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Dieses Thema hat 977 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

08.07.2012 13:09
#391 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Derrick - Auf einem Gutshof" (Folge 73)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Ellen Schwiers, Horst Buchholz, Helga Anders, Peter Dirschauer, Karin Baal, Rolf Becker, Willy Schultes, Margot Dürrmeier-Aas u.a. - Regie: Theodor Grädler

Marlene Schulte und ihre jüngere Schwester Waltraud Heimann warten in einer Gewitternacht auf die Rückkehr von Marlenes Mann Richard, der an einer Versammlung der Landwirte teilgenommen hat. Plötzlich wird eine Fensterscheibe eingeschlagen und eine Kugel peitscht an Marlene vorbei. Von panischer Angst ergriffen, berichtet sie ihrer Schwester, sie habe den Schützen erkannt, es sei Richard gewesen. Als Oberinspektor Derrick sie befragt, will sie sich jedoch nicht mehr so sicher gewesen sein, was vor allem Waltraud und ihren Bruder Eberhard höchst verärgert, stehen sie ihrem vorbestraften Schwager doch mit Misstrauen und Abneigung gegenüber....



Es ist die Geschichte eines Mannes, die in dieser "Derrick"-Folge erzählt wird. Die vielzitierte zweite Chance, die jemandem gewährt wird, der im Leben gestrauchelt ist und nach einer Zeit der geistigen und moralischen Rekonvaleszenz in anderer Umgebung neu beginnt. Und wieder einmal ist es Argwohn, den man ihm entgegenbringt; Neid vielleicht und Vorurteile ohnehin.
Horst Buchholz spielt diesen Mann mit eindringlicher Ruhe, innerem Aufruhr und einer Würde, die zeigt, dass er die Vergangenheit, in der Karin Baal als seine geschiedene Frau immer noch lebt, hinter sich gelassen hat. Man bewundert ihn, wenn er seine Abschiedsrunde durch das Gut macht und bei den liebgewonnenen Tieren und Pflanzen Trost sucht. Man hat das Gefühl, dass er, der die Witwe Marlene erst vor einem halben Jahr geheiratet hat, mehr Anspruch hat, hier zu leben als Waltraud und Eberhard. Er hat sich den Besitz durch seine Arbeit und die Hingabe an sie verdient. Selbst, als er kurz davor steht, verhaftet oder aus dem Haus gewiesen zu werden, erkundigt er sich noch, ob der Gewittersturm Schäden angerichtet hat. So ist die Episode nicht nur in optischer Hinsicht äußerst ansprechend, sondern auch von der Tiefgründigkeit her. Ellen Schwiers, die mich hier sehr an Marisa Mell erinnert, ist in ihrem Schrecken gefangen und kann sich kaum artikulieren. Auf die Schreie in der Nacht folgen ungläubiges Zweifeln, Angst und Resignation. Karin Baal ist wieder einmal in einer Rolle zu sehen, die ihr so gut steht und die sie mit bissiger Ironie ausfüllt: die, der gescheiterten Frau, der "Schlampe" mit Vergangenheit. Wenn sie Horst mit bleckenden Zähnen begrüßt ("Schön, dich wiederzusehen!"), erinnert dies an "Die Halbstarken" (1956), wo es ebenfalls Karin ist, die Horst in die Kriminalität zieht. Helga Anders ist das eigentliche Familienoberhaupt und hält die Fäden in der Hand. Sie nutzt die Gutmütigkeit ihrer älteren Schwester für ihre finsteren Pläne aus und zeigt sich von einer völlig anderen Seite als in "Kaffee mit Beate" (Folge 46).
Die Abgeschiedenheit des Gutshofes, der in vorzüglicher Weise nach bester Grusel-Krimi-Manier ausgeleuchtet wird - schwankende Laternen im Wind; nasse Zweige, die an Fensterscheiben klopfen und ein schwarzgekleideter Mann mit Aktentasche, der rasch auf das Haus zugeht - harmoniert mit dem Dorfgasthaus, in dem Derrick mit herzhaftem Appetit zu Abend isst und dabei vom redseligen Willy Schultes wichtige Informationen erhält.
Das Ende wirkt allerdings ein wenig zu abgehackt, als ob Reinecker die Intention des zu Unrecht beschuldigten Mannes schamhaft verbergen wollte. So drängen sich nach dem Abspann unwillkürlich Fragen nach dem Vertrauensbruch auf, der das Ehepaar Schulte auseinanderbringen sollte. Es ist jedoch zu hoffen, dass nun Frieden einkehrt und der Alltag die Bürde der Vergangenheit aufheben kann.
Ausnahmsweise habe ich diesmal ein paar Screenshots erstellt, da mich die Bildsprache dieser Folge so fasziniert und begeistert hat.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

08.07.2012 20:35
#392 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Zeuge Yurowski

Episode 74 der TV-Kriminalserie, BRD 1980. Regie: Alfred Vohrer. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Bernhard Wicki (Karl Yurowski), Hannelore Schroth (Helene Yurowski), Johanna Elbauer (Karin Yurowski), Bruno Dietrich (Erich Yurowski), Christiane Krüger (Irmgard Becker), Christian Quadflieg (Answald Rothe), Sepp Wälsche, Alf Marholm u.a. Erstsendung: 22. August 1980, ZDF.

Zitat von Derrick: Zeuge Yurowski
Yurowski hat alles gesehen. Als er nachts noch einmal in die Firma fährt, um Geschäftsunterlagen zu holen, wird er Zeuge eines Einbruchs, bei dem ein Sicherheitsbeamter erschossen wird. Er erkennt seine Sekretärin, die an der Tat beteiligt ist, aber nicht die Schüsse abgegeben hat. Fräulein Becker warnt ihn: Wenn Yurowski sagt, was er weiß, so schweben er und seine Familie in Lebensgefahr. Noch am selben Abend zersplittert eine Fensterscheibe im Hause Yurowski. Jemand hat auf den Angestellten und seine Frau gezielt.


Alfred Vohrer ist als Regisseur eine vortreffliche Wahl, wenn es darum geht, Todesangst zu verbildlichen. Nachdem der gebürtige Stuttgarter seine Straffrist von 10 Episoden abgesessen hatte, die – so stelle ich es mir zumindest in ausgleichender Gerechtigkeit vor – sein Versager „Ein Todesengel“ auslöste, waren seine Kräfte wieder voll für einen „Derrick“ der Spitzenklasse gesammelt. „Zeuge Yurowski“ steigt beinah unvermittelt voll ins Geschehen ein: Die ersten zwanzig Minuten gehören zum Spannendsten, was diese DVD-Box auf die Beine gestellt hat. Vier Faktoren spielen hier zusammen: Vohrers keineswegs verlernte Fertigkeit, Suspense und Furcht zu kreieren; ein abwechslungsreich pfiffiger Duval-Soundtrack, der die Emotionen zusätzlich anpeitscht; sowie auf Schauspielerseite Bernhard Wicki und Christiane Krüger, die sich gegenüber stehen und beide in ihren exponierten Rollen wenig zu gefallen scheinen. Es fallen viele Schüsse – Türen und Fenster werden zu Zielscheiben. Ein Gefühl ähnlich böser Vorahnung wie in „Lissas Vater“ beschleicht den Zuschauer, der zweifelt, ob die Figuren ausreichenden Schutz hinter geschlossenen Vorhängen finden.

Wicki spielt mit Yurowski einen jämmerlichen Jedermann. Der Darsteller, den man sonst in führenden, entschlossenen Rollen vermutet, erweist sich überraschenderweise als ein vortrefflicher Feigling. Immer weiter sieht er sich in die Enge getrieben – den einzigen Ausweg schließt er trotzdem eines Restrisikos wegen radikal aus. Yurowski hat nicht nur Angst um sich, er hat Angst um seine Familie. Ein stilles Eingeständnis, dass er sie nicht schützen kann. Das Bild des Patriarchen bröckelt. Er will es vor seinen Kindern trotzdem aufrecht halten: Erst in letzter Minute gibt er Preis, wer da so alles bedroht wird und warum er so hilflos ist.

Wenn Yurowskis private Überlegungen in der Mitte der Episode die Oberhand gewinnen und einen kurzzeitig aus der actionreichen Handlung herausreißen, so ist dies vielleicht ein dramaturgischer Schnitzer, weniger faszinierend werden die Szenen dadurch aber nicht. Sie profitieren auch von den guten Leistungen von Hannelore Schroth und Bruno Dietrich als Ehefrau und Sohn Yurowski. Johanna Elbauer spielt die Tochter, die prinzipiell gleicher Meinung wie ihr Bruder zu sein scheint. Das trifft sich gut, denn Elbauer ist zwar praktisch Dauergast bei „Derrick“, aber so unauffällig wie kaum eine andere Gastdarstellerin.

Den Abschluss bildet eine Szene, die man in Derricks Universum direkt als „Duell“ bezeichnen könnte. Nachdem der Ermittler kurzzeitig auf Reinecker’sche Taschenspielertricks zurückgriff, indem er versuchte, Yurowski mit dem Leid der Frau des Ermordeten und einem vorwurfsvollen Hundeblick zum Reden zu bringen, macht er diese Portion Moral-TV mit dem seltenen Einsatz seiner Dienstwaffe wieder wett. Er feuert sogar – es erinnert an den frühen Derrick, einen Mann der Tat. Einen Mann wie Vohrer. Bei dem richtigen Stoff eine vortreffliche Wahl.

Der Folge kann der eine oder andere logische Fehler angelastet werden, doch davon wissen Vohrer und die Darsteller abzulenken. Sie laden in „Zeuge Yurowski“ zu einer atemberaubenden Jagd ohne Rücksicht auf Verluste ein. 4,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

08.07.2012 20:35
#393 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Eine unheimlich starke Persönlichkeit

Episode 75 der TV-Kriminalserie, BRD 1980. Regie: Erik Ode. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Anaid Iplicjian (Alberta Renz), Siegfried Wischnewski (Robert Renz), Nikolaus Büchel (Erich Renz), Rose Renee Roth (Luise), Franziska Bronnen (Ursula Momm), Herbert Fleischmann (Mahler), Heide Kiunka, Hans Bergmann u.a. Erstsendung: 18. September 1980, ZDF.

Zitat von Derrick: Eine unheimlich starke Persönlichkeit
Er macht es seinen Mitmenschen nicht leicht: Weil Robert Renz schonungslos seine Meinung ausspricht, macht er sich Frau und Sohn zum Feind. Mit der Geliebten bändelt er ganz offen an. Vor ihrem Haus wird eines Abends auf ihn geschossen. Renz schleppt sich in den Aufzug und stirbt schließlich in der Wohnung von Ursula Momm. Die Frage ist: Wer hatte die meisten Gründe, diese unheimlich starke Persönlichkeit auszulöschen?


In „Eine unheimlich starke Persönlichkeit“ kulminiert mein hin und wieder bei ZDF-Programmen vorhandener Eindruck, das alles schon vorher einmal gesehen zu haben. Dass sich sowohl Ringelmann als auch Reinecker bei sich selbst bedienen mussten, ist bei dem enormen Output von Produktionsfirma und Drehbuchfabrik kaum verwunderlich. Man kann es jedoch besser oder eben auch schlechter kaschieren. Wenn man sich hier konfrontiert sieht mit

  • Siegfried Wischnewski als Familienoberhaupt (zuletzt „Derrick“ #68),
  • Herbert Fleischmann als harmlosem Geschäftsmann (zuletzt „Derrick“ #66),
  • Anaid Iplicjian im Kampf gegen einen harten, gefühlskalten Mann wie in „Derrick: Paddenberg“,
  • demselben Drehort wie in „Der Alte: Zwei Mörder“ sowie
  • einem Herumreiten auf der Kategorie ewiges Familiendrama mit untreuem Ehemann,
so fühle ich meinerseits auch einmal das Bedürfnis, ob dieser Wiederholungen Beschwerde anzumelden. Sie fällt umso stärker ins Gewicht, als Wischnewski frühzeitig von der Bühne tritt, Fleischmann völlig verzichtbar ist, der Zweikampf in „Paddenberg“ von bedeutend exzellenterem Format war und „Zwei Mörder“ in seiner Bildsprache stärker überzeugte.

Die Stärken: Während Iplicjian ihre gewohnt überlegte, damenhafte Art behalten hat, spielt Rose Renee Roth eine verschrobene, vorwitzige, menschenkennende Haushälterin, die auch in verborgenen Gesten mehr zu sagen hat als die direkt Beteiligten. Es ist offensichtlich, dass sie Robert Renz verachtete, obwohl sie bei ihm angestellt war. Renz’ Todesszene ist zudem beachtlich gedreht und gespielt und bleibt auch nach der Sichtung plastisch im Gedächtnis. Einige Bum-und-aus-Morde können sich hier eine Scheibe abschneiden, wenngleich es mich nicht überraschen würde, wenn das ZDF nach der Ausstrahlung einige erzürnte Zuschauerbriefe wegen unnötiger Härte (oder besser: übermäßiger Detailliertheit) erhalten hätte.

Die Schwächen: Das größte Manko der Folge heißt mit Vornamen Nikolaus, mit Nachnamen Büchel. Obwohl sein Part – der des verstoßenen Sohnes, der nach dem Tod seines verabscheuten, doch heimlich bewunderten Vaters gerade diesen aufs Haar nachahmt – einiges an Zündstoff bot, versickert jeder noch so kleine Hauch Glaubwürdigkeit in Büchels exaltiertem Auftreten. Der Wiener mit liechtensteiner Staatsbürgerschaft verlegte sich nach diesem seinem einzigen Fernsehauftritt dankenswerterweise auf die Tätigkeit des Regieassistenten bzw. Regisseurs am Theater. Leider blieb es am nicht gerade „Derrick“-erfahrenen Erik Ode hängen, Büchels gestelzte Aussprache der wie allgemein bekannt „schwierigen“ Reinecker-Zeilen zu kaschieren. Es misslang.

Derrick verlässt sich einmal mehr auf seine gute Nase. Seine Schlussfolgerungen richten sich nun einmal nicht nach Wahrscheinlichkeit, sondern – je nachdem, wie man es betrachten möchte – entweder nach psychologischer Stärke oder nach der Verpflichtung, den Täter nach 60 Minuten geschnappt zu haben. Die Spontanauflösung in der letzten Sekunde überrascht allerdings nicht wirklich und würde in der Realität wohl als verzweifelter Rettungsversuch ausgelegt werden. Kriminalistische Beweise bleibt „Eine unheimlich starke Persönlichkeit“ schuldig.

Eine ambivalente Angelegenheit. Einige durchaus hochwertige Szenen mischen sich mit anderen, die ich als schlechten Abklatsch anderer Stoffe aufgefasst habe. Eine vergnügliche Folge, die man sich immer wieder ansehen kann, sieht anders aus. 3 von 5 Punkten. Ich würde Sichtungsabschnitt 5 gern zuversichtlicher beenden.



Nach einer unglaublich starken vierten Box ging der Trend vor allem zu Beginn der fünften Edition steil bergab. Wirklich starke Folgen sind unter den letzten 15 Episoden so rar wie noch nie – oder werden die Ansprüche höher? Jedenfalls sinkt die durchschnittliche Folgenbenotung von 4,1 auf 3,7 ab. Andererseits habe ich keine von grundauf misslungene Folge entdeckt. Das Mittelfeld vergrößert sich. Die genaue Aufschlüsselung sieht wie folgt aus:

Platz 01 | ★★★★★ | Folge 071 | Die Entscheidung (Grädler)
Platz 02 | ★★★★★ | Folge 067 | Unstillbarer Hunger (Ashley)

Platz 03 | ★★★★☆ | Folge 074 | Zeuge Yurowski (Vohrer)
Platz 04 | ★★★★☆ | Folge 073 | Auf einem Gutshof (Grädler)
Platz 05 | ★★★★☆ | Folge 065 | Karo As (Haugk)

Platz 06 | ★★★★★ | Folge 069 | Tödliche Sekunde (Brynych)
Platz 07 | ★★★★★ | Folge 063 | Die Versuchung (Ode)

Platz 08 | ★★★☆★ | Folge 066 | Hanna, liebe Hanna (Grädler)
Platz 09 | ★★★☆★ | Folge 061 | Ein Kongress in Berlin (Ashley)

Platz 10 | ★★★★★ | Folge 062 | Das dritte Opfer (Vohrer)
Platz 11 | ★★★★★ | Folge 075 | Eine unheimlich starke Persönlichkeit (Ode)
Platz 12 | ★★★★★ | Folge 070 | Ein tödlicher Preis (Ashley)
Platz 13 | ★★★★★ | Folge 072 | Der Tod sucht Abonnenten (Brynych)
Platz 14 | ★★★★★ | Folge 068 | Ein Lied aus Theben (Weidenmann)

Platz 15 | ★★☆★★ | Folge 064 | Ein Todesengel (Vohrer)

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

15.07.2012 13:55
#394 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Zeuge Yurowski" (Episode 74)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Bernhard Wicki, Christiane Krüger, Hannelore Schroth, Bruno Dietrich, Johanna Elbauer, Christian Quadflieg, Manfred Seipold, Sepp Wäsche, Axel Schiessler, Willy Schäfer - Regie: Alfred Vohrer

Der Familienvater Yurowski ist Angestellter einer Firma, für die er auch nach den Bürostunden noch tätig ist. Da er eine Mappe mit Unterlagen auf seinem Schreibtisch vergessen hat, fährt er noch einmal zurück und holt sie. Dabei fallen ihm und dem Pförtner verdächtige Geräusche auf. In den oberen Etagen, wo wichtige Dokumente im Tresor verwahrt werden, sind Einbrecher am Werk. Als der Nachtwächter nachsehen will, wird er erschossen. Yurowski steht angsterstarrt am Fuß der Treppe, als einer der Täter herunterläuft: es ist seine Sekretärin. Sie drängt ihn in ein Büro und weist ihn an, der Polizei gegenüber nichts von ihrer Anwesenheit zu berichten. Gerade als Yurowski den Schlüssel im Schloss umgedreht hat, wird durch die Tür auf ihn geschossen. Entweder er schweigt - oder man will ihn oder ein Mitglied seiner Familie töten....

Bernhard Wicki ist der Typ Mann, mit dem man lieber nichts zu tun haben möchte. Sein Auftreten, die phlegmatische Wirkung, die jedoch im Gegensatz zu seinem regen Geist steht, bedeutet Unheil für den, der ihn nicht richtig zu nehmen weiß. Das "Wienerische", das er exemplarisch verkörpert; die Präpotenz, die Verachtung seines Gegenübers, der versteckte Spott und die Bereitschaft, aggressiv zu werden - all dies prädestiniert ihn für dominante Rollen, weshalb es eine interessante Charakterstudie ist, die Alfred Vohrer hier abwickelt. Erstmals werden Zweifel, Ängste und Schuldgefühle geweckt - Eigenschaften, die ein Mann in seiner Position nicht gerne offenbart und zugibt, steht er doch als Fels in der Brandung, ist er doch das Rückgrat der Familie, auch, wenn die moralische Instanz von der Mutter verkörpert wird.
Die klassische Rollenverteilung ist in der Familie Yurowski noch präsent und man könnte die Handlung auch einige Jahrzehnte früher ansiedeln. Wieder einmal sind es die Kinder, die aufbegehren, die Fragen stellen und nach ihrem Gewissen handeln.
Besonders das erste Viertel der Episode steht in Spannung und Stringenz für das Talent des Regisseurs, eine dichte Atmosphäre der Bedrohung aufbauen zu können.
Sobald sich die Schatten der Nacht verflüchtigt haben und das Tagesgeschäft im Büro wieder anläuft, begegnen wir der Leichtigkeit des Seins in Gestalt des jungen Quadflieg, der "dem Alten" den Spiegel vorhält und an dessen Mittäterschaft man zu keinem Zeitpunkt zweifelt. Die schöne Christiane Krüger bildet das Bindungsglied zwischen Hell und Dunkel, zwischen Gut und Böse und man sympathisiert mehr mit ihr als mit dem "Opfer" Yurowski. Doch mit einem Mann wie Quadflieg an der Seite ist jeder Zukunftstraum zum Scheitern verurteilt. Leider bildet die Entlarvung des wahren Täters eine große Enttäuschung für das Publikum. Zu unscheinbar und unbekannt ist der Drahtzieher, dessen vermeintliche Auftragsarbeit offensichtlich doch sein eigener Plan war.
Derrick darf hier wieder in die Offensive gehen; zu selten fordert man ihn heraus, obwohl man spürt, dass er Lust hätte, in alter "Mitternachtsbus"-Tradition loszulegen.
Doch die Zeiten von Echterding (jugendlich dynamisch) und Schröder (muffig-gleichmütig) sind vorbei: Gegen den unauffälligen Berger braucht Stephan Derrick keine lauten Akzente zu setzen.

Blap Offline




Beiträge: 1.128

15.07.2012 22:40
#395 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Die Fortsetzung der "Mega-Derrick-Sause"


Derrick - Collector's Box 9 (Folgen 121-135)

Folge 127 - Wer erschoss Asmy? (Deutschland 1985)

Auf den Koitus folgen die Kugeln

Der wohlhabende Robert Asmy (Jürgen Emanuel) geniesst das Leben, vergnügt sich gern in kurzen Beziehungen mit jungen Frauen, momentan teilt er das Bett mit Erni Weik (Anne Bennent). Eines Tages peitschen Schüsse durch den Garten, Robert Asmy liegt tot auf dem Rasen, Erni steht geschockt daneben. Derrick kann der Zeugin keine aufschlussreichen Informationen entlocken, offenbar gelang dem Täter unerkannt die Flucht. Weitere Ermittlungen decken die Motive mehrerer Personen auf, so tauchte Ernis zorniger Ex-Freund Benno Schliers (Werner Asam) vor dem Anwesen auf, doch auch Helene Asmy (Constanze Engelbrecht) zeigt keine Trauer über den Tod ihres geschiedenen Mannes. Ernis Bruder Heinz (David Bennent) freut sich über die Rückkehr seiner Schwester in die gemeinsame Wohnung, ihm wurde ebenso der Zutritt zum Anwesen von Robert Asmy verweigert...

Familie Bennent taucht häufig in der Reihe auf. Anne gehört fast zu den Dauergästen, hier ist zusätzlich ihr jüngerer Bruder David zu sehen (dessen Figur der Vorname von Vater Heinz Bennent verpasst wurde). Anne Bennent zeigt sich zunächst freizügig, ihr trügerisches Liebesglück endet in einem Knall, übrig bleiben Trauer und Rückkehr in das alte Leben, ein tristes und fahles Leben (tatsächlich in tristes Leben?). David Bennent wurde durch Volker Schlöndorffs "Die Brechtrommel" einem breiten Publikum bekannt, konnte nie den langen Schatten des Oskar Matzerath abstreifen. Den Geschwistern gelingt mühelos ein herzlicher Umgang, gleichzeitig besteht eine starke Abhängigkeit, ohne die grosse Schwester versinkt der kleine Bruder in einem Meer der Trauer, zeigt bei deren Rückkehr nahezu hysterischen Frohsinn. Inge Birkmann sehen wir als Mutter des Mordopfers. Die alte Dame spielt gelungen gegen das Klischee der kaltherzigen Mutter/Schwiegermutter an, ihre "Madame Asmy" ist aus meiner Sicht der interessanteste Charakter dieser Folge. Constanze Engelbrecht präsentiert sich als kühle Ex-Frau, Fritz Strassner und Enzi Fuchs mimen die Hausangestellten des Herrn Asmy. Werner Asam vervollständigt das Ensemble, darf den primitiv angelegten Autofritzen geben.

"Wer erschoss Asmy?" punktet mit teils bemerkenswerten Charakteren, allesamt hochklassig dargestellt, verliert aber durch die wenig gelungene Auflösung deutlich an Boden. Weiterhin wird mehrfach über das Übel des Müßiggangs sinniert, in diesen Momenten driftet Autor Reinecker zu durchsichtig in Zeigefingergefuchtel ab. Derweil findet Derrick den Weg zurück auf seinen Pfad, vergessen die kalt-arroganten Anwandlungen der vorherigen Episode "Toter Goldfisch". Mehr noch, unser liebster Oberinspektor sorgt sich um eine der zentralen Figuren, kehrt den väterlichen Freund raus. So ist er, der Stephan, so lieben wir ihn! Fritz Wepper bleibt erneut im Hintergrund, Harry hat in den letzten Folgen deutlich an Boden verloren, eine leichte Aufwärtsbewegung ist jedoch erkennbar. Für die Musik sorgte Eberhard Schoener, seine Kompositionen wurden sehr effektiv eingesetzt. Jürgen Goslar inszenierte solide, kann sich auf sein starkes Ensemble verlassen. Fesselnde Charaktere und interessante Beziehungsgeflechte auf der Habenseite, schlappe Auflösung und unnötige Gängelungsversuche des Zuschauers lassen das Resultat spürbar schrumpfen.

6,5/10 (oberste Mittelklasse)

***

Vom Ursprung her verdorben

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

22.07.2012 14:23
#396 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Eine unheimlich starke Persönlichkeit" (Folge 75)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Siegfried Wischnewski, Anaid Iplicjian, Nikolaus Büchel, Rosa Renee Roth, Franziska Bronnen, Herbert Fleischmann, Willy Schäfer u.a. - Regie: Erik Ode

Der Unternehmer Robert Renz beschließt, allein zur Feier seines Firmenjubiläums zu gehen. Nicht seine Ehefrau Alberta, sondern seine Geliebte Ursula soll an seiner Seite sein, wenn die Sektgläser erhoben werden und man sich gegenseitig zu den Erfolgen der Vergangenheit beglückwünscht. Erich Renz, der Sohn des Ehepaares, ruft aus Nürnberg an, wo er in einer unbedeutenden Abteilung des väterlichen Werks arbeitet. Als er hört, dass sein Vater seine Mutter brüskiert hat, setzt er sich ins Auto und fährt nach München. Kurze Zeit später wird Robert Renz beim Verlassen der Wohnung seiner Geliebten erschossen....

Nikolaus Büchel (geb. 1957) ist die Reizfigur dieser "Derrick"-Episode und an seinem Auftritt entzündet sich nicht nur der Scharfsinn des Kritikers Gubanov, sondern auch die verspielte Leichtigkeit, mit der Percy Lister gerne hinter die Dinge blickt. Der Sohn des Hauses, den man leider nie im Kreis seiner Familie sieht, rebelliert gegen seinen Vater - posthum. Umgeben von den weiblichen Mitgliedern des Haushalts, entwickelt er einen kecken Mut; eine gewisse Intoleranz für althergebrachte Riten, Floskeln und Reaktionen wohnt ohnehin fast jedem Jugendlichen inne - nach Auffassung von Herbert Reinecker. Anaid Iplicjian, eine vollendete Dame, schaltet in dieser Folge drei Gänge herunter und begnügt sich mit der Rolle des Opfers, einer Typisierung, die nicht zu ihr passt und die man ihr auch nicht abnimmt.
Rosa Renee Roth feuert kleine Giftpfeile in Richtung ihres Arbeitgebers ab und ist dabei gewohnt trotzig und lebensweise. Sie bildet das standhafte Gegenstück zu Lisa Hellwig, die oft in ähnlichen Rollen zu sehen ist, aufgrund ihrer Zerbrechlichkeit jedoch nur stillen Widerstand leistet.
Siegfried Wischnewski ist erneut von der Unverwundbarkeit seiner Person überzeugt und tut dies bei seinen Auftritten abwechselnd süffisant oder präpotent. Der Grat zwischen sympathischer Lockerheit und sturer Kaltschnäuzigkeit ist in seinem Fall sehr schmal, weshalb man ihn sowohl als Rechtsvertreter als auch als dessen Gegenspieler einsetzen kann. Doch zurück zu Büchel. Affektiert, launig und exaltiert begegnet er seinem Publikum, wobei sein eigentliches Streben das Inszenieren von Stücken ist, eine Gabe, die ihn im Laufe der Jahre von Bonn über Frankfurt, Stuttgart und Essen wieder zurück in seine Heimat Österreich gebracht hat.
Seine Erscheinung erinnert an eine Mischung aus Benedict Cumberbatch und Falco - Erik Ode wird es tatsächlich nicht leicht mit ihm gehabt haben. Man bestaunt die Widersprüchlichkeit seines Charakters. Bald schon findet er den Weg zu Zigarren, Luxuswagen und Firmenschreibtisch - wie wird die Geschichte wohl nach dem Abspann weitergehen? Allzu leicht vergisst der Zuseher - den es "noch schneller von den Vergnügungen weg- als zu ihnen hinzieht" (Edith Wharton, Zeit der Unschuld)- die Tatsache, dass Stephan Derrick nur kurz die Lebensbühne betritt, um einen Schurken dingfest zu machen. Die Konsequenzen aus der Verhaftung erlebt das Publikum generell nicht mehr. Nebenbei sei noch erwähnt, dass man Harry Klein nach "Der Tod sucht Abonnenten" erneut einige moralinsaure Dialogsätze untergeschoben hat; diesmal erschrickt er darüber, dass die Witwe keine Trauer über den Tod ihres Mannes zeigt.
Fazit: Gepflegte Unterhaltung mit einem polarisierenden Nikolaus Büchel, bei dem mein Daumen nach oben geht.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

22.07.2012 14:38
#397 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Das Lob für Büchel ist in meinen Augen völlig unverständlich und kann nicht ohne meine stärkste Gegenwehr stehenbleiben. Ich halte es für eindeutig, dass Büchel der bis dato schlechteste Schauspieler ist, der überhaupt irgendeine "Derrick"-Rolle übernommen hat. Du ziehst einen Vergleich mit Cumberbatch. Doch bedenke: Der Unterschied zwischen Büchel und Cumberbatch ist der, dass man Cumberbatch abnimmt, was er spielt. Als Sherlock feiert er große Erfolge und in der jungen Generation gibt es weit mehr Menschen, die ihn mit Holmes assoziieren als Rathbone oder Brett. Nicht einmal die zwei misslungenen Folgen der zweiten Staffel kann man an Cumberbatch festmachen. Bei "Derrick" ist es aber Büchel, der einem den Spaß an der Episode 75 verdirbt. Er geht ja nicht im Entferntesten in seiner Rolle auf. Man spürt auf 100 Meter Entfernung, dass er da nicht selbst aus Überzeugung spricht, sondern Sätze dahersagt, die ein anderer für ihn geschrieben hat. Alles, was aus seinem Mund kommt, wirkt auf mich unbeschreiblich künstlich und steif, übertrieben, ungelenk und unprofessionell.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

22.07.2012 14:55
#398 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Nach Abschluss der "Derrick"-Collection Nummer 5 folgt hier die obligatorische Rangliste:

Platz 01 (Folge 73): Auf einem Gutshof - 5 Punkte
Platz 02 (Folge 74): Zeuge Yurowski - 5 Punkte
Platz 03 (Folge 70): Ein tödlicher Preis - 5 Punkte
Platz 04 (Folge 66): Hanna, liebe Hanna - 4,5 Punkte
Platz 05 (Folge 67): Unstillbarer Hunger - 4 Punkte
Platz 06 (Folge 63): Die Versuchung - 4 Punkte
Platz 07 (Folge 75): Eine unheimlich starke Persönlichkeit - 4 Punkte
Platz 08 (Folge 69): Tödliche Sekunde - 4 Punkte
Platz 09 (Folge 65): Karo As - 3,5 Punkte
Platz 10 (Folge 62): Das dritte Opfer - 3,5 Punkte
Platz 11 (Folge 72): Der Tod sucht Abonnenten - 3,5 Punkte
Platz 12 (Folge 68): Ein Lied aus Theben - 3 Punkte
Platz 13 (Folge 71): Die Entscheidung - 3 Punkte
Platz 14 (Folge 61): Ein Kongress in Berlin - 2 Punkte
Platz 15 (Folge 64): Ein Todesengel - 1,5 Punkte

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

22.07.2012 20:55
#399 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

BEWERTET: "Pricker" (Folge 76)
mit: Horst Tappert, Fritz Wepper, Klaus Schwarzkopf, Ruth Drexel, Ute Willing, Gaby Herbst, Dirk Galuba, Maria Singer, Sepp Wäsche, Werner Schnitzer, Michael Maien, Willy Schäfer u.a. - Regie: Alfred Vohrer

Alfred Pricker wartet im Büro des Gefängnissekretariats auf seine Überstellung nach München. Ein weiterer Häftling, ein gewisser Hamann, soll mitfahren, doch seine Verhandlung wird im letzten Augenblick vertagt. Wenig später wird der Transporter überfallen, in dem Pricker in die bayerische Hauptstadt gebracht wird. Der Fahrer wird erschossen, sein Kollege schwer verletzt. Bevor die Gangster, die eigentlich Hamann im Wagen vermutet hatten, auch ihn töten können, flieht Pricker in den Wald. Auf einem Bauernhof findet er bei der Witwe Franziska Sailer Unterschlupf....

Wieder einmal trägt eine "Derrick"-Episode den Namen des Hauptdarstellers. Während man beim weiblichen Geschlecht gern auf die Vornamen ("Johanna", "Ute und Manuela", "Lena") zurückgreift, verwendet Reinecker bei den Herren meist die Nachnamen, die alles ein wenig großspuriger und unnahbarer machen. Der Name avanciert zum Markenzeichen. Was im Falle eines Peter Pasetti (oder: Piotr Pasettkowitsch, wie ihn seine Freunde liebevoll nennen) tadellos funktioniert, passt nicht unbedingt auf Klaus Schwarzkopf, der sich im besten Sinne des Wortes zurückhält und dessen subtile Anwesenheit in der Wohnung der Familie Sailer für ein stilles Glück sorgt, das ein nachhaltiges Bild unaufgeregten häuslichen Friedens zeichnet. Ruth Drexel ist die eigentliche Hauptperson; ihre Entscheidung, den entflohenen Strafgefangenen bei sich aufzunehmen, zeigt die Schneid (österr./bayr. für: Mut, Tatkraft) der einfachen Landfrau, die weder ihre misstrauische Untermieterin, noch die Entdeckung durch die Polizei fürchtet. Den Gegenpol zur zögerlichen Idylle abseits der Stadt München bildet Gaby Herbst als Josefine Hamann, deren Ehemann für Derrick Inspiration für ein Verbrechen darstellt. Dirk Galuba steht in seinen Rollen ohnehin entweder mit einem Fuß oder beiden Beinen im Gefängnis. Und der stets erschrocken dreinblickende Michael Maien hat nach "Die verlorenen Sekunden" (Folge 50) wieder einen seiner Drei-Sätze-Auftritte. Trotz oder wegen seines guten Aussehens bleibt er nur Statist, während sich "Helferlein" (O-Ton: Blap) Berger diesmal im Dienst des Gesetzes verprügeln lässt. Interessant ist der Blick auf die Frauen: Während Witwe Franziska noch sechs Jahre nach dem Tod ihres Mannes all seine Kleider im Schrank hängen hat und den Neuankömmling pragmatisch in die Familie aufnimmt, bescheinigt man Frau Hamann, ihre besten Jahre zu verlieren, wenn sie auf die Haftentlassung ihres Mannes wartet.
Derrick setzt auf seine später noch oft erprobte Methode der suggestiven Gewissensbisse. Er weckt Schuldgefühle in der Anstifterin zu der missglückten Befreiungsaktion und vertraut auf übereilte und unüberlegte Handlungen ihrerseits. Nach "Karo As" (Folge 65) gibt es erneut ein denkenswertes Ende, das für Zukunftsspekulationen sorgt und selbst beim abgebrühten Oberinspektor Anteilnahme hervorruft.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

25.07.2012 20:15
#400 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

DERRICK Collector’s Box 6 (Folgen 76 bis 90, 1980-82)





Derrick: Pricker

Episode 76 der TV-Kriminalserie, BRD 1980. Regie: Alfred Vohrer. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Klaus Schwarzkopf (Pricker), Ruth Drexel (Franziska Sailer), Ute Willing (Hanni Sailer), Gaby Herbst (Josefine Hamann), Dirk Galuba (Hamann), Carola Höhn (Inhaberin des Modesalons), Maria Singer (Frau Zander), Werner Schnitzer u.a. Erstsendung: 17. Oktober 1980, ZDF.

Zitat von Derrick: Pricker
Gangster überfallen auf der Landstraße einen Gefangenentransport und erschießen zwei Polizisten. Aber in der grünen Minna sitzt nicht der, den sie suchen. Nur Pricker, ein Kleinganove, ist an Bord. Und zu allem Überfluss flieht er in den Wald, bevor die bewaffneten Männer sich seiner entledigen können. Prickers Weg führt alsdann nicht zur Polizei: Er findet Unterschlupf bei einer resoluten Witwe.


Urige „Derrick“-Fans, die südlich des Weißwurstäquators angesiedelt sind, bemängeln manchmal, dass in der Serie, die auf drei nicht-bajuwarischen Fernsehsendern ausgestrahlt wurde, der bairischen Sprache zu wenig Bild-, oder besser: Ton-Fläche geboten wurde. Man könnte sich damit abfinden, dass Stephan Derrick alles andere als ein Münchner Original ist und, um es im Jargon der blau-weißen „Wanninger“-Serie auszudrücken, eher in des Preußen Steiners Fußspuren wandelt. Doch selbst bei Ermittlungen auf dem Lande gehören die Personen, die sich im breiten Dialekt äußern, bei „Derrick“ eher zu den Nebenrollen, zu den oft dumm-dreist geratenen Karikaturen.

Westfale Reinecker entschädigte Ausgleich fordernde Bayern in „Pricker“ sowohl mit süddeutschem Kauderwelsch par excellence als auch mit einer Aura, die ein wenig an das heimatfilmliche Gusto des oft gesuchten häuslichen Glücks erinnert und damit Reminiszenzen zu „Lena“ (#59) weckt. Hauptteile der Episode fokussieren die Annäherungsversuche zwischen dem sanften Strafgefangenen Pricker und der handfesten Eingeborenen Franziska Sailer. Stellvertretend stehen sie für die schwierige, aber nicht hoffnungslose Beziehung, die Frauen von Verbrechern – oft damit beschäftigt, aus menschlichen Gründen zu verstecken, zu flunkern, nicht erwischt zu werden – tagein, tagaus meistern müssen. Vor diesem Hintergrund ergibt auch der sonst in Anbetracht ihrer Durchsetzungskraft eher unangebrachte Kommentar Franziskas, sie habe immer Angst, einen bedeutungsschweren Sinn. Das zum Scheitern verurteilte Pendant einer Liebe, die weniger aufbauend als zerstörerisch wirkt, liefern die Hamanns, die sich gegenseitig immer tiefer in Unterschlagungs- und Mordgeschichten verstricken.

Ein Glück für „Pricker“ ist die Besetzung beider Paarungen. Heimlich erwischte ich mich dabei, zu sinnieren, wie schön es doch wäre, Klaus Schwarzkopf öfter einmal im „Derrick“-Team begrüßen zu dürfen. Er war als Charaktertype einmalig und verlieh Alfred Pricker einerseits eine sympathische Verschmitztheit, andererseits eine deutliche Abhängigkeit. Der Vergleich zu Peter Pasetti erscheint mir insofern unfair, als beide zu einer gänzlich unterschiedlichen Spezies zu gehören scheinen. Ruth Drexels und Gaby Herbsts ähnlich konträre Darstellungen verdeutlichen auch Reineckers Empfinden für das Einfache und Genügsame. Dirk Galuba lief in einer Standardrolle auf, die er auch innerhalb seines engen Aktionsradius wieder ideal ausfüllte.

Trotz all dieser Schwerpunkte gerät „Pricker“ nie in den Verdacht, eine heimelige Liebesposse zu werden. Das krasse Gegenteil stellt sich bereits zu Beginn während des Überfalls auf den Sträflingstransport dar, der von Alfred Vohrer in unverblümter Härte ins Bild gesetzt wurde. Auch später verrichten Stephan und Harry ungewöhnlich umfangreiche und kriminalistisch interessante Ermittlungen, die neben den üblichen kurzen Zeugenbefragungen auch behördliche Recherchen, Hausdurchsuchungen und Überwachungen (hierfür eignet sich Prügelknabe Berger) umfassen. Parallel zu Vohrers letztem „Derrick“ #74, „Zeuge Yurowski“, mündet die Handlung in einen spannenden Showdown am Ende, der wieder die Benutzung der Dienstwaffen nötig macht und um die Protagonisten zittern lässt. Pricker ist einem selbst trotz seiner Vorstrafe doch mindestens ebenso ans Herz gewachsen wie seiner „Pflegemutter“.

Landfolgen geben „Derrick“ die richtige Würze, sind sie doch in Ermangelung eines abgefilmten Diensturlaubs die einzige Möglichkeit, der Isar-Metropole zu entfliehen. Dass es auf dem Land aber manchmal noch rustikaler zugeht als in München, dem Nabel des bayerischen Imperiums, verdeutlicht der sowohl den Adrenalin- als auch den Serotoninspiegel pushende, bestens gelungene Einstand in „Derrick“-Collector’s-Box 6. 5 von 5 Punkten.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

25.07.2012 21:11
#401 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Pricker ist zweifellos eine sehr gelungene Folge, was natürlich auch auf den hervorragenden Klaus Schwarzkopf zurückzuführen ist.

Heute aus Anlass des Todes von Eberhard Itzenplitz:

Derrick
Folge 268: Gegenüberstellung
Buch: Herbert Reinecker | Regie: Eberhard Itzenplitz | Erstsendung ZDF: 31. Jänner 1997

Inhalt: Eine junge Frau aus Osteuropa wird von zwei Vermummten aus einem Lokal gezerrt und umgebracht. Polizist Andy Klenze ist Augenzeuge der Tat und kann eine Täterbeschreibung abgeben, anhand derer der Mörder bald gefunden ist. Kurz vor der Gegenüberstellung erhält der Familienvater jedoch die Drohung, dass seiner Tochter etwas passiert, wenn er eine belastende Aussage macht...

Darsteller: Horst Tappert (Oberinspektor Derrick), Fritz Wepper (Inspektor Klein), Volker Lechtenbrink (Robert Kaltenbach), Stefan Kolosko (Andy Klenze), Ronald Nitschke (Arnold Leskow), Julia Richter (Helga Klenze), Renata Zednikova (Anna)

Eberhard Itzenplitz hat mehrere Male für "Derrick" inszeniert, als beste Folge habe ich Die Nächte des Kaplans , seinen letzten Beitrag in Erinnerung, in der der großartige Michael Mertens an der Seite von Horst Bollmann zu sehen ist. Gegenüberstellung hatte ich weniger gut gespeichert, umso mehr hat mich diese Folge heute begeistert. Diese vorletzte TV-Inszenierung des Regisseurs überzeugt von Anfang an durch Spannung: die Frau aus Osteuropa, die verzweifelt durch die Nacht flieht, die packende Szene im Lokal, als die Verfolger mit Maske auftreten, die Verfolgungsjagd. Dann aber wird der Krimi zur psychologischen Angelegenheit und auch hier erweist sich Dr. Itzenplitz als Meister seines Fachs, der sowohl Action als auch Drama gut beherrschte. Die Geschichte, die zugegebenermaßen schon einiges, aber bei weitem nicht so schlimmes an Reinecker-Philosophien wie in anderen Spätfolgen beinhaltet, wird durch die glaubhafte Besetzung des jungen Polizisten Klenze mit Stefan Kolosko und die sanfte Schauspielerführung aufgewertet. Die Spannung entsteht nicht aus dem "Wer war's" sondern aus dem "Was wird geschehen?". An einigen Stellen scheint es so, als ob Itzenplitz zu klischeehafte Dialoge zwischen Derrick und Harry immens gekürzt hat, deren oft komisch anmutenden Zwiegespräche sind nämlich auf wenige Sätze limitiert (auch wenn noch so unfreiwillig komische Sätze wie "Harry, wir brauchen eine Handynummer!" vorkommen). Insgesamt eine ganz gute Spätfolge, in der leider Willy Schäfer nur sekundenweise zu sehen ist und nicht einmal einen Satz spricht.
P.S.: Die Kamera oblag hier wie in den meisten späten Folgen Michael Georg, der der Sohn von Konrad Georg ist.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.07.2012 16:10
#402 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Dem Mörder eine Kerze

Episode 77 der TV-Kriminalserie, BRD 1980. Regie: Dietrich Haugk. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Horst Frank (Pfarrer Scholz), Sven-Eric Bechtolf (Albert Hess), Eva-Ingeborg Scholz (Frau Hess), Sascha Hehn (Horst Gronau), Käte Jaenicke (Frau Hessler), Angela Hillebrecht (Frau Brand), Katja Bienert (Vera Essling), Rolf Castell (Herr Essling) u.a. Erstsendung: 21. November 1980, ZDF.

Zitat von Derrick: Dem Mörder eine Kerze
Der Pfarrer von St. Anna wird mitten in der Nacht aufgeschreckt: Ein Mann, der seine Stimme verstellt, will eine Beichte ablegen. Er sagt, er habe einen Mord begangen. Der Pfarrer erkennt den Mörder. Am nächsten Morgen trifft die Polizei im Viertel ein: Ein Fotograf wurde erschossen. Im Sterben schrieb er das Wort „Schule“ auf einen Zettel. Eine heiße Spur?


Schon in den ersten Minuten der Folge baut „Dem Mörder eine Kerze“ eine große Spannung auf. Das ist für „Derrick“-Verhältnisse nicht ungewöhnlich, sah man sich doch bereits mehrfach mit Einstiegen mit Paukenschlag konfrontiert (siehe zuletzt z.B. „Pricker“ und „Zeuge Yurowski“). In der vorliegenden Episode fällt der Verdienst aber umso positiver aus, als man die Situation von Pfarrer und Mörder bereits in mehrfacher Ausführung gesehen hat. Ob im „Kommissar“ oder in Hitchcocks „I Confess“ – dass Schwarzröcke und böse Buben für gute Spannung sorgen, ist bekannt. Doch die Verbindung, die Käte Jaenickes erschrockenes Gesicht, Horst Franks stoische Ruhe, die verzerrte Stimme des Täters und die grollend unheilvolle Musik von Frank Duval schaffen, setzt locker einen drauf auf den 1970er Anlauf von Wolfgang Becker.

„Dem Mörder eine Kerze“ hätte es aber nicht unter die eingeschworenen Kult-Episoden der „Derrick“-Reihe geschafft, würde sie nicht über mindestens einen krassen Stilbruch verfügen. Wie viele man hier zählen kann, ist wohl persönliche Interpretationssache. Vergnüglich sind sie aber alle: 80es-Pop-Sound, trockene Witzeleien, ein kreischendes Mädchen, Derrick im Sexkino, Harry auf dem Rücksitz des Polizeiwagens und und und ... Dietrich Haugk hat in einer Manier, die an „Der Mann aus Portofino“ erinnert, noch einmal zugeschlagen und eine inspirierte, verdammt vergnügliche, aber zugleich bitterböse Folge geschaffen. So wie in „Der Tod sucht Abonnenten“ haben wir es bei „Dem Möder eine Kerze“ mit einem Outing der Serie zu tun, das sich einem bestimmten moralischen Problemthema widmet. Im Gegensatz zu Brynychs trockenem Appell würzte Reinecker die Thematik der Erotikbranche mit einem gehörigen Schuss Entertainment – es geht ja in gewisser Weise um einen „Film im Film“.

Drei Hauptdarsteller lassen sich identifizieren: Auf Horst Frank ist die Sprache bereits gefallen. Er macht einen leicht entrückten Eindruck, wie er für Kirchenmänner typisch ist, versteht es aber, diesen so auszufeilen, als hätte er einen besonders großen Spalt zwischen Glaubensidealismus und Realität zu überwinden. Sascha Hehn wächst ebenfalls über die Aufgabe eines normalen Fieslings hinaus – die beeindruckendste Performance aber erlebt man von Jungdarsteller Sven-Eric Bechtolf. 1980 war das sein erster Auftritt in einer größeren TV-Serie, man glaubt ihm aber jedes Wort, das er Stephan oder Harry gegenüber äußert. Obwohl auch seine Rolle überheblich und launisch angelegt ist, gewinnt er nach anfänglichem Argwohn doch mehr und mehr die Zuneigung des Zuschauers, die sich in der Szene vor dem Pornokino besonders zuspitzt. Schließlich erscheint mir noch der Mini-Auftritt der immer liebenswerten Eva-Ingeborg Scholz erwähnenswert.

Ob man nun „Angel of Mine“ mag oder nicht – als charakteristischer Soundtrack für eine charakteristische Folge überzeugt er restlos. Trotz diverser Späßchen wirkt „Dem Mörder eine Kerze“ nie albern oder unausgegoren, wozu Dietrich Haugks Fingerspitzengefühl für aufwühlende „Derricks“ zu großen Teilen beiträgt. Ein sicherer 5-von-5-Punkten-Kandidat.



Spezialuntersuchung, Fall 1: Regisseur Dietrich Haugk

Auch die Männer, die hinter den Kulissen wirkten und für gewöhnlich nicht vor der Kamera zu sehen waren, sollen hier einmal genauer unter die Lupe genommen werden. Neben dem Autor Herbert Reinecker waren es schließlich vor allem die Regisseure, die das Bild und den unverkennbaren Charakter der „Derrick“-Serie prägten.

Wie auch bei den Erstausstrahlungen ab 1974 steht in der kleinen Galerie Dietrich Haugk am Anfang. Er inszenierte mit „Waldweg“ nicht nur einen Klassiker der Serie: Seiner schonungslosen Darstellung einer sensiblen Problematik ist es in erster Linie zu verdanken, dass „Derrick“ von Anfang an große Aufmerksamkeit auf sich zog und sich ab Episode 1 als Markenzeichen im deutschen Fernsehen etablierte. Mir fällt es schwer, eine Folge zu nennen, die an „Waldweg“ heranreicht. „Kaffee für Beate“ von Alfred Vohrer vielleicht ... – Aber gibt es überhaupt eine Episode, die „Waldweg“ übertrumpft? Ich denke nicht.

Haugk pflegte einen markanten Regiestil. Wo sich andere Regisseure eher unauffällig hinter dem von Reinecker gelieferten Stoff versteckten, kann man Haugks Handschrift schon in den ersten Minuten jeder seiner Inszenierungen erkennen. Vielleicht ist es seinem Zahnmedizinstudium zu verdanken, dass der gebürtige Thüringer nicht zimperlich darin war, menschliche Ängste und Schwächen ins Bild zu rücken. Diese Gefühle verstand er bestens mit der von Reinecker vorgegebenen latenten Kritik an der Gesellschaft zu vermischen, die in Folgen wie „Karo As“ oder „Dem Mörder eine Kerze“ besonders deutlich wird, die Episoden aber nicht dominiert. Haugk kompensierte zu pathetische Auswüchse dieser Art mit einer guten Portion „Wüstheit“ (© Blap), die oft sogar die von Alfred Vohrer übersteigt.

Betrachtet man sich meine Bewertungen der Collectors Boxen 1 bis 5, so ist Dietrich Haugk unter den mehrfach verpflichteten „Derrick“-Regisseuren mein ausgesprochener Liebling. 4,6 Punkte haben seine fünf Episoden von #1 bis #65 im Durchschnitt bekommen – und auch „Dem Mörder eine Kerze“ führt diese Erfolgssträhne fort. Obwohl (oder weil) ich Haugks „Derrick“-Arbeiten nie mit weniger als 4 von 5 Punkten benotete, weist sein Wirken den größten Unterschied zwischen Percy Listers und meinen Bepunktungen zu meinen Gunsten auf. Percy Lister sieht Haugk nämlich nur bei 3,8 Punkten im Durchschnitt. Vielleicht bessert „Kerze“ nun ja dieses Urteil ein wenig auf.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

26.07.2012 23:15
#403 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten



Derrick: Eine Rechnung geht nicht auf

Episode 78 der TV-Kriminalserie, BRD 1980. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Wolfgang Müller (Achim Moldau), Lisa Kreuzer (Helene Moldau), Tommy Piper (Josef Schenk), Alice Treff (Frau Riebeck), Arthur Brauss (Recke), Michael Boettge (Mauser), Thomas Schücke (Wiebler), Jutta Kammann (Gudrun Hofstetter) u.a. Erstsendung: 12. Dezember 1980, ZDF.

Zitat von Derrick: Eine Rechnung geht nicht auf
Eine Bande Geldschrankknacker heuert einen Schweißer an. Der Neuling baut in der Nacht seiner Einführung einen Autounfall, bei dem eine Frau getötet und ein Mann schwer verletzt wird. Um den geplanten Coup nicht zu gefährden, überfährt Bandenchef Recke den Mann in der Absicht, ihn ruhigzustellen. Schweißer Achim Moldau plagt nun das schlechte Gewissen: Die Toten hinterlassen drei Kinder!


Als Bahnfahrer bin ich schon lange davon überzeugt: Autofahrer haben nur Sorgen. Erstens: Steigende Spritpreise. Schon 1980 beschwerte man sich darüber. Heute würde man über die damaligen Zapfsäulenwerte freilich nur mehr lachen. Zweitens: Gefahren. Wenn man erstmal tot ist, bringt es einem gar nichts, ob man Schuld an einem Unfall trug oder nicht. Drittens: das Gewissen, ein lästiger, aber nützlicher Begleiter.

Wolfgang Müller, ein bekanntes „Derrick“-Gesicht, das immer wieder mit soliden und lebensnahen Darstellungen halbwegs zwischen realistischem Rocker und weichem Würstchen aufwartet, bereichert auch „Eine Rechnung geht nicht auf“ mit seinem glaubwürdig nagenden Gewissen. Er war zwar nicht die treibende Kraft, wohl aber der Auslöser des Verbrechens und fühlt sich so den Hinterbliebenen des Ehepaars Hofstetter verpflichtet. Als Achim Moldau markiert er einen Typus „guten Verbrecher“, der mit Hintermann Recke etwa so kontrastiert wie vor Kurzem Klaus Schwarzkopf mit Dirk Galuba in „Pricker“. Der Unterschied ist, dass der etwa wie Günther Stoll eingefallene Arthur Brauss als Fiesling noch abgegriffener wirkt als Galuba und auch nicht mehr den Esprit seines Kollegen einbringt. Was bei Brauss bedrohlich und einschüchternd wirken soll, kommt nicht wirklich bei mir als Zuschauer an, sondern bescheinigt eher die hasenfüßige Haltung des von Tommy Piper gespielten Schenk.

Auch in anderer Hinsicht kann man Vergleiche ziehen. Sie bieten sich vor allem in Richtung „Abitur“ an, das mit einer ähnlichen Ausgangssituation und sogar dem Bonus „Kegeln“ aufwartet.

Selten sah man Derrick so involviert in einen Fall wie in „Eine Rechnung geht nicht auf“. Weil die Toten seine Nachbarn sind, überbringt er den 14-, 12- und 8-jährigen Kindern die Botschaft von deren Ableben. Die vorbeigeschickten Streifenpolizisten fühlen sich, wie sie sagen, völlig überfordert mit einer solchen Aufgabe, was verdeutlicht, wie diszipliniert, taktvoll und erfahren Horst Tappert aka Stephan Derrick mit einer solchen Situation umzugehen weiß. Überhaupt wirkt der Kriminaler im Vergleich zu seiner eher zynischen Stimmung in der vorangegangenen Folge wieder gesetzter, ernster und seriöser – ein Bild, das Tappert gut steht. Für den Zuschauer bleibt neben erschütternden Bildern auch die interessante Information, dass Derrick in der Berner Straße im südwestlichen Münchner Stadtteil Fürstenried wohnt. Auch heute ist dieser Drehort noch gut auszumachen und seit Oktober 1989 für diejenigen, die Lehren aus „Eine Rechnung geht nicht auf“ gezogen haben, bequem per U-Bahn zu erreichen.

Sehr gutes, über weite Strecken spannendes Mittelfeld. Hier krankt es nur an dem nicht bedrohlich genug auftretenden Gangsterboss und einigen allzu deutlichen Fingerzeigen in Richtung Reinecker-Knigge. 4 von 5 Punkten mit der Anmerkung für die Akten, dass hier wieder einmal ein nostalgischer Supermarkt vorkommt. Auch diesmal ist er von unliebsamem Personal bevölkert. Nach dem zwielichtigen Supermarktchef in „Kaffee mit Beate“ muss man sich fragen, ob Reinecker vielleicht einmal schlechte Erfahrungen beim Einkaufen um die Ecke gemacht hat.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

27.07.2012 15:52
#404 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #402
Spezialuntersuchung, Fall 1: Regisseur Dietrich Haugk

Nette Idee!
Zitat von Gubanov im Beitrag #402
Aber gibt es überhaupt eine Episode, die „Waldweg“ übertrumpft? Ich denke nicht.

Das ist natürlich subjektiv (außerdem kommen ja noch rund 200 Folgen auf Dich zu!) und kann objektiv nicht beantwortet werden. Für mich ist es "Der Mann aus Portofino" (ebenfalls von Haugk), später kommt dann noch "Lange Nacht für Derrick" (und wieder Regie: Dietrich Haugk).
Zum eigentlichen Thema zitiere ich mich mal selbst aus dem Thread zu den Lieblings-TV-Regisseuren:
Zitat von Georg im Beitrag RE: Eure Lieblings-TV-Regisseure der 1960er und 1970er
Dietrich Haugk: dieser Regisseur wurde hier mehrfach genannt und ich kann dem Gesagten nur 100%ig zustimmen. Haugk war ein vielfältiger, wandelbarer Regisseur, der - anders als etwa sein Kollege Theodor Grädler - nicht immer nach Schema F an die Sache heranging, sondern abwog, von welcher Seite er die Inszenierung aufziehen sollte. Seine Wandelbarkeit hat er vielfach unter Beweis gestellt und es ist daher auch kein Wunder, dass der talentierte Prof. Haugk in allen großen TV-Krimiserien mit dabei war. Das umfasst die gesamte Ringelmann-Palette vom Kommissar über Derrick und natürlich Der Alte. Er ist aber auch der einzige Regisseur, der vom Kriminalmuseum bis zu Siska alle Ringelmann-Krimiserien (einschließlich Der Mann ohne Schatten) mitgemacht hat und auch außerhalb der NMF/Telenova für Sonderdezernat K1, Tatort und Die Männer vom K3 (hier ganz toll: Der Vollmondmörder) arbeitete. Als Professor brachte er immer wieder talentierte junge Schauspieler mit in seine Produktionen. Schließlich gelang es ihm, sein Niveau über fast 40 Jahre TV-Krimis zu halten, selbst seine späten [iDerrick[/i]-Folgen haben die teilweise philosophisch-psychoquatsch-mäßigen Reinecker-Geschichten noch aufgewertet. Viele Serien wäre um einige tolle Beiträge ärmer, wäre er nicht gewesen. Und ich gebe zu: sowohl mein Lieblings-"Derrick" (Der Mann aus Portofino) als auch mein Lieblings-"Kommissar" (Drei Tote reisen nach Wien) sind von ihm!

Haugk ist also einer der wichtigsten, begabtesten und vielfältigsten TV-Krimi-Regisseure, den wir hatten. Seine Begabung war es auch, schwache Bücher zu retten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

28.07.2012 16:46
#405 RE: "Derrick" oder: das andere Konzept Zitat · Antworten

Danke, @Georg. Haugks Spitzenposition war für mich bei genauerem Nachrechnen schon eine Überraschung, weil meine Vorliebe für einen anderen Regisseur natürlich weit häufiger zur Sprache kommt.



Derrick: Der Kanal

Episode 79 der TV-Kriminalserie, BRD 1981. Regie: Helmuth Ashley. Drehbuch: Herbert Reinecker. Mit: Horst Tappert, Fritz Wepper sowie: Bernd Herzsprung (Herbert Junker), Helga Anders (Hannelore Junker), Claudia Rieschel (Elisabeth Röder), Volker Eckstein (Jürgen Röder), Hubert Suschka (Herr Röder), Wolfgang Wahl (Herr Zeissler), Monika Baumgartner (Hilde Tibold), Max Griesser (Rudolf Tibold) u.a. Erstsendung: 2. Januar 1981, ZDF.

Zitat von Derrick: Der Kanal
Das Auto von Herbert Junker steht mit offener Tür am Isarkanal bei München. Der Mann ist nirgends auffindbar. Die Polizei leitet eine Suche ein und fischt Junkers Leiche aus dem Kanal. Handelt es sich um einen Rachemord? Junker war ein echter Casanova; er unterhielt eine leidenschaftliche Beziehung zur verheirateten Elisabeth Röder. Sowohl Junkers Frau und ihre Familie als auch die Röders hätten einen guten Grund, Junker den Tod zu wünschen. Wer von ihnen handelte auch entsprechend?


Herbert Reinecker verstand sich darauf, Familiendramen wieder und wieder so zu variieren, dass sie auch beim 79. Mal (kleine Übertreibung zum Fast-Jubiläum) noch die Aufmerksamkeit des Zuschauers erwecken. Der Mord ist hier wie da ein fast schon notwendiges Mittel, um eine Art Hausfrieden wiederherzustellen oder zumindest den Betroffenen Linderung beim Ertragen verschiedenster seelischer Verletzungen zu verschaffen. Macht das den Mord nachvollziehbar? Vielleicht. Es rechtfertigt ihn aber nicht – und Reinecker kam es genau auf diesen Unterschied an.

Auch mit großen Worten bleibt „Der Kanal“ jedoch eine Folge, die sich nicht gerade nachhaltig ins Gedächtnis der meisten „Derrick“-Fans eingeprägt hat oder einprägen wird. Neben einigen Längen, die sich bei den Befragungen des enorm großen Verdächtigenkreises ergeben, tauchen auch gewisse Reinecker-Charaktere auf, die zu reißbrettartig skizziert wirken, um tatsächlich noch überzeugen zu können. Wie die meisten Folgen, in denen Helga Anders mitspielt, ist also auch „Der Kanal“ – trotz vieler (und schöner!) herbst-winterlicher Außenaufnahmen – nichts anderes als ein Kammerspiel. Was die schriftliche Vorlage von vielen ihrer Schwestern abhebt, ist indes die unerwartete Auflösung, auf die beim ersten Sehen sicher niemand „exakt so“ getippt hätte.

Helga Anders habe ich bereits erwähnt. Auch ihre Hannelore Junker passt zu dem beschriebenen Phänomen der blassen Rollen und lässt ihr folglich keinen Spielraum, mehr als ein betroffenes Gesicht zu zeigen. Dasselbe trifft auf Volker Eckstein zu, der als kleiner, fieser Springteufel mehr Meriten sammeln konnte als als depressiver Leidensgenosse. Immerhin bietet sein Part eine interessante berufliche Spitze: Jürgen Röder arbeitet als Krankenpfleger, der als männliches Pendant zur Krankenschwester bis heute noch keine gleichwertige Anerkennung gefunden hat. Röder ist also prädestiniert für die leicht ein(zu)knickende Memme, die eine strenge Erziehung nicht verkraftet hat und nun allen Mut aufbringen muss, um sich gegen Derricks Zusetzen zu wehren.

Am meisten Spaß bereiten die anfänglichen Szenen zwischen Bernd Herzsprung und Monika Baumgartner bzw. Bernd Herzsprung und Claudia Rieschel, deren leider letzter „Derrick“-Auftritt nach hinten heraus an Bedeutung einbüßt. Herzsprungs punktgenaue und ganz bestimmt auch nicht lebensferne Besetzung als Playboy mit Angst vor fester Bindung hallt jedoch bis zum Abspann nach – die Rolle ist ihm auf den Leib geschrieben und wird von Donna Summers „Love to Love You“ locker-ironisch untermalt.

Wessen Lebenbahnen nicht in den typischen Kanälen dahinfließen, wird in selbigen ertränkt. Keine hübsche Aussicht und kein Ruhmesblatt für Disziplin und Moral in ihrer verlogenen Form. Von stärkeren kreativen Freiheiten, wie sie kurz in der nächtlichen Derrick-Küche beim Spaghetti-Kochen aufblitzen, hätte „Der Kanal“ profitieren können; so reicht es für 3,5 von 5 Punkten.

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