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Dieses Thema hat 187 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
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08.01.2017 01:10
#166 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Die „Stahlnetz“-Folgen sehe ich alle mit großer Freude wieder, auch wenn es hier oder da ’mal eine etwas knappere Wertung gibt. Umso mehr, als ich die Folgen mit dieser Besprechungsreihe nach relativ langer Zeit zum ersten Mal wiederentdecke. Die Voraussetzungen sind dabei total unterschiedlich: Während ich einige Episoden gefühlte 100 Mal gesehen habe, lagen andere nach dem Kauf der Box im Jahr 2006 nur ein – und jetzt eben ein zweites – Mal im Player. Zu letztgenannter Gruppe gehört auch „In jeder Stadt ...“ – eine Folge, die mir schon bei der Erstsichtung vergleichsweise „Bauchschmerzen“ bereitete. Allerdings muss das nichts heißen: Andere Folgen, früher bei mir unbeliebt, sind mittlerweile in meiner Gunst gestiegen (z.B. „In der Nacht zum Dienstag“ oder „Ein Toter zuviel“) oder überraschend nach früherer Hochschätzung nach unten gerutscht (z.B. „Sechs unter Verdacht“ oder „Die Zeugin im grünen Rock“).

Mit „In jeder Stadt ...“ scheint durchaus eine polarisierende Folge vorzuliegen. Beim Verfassen der Kritik hatte ich im Hinterkopf, dass seinerzeit im Grandprix einige Werter diesen Fall sicher in den Top-10 erwartet hatten. Andererseits fühlte ich mich in meiner persönlich etwas skeptischeren Auffassung durch die ungewohnt kritischen Literaturhinweise, die ich dann ja auch zitiert habe, bestätigt.

Was den Punkt „Entfernung von der ursprünglichen Zielsetzung“ angeht, so habe ich den nicht nur auf die Freiheit in Bezug auf den offenkundig nur als Anhängsel fungierenden Mord interpretiert. Dass „Stahlnetz“ die realen Fälle nicht immer 1:1 umsetzte, ist ja bekannt und auch nur logisch. Mir schwebte darüber hinaus vor allem auch die negative bzw. passive Zeichnung der polizeilichen und juristischen Ermittlungs- und Verurteilungserfolge vor. Das passt mit dem Serienkonzept von „Stahlnetz“ nämlich nicht wirklich zusammen, auch wenn es vom heutigen Standpunkt natürlich en vogue ist, die behördliche Arbeit kritisch zu hinterfragen, und es eo ipso als Pluspunkt verstanden wird, wenn Polizeibeamte „nicht aalglatt“ dargestellt werden. Nichtsdestoweniger steht das einem zentralen Serienbestandteil entgegen, den Hartmann als „aufklärerische Funktion“ der Reihe bezeichnet:

Zitat von Christiane Hartmann: Von „Stahlnetz“ zu „Tatort“, Marburg 2003: Tectum Verlag, S. 11
Die offensichtlich mühsame, oft aufopfernde Polizeiarbeit wurde positiv ins Bild gesetzt, wobei man auf Spannungseffekte und Fiktionalität keineswegs verzichtete. Nicht so deutlich ausgesprochen, jedoch heute leicht erkennbar, ist die erzieherische Absicht der Reihe: Es galt, das während der noch nicht lange zurückliegenden NS-Zeit erschütterte Vertrauen in die Ordnungsmacht Polizei wieder herzustellen. Damit entsprach „Stahlnetz“ als pädagogische Sendung dem damaligen Auftrag des Fernsehens von Bildung und Stärkung des demokratischen Bewusstseins.


Genau diesen Punkt, der sonst dafür sorgt, dass die Fälle effektiv aufgerollt werden, vermisse ich bei „In jeder Stadt ...“, der ein gewisses „Es bringt ja eh alles nix“-Gefühl innewohnt.

Was aber – vielleicht als Versöhnungsansatz – bei „Stahlnetz“ wirklich schön ist, ist, dass das Niveau der Reihe insgesamt so hoch ist, dass man sich unterm Strich alle Folgen gut ansehen kann und natürlich mit guten Argumenten auch generell immer 4 oder mehr Punkte verteilen könnte, wenn man es nicht auch ein wenig auf (befangene) Differenzierung anlegen würde.

Gubanov ( gelöscht )
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30.10.2017 17:00
#167 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Spur 211

Episode 16 (2 Teile) der TV-Kriminalserie, BRD 1962. Schauplatz: Hannover. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Heinz Engelmann, Rudolf Rhomberg, Hannelore Elsner, Jan Hendriks, Gudrun Thielemann, Günther Stoll, Friedrich Georg Beckhaus, Werner Buttler, Karl-Heinz Gerdesmann, Günther Neutze u.a. Erstsendung: 28. und 30. November 1962, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (16): Spur 211
Ein versuchter Raubüberfall in einem Satellitenstädtchen Hannovers, der Tod eines Freiers und das Verschwinden eines Hamburger Geschäftsmanns stehen miteinander in enger Verbindung. Die Polizei ermittelt über fast zwei Jahre, findet aber nur wenige Anhaltspunkte bezüglich der zwei Täter, die Augenzeugen am ersten Tatort als zwei Männer auf Fahrrädern beschrieben. Erst das Geständnis einer Frau sowie die Fundorte der Ermordeten und ihrer blutverschmierten Autos bringen Kriminaloberkommissar Semmler ans Ziel ...


Der Umstand, dass die Ermittler um Heinz Engelmann es diesmal nicht mit einem isolierten Mordfall zu tun bekommen, macht „Spur 211“ deutlich komplexer als die meisten anderen Episoden der „Stahlnetz“-Serie. Allein die Schilderung der sehr unterschiedlichen Taten würde schon ein beachtliches Pensum für einen TV-Krimi darstellen; da sich Oberkommissar Semmler und Hauptmeister Rathje jedoch auch genüsslich in detektivischen Sackgassen verlaufen dürfen, beschloss Roland die Aufteilung der Erzählung auf zwei Ausstrahlungsabende. Man beließ den Schauplatz wie im Originalfall auch in „Spur 211“ in der Umgebung der niedersächsischen Landeshauptstadt Hannover, wobei der Stadtteil Misburg ein zusätzliches L spendiert bekam, aber am Mittellandkanal verblieb. Die heimische Presse schildert die Ausgangslage der realen Vorlage wie folgt:

Zitat von Simon Benne: Der „Todesengel von Krähenwinkel“, Hannoversche Allgemeine, Quelle
Seine Armbanduhr tickte noch, als Kanalarbeiter am 19. Dezember 1956 Heinrich B. entdeckten. Der 29-Jährige trieb bei Dedensen im Mittellandkanal, ermordet mit drei Schüssen. Seine Mörder hatten ihn in eine Decke gewickelt und ihm ein VW-Reserverad auf den Rücken gebunden, das aufgeschlitzt und mit Kies gefüllt war. Im Januar darauf verschwand der 37-Jährige Heinz E.; seinen Wagen fand man in einem Wasserloch im Wald bei Hambüren – mit blutverschmierten Sitzen. Erst sieben Monate später entdeckte ein Imker Heinz E.s Leiche in einer Fichtenschonung bei Lindwedel – auch er war erschossen worden. [...] Der Fall wäre wohl als ungelöstes Rätsel in Hannovers Kriminalgeschichte eingegangen, hätte der notorische Dieb und Räuber Gerhard Popp nicht in seiner Zelle im Gefängnis hinterm Bahnhof vor anderen Häftlingen geprahlt, mehr über die Morde zu wissen. Einer von ihnen gab der Polizei einen Tipp. So geriet Popps junge Freundin Inge Marchlowitz ins Visier der Ermittler.


Die Crux der ansonsten sehr detailverliebten und stimmig besetzten Doppelfolge ist ihr völliges Verlassen auf das Geständnis von Edith Tirfelder, jener Rolle, die Inge Marchlowitz nachempfunden ist. Ohne ihre sofortige Geständigkeit hätte den Tätern trotz der umfangreich dokumentierten Polizeieinsätze und Sonderkommissionen nichts nachgewiesen werden können. Dies schmälert in gewisser Weise den „stahlnetz“-typischen Erfolg der Kriminalpolizei, die hier in Form des eher bayerisch auftretenden Rudolf Rhomberg zu allem Überfluss noch eine gemütlich vor sich hinkalauernde Beamtenkarikatur verpasst wurde.

Andererseits gibt das umfangreiche Geständnis in Teil 2 den Schurkendarstellern Hannelore Elsner und Jan Hendriks ausgiebige Möglichkeiten, beeindruckende Schurkenportäts zu skizzieren, sowie der Regie die Gelegenheit, geradezu ungewöhnlich abstoßende Härten einzubauen. Dies betrifft sowohl die geschickt inszenierten Mordszenen, die an spätere „Kommissar“-Inszenierungen erinnern (vergleichbar z.B. mit „Drei Tote reisen nach Wien“), als auch die Abhärtungen, die Bösewicht Otto Hecht der jungen Edith angedeihen lässt. Mit diesen beinharten Mutproben, die den Taten vorausgingen, hob die Folge auf die Vorgeschichte der Morde ab, welche die Zeitungsschlagzeilen anlässlich des Prozesses gegen Popp und Marchlowitz beherrschten: „Als Kind auf Verbrechen dressiert“, hieß es da – oder „Inge Marchlowitz als Zwölfjährige zur Mordgehilfin ausgebildet“.

Auch in puncto Sexualität zeigt sich die Folge recht offen – auch wenn sie nicht so weit geht, der minderjährigen Edith eine Schwangerschaft von Otto Hecht zuzugestehen, wie es in Wahrheit mit Marchlowitz und Popp der Fall war. Verräterischer ist das Waschen schmutziger Wäsche im Umfeld des ersten, ausgerechnet von TV-Dauer-Filou Günther Stoll verkörperten Opfers ... einschließlich zweifelhafter Frauengeschichten und des verdächtigen „Animiermädchens“, wie Jürgen Roland sich in der Zusammenfassung des ersten Teils ausdrückt. Gudrun Thielemann setzt in dieser Rolle sehr überzeugende Akzente, auch wenn selbst sie sich letztlich wie so viele andere Nebenfiguren nur als von untergeordneter Bedeutung für die Polizei erweist.

239 „Hauptspuren“ passen nicht in einen Fall von Stundenlänge; aber auch im Doppelkrimi verstehen es Roland und Menge gekonnt, das Dickicht der Akten zu lichten. Die verschachtelte Handlung läuft sehr stringent ab; am Ende vielleicht sogar ein wenig zu geradlinig, um kriminalistisch vollauf befriedigend zu wirken. Die authentische Umsetzung des echten Falls erscheint jedoch vorbildlich und Besetzung sowie Vorstadtaufnahmen zählen mindestens zum oberen Mittelfeld der Serie. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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31.10.2017 09:30
#168 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Der Ermittlungen vierter Teil:
Aus süddeutschen Polizeiakten


Eine ganze Reihe später produzierter ZDF-Serien vom „Kriminalmuseum“ über „Kommissar“ und „Derrick“ bis hin zu „Siska“ machte München zur ungeschlagenen deutschen Krimihauptstadt. Bei „Stahlnetz“ nahmen die „Weltstadt mit Herz“ und andere süddeutsche Regionen eher eine Außenseiterrolle ein, denn in nur wenigen Folgen verschlug es Jürgen Roland in so große Entfernung zum heimatlichen N(W)RV-Sender. Tatsächlich wirken die süddeutschen Folgen teilweise wie eine Pflichtübung, um dem zu Beginn der „Stahlnetz“-Drehs vereinbarten Anspruch, die gesamte Bundesrepublik zu repräsentieren, gerecht zu werden, denn einerseits geizen die Folgen, die südlich der Benrather Linie spielen, oft mit so ausgiebigen Einstimmungs- und Wahrzeichenaufnahmen, wie sie die Nord- und Ruhrgebietsfolgen aufweisen. Andererseits arbeitete der Hamburg-Experte Roland im Süden auch nicht immer so genau wie in seinem vertrauten Revier, wie die Presse im Anschluss an die Ausstrahlung von Episode 9 monierte:

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher!, Bielefeld 2013: transcript Verlag, S. 147
Gabriel Straubing aus der Deutschen Tagespost vermerkte für die Folge „Aktenzeichen: Welcker, u.a. wg. Mordes“ [...]: „Die Milieuechtheit bestand darin, dass die Polizeiwachtmeister in den Münchner Revieren hannoveranisch und hamburgisch sprachen, dass die Münchner Funkstreife plötzlich Mercedes-Wagen anstelle der stadtbekannten BMW benutzt und es am Rande Münchens einen Selbstmördersee gibt, den jeder vergeblich auf der Landkarte suchen wird.“


Dennoch gehören die im südlichen Raum angesiedelten Fälle – mit Ausnahme „Welckers“ – überraschenderweise zu den großen Renommierfolgen der Serie. Schon der Pilot „Mordfall Oberhausen“ begann mit einer Sequenz im badischen Karlsruhe; des Weiteren ernteten „Rehe“ (Stuttgart) und „Der fünfte Mann“ (verschiedene Schauplätze, u.a. Bayerischer Wald) großen Zuspruch. Vielleicht hebt sie ihre gewissermaßen als Sonderstellung zu bezeichnende Andersartigkeit unter den unzähligen „Piefke“-Fällen noch einmal besonders deutlich hervor.

Zugehörige Besprechungen:

• Episode 09: Aktenzeichen: Welcker, u.a. wg. Mordes (Schauplatz: München)
• Episode 18: Rehe (Schauplatz: Stuttgart)
• Episode 21: Der fünfte Mann (Schauplätze: Limburg [Lahn], Koblenz, Bayerischer Wald et al.)

Gubanov ( gelöscht )
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01.11.2017 00:00
#169 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Aktenzeichen: Welcker, u.a. wg. Mordes

Episode 9 der TV-Kriminalserie, BRD 1959. Schauplatz: München. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Heinz Engelmann, Paul Edwin Roth, Günter Briner, Fred Klaus, Günter Lüdke, Gerda Gmelin, Dorothea Moritz, Willy Witte, Gerda-Maria Jürgens, Karl-Heinz Gerdesmann u.a. Erstsendung: 6. November 1959, ARD. Eine Produktion des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbands.

Zitat von Stahlnetz (9): Aktenzeichen: Welcker, u.a. wg. Mordes
Von gewalttätigen Halbstarken hört man sonst eher im Kino. Doch die bayerische Hauptstadt wird nun schon seit einiger Zeit von den Raubzügen einer Bande Heranwachsender erschüttert. Bei einem Überfall auf einen Geldboten fallen Schüsse; der Bote stirbt. Zur gleichen Zeit verschwindet ein Mitglied der Bande spurlos – die Eltern glauben, ihr Sohn habe sich zur Fremdenlegion verabschiedet, doch in Wahrheit liegt er als Verräter hingerichtet in einem See nahe der Stadt. Er wird auch nicht der Letzte bleiben, der in die Schusslinie des ruchlosen Bandenführers Welcker gerät ...


Im Gegensatz zu den oft eher hausbackenen Halbstarken-Dramen, die in den Fünfzigerjahren die Lichtspielhäuser füllten, sich im Wesentlichen mit moralischen Fragen befassten und dabei der „Rockergeneration“ nicht ungern einen beinahe naturgesetzlichen schwarzen Peter zuschoben, steht in „Aktenzeichen: Welcker“ das kriminalistische Moment ebenso im Vordergrund, als würde es sich bei Helmut Welcker, Jochen Grimm und Erich Zöllner um Mörder und Komplizen im herkömmlichen Erwachsenenalter handeln. Unterstützt vom Schlusswort des „Stahlnetz“-Newcomers Heinz Engelmann – „Das sind Verbrecher, ob sie nun achtzehn sind oder achtzig“ – kann sich die Episode auf die Fahnen schreiben, Effekthascherei auf Grundlage der ungewöhnlichen Täterfiguren zu vermeiden und sachlich durch den Fall zu führen.

Leider erweist sich der Fall als solcher indes als eher uninteressant, da sich die Morde entweder als billigend in Kauf genommene Randerscheinungen oder als Vergeltung für den Ausstieg aus einer Bandenstruktur entpuppen, in die der Zuschauer kaum – und wenn, dann nur in Form kurzer Rückblenden oder Zeugenschilderungen – eingeführt wird. Die an sich reizvolle Idee, im doch eher beschaulichen München ruppiges Wild West zu spielen, scheitert also an der Nachvollziehbarkeit der Handlungen des Ganoventrios, das über lange Zeit dem Fokus der Kamera entflieht, um sich erst am Schluss ein für Serienverhältnisse eher ungewöhnliches Schussgefecht mit den Ermittlern zu liefern. Dabei schaute Roland anlässlich der DVD-Veröffentlichung 2005 ganz und gar pazifistisch auf seine Serie zurück:

Zitat von Ein Wort von Jürgen Roland über das „Stahlnetz“, DVD-Booklet, S. 2
Und ein Faktor, nicht zu gering einzuschätzen: Es gab keine übertriebene Gewaltdarstellung. Selten nur griff einer unserer Filmkommissare zur Waffe, und auf entsprechende Feuergefechte und Menschenjagden konnten wir in den meisten Fällen verzichten.


Nur folgerichtig war es also bei solch einem selbst auferlegten „Regelverstoß“, dass das Zücken der Dienstpistole für Kommissar Dressler und Obermeister Spiegelberg ein Nachspiel hatte: „Der Präsident mahnt Ihren Bericht an“, informiert eine Sekretärin Dressler in der letzten Szene. „Von wegen der Schießerei. Bestimmungen über Schusswaffengebrauch, und so.“ – Es ist nicht das einzige Zeichen, das die Macher setzten, um München als gemächlichen und etwas hinterwäldlerischen Schauplatz darzustellen: Als running gag ziehen sich entweder gänzlich fehlende oder gerade funktionsuntüchtige Telefone durch die gesamte Folge; Umstände, mit denen die Kripo damals zu kämpfen hatte und die den zeitdokumentarischen Wert des Produkts aus heutiger Sichtweise noch einmal deutlich erhöhen.

„Aktenzeichen: Welcker“ gehört zu den wenig prominent besetzten Folgen. Abgesehen von Engelmanns Serieneinstand, dem noch sechs weitere Hauptrollen in Kommissarsposition folgen sollten (obgleich Engelmann Roland früh darum bat, ihn nicht zu sehr auf diesen einen Rollentyp festzulegen), findet sich wenig Bemerkenswertes auf der Besetzungsliste. Nicht nur die zwar recht neutralen, dadurch aber auch sehr farblosen Verbrecherdarstellungen, auch die übrigen Gastrollen gehören zu den schwächsten der Serie und sorgen dafür, dass das „Aktenzeichen“ dröger als manche ganz frühe, aber vergleichsweise markantere Episode wirkt.

Dass auch in heimatlichen Gefilden schnell und scharf geschossen wird, soll die Wachsamkeit der Bürger schulen, wirkt in „Aktenzeichen: Welcker“ mangels sinnvoller Motivierung aber lange Zeit wenig erklärlich. Eine eher schwache Besetzung untermauert den durchschnittlichen Eindruck der Folge, obwohl man ihr inhaltlich eine gewisse Wegbereiterschaft hin zu den spektakuläreren (dann aber aufgeräumteren) Fällen der späteren Serienphase nicht absprechen kann. Noch 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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04.11.2017 15:15
#170 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Rehe

Episode 18 der TV-Kriminalserie, BRD 1964. Schauplatz: Stuttgart. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Heinz Engelmann, Werner Bruhns, Sigurd Fitzek, Horst Beck, Horst Michael Neutze, Helmut Oeser, Helmuth Kolar, Ilse Bally, Doris Masjos, Olaf Eggers u.a. Erstsendung: 16. Juni 1964, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (18): Rehe
Uwe Teichert war wohl ein bisschen zu vertrauensselig: Als der Fünfjährige von einem fremden Mann angesprochen wird, der ihm die Rehe im Wald zu zeigen verspricht, folgt Uwe ihm ohne Bedenken – ohne wieder nach Hause zurückzukehren. Der Vater und das Kindermädchen geben aus Angst eine Vermisstenanzeige auf. Da ruft der Kindesentführer am nächsten Tag bei Teichert an: Im Austausch gegen den Jungen verlangt er 15’000 Mark Lösegeld. Die Polizei soll aus dem Spiel bleiben. Zum Schein geht Vater Teichert auf die Vereinbarung ein, informiert die Kripo aber doch über die Sachlage. Kommissar Berenthin muss nun mit aller Vorsicht vorgehen, um den Jungen eventuell noch retten zu können ...


„Wir alle sind der Staat – wir gehören dazu!“ skandiert ein Werbeposter für den Freiwilligen Polizeidienst, das zu mehreren Zeitpunkten der Folge gut sichtbar in der Polizeiwache aushängt. Das kann eigentlich kein Zufall sein, denn kaum eine „Stahlnetz“-Folge nimmt ihre Zuschauer so sehr in die Pflicht wie „Rehe“. Die besonders abscheuliche Natur des Verbrechens, einer Kindsentführung und -tötung, schickt den Täter in die absolute Isolation nicht nur gegen den wie auch sonst übermächtigen Polizeiapparat, sondern gleichsam gegen die Gesamtheit der Stuttgarter, ja sogar der Bundesbürger, die die versuchte Bereicherung durch Mord an einem wehrlosen Jungen lückenlos verdammt. So präsentiert sich „Rehe“ in zwei hauptsächlichen Teilen: einem, in dem die Kripo aus Rücksicht auf das entführte Kind unter jeder nur möglichen Geheimhaltung operiert, und einem, in dem sie sich nach dessen Tod an die Öffentlichkeit wendet und auf deren Hilfe zweifellos zählen kann. Wie erfolgreich die Folge dabei war, gegen den Täter mobil zu machen, zeigt sich an den weiten Kreisen, die die Übernahme der Schurkenrolle nach der Ausstrahlung für Darsteller Sigurd Fitzek zog:

Zitat von Interview mit Sigurd Fitzek, „Straßenfeger-Edition 1“, 2008
Ich wohnte in Grünwald und es lief Stahlnetz. Sie wissen, in Stahlnetz spielte ich den Kindermörder. [...] Am nächsten Morgen ging ich meine Brötchen holen und kam an einem Haus vorbei, in dem ältere Herrschaften wohnten. Sie standen meist auf dem Balkon und sagten „Ja grüß’ Ihnen, Herr Fitzek“. Aber an diesem Morgen war Pause. Sie guckten und ich dachte „Was haben die denn?“. Auf dem Rückweg kam die Polizei angefahren und hielt vor dem Haus, in dem ich wohnte. Ich fragte, was los sei. „Man hat angerufen, hier sei ein Kindermörder. Überall sagt man, der Kindermörder sei hier. Die machen uns ganz verrückt.“ [...] Ich will nur sagen: Man hat mich mit diesem Menschen identifiziert. In dem gleichen Jahr war ich in Spanien im Urlaub. Da nahmen die Leute ihre Kinder vom Strand weg.


Man kann diese beeindruckende Wirkung der „Rehe“-Sendung auf die schauspielerischen Leistungen zurückführen, für die die Episode mit Fug und Recht gelobt wird. In einem erbitterten Duell stehen sich Fitzek als stille Schurkenfigur, aus deren Augen es einmal gefährlich funkelt, während er sie ein andermal verkniffen und entschlossen zu Schlitzen zusammendrückt, und Engelmann als Vertreter des Rechts gegenüber. Nebencharakteren wird dabei höchstens eine Schachfigurenfunktion zugebilligt. Die Vertreterin der weiblichen Kriminalpolizei, die nur solange auf dem Plan bleibt, wie das Verbrechen einigermaßen harmlos scheint; die Erfüllungsgehilfen der Mordkommission, die Überstunden am laufenden Band schieben; die Zeugen und Zuarbeiter, die an den passenden Stellen wichtige Hinweise liefern; der Vater, der nur strikt nach Kommissar Berenthins Anweisungen handeln darf; und selbst das Kind, das nach den ersten zehn Minuten im Wald verschwindet – sie alle unterstützen in ihren jeweiligen Positionen nur das eigentliche Kräftemessen, das sich zwischen den beiden Antagonisten beeindruckend abwickelt. Fitzek zeigt Willy Funke als kruden Einzelgänger, dem sein Plan manche Unsicherheit abringt; Engelmann geht dagegen von Minute zu Minute entschlossener zu Werk, bis er nach dem Fund der Kindsleiche sogar kurz die Fassung verliert. „Jetzt mit allen Mitteln“, presst er hervor. „Ich will den Mann haben. Keine Rücksicht mehr!“ In einigen Szenen, so dem Verhalten der Labortechniker oder der aufgebrachten Meute vor dem Gefängnis am Schluss, lassen sich sogar selbstjustiziable Anwandlungen erkennen, die der neutralen Reihe sonst abgingen, die sich aber aufgrund der Verbrechensschwere hier wie von selbst einschlichen.

Andererseits mag Fitzeks Dilemma auch in der besonderen zeitgeschichtlichen Bedeutung der Folge begründet liegen. Wo andere Folgen mit Mord und Raub zwar nicht von Alltags-, aber immerhin doch regelmäßig auftretenden Verbrechen erzählten, thematisierte „Rehe“ einen Fall, der sich so in der Bundesrepublik 1958 zum ersten Mal überhaupt zugetragen hatte. Das Wort Kidnapping hatte man noch nicht übernommen, als sich Polizei und Presse anlässlich der Entführung und Ermordung des siebenjährigen Joachim Göhner aus Stuttgart-Degerloch regelrecht überschlugen. Das Verbrechen selbst war aber ein US-Import, der zum ersten Mal die Bundesrepublik erschütterte. Wie in der hier vorliegenden Folge gezeigt, konnte die Identität des Entführers schließlich mithilfe einer öffentlichen Übertragung der Erpresseranrufe über den Rundfunk geklärt werden – bei aller Sensibilität des Themas nicht zuletzt ein wirkkräftiger Beweis für die Bedeutung und Verbreitung von Radio und Fernsehen, die der NDR in seiner „Stahlnetz“-Reihe auch aus Gründen der Eigenwerbung nicht ungenutzt lassen konnte.

Der Ausstrahlungszeitpunkt von „Rehe“ fiel zudem auf einen besonders kritischen Moment. Wegen des Prozesses gegen Göhners Mörder musste die Folge vom März 1963 auf Juni 1964 verschoben werden. Die Gemüter kochten nicht nur über den Prozess gegen den Gärtner Emil Tillmann hoch, sondern gerade auch über einen zweiten, sehr ähnlichen Fall, der genau in die Spanne zwischen geplantem und tatsächlichem Sendetermin fiel: In Wiesbaden verschwand im Februar 1964 der ebenfalls siebenjährige Timo Rinnelt. Der Fall, der erst 1967 geklärt werden konnte, weist sowohl in der Durchführung als auch in der Ermittlung einige Merkmale auf, die geradewegs aus dem Göhner-Fall und sogar aus „Rehe“ entlehnt zu sein scheinen. Auch der Rinnelt-Mörder Klaus Lehnert wurde schließlich mithilfe einer Tonband-Fahndung gefasst.

Was die vorliegende „Stahlnetz“-Folge angeht, so gewinnt sie einen großen Teil ihrer Überzeugungskraft durch ihren Detailreichtum bezüglich der verdeckten und offenen Polizeimaßnahmen. Mit über 110 Minuten Laufzeit sprengt sie jedes übliche Sendeformat und erreicht beinah den Umfang von „Spur 211“, wurde jedoch im Rahmen der Erstsendung an einem Stück gezeigt. Ein effektvoller Cliffhanger, etwa an der Stelle, an der Vater Teichert den Instruktionsbrief mit den abgefallenen Klebeschnipseln öffnet, hätte der Folge vermutlich gut getan und den Eindruck verhindert, dass ihr nach dem Leichenfund ein klitzekleines bisschen die Luft ausgeht.

Das wohl abscheulichste Verbrechen aller „Stahlnetz“-Episoden lässt Polizei und Bevölkerung eine breite Front gegen den Täter bilden. „Rehe“ zeigt den Kampf des einzelnen Täters gegen die Allgemeinheit auf sehr effektvolle Weise und wird von Engelmanns und Fitzeks Auftritten ebenso zu einem „Stahlnetz“-Höhepunkt gemacht wie von der modernen, sehr luftigen und damit die Tragik etwas abfedernden Inszenierung. 5 von 5 Punkten.

PS: Zur vertiefenden Lektüre über die Fälle Göhner und Rinnelt seien folgende Seiten empfohlen:

Landesarchiv Baden-Württemberg: O-Töne eines Kidnappers (Göhner / Tillmann)
Verbrechen: Heißer Kaffee, Der Spiegel, 24/1967, S. 44f (Rinnelt / Lehnert)

Gubanov ( gelöscht )
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05.11.2017 20:15
#171 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Der fünfte Mann

Episode 21 der TV-Kriminalserie, BRD 1966. Schauplätze: Limburg (Lahn), Löhnberg, Helmstedt, Miesau, Eppstein, Koblenz, Winningen, Güls, Boppard, Hamburg, Köln, Siebengebirge, Bayerischer Wald. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Thomas Keck, Wolfgang Menge, Jürgen Roland. Mit: Werner Pochath, Hellmut Lange, Kurt Jaggberg, Jürgen Janza, Georg Lehn, Wolfgang Kaus, Siegfried Fetscher, Horst Hesslein, Toni Strassmair (d.i. Thomas Alder), Karl Obermayr u.a. Erstsendung: 23. August 1966, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (21): Der fünfte Mann
„Hände hoch, Geld her!“ fordert ein Bankräuber, auf dessen Kappe bereits 14 Überfälle in der Umgebung von Koblenz gehen. Nachdem seine erste Zusammenarbeit mit vier anderen Gangstern bei einem Überfall in Winningen schief läuft und er einen Kassierer erschießt, erhält die Polizei endlich einen handfesten Hinweis, in dessen Folge sie zwar die Kollaborateure, nicht aber den dicken Fisch fangen kann. Doch jetzt ist wenigstens der Name des Täters bekannt: Dieter Hesse – ein Mittzwanziger, der sein kriminelles Talent hinter einem Milchbubigesicht verbirgt. Und tatsächlich gelingt es ihm auf seiner Flucht quer durchs Land immer wieder, seinen Häschern ein Schnippchen zu schlagen ...


Kaum eine andere „Stahlnetz“-Folge zeigt sich so ruhe- und rastlos wie „Der fünfte Mann“. Ein Füllhorn schnell aufeinanderfolgender Verbrechen und Tatorte lässt weder den Zuschauer noch Dieter Hesse zum Atmen kommen und man fragt sich unvermittelt, wo und wie der junge Routinier seine sich recht rasch ansammelnden Beutesummen versteckt. Doch nicht etwa auf einer Sparkasse?

Die Drehbuchverantwortlichkeit lag ausnahmsweise einmal bei Thomas Keck, doch dieser Unterschied fällt kaum ins Auge, fügt sich der Erzählstil doch lückenlos in die übrige „Stahlnetz“-Rhetorik ein. Gerade der Anfang, der das Schicksal von Dieter Hesse als Gefangener im Dietzer Zuchthaus vorwegnimmt, ist ein typisches Instrument von Roland-Inszenierungen, die das Ende an den Anfang setzen und die Haupthandlung als Rückblende erzählen (vgl. seine Kinofilme „Polizeirevier Davidswache“ von 1964 und „Vier Schlüssel“ von 1965, die unmittelbar vor „Der fünfte Mann“ entstanden). Auch erlaubte sich Keck ebenso wie der sonst hauptverantwortliche Wolfgang Menge einige erzählerische Freiheiten, wenn sie dem telegenen Effekt dienten. So müssten Puristen ausgerechnet die abschließende Verfolgungsjagd durch den verschneiten Bayerischen Wald beanstanden, für die „Der fünfte Mann“ so bekannt geworden ist. In Wahrheit gestaltete sich die Verhaftung wesentlich unspektakulärer: Der Flüchtige – eigentlich trug er den Namen Freese – wurde an gleicher Stelle, abgespannt vom andauernden Katz- und Maus-Spiel, im Schlaf aufgegriffen. Die Qualität der Jagdszenen durch die kalte, weiße Pracht entschädigt aber für ihre Fiktionalität und prädestiniert sie nicht nur zu einer der besten „Stahlnetz“-Szenen, sondern zu einer der dynamischsten des deutschen Sechzigerjahrefernsehens überhaupt.

Einen großen Beitrag zum Gelingen der Folge leistet Werner Pochath, der seiner Rolle eine brutale Entschlossenheit verleiht. Muteten die minderjährigen Bandenmitglieder in „Aktenzeichen: Welcker, u.a. wg. Mordes“ noch wie eine Fingerübung an, so demonstriert der nicht viel ältere Dieter Hesse – ähnlich wie Willi Carstens in „In der Nacht zum Dienstag“ – hier eine Abgebrühtheit, die den ganz Großen in nichts nachsteht. Ausbruchsankündigungen (tatsächlich gelang es dem echten Freese nach der Ausstrahlung von „Der fünfte Mann“ mehrfach, zu fliehen) und sein wendiges Verhalten in scheinbar ausweglosen Situationen – etwa bei der Grenzpolizei in Helmstedt oder bei der drohenden Verhaftung in Boppard – unterstreichen seine Gefährlichkeit. Dem können weder Komplizen noch Verfolger standhalten: Gerade die Polizeitruppe um Hellmut Lange offenbart einige Schwächen, nicht nur in ihrer oberflächlichen Spurensicherung. Weder erreicht Lange die natürliche Autorität Engelmanns noch passen seine Assistenten besonders gut in eine rheinländische Stadt mittlerer Größe (Jaggberg mit österreichischem Akzent oder Janza mit Nachtclub-Verbindungen, die man eher nach St. Pauli verorten würde). Da die Folge aber hauptsächlich auf „den Gegner“ ausgerichtet ist und Roland in acht Jahren „Stahlnetz“-Arbeit gelernt hat, wie man dies möglichst effektvoll aufzieht, fallen diese Abzüge sowie der Umstand, dass der Fall im Grunde eher anspruchslos ist, wenig ins Gewicht.

Dass „Der fünfte Mann“ es zu großen „Stahlnetz“-Ehren gebracht hat, ist in Anbetracht des Unterhaltungsfaktors der Episode wenig verwunderlich, inhaltlich aber nicht restlos verdient. Gewissermaßen das große Popcorn-Event der Reihe, verlässt sich Folge 21 auf einen beeindruckend spielenden Werner Pochath und nicht minder einprägsame Fluchtszenen. 4,5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

05.11.2017 21:15
#172 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Wie die Hamburger Morgenpost am 26. August 1966 berichtete, führte die Ausstrahlung dieser vorletzten „Stahlnetz“-Folge zu einem kuriosen Fall von häuslicher Gewalt:

Zitat von Ehemann schlug mit Bierflasche zu, Hamburger Morgenpost, 26.8.1966
Ehemann griff zum Messer und schlug mit Bierflasche zu – weil sie bei Stahlnetz redete. „Ich habe sie schon oft gewarnt. Als sie auch diesmal wieder in den spannendsten Momenten mit ihren Kommentaren nicht sparen konnte, geriet ich in Rage.“ Der Mann nahm eine Bierflasche und schlug sie seiner Frau auf den Kopf. [...] Wie der Roland-Krimi ausging, das hat er auf dem Polizeirevier erfahren.


Eventuell ist der mittlerweile ältere „Stahlnetz“-begeisterte Herr nun hier Forumsmitglied?

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

10.11.2017 07:45
#173 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Der Ermittlungen fünfter Teil:
Aus den Polizeiakten der Nordlichter


Während die am NWRV-Sitz Hamburg spielenden „Stahlnetz“-Fälle die Hansestadt entweder auf Sündige-Meile-Eigenschaften oder auf eine allgemein-metropolische Rhetorik von Verbrechen, die „In jeder Stadt ...“ begangen werden, beschränken, kommen die für die Herkunft der Serie und ihres Regisseurs so typischen regionalen Eigenheiten in jenen Folgen besser zur Geltung, die noch ein Stückchen weiter nördlich spielen. In diesem letzten Block soll es um Fälle gehen, die an der Küste oder im holsteinischen Hinterland angesiedelt sind – „in dem Teil unseres Landes, der immer ein bisschen abseits von allem liegt, nie wirklich wichtig, nie richtig reich“, wie der unsichtbare Sprecher zu Beginn der Folge „Das Haus an der Stör“ meint. Und dennoch verbergen sich gerade hinter den dortigen Fällen große Höhepunkte der Sendereihe.

Eine explizite Darstellung von Regionalität wird in diesen Episoden über kleinstädtische oder dörfliche Settings erzielt, von denen einige fiktiven, andere realen Ursprungs sind.

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher!, Bielefeld 2013: transcript Verlag, S. 376
Das prototypische Dorf Westdeutschlands lokalisieren Roland und Menge im „Hamburger Hinterland“. Fachwerkhäuser, Reetdächer und Ackerland bestimmen die Landschaft. Doch interessieren sich weder Protagonisten noch Kamera für das sonst eher ungewöhnliche Ambiente. Vielmehr wird der landwirtschaftliche Raum ohne Kommentar in die Handlung eingefügt. Eine heimatfilmische Idylle, wie sie im zeitgenössischen Kino präsentiert wurde, ist hier allerdings lange zu suchen.


Trotz seines eher illustrativen Einbezugs wirkt sich die Raumstruktur dieser „Stahlnetz“-Krimis auf die Ermittlungen bzw. die Wahrnehmung der Ermittler aus. Wie auch schon in „Saison“, wo die Zusammenarbeit zwischen dem einheimischen Polizeimeister und den aus den nahegelegenen Städten zugereisten höherrangigen Beamten demonstriert wird, klären auch in den Nord-Folgen oft ortsfremde Polizisten die Mordfälle ländlichen Sujets, für die das Einfühlen in lokale Strukturen zunächst die knifflige Hauptaufgabe darstellt – nicht gerade befeuert durch die gelegentlich zur Schau gestellte nordische Verschwiegenheit der Einheimischen.

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher!, Bielefeld 2013: transcript Verlag, S. 379
[S]o werden die ermittelnden Kriminalbeamten nicht nur durch ihre Kleidung als eine Art Fremdkörper staunend wahrgenommen, auch ihr Verhältnis zum Ort selbst scheint distanziert; vor allem weil die Orte nicht über eine eigenständige Mordkommission verfügen und die Beamten zumeist aus den Städten anreisen müssen.


Kurioserweise lässt sich eine Konzentration auf heimische nordische Schauplätze gerade in der Phase der Serie feststellen, in der die Inszenierungen anderweitig immer opulenter und ausschweifender wurden. Sie konzentrieren sich vor allem auf den Zeitraum 1961 bis 1965, nachdem sich der NWRV am 31. März 1961 in NDR und WDR aufteilte, und sie bewirkten seinerzeit, dass der NDR weiterhin einen Hauptteil der Fälle im nunmehr zusammengeschrumpften eigenen Einzugsgebiet drehen konnte.

Zugehörige Besprechungen:

• Episode 11: Verbrannte Spuren (Schauplätze: Rendsburg, Hamburg, Kiel)
• Episode 17: Das Haus an der Stör (Schauplätze: Meldorf, Itzehoe, Hamburg, Münchner Umland)
• Episode 19: Strandkorb 421 (Schauplätze: Baden-Baden, Norderney)
• Episode 20: Nacht zum Ostersonntag (Schauplätze: Lübeck, Hamburg, Frankreich [Lourdes])

Gubanov ( gelöscht )
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12.11.2017 13:55
#174 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Verbrannte Spuren

Episode 11 der TV-Kriminalserie, BRD 1960. Schauplätze: Rendsburg, Hamburg, Kiel. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Karl-Georg Saebisch, Eddi Arent, Robert Meyn, Klaus Kindler, Herta Fahrenkrog, Susanne von Ratony, Hela Gruel, Peter Lehmbrock, Friedrich Schütter, Günter Lüdke u.a. Erstsendung: 27. Juli 1960, ARD. Eine Produktion des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbands.

Zitat von Stahlnetz (11): Verbrannte Spuren
Flammen erhellen den Abendhimmel über Pritzin, einem holsteinischen Dorf in der Nähe von Rendsburg. Eine Scheune brennt, doch es stellt sich heraus, dass sich nicht nur Stroh darin befand. Auch eine Frauenleiche – noch dazu eine schwangere – findet man bei den Untersuchungen der Brandstätte. Schnell hat Kriminalkommissar Strobel festgestellt, dass Mord und Brandstiftung vorliegen, doch die Identität der Toten bleibt lange ein Rätsel. Erst nach anderthalb Monaten kann eine passende Vermisstenanzeige aus Hamburg zugeordnet werden ...


Der ländliche Hintergrund der Folge dient in dieser „Stahlnetz“-Episode der Schilderung von Gründlichkeit und Bodenständigkeit im Vergleich zur formelhaften Routinearbeit der Reviere größerer Städte, wie man sie am Beispiel eines überarbeiteten, in Papierkram und Terminabsprachen geradezu ertrinkenden Kommissars der Hamburger Behörde beobachten kann. Demgegenüber steht Karl-Georg Saebisch mit einer ruhigen, etwas altmodischen Ermittlungsführung: Er gibt sich nicht damit zufrieden, einen für Rendsburger Verhältnisse nicht alltäglichen Mordfall einfach als ungeklärt zu den Akten zu legen, sondern wertet mühsam jede noch so kleine Spur aus, auch wenn sie von den Fußtruppen der Polizei erst am Tatort aus den Ascheresten herausgesiebt werden muss oder die nachträgliche Exhumierung der Leiche erfordert. Dieses rücksichtsvolle Vorgehen garantiert der Polizei einen weiteren Vertrauenszuwachs in den Augen des Fernsehpublikums, das ein schnippischer Kommentar einer englischen Nebenfigur, sie halte die deutsche Polizei für dumm, in keinster Weise anfechten kann. Auch Saebischs besonnen-zurückhaltendes Auftreten im typisch nordischen Stil macht Kommissar Strobel zu einer verlässlichen Identifikationsfigur, mahnt er doch die Kapriziosen von Obersekretär Eismann, die Redseligkeit von Kommissar Ahrberg oder die Voreile von Sekretär Vollmer an.

Jürgen Roland nimmt das ungleiche Ermittlergespann aus Saebisch und Arent – offenkundig eine Erneuerung des Erfolgsrezepts aus dem Wallace-Krimi „Der rote Kreis“ – ebenso wie die Vorgänge auf dem Dorfe zum Anlass für einige ironische Seitenhiebe gegen knausernde Beamte, funktionslosen Landadel oder Bauern mit losem Mundwerk, überspannt dabei aber nie den Bogen in einem Maße, das den ernsthaften Tenor des Mädchenmordes schädigen würde. Besonders in der zweiten Filmhälfte wird die Tragik des Todesfalles der ambitionierten 23-jährigen Carola Poppe durch die Auftritte von Hela Gruel und Klaus Kindler verdeutlicht, während der dokumentarische Stil immer wieder auf Lückenhaftigkeit verweist (die Tote, an die sich ihre ehemaligen Mitarbeiter nicht mehr erinnern, die Mutter, die sich den Sterbeort ihrer Tochter nicht merkt, oder der Schweizer Verlobte, den man nie zu Gesicht bekommt). Die Mischung aus Trauer, Esprit und einem nostalgischen Sehgefühl ist hier so perfekt austariert wie noch nie zuvor in der Reihe. Gleichfalls stellt „Verbrannte Spuren“ unter Beweis, dass es keiner Hetzjagden oder polizeilichen Großeinsätze bedarf, um einen packenden Realo-Krimi zu erzählen.

Im Gegensatz zu anderen Folgen, in denen auch kleine Dörfer, Stadtteile oder sogar spezifische Straßen offen genannt werden, strickt „Verbrannte Spuren“ – thematisch nicht ganz unpassend – ein Rätsel um seine wahren Hintergründe. Befeuert wird diese Geheimniskrämerei durch die fiktiven Ortsnamen Pritzin und Schoppenwerder. Ließen die Macher wegen der Schwangerschaft des Opfers bzw. wegen noch laufender Prozesse eine größere Vorsicht walten? Oder liegt hier ein freier als üblich erzählter „Stahlnetz“-Fall vor? Vielleicht liegt die Faszination von „Verbrannte Spuren“ auch gerade in diesen offenen Fragen begründet.

Ähnlich wie einige der frühen Wallace-Filme wirkt „Stahlnetz“-Fall 11 auf positive Weise altmodisch, demonstriert eine Ausstrahlung, die tatsächlich Rolands Edgar-Wallace-Beiträgen gleicht und dabei doch ganz in der ernsthafteren Rhetorik der NWDR-Serie verhaftet ist. Karl-Georg Saebisch und Eddi Arent funktionieren als Polizisten hier fast noch besser als in „Der rote Kreis“; wiederkehrende Seriengesichter wie Peter Lehmbrock, Hela Gruel und Klaus Kindler ergeben zusammen mit den sonst „Stahlnetz“-unbeleckten Hauptdarstellern ein markantes Gespann. 5 von 5 Punkten.

Ray Offline



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15.11.2017 11:31
#175 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Habe ja schon an anderer Stelle mal gesagt, dass ich nicht der große "Stahlnetz"-Fan bin und die Serie insgesamt für überschätzt halte. "Verbrannte Spuren" gehört für mich neben "Saison" zu den wenigen Episoden, die auch ich meiner Erinnerung nach als "sehr gut" bezeichnen würde. Saebisch passt in einen derartigen Fernsehkrimi für mich deutlich besser als in einen Kriminalfilm für die große Leinwand, der insbesondere junge Leute begeistern sollte. Die Chemie mit Arent passt wirklich vorzüglich.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

15.11.2017 19:58
#176 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Es steht außer Frage, dass der Charme von „Stahlnetz“ nicht zuletzt in einer gewissen hausbackenen, altmodischen Ausstrahlung besteht, die trotz der sehr dichten, aufwendigen, fernsehuntypischen Inszenierung vor allem in den frühen Folgen bis – sagen wir: – 1961 zum Tragen kommt. Das muss man mögen (oder eben nicht). Interessant finde ich, dass du mit „Saison“ und „Verbrannte Spuren“ zwei Folgen nennst, die selbst gegenüber der „stahlnetz“-internen Konkurrenz eher klassisch unaufgeregt daherkommen. Ich hätte gedacht, dass du, wenn du die Reihe insgesamt für zu unspektakulär / trocken / langweilig hältst, dann eher noch einen anderen, moderneren und dynamischeren Typ Folge à la „Rehe“, „Der fünfte Mann“ oder „Spur 211“ bevorzugen würdest.

Aber ich bin natürlich umso einverstandener mit deinen „Lieblingsfolgen“, als sie am Ende meiner Sichtungen vermutlich auch zu meiner eigenen Top-3 gehören werden.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

15.11.2017 21:03
#177 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Habe vor etwa einem Jahr alle Folgen gesehen und dabei noch bestehende Lücken geschlossen, es aber leider versäumt, mich danach hier zu äußern, weswegen ich nicht mehr in Details gehen kann.

Im Grunde gar keinen Zugang habe ich zu den ganz frühen Episoden gefunden, zum einen, weil sie rein technisch/inszenatorisch nicht dem Standard entsprechen, den ich mir von einer TV-Serie verspreche und der einige Jahre später bei nahezu sämtlichen deutschen Krimiserien vorherrschte. Zum anderen wirkt der belehrende, autoritäre Ton, der dort seitens der "Staatsmacht" in den Kommentaren aus dem Off bisweilen angeschlagen wird, auf mich befremdlich. Da schlägt sich die Produktion mMn zu einseitig auf die Seite der Polizisten.

Dann ist es auf der anderen Seite so, dass ich viele Folgen in der Tat als langweilig empfunden habe, aber das schließt "spektakulärere" Folgen wie "Der fünfte Mann" durchaus ein. Diese Folge, genauso wie die unter Fans äußerst beliebten "Das Haus an der Stör" oder "Rehe" sind für meinen Geschmack schlicht mindestens 30 Minuten zu lang. Da geht es dann mit dem Realismus so weit, dass man fast schon körperlich nachempfinden kann, wie sich so eine zähe Jagd nach Verbrechern anfühlt. Ich für meinen Teil habe mich mitunter wie nach einer nächtlichen Observation gefühlt.

Im Schnitt sind es also eher die mittleren Episoden, die mir noch am besten gefallen.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

15.11.2017 22:09
#178 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Zitat von Ray im Beitrag #177
Im Grunde gar keinen Zugang habe ich zu den ganz frühen Episoden gefunden, zum einen, weil sie rein technisch/inszenatorisch nicht dem Standard entsprechen, den ich mir von einer TV-Serie verspreche und der einige Jahre später bei nahezu sämtlichen deutschen Krimiserien vorherrschte.

Ich finde den Stil der frühen Folgen bereits gut ausgereift und durchaus ansehnlicher als bühnenlastige Fernsehspiele, wie sie bis in die späten 1960er und sogar frühen 1970er entstanden. Diese wirken auf mich vergleichsweise angestaubter. Aber ich kann durchaus nachvollziehen, dass es dir anders geht. Ich denke, das ist eine ganz einfache Frage persönlicher Vorlieben (bzw. Abneigungen).
Zitat von Ray im Beitrag #177
Zum anderen wirkt der belehrende, autoritäre Ton, der dort seitens der "Staatsmacht" in den Kommentaren aus dem Off bisweilen angeschlagen wird, auf mich befremdlich. Da schlägt sich die Produktion mMn zu einseitig auf die Seite der Polizisten.

Sehr spannende Sichtweise! Gerade das gefällt mir bzw. vermisse ich an späteren und insbesondere an aktuellen Krimis. Durch die Polizei als unfehlbare Größe bekommt man den Eindruck vermittelt, dass in der "guten alten Stahlnetz-Welt" Amateure (Verbrecher) gegen Profis (Polizisten) sowieso keine Chance hatten. Dabei ist die regelrechte Glorifizierung der Polizei durchaus dramaturgisch bedingt und nicht unbedingt so realistisch, wie die Vorspänne vermuten lassen würden. So sagte Wolfgang Menge in einem Interview: "Aber dokumentarisch war es dennoch nicht ganz, weil ich oft was verändern musste. Schon weil die Polizei unvermeidlich oft, und das weiß sie dann hinterher auch besser, Fehler macht. Und wenn ich die komplett zeigen würde, würden sich die Leute totlachen. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber es hätte dem Sinn der Sendung nicht unbedingt entsprochen" (zitiert nach: Birgit Peulings: Von "Der Polizeibericht meldet" zu "Stahlnetz").
Zitat von Ray im Beitrag #177
Ich für meinen Teil habe mich mitunter wie nach einer nächtlichen Observation gefühlt.



Beim Teil zum "Haus an der Stör" muss ich dir allerdings vehement widersprechen. Das habe ich zuletzt gesehen und ich war wieder richtig begeistert. Eine vielschichtige, tiefgründige "Stahlnetz"-Folge von wahrlichem Kinofilm-Format. Nur die Fülle an Materialien zum Originalfall Ruth Blaue wird wohl dafür sorgen, dass ich mich erst zu einem späteren Zeitpunkt abschließend äußern kann.

Ray Offline



Beiträge: 1.930

15.11.2017 22:43
#179 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Zitat von Gubanov im Beitrag #178
Zitat von Ray im Beitrag #177
Zum anderen wirkt der belehrende, autoritäre Ton, der dort seitens der "Staatsmacht" in den Kommentaren aus dem Off bisweilen angeschlagen wird, auf mich befremdlich. Da schlägt sich die Produktion mMn zu einseitig auf die Seite der Polizisten.

Sehr spannende Sichtweise! Gerade das gefällt mir bzw. vermisse ich an späteren und insbesondere an aktuellen Krimis. Durch die Polizei als unfehlbare Größe bekommt man den Eindruck vermittelt, dass in der "guten alten Stahlnetz-Welt" Amateure (Verbrecher) gegen Profis (Polizisten) sowieso keine Chance hatten. Dabei ist die regelrechte Glorifizierung der Polizei durchaus dramaturgisch bedingt und nicht unbedingt so realistisch, wie die Vorspänne vermuten lassen würden. So sagte Wolfgang Menge in einem Interview: "Aber dokumentarisch war es dennoch nicht ganz, weil ich oft was verändern musste. Schon weil die Polizei unvermeidlich oft, und das weiß sie dann hinterher auch besser, Fehler macht. Und wenn ich die komplett zeigen würde, würden sich die Leute totlachen. Dagegen ist prinzipiell nichts einzuwenden, aber es hätte dem Sinn der Sendung nicht unbedingt entsprochen" (zitiert nach: Birgit Peulings: Von "Der Polizeibericht meldet" zu "Stahlnetz").

Interessantes Zitat. Dass die "Glorifizierung" ein Stück weit Konsequenz der Art des Formats ist, leuchtet natürlich ein. Nur finde ich, dass man das in späteren Folgen besser gemacht hat. Die Kommentare, die etwa von den Figuren Heinz Engelmanns eingesprochen wurden, sind meiner Erinnerung nach angemessener. Schon aus Sicht der Polizei, aber dennoch nicht ganz so nach Selbstbeweihräucherung klingend, sondern sachlich, was m.E. zu dem dokumentarischen Stil auch besser passt.

Was "Das Haus an der Stör" angeht, so bin ich fast sicher, dass ich die Episode besser fände, wenn ich mich mit dem Original-Fall näher befasst hätte. Habe ich aber bis zum heutigen Tage noch nicht und ohne Hintergrundwissen vermochte mich die Folge sowohl bei der Erst- als auch bei der Zweitsichtung ab einem gewissen Zeitpunkt nicht mehr zu fesseln.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

10.12.2017 14:25
#180 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten



BEWERTET: "In jeder Stadt..."
(Erstausstrahlung innerhalb der "Stahlnetz"-Reihe als 15. Folge am 6. April 1962)


mit: Heinz Engelmann, Karl-Heinz Gerdesmann, Ruth Hausmeister, Edgar Wenzel, Peter Ahrweiler, Heinz Peter Scholz, Gisela Fackeldey, Christa Siems, Hela Gruel, Silvia Frank, Lore Schulz, Brigitte Gerloff, Peter Striebeck, Rolf Wanka, Wolfgang Stumpf, Wolfgang Völz u.a. | Drehbuch: Wolfgang Menge | Regie: Jürgen Roland

Eine Holzkiste wird aus dem Hamburger Hafen gezogen, sie enthält die Leiche der siebzehnjährigen Gisela Brahms. Ihre Freundin erinnert sich, dass Gisela in letzter Zeit von einem Fotografen angesprochen worden war, der sie beim Film unterbringen wollte. Kommissar Bade entschließt sich, den Fall zusammen mit seiner Kollegin Frau Schuster von der weiblichen Kriminalpolizei zu bearbeiten, während sein Mitarbeiter nach einem bestimmten Packpapier sucht, in das die Tote eingewickelt war. Währenddessen wirbt der Metallhändler Schaffner als angeblicher Filmproduzent neue Talente an....

Der Traum von der glamourösen Welt der Filmstars ist der Köder, mit dem wenig glamouröse Männer ihren Lebensunterhalt finanzieren, indem sie zahlungskräftigen Geschlechtsgenossen den Traum ewiger Jugend ermöglichen. Eines der mit falschen Versprechungen geköderten Mädchen ist Gisela Brahms, das zwar achtzehn Paar Schuhe im Regal stehen hat, diese jedoch nicht mehr benötigt, da es auf offener See seine letzte Reise angetreten hat. Das morsche Holz der Kiste gab die sterblichen Überreste früher frei als geplant, was der Polizei nun ermöglicht, härter durchzugreifen. "Unbescholtene Bundesbürger, die regelmäßig ihre Steuern zahlen und nicht zu knapp", geraten in den Fokus der Ermittlungen, ebenso wie der Kommissar sich hart am Riemen reißen muss, um die naiven und leichtgläubigen Mädchen nicht persönlich übers Knie zu legen, um ihnen die Grillen von der Filmkarriere aus dem Kopf zu treiben. Hier macht sich die Zusammenarbeit mit der weiblichen Beamtin bezahlt, die solche Fälle zur Genüge kennt und tagtäglich mit der Diskrepanz zwischen Wunsch und Wirklichkeit konfrontiert ist, an der manche junge Frau zerbricht. Das Gespann Engelmann-Hausmeister erweist sich als kluge Kombination, um die einzelnen Aspekte des Falls zu durchleuchten, wobei die begrenzten Möglichkeiten, der Dummheit und Naivität in der Welt Herr zu werden, schonungslos offengelegt werden. Der Elan eines Heinz Engelmann wird durch die mangelnde gesetzliche Handhabe gegen die Mädchenfänger eingebremst und das Publikum muss auf die Versicherung verzichten, dass sich Recht und Ordnung am Ende doch durchsetzen werden. Deutlicher als sonst wird dem Zuschauer der Spiegel der eigenen Verantwortung vorgehalten, die ihm diesmal eben kein Kommissar abnehmen kann. Die Folge bietet wenig Momente der Auflockerung, abgesehen vom Ermittlungs-Parcours des Kriminalsekretärs, der mit seinem Stück gestreiften Wäschereipackpapier ähnlich viele Klinken putzen darf wie sein Kollege in "Die blaue Mütze". Hier macht sich der Charme der Reihe bemerkbar, der gerade in dieser Episode mit beachtlich vielen Schauplatzwechseln überzeugt. Markante Lieblingsgesichter des Regisseurs (Völz, Gruel, Siems) sind ebenso vertreten wie neue Schurken (Ahrweiler) und sorgen für eine gute Durchmischung des Casts.

Hatte ich die Episode als trocken und uninspiriert in Erinnerung, konnte sie mich nun bei neuerlicher Sichtung mehr überzeugen. Die perfiden Maschen der Gauner, das stimmige Lokalkolorit und die Kontinuität durch Veteranen wie Engelmann und Hausmeister zeichnen zwar kein optimistisches Bild der Polizeiarbeit, warten dafür jedoch mit einer Spannung auf, die aus dem ungewissen Ausgang resultiert und an die alte Ära Zimmermann erinnert. 3,5 von 5 Punkten

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