auch der Gastauftritt von Richard Münch, der sich als Firmenchef um Geheimunterlagen sorgt, darf lobend erwähnt werden. Demgegenüber bleibt Schauspieler-Neuling Roland Renner in seinem ersten Auftritt vor Fernsehkameras als verhuschter Filmsohn reichlich hölzern und die Recycling-Mentalität bei den Darstellern im noch recht jungen Stadium der Serie stößt etwas sauer auf (wir sahen Hans Caninenberg bereits als „honoriges“ Familienoberhaupt in „Zwei Mörder“ und Michael Maien als Berufsitaliener in „Toccata und Fuge“). Beide Akteure können sich in ihren Nischen mit ihren vorliegenden Auftritten nicht unbedingt verbessern; Caninenberg wenigstens liefert routinierte Stangenware ab. „Routiniert“ ist dann wohl auch das Wort, das die Folge am sinnvollsten zusammenfasst.

Getreu dem Motto „Darf es noch ein bisschen mehr sein“ kredenzt Alfred Vohrer ein übervolles Krimimärchen von durchwachsener Qualität, das immerhin durch gekonntes Bohei logische Fehlleistungen kaschiert. Freddy scheint es vor allem um den Spaß an der Sache gegangen zu sein. 3 von 5 Punkten.

Chinesische Nelke Offline



Beiträge: 136

26.03.2020 13:38
#280 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Ich freue mich sehr, das die Köster Folgen hier so kompetent besprochen werden.

Ich habe viele Folgen ab 1977 als Kind gesehen, und betrachte sie heute aus einem anderen Blickwinkel.

Ich habe neulich schon die Folge "Der schöne Alex" aus 1978 geschaut und konnte mich an einige Einzelheiten trotz der 42 Jahre noch erinnern.

Ich bin gespannt auf Eure Meinung zu der Folge, die ja eine gewisse Ähnlichkeit mit dem Derrick Klassiker "Kaffee mit Beate" aufweist, die ein paar Wochen vorher im Sommer 78 gezeigt wurden.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

31.03.2020 10:15
#281 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Das sind ja schonmal keine schlechten Aussichten für den „schönen Alex“ – die Episode wird in Kürze ohnehin bei mir anstehen. Hier aber erstmal eine Folge, die jeder (außer mir) aus unerfindlichen Gründen zu mögen scheint:



Der Alte: Zeugenaussagen

Episode 15 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Rosendorfer. Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Michael Ande (Gerd Heymann), Jan Hendriks (Martin Brenner), Maria Stadler (Amalia Schöttl), Hannes Stein (Senatspräsident a.D. Frank), Maria Singer (Kolonialwarenhändlerin), Bruno Hübner (Pfarrer), Werner Asam (Felix Rumbuchner), Volker Eckstein (Erwin Scheufele), Walter Sedlmayr (Straßenbahnschaffner Ziesenhut) u.a. Erstsendung: 23. Juni 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (15): Zeugenaussagen
Obwohl das alte Fräulein Schöttl sehr zurückgezogen lebte, will die halbe Tizianstraße in München-Gern Aussagen darüber machen, wann sie die mittlerweile Ermordete zum letzten Mal gesehen haben. Per Obduktion lässt sich der genaue Todeszeitpunkt schwer feststellen, weshalb die Kriminalpolizei auf jede Kooperation angewiesen ist. Zugleich ist sich Kommissar Köster bewusst, dass Zeugenaussagen – so übereinstimmend sie auch klingen mögen – stets mit Vorsicht zu genießen sind. Er hört sich deshalb mit großem Einfühlungsvermögen um – selbst bei der Schwester der Toten, die behauptet, mit dieser seit 1929 nicht mehr gesprochen zu haben ...


Keine Angst, lieber Zuschauer: Sie sind nicht in Peter Steiners Theaterstadl gelandet – es handelt sich sehr wohl (wenn auch gut getarnt) um eine Folge der Krimiserie „Der Alte“. Zumindest gibt es einen Mord. Man munkelt wenigstens davon, denn zu sehen bekommt man den Tathergang oder die Leiche zu keinem Zeitpunkt. Was Drehbuchautor Herbert Rosendorfer dem Publikum stattdessen um die Ohren haut, ist an Holzhammer-Lokalkolorit kaum zu überbieten: Den Schauplatz der nach München eingemeindeten ehemaligen Dorfgemeinde Gern nutzt Rosendorfer schamlos aus, um ein bayerisches Klischee nach dem anderen durch den Kakao zu ziehen und eine Konzentration auf das für eine Krimiserie eigentlich Wesentliche damit praktisch zu verunmöglichen. Vielleicht liegt es an meiner Herkunft von nördlich des Weißwurstäquators; aber anstatt mich an dem dargebotenen Kuriositätenkabinett zu erfreuen, schlug ich mit jeder neuen Schießbudenfigur, die da um die Ecke schielte, aufs Neue die Hände überm Kopf zusammen und konnte mich stellenweise nur schwer davon abbringen, „Der nicht auch noch!“ auszurufen.

Da sind die herrische Kolonialwarenhändlerin, die ihre Tochter bei jeder sich bietenden Gelegenheit belehrt, nicht dazwischenzureden, der voyeuristische Ex-Jurist, der versoffene Kleinkriminelle, der echauffierte Taxifahrer, der joviale Pfarrer, der hauptsächlich an die heilende Kraft seines Flachmanns glaubt, der hochkorrekte Straßenbahnschaffner, der verkommene Strolch von einem Neffen und nicht zuletzt die bis aufs Blut verbitterte Schwester, die sich Köster gegenüber bewusst dummstellt. Was eint die Charaktere? Dass sie allesamt lapidar und überzeichnet sind, dass viele kleine Puzzlestücke nicht unbedingt ein zusammenhängendes Ganzes ergeben und dass Figuren mit Dialekt im Fernsehen oftmals bloße Projektionen von Spott und Dummheit sind. Köster blickt ebenfalls mit Skepsis auf das Verdächtigenkonglomerat, um sich am Ende eine Figur als Täter herauszupicken, von der nach 25 Minuten zum ersten Mal gesprochen wird und die nach 48 Minuten einmal vor ihrer Überführung pflichtschuldig zum kurzen Verhör aufs Revier bestellt wird. In einer als Whodunit angelegten Folge ist das schlicht eine schlampige Konstruktion.

Besagte Rollen werden zu großen Teilen von bayerischen Lokalgrößen und Volksschauspielern verkörpert, sodass Feinsinnigkeit im Spiel bei den meisten Protagonisten kein ausschlaggebender Punkt gewesen sein kann. Für den auf subtilere Arbeiten spezialisierten Regisseur Theodor Grädler eine schwierige Ausgangslage; sein Debüt bei „Der Alte“ verrät bereits, dass er mit den Drehbüchern in dieser Reihe oftmals erheblichere Schwierigkeiten haben wird als bei den oft auf ihn zugeschnittenen „Derrick“-Stoffen. Nur sehr vereinzelt kann Grädler seine Trumpfkarte der differenzierten Schauspielerführung ausspielen, v.a. bei Hannes Stein und bei Lowitz’ zunehmend enervierten Reaktionen auf Maria Stadlers überkandidelten Schwesternhass. Zudem kommt sich Grädlers akribische Regieführung hier mit Rosendorfers Drehbuch-Klein-Klein ins Gehege, sodass der dynamischste Moment der Episode sich auf unfreiwillig komische Weise genau dann ereignet, wenn Lowitz und Stadler mit einer Milchkanne im Schlepptau einen Rentnersprint quer über die vereiste Dorfstraße einlegen. Andere hochspannende Elemente wie der verschwindende und wiederauftauchende Schmuck der Toten oder der Weg des Mörders durch den Luftschutzkeller werden völlig vernachlässigt, obwohl sie großes Potenzial gehabt hätten, die Folge über ein lediglich karikierendes Niveau emporzuheben.

Wer Köster einmal im Rahmen „krachlederner Komik“ sehen will, findet in „Zeugenaussagen“ ein perfektes Mash-up aus Ringelmann-Gemütlichkeit und Volkstheater. In 100 Folgen „Der Alte“ muss für diese kuriose Mischung wohl Platz sein. Ernstzunehmen ist daran leider gar nichts, sodass derjenige, der auf 60 Minuten guten Krimi gehofft hatte, enttäuscht vom Platz gehen wird. 2,5 von 5 Punkten.

Jan Offline




Beiträge: 1.753

31.03.2020 12:27
#282 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #278
Ich finde es spannend zu lesen, dass sich deine Einschätzung des Drehbuchs seit deiner ersten Rezension von 2009 mittlerweile etwas relativiert hat; die grundlegende Begeisterung aber scheint geblieben zu sein.

Da ist was Wahres dran. Ich meine, mich erinnern zu können, dass ich in 2009 die Episode vor dem Verfassen meines Textes erstmals sah. Mittlerweile sind da zwei bis drei weitere Begutachtungen hinzu gekommen, was möglicherweise zur etwas gemäßigteren Bewertung gerade des Buches beitragen mag. Die Begeisterung hinsichtlich der Grundstimmung der Episode ist indes tatsächlich erhalten geblieben. Dank Deines Beitrages weiß ich zudem nun endlich, wer die getragene Komposition beigesteuert hat. Auf Arnold Schönberg wäre ich nicht ohne Weiteres gekommen. Ich war da immer bei jemandem wie Edward Elgar und damit tatsächlich auf dem falschen Trip.

Leider entzweien wir uns dann spätestens bei "Zeugenaussagen" doch deutlich. Für mich ist die Episode eine regelrechte "Überraschungsstat" Theodor Grädlers, von denen er meiner Betrachtung zufolge nicht besonders viele aufzubieten hat. Das Stück (so kann man es wohl bezeichnen) wimmelt tatsächlich vor krachledernen Typen. Solche Figuren kommen gerade im Folgenden noch häufiger vor beim Alten, jedoch in nicht so geballter Darreichungsform wie hier. Da es unverkennbar die Absicht des Buches ist, diesen Typen einen Spielplatz zu bieten, kann ich dem Buch eine gewisse damit verbundenen Abkehr vom echten Krimi nicht ankreiden. Wenn man mal ehrlich ist, war das auch bei "Ein unkomplizierter Fall" so, wenngleich das Ganze einmal in Richtung Melodram und einmal in Richtung Volkstheater abwanderte. Ich finde die diversen Zeugen durchaus gelungen angelegt. Zu einer Persiflage zählt die Überzeichnung, die hier zumindest bei der Milchfrau und der verkrachten Schwester unübersehbar ist. Auch der beflissene Straßenbahnschaffner ist so eine akkurate Überzeichnung, die alles in allem - typisch Sedlmayr - durchaus schelmisch vorgetragen wird. Gerade der ansonsten eher dröge inszenierende Theodor Grädler scheint einen nicht zu verachtenden Spaß dabei gehabt zu haben, "seine" Landsleute in dieses bisweilen polterige Licht zu rücken, wenngleich der notgeile ehemalige Amtsrichter wohl landauf landab hätte vorkommen können. Der Besondere Reiz besteht ohnehin in Siegfried Lowitz' Bereitschaft, sich auf das Treiben einzulassen und die Nerven zu sammeln, um der verschrobenen Schwester nicht an den Hals zu gehen oder dem in reichlichem Maße zu höflichen Amtsrichter nicht die Meinung zu sagen. "Das is'n Voyeur!", sagt er zu Heymann, obschon sich der arrivierte Herr zuvor reichlich bemüht hatte, gerade diesen Eindruck zu vermeiden. Und auch Köster selbst wird nicht frei von männlichen Gelüsten gezeigt, in dem sein Interesse hinter'm Feldstecher viel mehr der sich reichlich räkelnden Blondine gilt, denn den vermeintlich spinnerten Beobachtungen des Pensionärs.

Alles in Allem ist die Episode m.E. eine echte Bereicherung der Serie und Ausdruck der enormen Wandelbarkeit der frühen Jahre. Unterhaltsam ist das alles ohnehin. Interessant wäre die Frage, was wohl Zbynek Brynych aus dieser Episode gemacht hätte...

Gruß
Jan

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

31.03.2020 15:55
#283 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Gegen Wandelbarkeit und verschiedene Einflüsse ist auch gar nichts einzuwenden. Ich genieße den "Alten" momentan gerade wegen seiner Vielschichtigkeit. Manches "Experiment" kommt dann halt besser an als das andere. Und die konkrete Stelle, an der wir bei "Zeugenaussagen" auseinandergehen, ist ...

Zitat von Jan im Beitrag #282
Unterhaltsam ist das alles ohnehin.

Ich musste mich mit Anstrengung durch die für mich staubtrockene Folge kämpfen, während "Ein unkomplizierter Fall" für meine Begriffe wesentlich gefälliger daherkam und ich selbst an "Der Pelikan" trotz seiner unverkennbaren Schwächen mehr Vergnügen hatte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

02.04.2020 10:15
#284 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten



Der Alte: Der Pelikan

Episode 16 der TV-Kriminalserie, BRD 1978. Regie: Johannes Schaaf. Drehbuch: Jan Gutova (d.i. Rosemarie Fendel). Mit: Siegfried Lowitz (Erwin Köster), Rosemarie Fendel (Sarah Deller), Michael Ande (Gerd Heymann), Henning Schlüter (Franz Millinger), Christian Berkel (Mano), Siegmar Schneider (Hermann), Dieter Schidor (Elmar), Gustl Halenke (Röschen), Eva-Ingeborg Scholz (Katrin), Xenia Pörtner (Anna Gautier) u.a. Erstsendung: 21. Juli 1978. Eine Produktion der Neuen Münchner Fernsehproduktion fürs Zweite Deutsche Fernsehen.

Zitat von Der Alte (16): Der Pelikan
Kommissar Köster traut seinen Augen nicht recht, als er auf dem abendlichen Nachhauseweg eine Frau bei einem Selbstmordversuch beobachtet und sie daraufhin sogleich höchstselbst aus den Fluten zieht. Es handelt sich um die Schauspielerin Sarah Deller, die völlig aufgelöst und traumatisiert wirkt. Köster bemächtigt sich ihrer Pistole und schickt sie nach Hause, von wo aus sie die Polizei verständigt: Angeblich habe sie ihren Mann erschossen. Das dramatische Schauspiel der Deller kommt Köster spanisch vor; er ist sich andererseits aber noch nicht sicher, ob ihr sensibler Sohn der wahre Mörder ist oder ob es zielführender wäre, die Verbindungen des Toten in die Schwulenszene zu untersuchen ...


Der Episode „Der Pelikan“ eilt in Fankreisen gerade kein besonders guter Ruf voraus – und tatsächlich scheinen sich alle Befürchtungen zu bestätigen, als sich die erste Hälfte der Episode nur um den Selbstmordversuch der theatralischen Schauspielerin Sarah Deller dreht. In diesen anfänglichen Szenen ist eine düstere, fast schon depressive Grundstimmung zu verspüren, die sich über den versuchten Suizid hinaus auch aus den langen, dunklen Kameraeinstellungen, den trostlosen Dialogen und einem Katzenbaby speist, das Köster aus einer Mülltonne angelt. Der Kommissar wird auf diese Weise zum doppelten Lebensretter; doch bei Sarah Deller möchte man ihm seine gute Tat zunächst nicht wirklich danken. Zu aufdringlich und wortreich gestaltet Aktrice Rosemarie Fendel in ihrem eigenen Drehbuch ihre Rolle aus; ihr Hang zur Selbstdarstellung manifestiert sich darin, dass es der Folge enorm schwerfällt, in die Gänge zu kommen. Auch die Szenen, die sich an ihre Rettung aus dem Wehr anschließen und in ihrer Wohnung spielen, zerren an den Geduldsfäden des Zuschauers, bis endlich eine richtige Leiche auftaucht.

Ab diesem Zeitpunkt bewegt sich die Folge in eine absurde, fast schon persiflage-artige Richtung, gewinnt jedoch auch zunehmend an Tempo. Der Mord an Dellers homosexuellem Gatten ist nach der beinahen Selbsttötung schon das zweite Tabu-Thema, das die Folge anspricht. Es wird nicht das letzte bleiben, denn Fendel legte ihren Stoff ganz offensichtlich auf Provokation hin an. Lässt man sich darauf ein, so erlebt man zumindest im zweiten Teil eine ordentliche Mischung aus Polizeiarbeit, Familiendrama und Beziehungskiste, die vor dem ungewöhnlichen Hintergrund zwar nicht unbedingt für Logik, aber immerhin für Drama bürgt. Das Gute daran: Fendels One Woman Show wird dadurch aufgebrochen; neben ihr drängen sich nunmehr Siegmar Solbach in der extravaganten Rolle des Toten (in Rückblenden), Dieter Schidor als sein hysterischer Liebhaber und Christian Berkel als verweichlichter Filmsohn mit (eingeredeten?) psychosomatischen Wehwehchen in den Vordergrund. Den Höhepunkt erreicht „Der Pelikan“, als Fendel, Berkel und Schidor sowie das gesamte Ermittlerteam aufeinander einschreiend in einem Polizeibüro versammelt sind. Wer hätte am drögen Folgenbeginn noch vermutet, dass dieser Fall sich so unterhaltsam entwickeln würde?

Freilich sind viele Betrachtungen, die „Der Pelikan“ über Schwule oder psychisch Kranke anstellt, äußerst windig. Gleichfalls unseriös die Ermittlungsmethode, Gerd Heymann ebenso säuselnd und avancierend auf den warmen Elmar anzusetzen wie in Episode #03 noch auf Loumi Jacobesco. Dennoch wird dem „Pelikan“, der auch für Henning Schlüter und Xenia Pörtner gute Momente bereithält, mit einer bloß negativen Beurteilung Unrecht getan. Gerade Schaafs Regiearbeit hätte ihn eigentlich für weitere „Der Alte“-Folgen (dann aber mit Büchern von professionellen Autoren wie noch in der Pilotfolge) empfehlen müssen; sie ist nach den nicht selbst verschuldeten Hängern am Anfang eigentlich ansprechend unkonventionell und trotzdem handwerklich ansprechend, was sich z.B. auch in einem von einem Gerichtsurteil untermalten Abspann niederschlägt. Er wäre auf der „kreativeren“ Seite des Spektrums eine gute Ergänzung zu Brynych und Haugk gewesen.

Hätte man sich das nervenzehrende Rührstück am Anfang gespart und gleich mit der Leiche in Sarah Dellers Schlafzimmer begonnen, hätte „Der Pelikan“ ein durchweg unterhaltsamer Fall werden können. So muss zunächst die bleischwere Exposition überwunden werden, bevor man in streitbare, aber gerade auch deshalb interessante Mordermittlungen einsteigt. Die Aufklärung ist ebenso ungewöhnlich wie der Rest und sicher nicht nach jedermanns Geschmack. 3,5 von 5 Punkten.

Jan Offline




Beiträge: 1.753

02.04.2020 12:53
#285 RE: Bewertet: "Der Alte" Zitat · Antworten

Ja, "Der Pelikan" oder "Rosis späte Rache" ist auch so ein andersartiger Vertreter, den ich eigentlich allein deswegen loben müsste, weil auch er die Vielfalt der frühen Jahre ausmacht. Vor diesem Hintergrund sei der Episode ein Anstandsmaß an Wohlwollen entgegen gebracht, sodass ich mein Pulver an Freundlichkeiten verschossen habe und folgend auf das echte Wesen dieser Episode schwenken darf, die Frau Fendel in Tateinheit mit ihrem Ehegatten hier verbrochen hat und die dem Zuschauer aus meiner Sicht über weite Strecken letztlich enorm masochistische Züge abverlangt.

Der geradewegs elendige Seelen-Striptease, den sich Rosemarie Fendel hier höchst selbst auf den Leib geschrieben hat, entfaltet gleich zu Beginn - mit zunehmender Spieldauer indes kaum abnehmend - die Wirkung eines dornigen Rosenzweigs, den sich der Zuschauer quasi minütlich auf den Rücken zu schlagen hat. Flankiert durch die inszenatorische Arroganz Johannes Schaafs muss der Zuschauer zunächst einen heillos dumm geschriebenen Selbstmordversuch überstehen, dessen Glücken man geradezu herbeizusehnen trachtet, sodass das Treiben doch schon nach zehn Spielminuten sein verdientes Ende finden möge. Bedauerlicherweise füllen Fendel/Schaaf auch die folgenden 50 Minuten aus, machen aus Erwin Köster einen gerade noch vor'm Puff-Besuch zurückschreckenden Lonely Wolf und präsentieren ansonsten im Wesentlichen verquollene, pseudo-intellektuell anmutende Dialoge und Monologe ("...Oh nein, ich muss der Katze Milch geben - ach doch nicht - ach nein, ich muss es tun, hui wie blöd, die Flasche ist umgefallen - was mach ich nur - ich mache gar nichts - doch, ich rufe Köster an - nein, ich muss Röschen anrufen..."), ehe der Zuschauer zu allem Überfluss in der Rückblende einen zur Tunte entstellten Homosexuellen präsentiert bekommt, der sein Ende in einem ungünstig verlaufenden Saufabend nimmt. Zwischen dem Selbstmordversuch und der Schilderung um das dahingeraffte Opfer übt sich vor allem Regisseur Johannes Schaaf darin, ein Höchstmaß an blasierter Langeweile zu produzieren, und er bringt diese Fingerfertigkeit gar stets dann zur Meisterlichkeit, wenn der ermittelnde bzw. vermittelnde Köster einen dieser kraft- und saftlosen Dialoge mit Sarah Deller führen muss, der noch den welkesten Strauß zum Erschlaffen bringen kann.

Wenn ich eingangs geschrieben habe, der Episode sei einzig aufgrund ihrer Andersartigkeit ein gewisses Wohlwollen entgegen zu bringen, so ließen sich möglicherweise doch noch zwei Ergänzungen diesbezüglich finden: Zum einen lagerte "Der Pelikan" lange Zeit in der Schublade, ehe sich Produzent Ringelmann dazu durchringen konnte, sie zur Ausstrahlung zu bringen. Insofern mag die Phase zwischen Produktion und Ausstrahlung als Karenzzeit zugunsten der betroffenen Zuschauer gewertet werden. Eine Karenzzeit, die den Betrachtern mit Sicherheit zugute gekommen sein mag, um ausreichend Luft holen zu können, das Pelikan-Machwerk verdauen zu können. Zum anderen beendete "Der Pelikan" die lange Jahre anhaltende Zusammenarbeit zwischen Rosemarie Fendel und Helmut Ringelmann dahingehend endgültig, dass dieser Episoden-Typus gottlob ohne jeden Nachfolger blieb.

Gruß
Jan

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