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Dieses Thema hat 187 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
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13.09.2018 08:54
#181 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Nach längerer Zeit ist das "Stahlnetz" mal wieder zu Gast im TV. Am späten Abend des 3.10. werden zwei frühe Episoden im SWR gezeigt - mal sehen, ob weitere folgen oder es eine reine Feiertagsprogrammierung ist.

03.10., 23:30 Uhr, SWR: Die blaue Mütze
04.10., 00:15 Uhr, SWR: Das Alibi
04.10., 03:55 Uhr, SWR: Die blaue Mütze (Wdh.)
04.10., 04:40 Uhr, SWR: Das Alibi (Wdh.)

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

22.09.2018 20:45
#182 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Das Haus an der Stör

Episode 17 der TV-Kriminalserie, BRD 1963. Schauplätze: Meldorf, Itzehoe, Hamburg, Münchner Umland. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Rudolf Platte, Andrea Grosske, Mady Rahl, Richard Lauffen, Harry Wüstenhagen, Ernst H. Hilbich, Kurt Jaggberg, Katrin Schaake, Helga Feddersen, Dorothea Moritz u.a. Erstsendung: 26. Mai 1963, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (17): Das Haus an der Stör
Im Winter 1947 finden zwei Kinder die Leiche eines Mannes, die mit Beilhieben entstellt und in einen Seesack geschnürt wurde. Weil der Polizei in den turbulenten Nachkriegsjahren die Identifikation des Toten nicht gelingt, landen die Akten bei den ungeklärten Fällen, wo sie über ein Jahrzehnt später vom neu nach Itzehoe versetzten Kriminalkommissar Roggenburg wieder aufgegriffen werden. Er befragt die Zeugen von damals. Nachdem klar ist, dass es sich bei der Leiche um den Kriegsheimkehrer Helmut Noack handelte, kann Roggenburg einen naheliegenden Verdächtigen ausschließen. Um jedoch herauszufinden, wer Noack den Schädel einschlug, muss er noch einige Puzzleteile zusammenfügen ...


Die Besprechung enthält Spoiler!

Die Reihe „Stahlnetz“ ist eigentlich dafür bekannt, sich Fällen anzunehmen, die zum Produktionszeitpunkt noch ganz frisch waren, um einen realistischen Tagesbezug herzustellen und neugieriges Publikum anzulocken. „Das Haus an der Stör“ weicht deutlich von diesem Schema ab, indem nicht nur der Mordfall 16 Jahre in der Vergangenheit liegt, sondern sich auch die gesamten Ermittlungen in einer langen Rückblendenerzählung abwickeln. Der unscheinbare, aber umso beharrlichere Kommissar Roggenburg ist der einsame Held der Geschichte, der das Verbrechen an Helmut Noack vor dem Vergessen bewahrt und von Tür zu Tür geht, um kleinste Informationsbrocken einzuholen, die ihm vielleicht nützlich sein oder zumindest dabei helfen könnten, falsche Fährten auszuschließen. Seine bereitwillige Sisyphosarbeit spricht dafür, dass Roggenburg ein ebenso korrekter wie wissbegieriger Beamter ist und sich nicht leicht vom Ziel abbringen lässt. Stellt man sich vor, dass er sich auch allen übrigen Fällen, die sein Vorgänger als unerledigt auf seinem Schreibtisch hinterließ, mit vergleichbarem Aufwand annimmt, so kann man sich ausmalen, dass er anderweitig im beschaulichen Itzehoe einen ruhigen Posten erwischt hat.

„Das Haus an der Stör“ bezieht sich auf den Fall John und Ruth Blaue, der bereits 1955 verhandelt wurde. Menge zeichnete die Geschichte einerseits mit großem Sinn für Detailreichtum, andererseits mit überdurchschnittlicher Originaltreue nach, sodass fast alle Details des echten Falles, über den sowohl ein Buch als auch eine Filmdokumentation existieren, im Rahmen der Folge nachvollzogen werden können. Auch die wichtigen Figuren und Zeugen finden sich – freilich unter anderen Namen – im TV-Skript wieder. So begegnet Rudolf Plattes Roggenburg einer ganzen Armada von Nebendarstellern, die meist nur einen oder zwei Szenenauftritte haben, ihren kleinen Anteil an der Aufklärung des Verbrechens liefern und dann wieder ihrer Wege gehen. „Das Haus an der Stör“ grenzt sich wie andere „Stahlnetz“-Folgen mit dieser Strukturtechnik von anderen, stärker dramatisierten Krimiserien ab, in der ein fester Verdächtigenkreis für 60 oder mehr Minuten ununterbrochen im Fokus steht. Stattdessen nutzte Jürgen Roland die Gelegenheit, hier flüchtige Porträts ganz unterschiedlicher nordischer Typen zu skizzieren, die allesamt geradezu naturalistisch besetzt sind. Zusammen mit dem eher prosaischen Fall ergibt sich ein schroffes Gesamtbild.

Nicht einmal die Frau des Toten nimmt in Bezug auf ihre Präsenz eine so große Rolle wie im originalen Fall ein, selbst wenn sie von Mady Rahl äußerst faszinierend dargestellt wird. Ihre Hildegard Noack ist ganz anders als Ruth Blaue, die sogenannte „Mörderin mit dem Madonnengesicht“, die in Itzehoe des Mordes an ihrem Mann für schuldig befunden wurde.

Zitat von Klaus Alberts: Die Mörderin Ruth Blaue, Heide 2011: Boyens Buchverlag, S. 108f
Das Schwurgericht des Landgerichts Itzehoe macht Ruth Blaue kurzen Prozess. Am Montag, dem 14. November, beginnt die mündliche Verhandlung, am Freitag schon ist sie wegen Mordes zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt. Die bürgerlichen Ehrenrechte werden ihr auf Lebenszeit aberkannt. [...] Die Verteidigung stellt keinen Antrag auf Vertagung, was angesichts des Todes [ihres Komplizen] Horst Buchholz wenige Tage zuvor nahe gelegen hätte. Es ist nicht auszuschließen, dass Ruth Blaue in den vier Tagen des Prozesses nicht voll verhandlungsfähig war. Eine spätere Revision hätte bei Ablehnung des Antrags gegebenenfalls Erfolg haben können. Sie berichtet später, sie sei während der Verhandlung wie versteinert gewesen, habe auf klare Fragen nur wirre Antworten zu geben vermocht [...]. Prozessbeobachter und auch das Gericht selbst haben einen völlig anderen Eindruck: eine Angeklagte, die hellwach jede Frage überlegen beantwortet, stets auf der Höhe der Verhandlung ist und eine Rolle zwischen kleinem Mädchen und verkannter „Heroine“ spielt.


Wir sehen als TV-Zuschauer den Prozess ebenso wenig wie die diversen verschiedenen Tatgeständnisse, die Ruth Blaue (Hildegard Noack) und der Bildhauer Buchholz (Reinhold) im Vorfeld abgaben; kein Wunder, da Menge den Selbstmord des Komplizen auf die Verhaftungsszene vorzog. Die einzige weitere nennenswerte Abweichung besteht darin, dass die Leiche im Tümpel bei Meldorf im Winter statt im Sommer gefunden wird. Dies war dem Zeitfenster der Produktion geschuldet, doch letztlich sogar ein Glücksfall, weil das frostige Klima des Winters 1962/63 perfekt zu dem Fall passt, der unliebsame Erinnerungen wieder wachruft und den Zuschauer sowie die Zeugen in die unbequeme, ähnlich unterkühlte Nachkriegszeit zurückversetzt. Roggenburg beschwört diese zu Beginn geradezu pathetisch wieder herauf – als ein Vergleich zum wohligen Alltagsleben der Wirtschaftswunderjahre, in denen die damaligen organisatorischen wie seelischen Tumulte nur zu gern schon wieder in eine Grauzone des Vergessens gedrängt worden sind. Die Probleme, die Spätheimkehrer aus Kriegsgefangenschaft mit den geänderten Verhältnissen vor Ort – eine Frau mit Job und Affäre – hatten, klingen recht unverhohlen und ungewöhnlich kritisch an.

Ihre zielgerichtete Struktur und ihr Tempo erhält die Episode nicht zuletzt durch die Idee, die Ermittlungen während einer Zugfahrt quer durch Deutschland nachzuerzählen, die Roggenburg zusammen mit einer Beamtin der weiblichen Kriminalpolizei unternimmt, um die Täterin in der Nähe von München zu verhaften. Tatsächlich hatten sich Ruth Blaue und Horst Buchholz in den Schwarzwald abgesetzt, bevor sie der Polizei ins Netz gingen. Die ratternde Fahrt durch die Nacht, die Hauspantoffeln im geschlossenen Abteil, die weit zu öffnenden Fenster, durch die kalter Fahrtwind den Zigarrendunst vertreibt, und das opulente Frühstück nach schwerem Schlaf auf der Schiene bringen ebenso Atmosphäre in das Geschehen wie die schönen Einfälle, die aus den Bewohnern von Meldorf und Itzehoe kleine Originale machen. Damit bietet „Das Haus an der Stör“ nicht nur inhaltlich den vielleicht faszinierendsten „Stahlnetz“-Fall, sondern zugleich eine so detailverliebte Machart, dass man hier direkt von Kinofilm-Qualitäten sprechen kann. „Das Haus an der Stör“ steht Rolands größten Filmen wie „Der rote Kreis“ oder „Vier Schlüssel“ jedenfalls in puncto Vielschichtigkeit keinen Millimeter nach.

Ein Mord als tragische Zeitnormalität, die sich in den Wirren der Nachkriegsjahre verläuft und nach langer Frist überraschend doch noch aufgeklärt wird, ist die Grundlage für die reputationsstärkste und auch tatsächlich gelungenste „Stahlnetz“-Episode, in der Rudolf Platte, Mady Rahl, Andrea Grosske und ein ganzes Kleindarstellerheer eine regelrechte Odyssee zu einer perfekt austarierten Spannungsfolge veredeln. 5 von 5 Punkten.

Havi17 Offline




Beiträge: 3.763

23.09.2018 11:57
#183 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

In der Tat hat diese Folge die Höchstpunktzahl als Kriminalfilm verdient
und ist so gut, daß man diese Folge trotz Kenntnis des Mörders immer wieder
mal anschauen kann.

Gruss
Havi17

Georg Online




Beiträge: 3.263

23.09.2018 12:15
#184 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Das Haus an der Stör ist sicherlich eine ausgezeichnete Folge der Reihe, keine Beanstandungen, für mich getoppt wird sie allerdings durch die Episode Rehe, die ich immer schon noch viel lieber mochte.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

25.09.2018 16:45
#185 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Sowohl „Das Haus an der Stör“ als auch „Rehe“ zählen zu den allerbesten „Stahlnetz“-Folgen. Wenn ich wählen müsste, würde ich die „Stör“ aber bevorzugen. Sie ist ein klassischer Feelgood-Krimi, während „Rehe“ einen doch ziemlich mitnimmt. Die im Folgenden besprochene Episode hingegen muss ich leider ans Ende meines „Stahlnetz“-Rankings einreihen:




Stahlnetz: Strandkorb 421

Episode 19 der TV-Kriminalserie, BRD 1964. Schauplätze: Baden-Baden, Norderney. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Hellmut Lange, Helmuth Schneider, Cora Roberts, Kurt Jaggberg, Jürgen Janza, Kurt Klopsch, Peter Herzog, Gerd Frickhöffer, Friedrich Schütter, Erich Uhland u.a. Erstsendung: 24. November 1964, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (19): Strandkorb 421
Europaweit kommt es in Casino-Städten zu Hoteldiebstählen, bei denen erfolgreiche Spieler noch am gleichen Abend um die auf ihren Zimmern deponierten Gewinne erleichtert werden. Verantwortlich für diese Verbrechensserie ist der Einbrecher Bischoff, dessen Freundin Isabell die ahnungslosen Herren während der Raubzüge ablenkt. In Baden-Baden unterläuft ihr ein Schnitzer und ein Spieler kehrt zu zeitig wieder auf das Hotelzimmer zurück, wo er Bischoff überrascht. In einem Handgemenge löst sich ein Schuss; der Hotelgast ist tot. Das langfingrige Duo verlegt kurzerhand sein Geschäft auf die Nordseeinsel Norderney, ändert aber keinen Millimeter an der Vorgehensweise. Bis Isabell an einen Mann gerät, der nicht so harmlos ist, wie er tut ...


Nach den „Stahlnetz“-Folgen „Spur 211“ (Mordserie), „Das Haus an der Stör“ (brutale Methode) und „Rehe“ (Kindsentführung) mögen sich die Macher gedacht haben, dass eine weniger schauerliche Episode einmal Not täte, sodass sie als 19. Fall eine Reihe von Hoteleinbrüchen wählten, die vom Ableben eines Kurgasts unterbrochen werden. Wie es zu dessen Todesfall kam, erfährt man nur vom Täter, der ihn als einen unglücklichen Unfall ausgibt. Gezeigt wird die Szene nicht; stattdessen widmet sich die Folge lieber ausführlichen Postkartenbildern, mehr oder weniger stilvoller Urlauberbespaßung im Strandparadies Norderney sowie Isabells Versuchen, mit den Diebstahlsopfern in spe anzubandeln. All das sorgt für einen ausnehmend zahmen, aber auch entsprechend langwierigen Ablauf, denn „Strandkorb 421“ krankt nicht nur an seiner ausgesprochenen Harmlosigkeit, sondern auch daran, wie vorhersehbar Struktur und Schlusspointe sind.

Bei einem Todesfall in der Pampa kooperieren in „Stahlnetz“ für gewöhnlich regionale, bezüglich Morden unerfahrene Beamte mit höherrangigen Experten aus größeren Städten. In „Strandkorb 421“ scheint die letztere Rolle unbesetzt zu sein, aber natürlich ahnt man sofort, welcher der Protagonisten sich als verdeckter Ermittler zu erkennen geben wird. Für die Männer von der nächstgelegenen Polizeizentrale in Aurich hält die Episode indes nur wenige Erfolge bereit; ihre Untersuchungen führen kaum zu belastbaren Schlussfolgerungen, teilweise werden die Charaktere – ungewöhnlich für eine Serie, die die Vorbildfunktion der Polizei propagieren will – als regelrechte Trottel gezeigt. Vor allem Peter Herzog tut sich in dieser Sache unangenehm hervor, aber auch Jürgen Janza und Kurt Klopsch kommen nicht auf das Nächstliegende.

Zitat von Christiane Hartmann: Von „Stahlnetz“ zu „Tatort“, Marburg 2003: Tectum Verlag, S. 12f
[Die Assistenten der ausschließlich männlichen Kommissare] spielten eine untergeordnete Rolle; sie hinterfragten niemals die Hierarchie, gehorchten ohne Einspruch und zeichneten sich durch ähnliche Tugenden aus wie ihre Vorgesetzten. In der Folge „Strandkorb 421“ (1963) kam es sogar vor, dass ‚kleine‘ Polizisten als zu belächelnde Figuren geschildert wurden. Die Bild-Zeitung kommentierte diese Darstellung unter der Schlagzeile „Polizei ärgert sich über Strandkorb 421“ mit: „Jürgen Roland und [...] Wolfgang Menge haben viele ihrer Freunde von der Polizei vor den Kopf gestoßen: In ihrer letzten Sendung [...] wirkten Ortspolizisten und Kripobeamte wie hilflose Schuljungen.“ [...] Doch Hellmut Lange als intelligente, alles überschauende Leitfigur war stark genug, diesen ‚Fauxpas‘ auszugleichen.


Wer typische „Stahlnetz“-Leitfiguren erwartet, wird Lange in seiner Rolle als besserwisserischer Hotelgast anders als Christiane Hartmann eher als strapaziös und überkandidelt empfinden. Der Darsteller genoss es offensichtlich, gegen den konservativen Strom der Reihe zu schwimmen und hier einen vorlauten, frechen, über Gebühr neugierigen Neunmalklug zu geben, dessen Kommentare besser in eine hausbackene Komödie passen würden. Sein Auftreten hat den Effekt, dass man vielmehr plötzlich mit dem zunehmend in die Enge gedrängten Helmuth Schneider mitfiebert, während die dauerpräsente Cora Roberts zu künstlich wirkt, um irgendwelche Gefühle auszulösen.

Gerade bei einer so einfachen Plotstruktur, die komplett ohne die sonst so wichtigen Zeugenbefragungen und polizeilichen Zwischenerfolge auskommt, wäre eine präzise, kurze und milieubewusste Inszenierung wichtig gewesen. Roland vergriff sich allerdings mächtig in dem Vorhaben, mit der lapidaren Geschichte über 90 Minuten Spielzeit füllen zu wollen, was zu endlosen Kulturprogramm-Szenen, absurden Komikeinlagen mit dem Hoteldirektor sowie langen dialogfreien Passagen führt. Alle diese Dinge fordern dem Zuschauer einen sehr starken Geduldsfaden ab; immerhin wird man zwischenzeitlich effektiv wachgerüttelt, als der Vorspann mit lauter „Stahlnetz“-Fanfare nach 25 (!) Minuten endlich ertönt. Da hat man immerhin bereits ein knappes Drittel der wahrscheinlich schwächsten Serienfolge hinter sich.

So wie Menge und Roland darauf herumreiten, dass die Kurgäste sich auf Norderney eigentlich nur langweilen können, wird es auch dem Zuschauer nicht leicht gemacht, für die Ermittlungen im Fall eines erschossenen Hotelgasts Interesse aufzubringen. Hellmut Langes Spiel ist unsensibel überzeichnet, sodass man sich nur an Helmuth Schneiders von Anfang an offen bekannte Täterpersönlichkeit klammern kann. 2 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.09.2018 20:45
#186 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Nacht zum Ostersonntag

Episode 20 der TV-Kriminalserie, BRD 1965. Schauplätze: Lübeck, Hamburg, Frankreich (Lourdes). Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Herbert Tiede, Gerhard Hartig, Jürgen Draeger, Edith Mill, Ossi Kolmann, Günther Stoll, Jochen Rathmann, Otto Bolesch, Peter Herzog, Harry Wüstenhagen u.a. Erstsendung: 8. Dezember 1965, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (20): Nacht zum Ostersonntag
In der Nacht zum Ostersonntag lässt sich ein Taxifahrgast in ein Lübecker Wohnviertel bringen und erschießt, am Ziel angekommen, den Fahrer. Der Schwerverletzte kippt nach vorn über, das Auto beschleunigt und fährt gegen eine Mauer, doch der Täter kann flüchten. Nur eine Zeugin hat ihn gesehen – mehr als eine vage Beschreibung ist nicht drin. Die Polizei, die sich auf ruhige Feiertage gefreut hat, muss nun jede noch so kleine Spur verfolgen, um den Weg des Täters nachzuvollziehen und seine Identität zu klären ...


Für manchen Mörder ist selbst die überschaubare Geldsumme, die ein Taxifahrer in seiner Kasse verwaltet, Grund genug, zur Waffe zu greifen. Gelegentlich – so wie hier – kann dann nicht einmal dieser kleine Betrag gestohlen werden. Als Serie hat sich „Stahlnetz“ immer auch diesen sinnlosen Verbrechen gewidmet, die für einen kaum vorhandenen Nutzen großen Schaden anrichten und (gerade weil das Motiv so schwach wirkt) aufwendigste Nachforschungen seitens der Polizei nötig machen. So bleibt auch der Taxifahrer-Mord, der sich in Realität am 21. April 1962 an Gustav Lingies in der Lübecker Spillerstraße ereignete, eine gänzlich unbefriedigende Tat, deren Aufarbeitung nicht einmal durch die typische „Stahlnetz“-Machart an Faszination gewinnt. Zwar begleitet man den unbekannten Täter auf dem Rücksitz des Taxis durch die nächtlichen Straßen der Hansestadt, doch sobald die Fahrt zu ihrem unschönen Ende gekommen ist, nehmen unspektakuläre Ermittlungs- und Beratungssequenzen mit einem übergroßen Polizistenteam den größten Anteil der Episode ein.

„Da spricht man immer von Personalmangel. Ich habe noch gar nicht gewusst, dass es so viele Polizisten in ganz Schleswig-Holstein gibt, wie ich heute Abend gesehen habe“, staunt der Wirt, als die Kripo im Morgengrauen ihr Lagezentrum in seiner Kneipe aufschlägt. Das langjährige Rezept der Reihe, einen Einzelermittler vom Format eines Heinz Engelmann oder Richard Lauffen zusammen mit einem Assistenten auf einen Fall anzusetzen, wurde in den späten Folgen zunehmend durch ein Konglomerat an Beamtendarstellern ersetzt, die zwar die Ausmaße des behördlichen Apparats deutlich machen, aber gleichzeitig für eine nachlassende Identifikation des Zuschauers mit den Ermittlern sorgen. Herbert Tiede steht dem Squad nominell vor; viele Szenen bestreiten Hartig, Kollmann, Stoll, Herzog und Wüstenhagen aber auch allein, wobei sich nicht jeder der Herren nachhaltig zu präsentieren versteht.

Problematisch für den Fall ist auch, dass er unter einem Mangel an Verdächtigen leidet. So gibt es zwar interessante Rekonstruktionen und Zeugenbefragungen zu sehen; die filmisch suggerierte Idee, dass der erste Verdächtige, den eine befreundete Dienststelle als möglichen Täter vorschlägt, aber auch wirklich der Schuldige ist, wirkt eher unbefriedigend. Als wichtiger als ein möglicher Mitrate-Faktor wird die Schilderung internationaler Zusammenarbeit zwischen Lübecker und französischen Kommissaren bewertet und entsprechend ausführlich in Szene gesetzt. Kurios ist dabei, dass Wolfgang Menge gerade in dieser Episode einige kernige Aussagen zu politischen Ansichten der Beteiligten bezüglich der jüngeren Vergangenheit einbaut (z.B. Todesstrafe für Auschwitz, keine Waffen nach Deutschland). Sie bringen ein interessantes Zeitkolorit in den sonst eher anonymen Stoff.

Ein interessantes Mutter-Sohn-Gespann bilden Edith Mill und Jürgen Draeger, die die Episode mit der unbekümmerten Lebensweise ihrer Charaktere wesentlich mitbestimmen. Auch die Auftritte einiger Zeugen bleiben in Erinnerung – vor allem der nette Gag, dass die treue Seele Roland nach Jahren ihrer Falschaussagen und Wichtigtuerei nun endlich einmal Dauerdarstellerin Gerda-Maria Jürgens die Gelegenheit bot, den zentralen Schlüssel zur Überführung des Täters in der Hand zu halten. Die Volksschauspielerin genoss diese späte Ehre sichtlich.

Über die Maßen simpler Fall, der von einer atmosphärischen Inszenierung der Tat und guten, wenngleich nicht immer fokussierten Darstellern profitiert. Lübeck als Schauplatz ist eine nette Abwechslung; grenzübergreifende Ermittlungen mit Frankreich wirken hingegen eher bemüht. 3,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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01.10.2018 22:45
#187 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Obwohl „Stahlnetz“ ebenso wie später „Der Kommissar“ und „Derrick“ eine Serie „aus einer Hand“ ist (hier Roland / Menge / Holder statt Reinecker / Ringelmann), unterscheiden sich die einzelnen Episoden doch maßgeblich nicht nur in den geschilderten Verbrechen, den Besetzungen oder der allgemeinen Qualität, sondern bilden auch auf faszinierende Weise den Entwicklungsstand des Fernsehens zwischen 1958 und 1968 ab. Man könnte wohl ohne Schwierigkeit argumentieren, dass Rolands einfallsreiche und atmosphärische Umsetzungen ihrer Zeit diesbezüglich immer ein Stückweit voraus waren, was besonders ins Auge fällt, wenn man sie mit anderen TV-Spielen aus der genannten Periode vergleicht. „Stahlnetz“ wirkt weniger statisch, oft aufwendiger und ungebundener und ist damit auch heute noch (nicht nur unter Nostalgie-Aspekten) beste Krimi-Unterhaltung. Hinzu kommt – offenbar ein Glücksfall – die bei den allermeisten Folgen in gestochener Qualität erhaltene Schwarzweißfotografie.

Die Entwicklung von den eher schlichten Fällen der Anfänge über die atmosphärisch besonders dichten Inszenierungen der mittleren Jahre bis hin zu den Großabenteuern des späteren Reihenverlaufs zeigt verschiedene Schwerpunkte auf, die Roland und Menge trotz des immer ähnlichen Konzepts setzen konnten. Unterm Strich kann man festhalten, dass jede dieser Phasen gelungene und sehr gelungene Folgen bereithält, sodass ich vergleichsweise oft die hohen oder ganz hohen Punktzahlen gezogen habe. Damit ist nicht nur der gefühlte Eindruck bestätigt, dass es sich bei „Stahlnetz“ um eine der besten deutschen Krimireihen überhaupt handelt, zu der man immer wieder ohne Abnutzungserscheinungen zurückkehren kann – auch rechnerisch lässt sich das jetzt untermauern, denn mit durchschnittlich 3,91 Punkten pro Folge sticht es z.B. den „Kommissar“ (3,71 Pkt.) oder „Derrick“ (3,81 Pkt.) für meine Begriffe aus.

Wie üblich möchte ich die Sichtungsreihe mit einer persönlichen Rangliste abschließen. Sie unterscheidet sich in einigen Punkten merklich vom „Stahlnetz“-Grandprix-Ergebnis von 2008, verfügt aber immerhin über den gleichen Spitzenreiter, den man eigentlich gar nicht genug loben kann.

Platz 01 | ★★★★★ | Folge 17 | Das Haus an der Stör
Platz 02 | ★★★★★ | Folge 11 | Verbrannte Spuren
Platz 03 | ★★★★★ | Folge 13 | Saison
Platz 04 | ★★★★★ | Folge 18 | Rehe
Platz 05 | ★★★★★ | Folge 05 | Das zwölfte Messer

Platz 06 | ★★★★☆ | Folge 21 | Der fünfte Mann
Platz 07 | ★★★★☆ | Folge 03 | Die blaue Mütze
Platz 08 | ★★★★☆ | Folge 14 | In der Nacht zum Dienstag

Platz 09 | ★★★★★ | Folge 16 | Spur 211
Platz 10 | ★★★★★ | Folge 08 | Das Alibi
Platz 11 | ★★★★★ | Folge 02 | Bankraub in Köln
Platz 12 | ★★★★★ | Folge 12 | E ... 605
Platz 13 | ★★★★★ | Folge 22 | Ein Toter zuviel

Platz 14 | ★★★☆★ | Folge 10 | Die Zeugin im grünen Rock
Platz 15 | ★★★☆★ | Folge 01 | Mordfall Oberhausen
Platz 16 | ★★★☆★ | Folge 20 | Nacht zum Ostersonntag
Platz 17 | ★★★☆★ | Folge 04 | Die Tote im Hafenbecken

Platz 18 | ★★★★★ | Folge 06 | Sechs unter Verdacht
Platz 19 | ★★★★★ | Folge 07 | Treffpunkt Bahnhof Zoo
Platz 20 | ★★★★★ | Folge 09 | Aktenzeichen: Welcker, u.a. wg. Mordes

Platz 21 | ★★☆★★ | Folge 15 | In jeder Stadt ...

Platz 22 | ★★★★★ | Folge 19 | Strandkorb 421

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

02.10.2018 14:01
#188 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Was die Folge "Strandkorb 421" anbelangt, muss ich vehement widersprechen. Hellmut Lange stattet seinen Kommissar Berndorf mit süffisantem Humor aus. So locker und hintersinnig sieht man ihn selten. Es bereitet ihm sichtlich Freude, die beiden Hoteldiebe auflaufen zu lassen und er bemüht dabei alle Register seiner Trickkiste, die mindestens so gut gefüllt ist wie jene eines Profispielers. In den Augen seiner Kollegen, die den Beruf nach den Buchstaben ihrer Dienstvorschrift ausüben, wirkt er unverschämt, weil er ganz offen auf ihre Schwächen hinweist und Tatbestände ausspricht statt nur zu mutmaßen. Er jongliert mit Superlativen, um sich exzentrisch und verwegen zu geben und der Urlaub im Dienst macht ihm durchaus Freude. Lange, den man auch schon schroff und trocken sah, steht diese Leichtigkeit gut zu Gesicht und unterstreicht die Spitzen, welche "Strandkorb 421" gegen organisierte Stimmungsmache abschießt.

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