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Dieses Thema hat 647 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

04.05.2014 21:00
#466 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Der Tod von Karin W.

Zitat von Der Kommissar: Der Tod von Karin W.
Karin W. fährt mit der Straßenbahn nach Hause. Sie steigt aus und zieht sich an einem Zigarettenautomaten ein Päckchen Glimmstängel. Da peitschen Schüsse durch die Abendluft, Karin sackt zusammen. Mit letzter Kraft kann sie sich in ein nahes Lokal schleppen, von wo aus sie ihre Mutter anruft. „Nicht um Hilfe zu rufen, sondern um sich zu verabschieden“, urteilt der Wirt. Kommissar Keller und seine Assistenten konzentrieren sich bei der Aufklärung des Mordes ganz auf Karins häusliche Verhältnisse und erleben einige Überraschungen ...


Die Besprechung enthält Spoiler.

Gilt München auch gemeinhin als Stadt der Schickeria, so verbergen sich hinter einigen Fenstern Geschichten aus einfachen Haushalten, in denen sich geradezu abstruse Dinge zutragen. Die Winters haben eine Wohnung in einem Mietshaus. Der Mann ist seit Jahren tot, die Mutter zieht die Tochter allein groß. Einen Grund für den Tod ihrer Tochter kann sie sich nicht denken – behauptet sie wenigstens gegenüber der Polizei. Dabei sind ihre Männergeschichten allemal Grund genug ...

Ida Krottendorf ist als Gesicht verkommener, klaustrophobischer Milieustudien bekannt. Die Darstellerin verkörpert glaubhaft die Schnittstelle von Kleinbürgerlichkeit und schmutzigen Geheimnissen, die sie besser unter den Tisch kehrt – gerade wenn neugierige Polizisten herumschnüffeln und Fragen stellen. Sie „hat nach Meinung von Autor Herbert Reinecker [den wichtigsten Part]“ in der Geschichte um die seltsame Vereinbarkeit von Mutterschaft und Promiskuität, die nie und nimmer von einem anderen Verfasser so glaub- und ernsthaft hätte geschildert werden können. Wie so häufig sprechen Verzweiflung und Verdrängung aus vielen Gesten der Krottendorf, die wieder einmal keinerlei Angst vor mitleiderregenden Szenen hat und dadurch den Zuschauer stellenweise geradezu in Verlegenheit bringt. Diese unangenehme Milieuschärfe wird von Theodor Grädlers verständnisvoller Inszenierung kaschiert, die etwa im Vergleich zur ähnlich heruntergekommenen Anti-Bilderbuch-Familie in „Fährt der Zug nach Italien?“ geradezu lieblich erscheint. Weder Krottendorf noch Filmpartner Harald Leipnitz spielen gänzlich verdammenswert, sondern bewegen sich in einer konfliktbeladenen Grauzone, in der sie sich „nur“ die eigene Willensschwäche vorzuwerfen haben.

In dem bereits oben zitierten Artikel „Die Mutter hilft, den Tod der Tochter aufzuklären“ aus dem Hamburger Abendblatt wird auch auf Maria Schells Beteiligung an dieser Episode abgehoben. Interessanterweise behauptet der Autor:

Zitat von Die Mutter hilft, den Tod der Tochter aufzuklären, Hamburger Abendblatt, 06.04.1973, S. 12
Nur soviel kann verraten werden: Maria Schell ist nicht die Mörderin. [Hervorhebung nicht im Original]


Bewusste Falschaussage oder kluge Strategie der Verantwortlichen? Immerhin ist die Auflösung in „Der Tod von Karin W.“ auf hundert Meter gegen den Wind zu riechen – sowohl inhaltlich als auch durch die verdächtig kleine Rolle, die Maria Schell übernahm. So war eine solche Schutzbehauptung vielleicht ganz nützlich, um den Verdacht in eine andere Richtung zu lenken. Trotz der gewissen Vorhersehbarkeit gerät das Finale durchaus spannend, weil es geschickt mit einer Eskalation der Ereignisse verbunden wird, die ganz natürlich aus dem Spannungsverhältnis zwischen Krottendorf und Leipnitz hervorgeht.

Simone Rethels Opferrolle wurde hier im Thread bereits als die tragischste aller „Kommissar“-Folgen bezeichnet. Tatsächlich dürfte sie um diese „Auszeichnung“ gut im Rennen liegen, denn die nicht erwiderte Liebe der Tochter zu ihrer Mutter wird von Reinecker sehr nachvollziehbar greifbar gemacht. Viele der Handlungen und Aussagen, so z.B. die Beobachtung des Wirts, ergeben erst einen Sinn, nachdem man darüber gewahr wird, dass Mutter Winter sich um ihre Tochter deutlich weniger kümmerte als um sich selbst. Ganz nebenbei machen sich darin auch die Vorbehalte einer konservativen Gesellschaft gegenüber alleinerziehenden Müttern bemerkbar – andererseits aber auch ein Anflug von Doppelmoral, wenn der Filmsohn der vorbildlich zeigefingerspreizenden Maria Schell beiläufig darüber informiert, dass er unehelich ist. Also, Frauen, passt auf: Heiratet oder ihr werdet zu Nymphomaninnen oder Mörderinnen!

Unprätentiös, schnörkellos und spannungsgeladen, aber auch trostlos und eingeengt verbindet die eigentlich unter dem Titel „Im Dunkel der Nächte“ geschriebene Episode eine bittere Milieustudie mit einem interessanten Kriminalfall, dessen Dimensionen über einen einfachen Whodunit hinausgehen und damit die vorhersehbare Lösung wenig ins Gewicht fallen lassen. Die starken Darstellerleistungen passen zur einfühlsamen Regie.

(4 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Walter Grabert, dessen Einfühlungsgabe sein Milieubewusstsein stärkt
||||| ||||| ||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| ||||| ||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| ||||| ||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 39: Episode 59 der TV-Kriminalserie, BRD 1973. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper. Unter Verdacht: Ida Krottendorf, Maria Schell, Simone Rethel, Harald Leipnitz, Wera Frydtberg, Annemarie Wendl, Dietrich Thoms, Nicki Macoulis u.a. Erstsendung: 6. April 1973.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

08.06.2014 14:03
#467 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Bewertet: "Die kleine Schubelik" (Folge 26/ Erstausstrahlung am 30. Oktober 1970)
mit: Peter Kuiper, Susanne Schaefer, Margarethe von Trotta, Erni Mangold, Joseph Vinklar, Josef Fröhlich, Thomas Piper, Sigfrit Steiner, Günther Heider u.a. - Regie: Georg Tressler

Der Maurer Schubelik, ein notorischer Säufer, wird tot in seiner Gartenlaube aufgefunden. Jemand hat ihm im Schlaf ein Kissen auf den Kopf gedrückt. Jeden Freitag, wenn er seinen Wochenlohn bekam, traf er sich mit zwei Kumpanen zum Zechen. Seine Nachbarn berichten von Wutausbrüchen, Streit und Pöbeleien, vor denen seine Frau schon längst das Weite gesucht hat. Nur seine siebzehnjährige Tochter Inge wohnte noch gelegentlich bei ihrem Vater - wenn er nicht gerade betrunken war und Besuch von seinen Freunden hatte. Was hat es mit dem schmierigen Klenze auf sich, der Helga Lauer unverhohlen den Hof macht? Welche Rolle spielt der Tscheche Blaha, bei dem Inge Schubelik Schutz fand? Und wieviel weiß der junge Kleinschmidt, der Inge von den Fragen des Kommissars abschirmen möchte?



Die Trostlosigkeit, die das Milieu eines solchen Tathintergrunds für gewöhnlich mit sich bringt, wird durch die sommerliche Atmosphäre der Schrebergartensiedlung aufgelockert. Zudem sorgen die kraftvollen Darstellungen des Gast-Ensembles für einen Unterhaltungswert, der diesmal durch die moralinsaure Einstellung der älteren Ermittler - allen voran Kommissar Keller - geschmälert wird. Peter Kuiper, Prolet und Schreck eines jeden Waldwegs, braucht nur süffisant zu lächeln und es läuft jedem - egal ob Mann oder Frau - eiskalt den Rücken runter. Nicht umsonst profitierte so manche Kriminalfolge (z.B. die ausgezeichnete "Derrick"-Episode "Tod am Bahngleis") von seiner schieren Präsenz. Regisseurin Margarete von Trotta mimt die Ehefrau des Brutalos und humpelt ernüchtert durch die Wohnung, während Thomas Piper auf Widerstand gebürstet ist und am Nervenkostüm des Kommissars zerrt. Einzig die "kleine Schubelik" verhält sich äußerst passiv und liefert in ihrer Unscheinbarkeit keine Angriffsfläche. Ihre Belange scheinen von anderen Personen vertreten zu werden: von ihrer pragmatischen Mutter, dem anteilnehmenden Blaha und dem forschen Nachbarsjungen. So bleibt ihr nicht viel mehr, als in einer Mischung aus Resignation, Gleichgültigkeit und Traumata einen der sogenannten Begleitumstände eines Verbrechens zu verkörpern.

Herbert Reinecker hat diesmal mit seinem Versuch, den "weisen" Kommissar als neutralen Ermittler einzusetzen, ein Eigentor geschossen. Seine Versuche, den über den Tod des unangenehmen Nachbarn erleichterten Kleinschmidt intolerant erscheinen zu lassen, scheitern an seiner eigenen Naivität, die sich auch in Robert und zum Teil in Walter fortsetzt. Der Gleichmut, mit dem das Ableben von Schubelik aufgenommen wird und das Fehlen einer Lücke, die der Tote hinterlässt, werden von den Männern scheinbar als persönliche Beleidigung aufgefasst. Ihre Voreingenommenheit und die Fähigkeit, sich Unmögliches vorstellen zu können, ohne auf patriarchale Strukturen zurückgreifen zu müssen, zeigt sich auch in Gesprächen mit Joseph Blaha, dem der Kommissar die rhetorische Frage nach seiner Herkunft stellt, obwohl er die Antwort bereits kennt. Den burschikosen Harry Klein, der die Unordnung im Mordhaus beanstandet, nennt der Kommissar "alt", da er die Denke seiner Väter übernommen habe. Die Frage nach der Identität des Mörders und die Aufklärung erfolgen angenehm lapidar und unaufgeregt, so, als wolle der Täter sagen: Warum großes Federlesen darum machen? Georg Tressler verzichtet auf Rückblenden und verfolgt damit seine Linie der Klarheit, die sich an den Fakten orientiert und auf die Erfahrungswerte des Zuschauers baut. Er vermeidet somit, in die reinecker'schen Stolperfallen zu tappen und überlässt die Überzeugungsarbeit dem Spiel seiner engagierten Akteure.

schwarzseher Offline



Beiträge: 626

08.06.2014 14:33
#468 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Eure "Kommentare" zu den einzelnen Folgen sind extrem interessant und lassen mich jede Folge nochmal überdenken (evtl. neu / anders sehen). Da bei dem Kommissar (wie die meisten s/w-Wallace) für mich fast alles (fast) kritiklos gut ist (Musik, Storys, Darsteller) macht mir eine neuerliche Herangehensweise viel Spass.
(Meine Begeisterung ist natürlich kein Quallitätsmerkmal, aber ich liebe den Flair dieser Zeit.)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

15.06.2014 21:00
#469 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Danke für die netten Worte. Da greife ich den „Kommissar“ doch gern wieder auf, auch wenn ich ein paar kritische Töne anschlagen muss.



Der Kommissar: Schwarzes Dreieck

Zitat von Der Kommissar: Schwarzes Dreieck
Frau Böhle holt Frau Alsberg zur Kirche ab. Herr Alsberg wundert sich, denn weder kennt er die Bekannte seiner Gattin, noch ging Frau Alsberg bisher in die Kirche. Es ist jedoch das Letzte, worüber sich Herr Alsberg wundern kann, denn als die Frauen wieder in die Wohnung zurückkehren, liegt der Mann tot in der Badewanne. Ein elektrischer Schlag, zugezogen durch einen ins Wasser geworfenen elektrischen Rasierapparat, hat ihn umgebracht. Die Polizei ist sich sogleich sicher, dass das kein Unfall war ...


Die Besprechung enthält leichte Spoiler.

„Wie werde ich meinen Ehemann los in fünf einfachen Schritten“ – es scheint, als habe Reinecker sich mit dieser Sozialstudie über vernachlässigte und psychisch schwerstverletzte Frauen weit vom kriminalistischen Parkett entfernt. Die Geschichte der Frau Alsberg und ihrer Freundinnen erzählt in erster Linie von Ehe- und Familienproblemen und nur sekundär von einem Mord – Schuld daran trägt nicht unwesentlich die Komposition des Drehbuchs, die von Anfang an kaum Überraschungen zulässt. Schon bevor Felix Alsberg das Zeitliche segnet, merkt man, dass mit seiner Frau etwas nicht stimmt, und sobald man der dritten Kumpanin beim Taubenfüttern begegnet, weiß man automatisch, wie die Sachen vor sich gegangen sind. Selbst das „Kommissar“-Team, das manchmal etwas verängstigt davor ist, konsequente Schlüsse zu ziehen, hat die alten Frauen im ersten Augenblick durchschaut, was verhindert, dass die Folge auch nur im Entferntesten als Whodunit angesehen werden kann.

Die Verpflichtung von Käthe Gold veranlasste die Macher offensichtlich immer, ihr die schweren Bürden des Lebens aufzuschultern und sie als wandelndes Mahnmal durch die Handlung irren zu lassen. Während die durch das Drehbuch erweckten Implikationen in „Schwarzes Dreieck“ (der Titel, der mich im Vornherein neugierig machte, erweist sich als zusätzlicher Spoiler) nicht so störend ausfallen wie in „Ein Anteil am Leben“, sind sie doch immer zu spüren und werden unverschämt offen ausgesprochen. Die abgestellte und von niemandem geliebte Frau ist zuallererst dazu da, um Mitleidspunkte beim Zuschauer zu sammeln und nicht, um als Protagonistin in einem möglichst spannenden Krimi zu fungieren. Folglich wirkt das eigentlich gut ausgetüftelte Finale nicht sonderlich überzeugend, sondern eher themenfremd, weil sich Keller durch die vorangegangenen Betrachtungen von seiner eigentlichen Profession meilenweit entfernt hatte. Erik Ode nimmt dementsprechend eher die Position des ältlichen Freundes ein, der nach und nach sein wahres Gesicht enthüllt. Die Aktivitäten seiner Untergebenen beschränken sich auf einige wenige Routinearbeiten, während Rehbein als Gegenentwurf zu den Dreiecksfrauen überraschenderweise einmal verdeutlicht, dass es gar nicht so schlimm sein muss, als alte Jungfer zu enden.

Die falsche Fokussierung des „Schwarzen Dreiecks“ macht sich darin bemerkbar, dass viele Fragen die Mörderinnenorganisation betreffend ungeklärt bleiben. Weder erfährt man etwas darüber, wie und warum die „Damen“ sich einander anvertraut und ihr Komplott geschmiedet haben, noch wird geklärt, ob das Trio etwas mit dem Tod des Herrn Böhle zu tun gehabt hatte bzw. ob dieser überhaupt eines natürlichen oder unnatürlichen Todes gestorben ist. Laut den Aussagen von Frau Böhle kennen sich die Frauen schließlich erst wenige Monate, wohingegen ihr Gatte bereits vor zwei Jahren ins Gras beißen musste. Doch kann man irgendeiner Aussage trauen, die die verschlagen wirkende Angela Salloker tätigt? Sie geht klar als treibende Kraft des Syndikats durch, macht sich aber weder bei Alsberg noch bei Kanietz selbst die Hände schmutzig. Sie überlässt es ihren Gehilfinnen, das in die Tat umzusetzen, was fraglos ihrem Gehirn entspringt und was sie etwas überheblich als die Fähigkeit zum Denken bezeichnet.

Verwunderlich fand ich die Nennung Peter Thomas’ im Abspann, nachdem sich die Musikuntermalung dieser Folge nicht in den Vordergrund gedrängt hatte. „Schwarzes Dreieck“ nutzt stattdessen die reinigende Wirkung knisternder Winteraufnahmen am Münchner Gollierplatz, die auch nötig ist, um den vorwurfsvollen Grundtenor sowie die eher durchschnittliche Besetzung der Episode ein wenig goutierbarer zu gestalten. Karl Walter Diess und Peter Fricke als unsympathische Söhne sind in ihren Darstellungen leider ebensowenig ernstzunehmen wie Sigfrit Steiner, der beweist, dass sich Schweizer lieber nicht an einem sächsischen Akzent versuchen sollten.

Als beklemmende Aussicht auf den weiblichen Lebensabend gerät „Schwarzes Dreieck“ stark tendenziös und vernachlässigt ob der überdringlichen Verkündung seiner Befreiungsbotschaft den eigentlich interessant eingefädelten, aber sehr durchschaubaren Mordfall. Käthe Golds Omnipräsenz lässt die Folge an in den anderen Figuren unauffindbarem Tiefgang gewinnen, ist jedoch insofern Geschmackssache, als sie auch die Arbeit der Kripo überschattet und für das letzte Verbrechen durch ihre eher schleppend dramatisierten Szenen zu wenig Zeit übrig bleibt. Großes Potenzial wurde nicht genutzt.

(3,5 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Kommissar Herbert Keller, der dann doch nicht mit Taubenfüttern zur Stadtverschmutzung beiträgt
||||| ||||| ||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| ||||| ||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| ||||| ||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 40: Episode 58 der TV-Kriminalserie, BRD 1973. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Käthe Gold, Angela Salloker, Edith Schultze-Westrum, Karl Walter Diess, Peter Fricke, Sigfrit Steiner, Tilo von Berlepsch, Ethel Reschke u.a. Erstsendung: 16. März 1973.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

16.06.2014 00:35
#470 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Das Komplott

Zitat von Der Kommissar: Das Komplott
54 Sekunden hätte der Mörder gehabt. Wer soll das glauben? Es sieht schlecht aus für Andy Steintaler, der vor seinem erschossenen Chef Bachmann steht. Dieser habe ihn angerufen und er sei sofort aus dem Büro hergekommen. 54 Sekunden brauchte Steintaler dafür – kaum genug Zeit für einen Dritten, um Bachmann zu erschießen, dessen Tresor auszurauben und ungesehen zu verschwinden. Lügt Steintaler? Und ist Frau Bachmann für ihn ein Grund, seinen Chef aus dem Weg zu räumen?


So dynamisch beginnt kaum eine „Kommissar“-Episode. Schnitte im Sekundentakt zwischen Leiche, Verdächtigem, Safe, Uhr und der Totalen. Selbsterklärend suggeriert Staudte sofort, dass Udo Vioff in der Klemme steckt. Hat er gerade einen Mord begangen? Zunächst muss man das annehmen, sobald sich jedoch Kellers Team ohne die hellseherischen Fähigkeiten des altersweisen Häuptlings auf Steintaler einschießt, erkennt der erfahrene Zuschauer schnell, dass Vioff einfach unschuldig sein muss. Hilfsermittler wie Robert oder Harry dürfen einfach nicht Recht haben – das gehört zum Prinzip!

Erstaunlich ist vor allem, dass es Wolfgang Staudte gelingt, das hohe anfängliche Tempo beizubehalten. Zwar folgt auch „Das Komplott“ nicht hochrasanten „CSI“-Strickmustern, wohl aber hält es den Zuschauer von Anfang bis Ende mit großem Interesse bei der Stange. Als mutig kann die Ausrichtung der Folge bezeichnet werden, die in besonderem Maße die polizeiliche Vernetzung in den Mittelpunkt stellt, obwohl gerade Erik Ode aus terminlichen Gründen nur für wenige Szenen zur Verfügung stehen konnte. Umso engagierter wuchsen diejenigen Rollen an, die seine Zuträger spielen, die sich dieses Mal zwar wieder nicht mit Ruhm bekleckern, aber immerhin nach besten Kräften zu helfen versuchen und den Verdächtigen nicht von der Seite weichen. Aufgrund der geschickten Aufgabenverteilung können mögliche Täter von zu ihnen passenden Ermittlern begleitet werden, was die mit Keller häufig etwas zu starren Befragungsstrukturen aufbricht und für Abwechslung sorgt. Allen voran Vioff, Rudolf und Roth liefern zudem derart lebhafte Darstellungen ab, dass ihre teilweise gut bekannten Seriengesichter nicht mehr als solche wahrgenommen werden, sondern eins zu eins mit der Rolle verschmelzen, voll in ihr aufgehen.

Außergewöhnlich gerät nicht nur die Inszenierung, sondern auch die Auflösung des wortwörtlichen „Komplotts“. Der genaue Tathergang stellt eine große Überraschung dar und mag vielleicht konstruiert erscheinen, entfaltet aber letztlich als gelungene Abwechslung seine beabsichtigte Wirkung. Gerade dadurch, wie sich das Geschehen in den zunächst völlig anders wahrgenommenen Verlauf der Ereignisse einfügt, kann als brillant durchdacht bezeichnet und ausdrücklich als Pluspunkt dieser Episode verbucht werden. Georgs Einwände gegen die Glaubwürdigkeit der letzten Szenen lassen sich durch den Eifer einer überraschenden Situation sowie Herrn Bachmanns von seiner Haushälterin als stark und ungewöhnlich beschriebenen Charakter ein Stück weit entkräften. Auch der Zeitpunkt, zu dem der Mörder sein Geständnis ablegt, passt ins Bild, nachdem er sich wahrlich nicht als Ausgeburt der Kaltblütigkeit präsentierte und demnach einfach nicht länger ein Pokerface bewahren kann.

Dass Ode sich ein wenig rarer machte, dürfte mit seinem in der zweiten Hälfte der „Kommissar“-Ära immer wieder zur Sprache gekommenem schwierigen Verhältnis zu Kommissar Keller und dessen Erfolg begründbar sein. Als Schauspieler wie die meisten seiner Kollegen darauf bedacht, nicht nur auf diese eine Rolle festgelegt zu werden, kam bei Ode erschwerend das Genervtsein über die Reichweite und Attraktivität seiner Rolle hinzu:

Zitat von Gerald Grote: Der Kommissar. Eine Serie und ihre Folgen. Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2010 (3. Auflage). S. 65
„Der Erfolg hat auch Nachteile. Das sind vor allem die Busladungen von Menschen, die vor meinem Haus in Rottach-Egern ‚ausgesetzt’ werden. Sie schneiden und reißen Löcher in meine Fichtenhecke. Jeder will doch mindestens ein Stück Ode-Hecke oder Ode-Zaun als Andenken mitnehmen.“


Dieser Auszug aus einem Interview mit der Bild am Sonntag verdeutlicht die Ambivalenz Odes zum „Kommissar“, die die Presse stets und ständig über Abbruchgerüchte schreiben ließ. Dass „Der Kommissar“ aber nach „Das Komplott“ noch in 40 weiteren Fällen ermittelte, bewies allen Skeptikern Odes langen Atem. Vielleicht war auch ein wenig Trotz darüber dabei, dass er als populärer Serienermittler-Pionier immer wieder im Kreuzfeuer der Kritik stand, weil die gleichen Journalisten jeden „Kommissar“ nur als irrelevante Trivialität verstanden. Gut konstruierte Plots wie dieser hätten ihnen eigentlich die Augen öffnen müssen!

Mehrere Varianten von „Schein ohne Sein“ präsentiert „Das Komplott“: Ein fälschlich Verdächtigter, Familien im Überfluss und eine nicht erwiderte Liebe stehen im Mittelpunkt einer spannungs- und temporeichen Episode, die aufgrund ihrer ereignisreichen Struktur und der makellosen Darstellungen zu den besten der dritten Kollektion zählt.

(5 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Robert Heines, der die Ausbrüche des Buchhalters stoisch erträgt
||||| ||||| ||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| ||||| ||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| ||||| ||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 41: Episode 57 der TV-Kriminalserie, BRD 1973. Regie: Wolfgang Staudte. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Leopold Rudolf, Ursula Schult, Charles Regnier, Udo Vioff, Nina Sandt, Wolf Roth, Rose Renée Roth, Gustl Weishappel u.a. Erstsendung: 23. Februar 1973.

athurmilton Offline



Beiträge: 1.083

16.06.2014 01:06
#471 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Ich bin durch die ZDFNeo-Ausstrahlungen jetzt erst auf den Kommissar gekommen und sehr angetan bisher. Richtig erschüttert hat mich der Grau-Rote Morgen mit Lilly Palmer; nach so vielen Jahrzehnten Krimi- und Thriller-Kost konnte ich mir diese Folge kaum ansehen, so nahe ging mir die Folge.

Falls es die Komplettbox mal irgendwo im Sonderangebot gibt, wäre ich daran interessiert.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

16.06.2014 01:29
#472 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Wenn du dich erschüttern lassen willst, hält die Serie viele Folgen tragischer Mädchenschicksale für dich bereit. Leider scheinen die Zeiten, in denen die Box für 50 Euro angeboten wurde, erstmal wieder vorbei zu sein. 69,99 Euro bei Amazon mit fast zwei Wochen Lieferzeit ist das günstigste Online-Angebot, das ich finden konnte. "Der Kommissar" ist aber auch relativ präsent in den MediaMärkten und Satürnen.

athurmilton Offline



Beiträge: 1.083

16.06.2014 10:47
#473 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Bei Amazon war der Preis wohl mal bei 55 Euro - wenn er nochmal unter 60 Euro fällt, wäre ich schon zufrieden. Drängt ja nicht, habe noch ein paar Sachen an zu schauen bis dahin

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

16.06.2014 14:05
#474 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Tod eines Hippiemädchens

Zitat von Der Kommissar: Tod eines Hippiemädchens
Das Mädchen in der verzierten Wolljacke wartet nicht auf die Straßenbahn. Nicht mehr. Jemand hat sie in dem Wartehäuschen abgesetzt, nachdem sie erstickt wurde. Weil sie offensichtlich in Hippie-Kreisen unterwegs war, ist sie schnell identifiziert: Karin lautete ihr Name – sie wohnte in einer Kommune mit anderen Gesinnungsgenossen. Doch sie hatte auch einen zweiten Unterschlupf: im Hause des respektablen Juristen Dr. Tucher. Der war in Karin verliebt, was vor allem seiner herrischen Haushälterin überhaupt nicht gefiel ...


In der Rezeption des Folge-„Kommissars“ „Das Komplott“ erlaubte sich das Hamburger Abendblatt, noch nachträglich ein wenig gegen „Tod eines Hippiemädchens“ zu sticheln:

Zitat von Gestern gesehen: Der Kommissar, Hamburger Abendblatt, 24.02.1973, S. 12
Man ist seiner schon ein wenig müde, des Kommissars Keller. Und wie schon beim letztenmal, beim Tod eines Hippie-Mädchens, hinterließ das Krimispiel des deutschen Erfolgsautors Herbert Reinecker einen faden Nachgeschmack. [...] Das aber ist allein dem Autor anzulasten. Und seinen papiernen Dialogen: „Sag doch was! Warum sagst du nichts?“ Er sagt nichts ...


In besonderem Maße kommt bei der Aufklärung des Mordes im Hippie-Umfeld Reineckers Schwierigkeit zum Ausdruck, sich in andere Sprach- und Gedankenwelten als die für ihn selbst nachvollziehbaren einzufühlen. Das Milieu der Karin Junker steht so diametral zu seiner eigenen Weltanschauung, zu seinen persönlichen Erfahrungen und der Auffassung einer rechtschaffenen, seriösen und verantwortungsvollen Gesellschaft, dass seine Blicke auf das Hippietum gar kein realistisches Bild abgeben können. In einem Zeugnis würde stehen: „Er hat sich sehr bemüht.“ Bemüht, in eine Welt hineinzublicken, die sich seinem Urteilsvermögen entzieht und die er deshalb nur auf eine hoffnungslos naive, unfreiwillig komische Weise skizzieren kann, was sich in der bierernsten, schleppenden Inszenierung durch Theodor Grädler leider fortsetzt und zu einem Endresultat führt, das den ganzen Fall mächtig gegen den Baum fährt.

Hippies sprechen bei Reinecker nicht ganz normal, sondern in der verklausulierten Weise, die er sich üblicherweise für Philosophie studierende Millionärssöhnchen aufhebt: Karin Junker hat also ins Gras gebissen. Ist sie also tot? Nein, stattdessen ist es „unbegreiflich, dass da etwas auf so endgültige Weise zu Ende gegangen ist“. Es ist ein Mythos, der um das titelgebende Hippiemädchen aufgebaut wird – mit allem Drum und Dran einschließlich Rückblenden, erzählt von oder über emotional in den Nahkomabereich versetzte(n) Männer(n). Männer, die von Karins nymphomaner Einstellung profitierten, welche in sich selbst ein abstruses Reinecker’sches Fehlverständnis einer jungen Generation darstellt. Mit diesem fragwürdigen, ihr posthum verliehenen Heiligenschein erscheint Karin wie eine tragische Karikatur, ist als Figur in einem Krimi jedenfalls ungefähr so ernstzunehmen wie der Rest der Knallchargen, die sich vor allem aus dem krass entgegengerichteten „gutbürgerlichen“ Grünwald rekrutieren. Keine Gelegenheit wird ausgelassen, sie als stocksteife, renitente, lügende und im Vorvorgestern verhaftete Baggage darzustellen, was jede Entwicklungsmöglichkeit eines differenzierten Urteils über Tuchers Familie und Haushälterin im Keim erstickt.

Brigitte Horney versucht wenigstens, ihre Rolle so sehr zu überspielen, dass sie den ernst gemeinten Dialogen ein Fitzelchen Humor abgewinnen kann. Mutter und Bruder Tucher erfüllen hingegen keine wirkliche Aufgabe, außer Gesagtes zu wiederholen oder die Ermittlungen zu stören und damit ein wenig Laufzeit zu füllen. Selbst als sie während der Überführung ein wenig mehr Raum für eigene Belange erhalten, überzeugen sie lediglich als Stichwortgeber für die weit hergeholte Schlusspointe. Die ist offensichtlich nicht einmal für die Protagonisten nachvollziehbar: Als der Täter – wohlgemerkt bei den Befragungen zu einem Mordfall! – mehrfach verkündet: „Ich war’s“, sieht er sich mit sinnleeren Rückfragen wie „Was warst du?“ und „Was willst du damit sagen?“ konfrontiert. Ja, Leute, glaubt es ruhig: Es gibt keinen doppelten Boden mehr – das soll wirklich die Wahrheit sein!

Selbst von einer schludrigen Blaupause für ähnliche Verbrechen in den „Derrick“-Episoden „Stiftungsfest“ und „Hoffmanns Höllenfahrt“ hätte man sich mehr erwartet, als in „Tod eines Hippiemädchens“ letztlich geboten wird. Falsche Verklärungen einer mannstollen Märtyrerin sollen über einen Mangel an echten Inhalten hinwegtäuschen, während die Hippie-Kulisse wie ein Kartenhaus in sich zusammenstürzt. Und in der Mitte Herbert Mensching, der wieder einmal nur hilflos zusehen kann.

(2 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Robert Heines setzt sich über engstirnige Dienstvorschriften hinweg
||||| ||||| ||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| ||||| ||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| ||||| ||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 42: Episode 56 der TV-Kriminalserie, BRD 1973. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Herbert Mensching, Brigitte Horney, Kornelia Boje, Werner Pochath, Dorothea Wieck, Stefan Behrens, Harald Reeg, Otto Friebel u.a. Erstsendung: 2. Februar 1973.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2014 00:45
#475 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Rudek

Zitat von Der Kommissar: Rudek
Rudek kann seinen Augen nicht trauen. Der Geschäftsmann war einem Kollegen zu einem eindeutigen Vergnügen in eine einschlägige Privatwohnung gefolgt. Wer steht nun vor ihm? Keine wildfremde Prostituierte, sondern seine eigene Tochter! Für alle Beteiligten ist der Abend gelaufen. Für den Zuhälter Derrick sogar das ganze Leben. Er wird am nächsten Morgen erschlagen aufgefunden. Ein Racheakt Rudeks? Der versucht derweil verzweifelt, den guten Ruf seiner Familie aufrecht zu erhalten ...


„Rudek“ ist eine jener „Kommissar“-Folgen, denen ein berüchtigter Ruf vorauseilt. In diesem Fall tönt er ähnlich wie bei „Drei Tote reisen nach Wien“: Die testosterongeprägte „Kommissar“-Fangemeinde scheint sich zu einem gewissen Grade für die amourösen Abenteuer gut situierter Herren in ihrem dritten Frühling erwärmen zu können. Eine wilde Luzie erwartete ich deshalb von dieser Folge, die letztlich aber eher auf psychologischer Ebene arbeitet, statt eine hemmungslose Sause zu präsentieren. Bevor es nämlich zu einer solchen kommt, sieht sich Herr Rudek mit einer ungeliebten Überraschung konfrontiert. Damit, blutjunge fremde Mädchen zu beglücken, hat er grundsätzlich offenbar kein Problem – aber natürlich dann schon, wenn es sich bei einem der Mädchen um seine eigene Tochter handelt. In dem Moment, in dem Daddy und Töchterchen einander gegenüberstehen, meint man, Reinecker schallend lachen zu hören: „Das hast du nun davon, du Lustmolch!“ Die Doppelmoral, die vom Verhalten Rudeks ausgeht, explodiert in einem rasanten Stimmungsumschwung.

Doch ist wirklich Doppelmoral das bestimmende Thema der Episode? War es schlecht von Rudek, auf das Angebot seines Kollegen einzugehen und diesen in die Wohnung des Zuhälters zu begleiten? Ist eine Reinigung der Luft zwischen Rudek senior und seiner Tochter nach Maßstäben des Autors nicht eigentlich sogar hilfreich, um dem Mädchen eine zugegebenermaßen bittere Pille zu verpassen, die sie von der schiefen Bahn, welche sie zum gedankenlosen Gelderwerb betreten hat, abbringen wird? Verdankt es Ursula Rudek nicht genau diesem Aufeinandertreffen, dass sie nicht endete wie andere Strichmädchen und Naivflittchen im „Kommissar“? Diese pragmatische Ansicht der Dinge scheint zu überwiegen, nachdem die Episode „Rudek“ sich löblich wenig in moralistischen Betrachtungen über die Falschheit dessen, was alle Beteiligten getan haben, ergeht. Auf eine perfide Art und Weise schweißt das gemeinsame Geheimnis Vater und Tochter sogar enger zusammen, lässt sie zu Verbündeten gegen die offenbar mit wichtigeren Dingen als ihrem Kind beschäftigten Mutter werden. Nachdem im Hause Rudek so vieles in die falsche Richtung gelaufen ist, bieten die Ereignisse in der Mordwohnung einen Anlass für ein Aufraffen und einen Neuanfang.

Amüsant fällt ins Auge, dass trotz der zurückgenommenen Präsenz Odes diese Episode ein wahres Fest für Freunde von Krimi-Serienermittlern darstellt. Neben dem „Kommissar“ geben sich Siegfried Lowitz (später in „Der Alte“) und Klaus Schwarzkopf (Kommissar Finke im „Tatort“) die Ehre. Der schmierige, von Sky Dumont verkörperte Zuhälter trägt außerdem den Namen Derrick – eine „Vergangenheit“, die man dem korrekten Tappert-Ermittler kaum zugetraut hätte. Reineckers Testlauf für den Namen nur ein Jahr vor dem Start seiner erfolgreichsten Reihe sorgt bei Zuschauern, die den Namen automatisch mit dem diensteifrigen Oberinspektor verbinden, für einiges an Verwirrung.

Schauspielerisch bewegt sich die Episode mit Ausnahme des in seiner vorgetäuschten Patzigkeit amateurhaften Miniauftritts von Hildegard Krekel auf exzellentem Niveau. Ich bin kein Ernst-Schröder-Freund, aber seine zurückgenommene und in den richtigen Momenten exaltierte Darstellung lässt kaum Wünsche offen. Siegfried Lowitz gelingt das Kunststück, trotz der Triebsteuerung seines Herrn Doberg eine abgerundete und glaubhafte Leistung abzugeben, die sich nicht auf abgehalfterte Zwielichtigkeit beschränkt, sondern ihn abseits seiner „wilden Seite“ auch als ganz normalen Menschen mit Hang zum Sarkasmus zeigt. Klaus Schwarzkopf und Edda Seippel liefern als ungleiches Ehepaar eine unterhaltsame Schau ab, auch wenn sie es dem Zuschauer in der Täterfrage recht leicht machen. Der Grund, warum mich „Rudek“ nicht auf ganzer Linie überzeugt und es mich überrascht, die Episode in so vielen Bestenlisten ganz weit oben stehen zu sehen, liegt demnach nicht bei den Akteuren, sondern bei der Regie. Ähnlich wie in „Ein Anteil am Leben“ erwies es sich auch dieses Mal als Fehler, die Spielleitung in die Hände eines auf diesem Gebiet weitgehend unerfahrenen Schauspielers zu legen, der zwar alles sauber herunterkurbelte, aber eben jede Form von Kunstfertigkeit vermissen ließ. Gerade weil es sich bei „Rudek“ letztlich um ein ausgesprochenes Kammerspiel handelt, hätten optische Impulse, clevere Kleinigkeiten oder ein charakteristischer Musikeinsatz der Folge einen ultimativen Kick geben können, der ihr in ihrem letztlichen Zustand leider fehlt und sie deshalb etwas spröde wirken lässt. Wolfgang Becker wäre für diesen Fall genau der richtige Mann gewesen!

Seinem Ruf wird „Rudek“ nur teilweise gerecht: Ein wenig gezügelt spielt sich die heikle Episode ab, die gern mehr gewagte Ideen hätte nutzen können, um die Grenzen eines häuslichen Detektivstücks zu überschreiten. Die konservative (in anderen Worten: einfallslose) Inszenierung durch Charles Regnier tut dem Vergnügen leider einen merklichen Abbruch, wogegen eine großartige Besetzung engagiert anspielt.

(4 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Walter Grabert leitet über weite Strecken die Ermittlungen
||||| ||||| ||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| ||||| ||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| ||||| ||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 43: Episode 55 der TV-Kriminalserie, BRD 1973. Regie: Charles Regnier. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Ernst Schröder, Siegfried Lowitz, Edda Seippel, Klaus Schwarzkopf, Ilona Grübel, Hildegard Krekel, Charlotte Kerr, Sky Dumont u.a. Erstsendung: 12. Januar 1973.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

17.06.2014 22:30
#476 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten



Der Kommissar: Blinde Spiele

Zitat von Der Kommissar: Blinde Spiele
Die Ermittlungen im Mordfall Rauda stoßen Walter und Robert auf ungewöhnliche familiäre Konstellationen. Zwischen den Raudas und zwischen den Kerruts herrschten offene Ehen – der Tote war mit Frau Kerrut im Bett, während Dr. Kerrut eine Affäre mit seiner Sprechstundenhilfe unterhielt. In dem scheinbar von Vorwürfen und Eifersucht freien Privatleben brodelt dennoch einiges unter der Maskerade von Offen- und Betroffenheit. Vor allem die Kinder der Eheleute Kerrut hatten an der Situation zu knabbern ...


Die „Blinden Spiele“ haben in meiner Erinnerung an die „Kommissar“-Sendereihe bei 3sat ein wohliges Plätzchen als angenehm gehobenes Fernsehspiel behalten, das mit einem gelungenen Familiendrama, einer hübschen Villa, einem malerischen Bootshaus und Aufnahmen am Wasser Idylle und Verbrechen auf unaufgeregte Weise zusammenbringt. Ganz wie Rehbein zu Anfang sagt: In Sankt Heinrich „ist es viel zu schön, um zu sterben.“ Der kleine Flecken am Südostufer des Starnberger Sees bietet einen Aufhänger, der nach vielen Winter- und Wohnungsfolgen sogleich wieder in Erinnerung ruft, wie erfrischend ein richtiger Sommer-„Kommissar“ ausfallen kann.

Heiß geht es dagegen zwischen den Protagonisten zu. Als Vertreter einer freieren Auffassung von Ehe und Partnerschaft propagieren sie das geflissentliche Wechseln zwischen Lebens- und Sexualpartnern, ohne sich in fiesen Details zu suhlen. Wo in „Rudek“ zu uneindeutig zu Werke gegangen wurde, steht den „Blinden Spielen“ die Zurückhaltung in puncto Sleaze ausgezeichnet, weil nicht die körperliche Lust im Mittelpunkt steht, sondern die Frage, wie die Vereinbarkeit von Ehe und Affäre sich auf Menschen im Umfeld auswirkt. Am Beispiel des Zahnarztes Dr. Kerrut macht sich schnell bemerkbar, dass scheinbar liberale Haltungen sich als vorgeschobene Hirngespinste erweisen und Angriffsfläche für Selbstzweifel sowie für kritische Fragen, z.B. von den eigenen Kindern, bieten. Die Tatsache, dass die Kerruts Sohn und Tochter „an der langen Leine“ erzogen haben, hat aus den beiden Sprösslingen neugierige, selbstbestimmt handelnde junge Menschen gemacht, die sich mit gewissen Neigungen ihrer Eltern nicht so einfach abfinden können. Das Verständnis, Kinder seien schlichtweg „kleine Erwachsene“, denen man alles verständlich machen kann, führt die Kerruts immer tiefer in einen Erklärungsnotstand.

Bei diesem von grundlegenden Be- und Erziehungsfragen geprägten Stoff tritt die Krimispannung stellenweise in den Hintergrund. Anfang und Ende wurden stark und nachdrücklich gestaltet, doch der Mittelteil dringt sehr weit in das Privatleben der Charaktere vor, wo er sich stellenweise in moralischen Betrachtungen verliert, aber nie nervige Töne anschlägt. Mehr als von ihrer Dynamik lebt die Umsetzung folglich von den Darstellern, die hier in geradezu überbordender Prominenz mit von der Partie sind. Könnte es sein, dass Ringelmann „Blinde Spiele“ als eines der schwächerern „Kommissar“-Drehbücher einstufte und meinte, es mit einer Sonderbehandlung in Bezug auf den Cast aufwerten zu müssen? Eine Schauspielerliste, die Johanna von Koczian, Anaid Iplicjian, Ruth-Maria Kubitschek, Hellmut Lange, Heinz Moog, Pierre Franckh und Katharina Seyfert umfasst, lässt so etwas vermuten und verwöhnt das Publikum jedenfalls ganz besonders (vielleicht auch eine milde Gabe zum Weihnachtsfest anlässlich des Erstsendungstermins?). Vor allem Johanna von Koczian entzückt durch Auftreten und Spielfreude, welche sich in ihrer schwierigen Rolle in entsetzer Schadensbegrenzung niederschlägt.

Auch bei der erneuten Sichtung fiel mir negativ auf, wie willkürlich die Tatwaffe ins Spiel gebracht wird. Dass der Tote selbst eine Schusswaffe besaß, mag im Rahmen des Möglichen liegen, degradiert den Mord aber zu einer Art hastig zusammengezimmertem Macguffin, der lediglich als Mittel zum Zweck, die Beziehungsgerüste der Raudas und Kerruts aufzuarbeiten, dient. Nicht einmal die Frage, ob die Tat juristische Konsequenzen nach sich zieht, kann eindeutig beantwortet werden, da es sich letztlich um eine übertriebene Notwehr handelte und weitere begünstigende Aspekte, ohne zu viel zu verraten, nicht schwer auszumachen sind.

Das gediegene kleine Drama mit einer wunderbaren Rolle für den jungen Pierre Franckh überzeugt durch voll entwickelte Persönlichkeiten und eine überraschende, wenngleich ein wenig einfach gestrickte Auflösung. Die optischen Meriten bringen der Folge eine sichere Position im oberen Mittelfeld ein und übertünchen die phasenweisen Längen durch ein Aufeinandertreffen von Lebensfreude und Beziehungsdynamit.

(4 von 5 Schnapsgläsern)


Der überzeugendste Ermittler: Inspektor Walter Grabert und sein Verständnis für verstörte Kinderseelen
||||| ||||| ||||| Kommissar Herbert Keller (Erik Ode)
||||| ||||| ||||| Inspektor Walter Grabert (Günther Schramm)
||||| ||||| ||||| Inspektor Robert Heines (Reinhard Glemnitz)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Harry Klein (Fritz Wepper)
||||| ||||| ||||| Kriminalhauptmeister Erwin Klein (Elmar Wepper)

Besprechung 44: Episode 54 der TV-Kriminalserie, BRD 1972. Regie: Theodor Grädler. Drehbuch: Herbert Reinecker. Auf der Seite des Gesetzes: Erik Ode, Günther Schramm, Reinhard Glemnitz, Fritz Wepper, Helma Seitz. Unter Verdacht: Johanna von Koczian, Anaid Iplicjian, Ruth-Maria Kubitschek, Hellmut Lange, Katharina Seyferth, Pierre Franckh, Robert Freitag, Heinz Moog u.a. Erstsendung: 22. Dezember 1972.

athurmilton Offline



Beiträge: 1.083

18.06.2014 01:11
#477 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

"Als die Blumen Trauer trugen" wurde mir von meiner Frau empfohlen, weil ihre Schwester wohl mal einen Daisy Door-Fanclub geleitet hat oder so - ich fand die Episode auch visuell sehr ansprechend, vielschichtig angelegt, klasse gespielt, angenehm spannend - allein die Auflösung schien mir zu sehr unbegründet und aus dem Hut gezogen, mehr als bei den anderen Folgen, die ich bisher gesehen habe. Wie er auf den Täter kam, das habe ich nicht verstanden, oder war das nur ein Schuss ins Blaue und er hat dann schuldig reagiert???

Stroheim Offline




Beiträge: 170

18.06.2014 12:04
#478 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

'Rudek', Erstsendung Januar 1973, zähle ich bis heute zu meinen fünf Lieblings-Folgen der Kommissar-Serie. Der kammerspielartige Inszenierungsstil passt gut zum Inhalt. Die Regie dieser Episode Charles Regnier zu übertragen, war meiner Ansicht nach ein Glücksgriff der Produzenten: Mit seiner Theatererfahrung legte Regnier den Schwerpunkt auf sarkastisch-ironische Dialoge & Pointen und hatte damals schnell erkannt, dass diese Folge dank eines guten Drehbuches und der ihm zur Verfügung stehenden Darstellerriege kaum zusätzlicher Effekte bedarf.

Zudem sollte man im Hinblick auf die vom Sender angestrebten Einschaltquoten nicht vergessen, dass "optische Impulse" und "überdurchschnittliche Kunstfertigkeit" eines Regisseurs in der deutschen Fernsehwelt damals bei vielen Zuschauern nicht gut ankamen. Prominente Beispiele: Samuel Fullers Tatort 'Tote Taube in der Beethovenstraße' (1971), der zwar mittlerweile unter Cineasten einen gewissen Kultstatus genießt, dessen Eigenwilligkeit & Extravaganz damals jedoch viele Konsumenten verstörte.

Und auch die wenigen stilistisch herausragenden Regieleistungen in der Kommissar-Reihe - allen voran die Folgen 'Der Papierblumenmörder' & 'Tod einer Zeugin' von Zbyněk Brynych - überfordern in ihrer formalen Brillanz ja bis heute viele an jahrelanger Durchschnittskost geschulte Krimigucker ...

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

18.06.2014 12:24
#479 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Zitat von Stroheim im Beitrag #478
Und auch die wenigen stilistisch herausragenden Regieleistungen in der Kommissar-Reihe - allen voran die Folgen 'Der Papierblumenmörder' & 'Tod einer Zeugin' von Zbyněk Brynych - überfordern in ihrer formalen Brillanz ja bis heute viele an jahrelanger Durchschnittskost geschulte Krimigucker....

Es gibt schon noch einen Unterschied zwischen "stilistisch herausragend / formale Brillanz" und "ich breche willkürlich jede ästhetische Regel".

Stroheim Offline




Beiträge: 170

18.06.2014 14:52
#480 RE: "Der Kommissar" (1969-1976), Kommentare zu den Folgen Zitat · Antworten

Kleine Korrektur:

Die erwähnte Tatort-Episode 'Tote Taube in der Beethovenstraße' von Regisseur Samuel Fuller stammt natürlich nicht, wie von mir oben geschrieben, aus dem Jahr 1971. Sondern wurde 1972 gedreht und kam 1973 in unterschiedlichen Schnittfassungen in die Kinos und ins Fernsehen. Wird wirklich Zeit, dass da irgendwann der 128-minütige Director's Cut auf DVD erscheint. Für mich - zusammen mit den genannten Kommissar-Folgen von Zbyněk Brynych - echte Perlen der deutschen Fernsehgeschichte ...

http://www.thrillingdetective.com/dead_pigeon.html

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