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Dieses Thema hat 187 Antworten
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 Film- und Fernsehklassiker national
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Gubanov ( gelöscht )
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28.07.2015 16:27
#151 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Treffpunkt Bahnhof Zoo

Episode 7 der TV-Kriminalserie, BRD 1959. Schauplatz: Berlin. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Wolfgang Stumpf, Kurt Klopsch, Madelon Truss, Wolf von Gersum, Gerda Gmelin, Gerhard Hartig, Gerda Masuth, Claus Tinney, Gerhard Borris, Wilhelm Fricke u.a. Erstsendung: 22. Februar 1959, ARD. Eine Produktion des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbands.

Zitat von Stahlnetz (7): Treffpunkt Bahnhof Zoo
Man könnte das Auto mit dem Kennzeichen D-KL-198, das durch die Straßen von Berlin kurvt, für einen harmlosen Touristenwagen halten ... bis seine Besitzerin Sabine Stockmann vor einer Filiale der Bank für Landwirtschaft stoppt, ihr Begleiter Manfred Drechsel das Geldinstitut betritt und die Waffe zückt. Die beiden erbeuten 50’000 Mark, die sie in einer Tasche in einem Schließfach am Bahnhof Zoo verstauen. Sabine bekommt den Schlüssel. Doch sie wird von der Polizei gefasst. Manfred versucht, aus West-Berlin zu fliehen, kommt aber nicht mehr an das Geld heran ...


Ganz anders als „Die blaue Mütze“ zelebriert „Treffpunkt Bahnhof Zoo“ seinen hauptstädtischen Schauplatz: Sogleich sind Aufnahmen der Siegessäule, des Reichstags und des Kurfürstendamm zu sehen und der Off-Sprecher, dessen Intonation zunächst an Heinz Engelmann erinnert, weist in bedeutungsschwangeren Worten darauf hin, wie seine Stadt doch im Mittelpunkt des internationalen Interesses stehe und wie man die Berliner deshalb wie Filmdiven behandle. Umso größer die Enttäuschung, wenn Kommissar Rogge dann tatsächlich auftritt: Wolfgang Stumpf gibt im Duo mit „Stahlnetz“-Dauergast Kurt Klopsch ein schwaches Ermittlerteam, bei dem es dem Vorgesetzten an Charisma mangelt und sein Assistent sich schon in den ersten Minuten eher der Albernheit als der in „Stahlnetz“ sonst so eindrucksvoll in Szene gesetzten strikten Arbeit nach Dienstvorschrift preisgibt. Die Seite der „Gegner“ ist mit Madelon Truss und Wolf von Gersum zwar etwas solider, aber keinesfalls spektakulär besetzt, sodass Freunde des Prominenten-Schaulaufens ausgerechnet bei der Folge, die mit Bildern der Berlinale beginnt, kein besonderes Vergnügen empfinden werden.

Knappe zehn Minuten dauert es, bis die bekannte Vorspannmusik aufklingt. Dieser Teil der Episode ist der am kompetentesten und spannendsten inszenierte. Selbst Routinier Roland bürgt nicht unbedingt für makellose Fernsehunterhaltung; ähnlich wie bei seinem „grünen Bogenschützen“ kann man sich des Gefühls nicht erwehren, dass dem Regisseur diese Folge Szene für Szene immer weiter „aus der Hand glitt“, der Überblick über das Ganze verloren ging und das Resultat ein wirrer Ablauf mit Längen und logischen Patzern ist. Diese sind hier vor allem im Verhalten der Gangster zu suchen, die in ihrer Naivität eindeutig als Laien identifiziert werden können: Für ihr Verbrechen suchten sie sich ausgerechnet das „abgeriegelte“ West-Berlin aus und fuhren vor der Bank mit ihrem eigenen Auto mit echtem Nummernschild vor. Zu allem Überfluss tappt Sabine Stockmann in die offenkundige Falle der Polizei und begeht offensichtlich kaum einen Versuch, ihre Mitverantwortung abzustreiten oder die Identität ihres Kumpanen zu verbergen.

Dass der Frau ausgerechnet ihr Auto zum Verhängnis wird, passt gut zur „Stahlnetz“-Tradition, in der der Umgang mit dem rollenden Untersatz ja mehrfach für Kontroversen sorgte. Der vom Autor der Revierpassagen anlässlich der Besprechung von „In der Nacht zum Dienstag“ vermuteten Schleichwerbung für die Automarke Opel wird von Spiegel-Schreiber Telemann eine weitere verdächtige Hervorhebung hinzugefügt – diesmal für die amerikanische Konkurrenz von Ford:

Zitat von Telemann: Unterschiebung, Der Spiegel, 10/1959, S. 65
Ganz anders aber liegt der Fall, wenn Vermeidbares nicht vermieden, sondern womöglich nach dem Motto „Ein Werbender wird immer dankbar sein“ (nach Goethe) als eindeutige Schleichwerbung ins Heimgerät geschmuggelt wird! So war es am vorvergangenen Sonntag im „Stahlnetz“, in dessen Ickedettekiekemal-Schnodderei unverkennbar eine Werbung für den Ford 17 M eingelegt war. [...] Denn in diesem Fall wird nicht nur einmal oder zweimal erwähnt, um was für einen Wagen es sich handelt, was schließlich nicht immer zu vermeiden ist und krampfhaft auch gar nicht vermieden werden sollte. Diesmal hat sich Drehbuchschreiber Wolfgang Menge die Werbeargumente der Ford-Werke zu Eigen gemacht, die nämlich großen Wert darauf legen, dass sie ihren Wagen sowohl zweitürig als auch viertürig und obendrein zweifarbig ausliefern.


Solche Beobachtungen bleiben für das Sehempfinden letztlich natürlich nebensächlich; nach der Sichtung von „Treffpunkt Bahnhof Zoo“ wird man sich vor allem an die zunehmende Verzweiflung Drechsels erinnern, die Roland gen Ende für den Zuschauer gut nachvollziehbar macht. Gerade die Szene in der Gepäckaufbewahrung, als Drechsel allen Gefahren zum Trotz nach dem letzten Strohhalm greift, verdeutlicht die Effektivität des von der Polizei ausgelegten Stahlnetzes, das sich immer enger um den Flüchtigen schließt und ihn zu unüberlegten Spontanhandlungen zwingt.

Bei diesem Bankraub lief einiges schief. Ein wenig schade ist es schon, dass die hochwertige „Stahlnetz“-Reihe sich mit einem so dilettantisch durchgeführten Verbrechen befasst. So erweist sich „Treffpunkt Bahnhof Zoo“ auch eher als unterdurchschnittlicher Exkurs, der seine inhaltliche Schwäche und seine Längen kaum durch inszenatorische Raffinesse oder eine außerordentliche Besetzung auszumerzen in der Lage ist. 3 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
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29.07.2015 22:40
#152 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Das Alibi

Episode 8 der TV-Kriminalserie, BRD 1959. Schauplätze: Dortmund, Niederlande (Utrecht, Alkmaar). Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Herbert Tiede, Peter Lehmbrock, René Magron, Gerda-Maria Jürgens, Dorothea Moritz, Joachim Rake, Gerhard Hartig, Marina Ried, Reinhold Nietschmann, Josef Nikola de Groot u.a. Erstsendung: 12. Juni 1959, ARD. Eine Produktion des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbands.

Zitat von Stahlnetz (8): Das Alibi
Angsterfüllte Schreie durchdringen die Dortmunder Nacht. „Was soll das? Hans, lass das! Hans, lass das!“ Darauf zwei Schüsse. Frau Krützfeld ist tot. Wie praktisch, dass sie ihren aufmerksamen Nachbarn in ihren letzten Sekunden den Namen ihres Mörders mitteilte: Ihr Mann heißt Hans Krützfeld. Der ist ein übler Trinker und Hallodri, profitiert außerdem in Form einer Lebensversicherung vom Tod seiner Gattin. Das einzige Problem, vor dem die Kripo steht: Er hat ein lückenloses Alibi für die Zeit der Tat!

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher!, Bielefeld 2013: transcript Verlag, S. 360f
Ab der achten Folge, „Das Alibi“, begannen die Handlungen unvermittelter; eine Orientierung, an welchem Ort das Verbrechen gerade stattfand, fiel deutlich schwerer. Stattdessen hatten die Stadtansichten nur illustrativen Charakter. Lediglich die Autokennzeichen gaben einen Hinweis darauf, wo ermittelt wurde. Zwar nahm Roland das Konzept der [zwischen Folge 2 und 7 verwendeten ausführlichen (Anm. d. Verf.)] Einführung in Folge 10 und 15 noch einmal auf, hielt aber nicht dauerhaft daran fest.


Die von Hilgert beobachtete Veränderung in der Präsentation des Handlungsortes mag der Liebhaber der vielgerühmten „Stahlnetz“-Authentizität bedauern, trugen die Off-Kommentare mit ausführlicher Schauplatzvorstellung doch stark zum zeitgenössisch informativen Charakter der Serie bei. Zugleich dürfte das Umdenken eine Konsequenz aus den sich langsam einschleichenden touristischen Ambitionen solcher Versatzstücke sein, die gerade in der Vorgängerfolge „Treffpunkt Bahnhof Zoo“ überhand genommen hatten und in Konkurrenz zur eigentlichen Hauptsache, dem nacherzählten Kriminalfall, getreten waren. Man erkennt zwar gewisse Ausflugs- und Sehnsuchtsmotive auch in „Das Alibi“ wieder (vor allem in den Szenen, die über der Grenze in Holland spielen), doch diese werden zeitlich klug begrenzt und durch die Schilderung der traurigen Krützfeld’schen Verwandtenverhältnisse in ihrer Beschaulichkeit aufgebrochen.

Im ersten und einprägsamsten seiner zwei „Stahlnetz“-Auftritte zeichnet René Magron das Bild eines ultimativen Tunichtguts, der mit allen nur erdenklichen schlechten Eigenschaften (Unverlässlichkeit, Rachsucht, Hang zum Alkohol und zur bezahlten Liebe sowie, vor allem, Perfidität) ausgestattet wird. Möchte man vorschnell urteilen, dass der Mann in seiner doch eher simplen Strickart kein ebenbürtiger Gegner für Ermittler Herbert Tiede sei, so übersieht man, dass interessanterweise auch Hartnäckigkeit zu den Eigenschaften von Hans Krützfeld gehört – vor allem, wenn sie sein eigenes Wohlergehen betrifft. Schlussendlich staunt man auch nicht schlecht darüber, welcher raffinierten Methode sich der offenkundig mit geringem Bildungskapital ausgestattete Leichtfuß bediente, auch wenn die Auflösung des „Alibi“-Problems sicher vielen Zuschauern schon vor der Polizei gelingt.

Weiterhin deutlich bemerkbar bleibt der Versuch, den Beamten einen ausgeprägten Sinn für Humor unterzujubeln. Vor allem Peter Lehmbrocks Rolle krankt daran, in typischer Dr.-Watson-Manier nur als Stichwortgeber für die Besserwisserei und Selbstbestätigung seines Vorgesetzten herhalten zu müssen. Dies ist insofern schade, als dem sonst so ernsten Tenor der Episode (Was wird aus dem Kind?, Was fühlt Krützfelds Mutter?, Wo steckt die Pistole?) mit Anleihen an die komödiantische Verwässerung der Wallace-Reihe zuleibe gerückt wird. Dass Humor auch etwas dezenter funktioniert, beweist Roland im „Alibi“ übrigens ebenfalls: Noch vor dem Vorspann, als Krützfeld durch die Metropol-Bar tingelt, über deren einschlägige Vorzüge später berichtet wird, sitzt neben ihm eine „Dame“, bei der es sich ganz offensichtlich um einen perücketragenden Herrn in Drag handelt ...

Mit René Magrons nachdrücklicher Darstellung des verdächtigen, aber unmöglichen Frauenmörders gelingt Roland und Menge eines der stärksten Schurkenporträts der Reihe. Zugleich ist die Episode an sich aber von zu unauffälliger und manchmal repititiver Machart, um zu den besten der Reihe zu gehören. Viele Elemente – etwa die Fragwürdigkeit von Zeugenaussagen oder der Ausflug ins ruhrgebietstypische Arbeitermilieu – kennt man auch aus anderen „Stahlnetz“-Fällen, in denen diese Elemente stärker herausgearbeitet wurden und nicht nur Schmuckfunktion für einen geradlinigen, aber geradezu fiktiv wirkenden Kriminalfall erfüllten. 4 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.07.2015 16:09
#153 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Ein Toter zuviel

Episode 22 der TV-Kriminalserie, BRD 1968. Schauplätze: Köln, Belgien. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge, Karl Heinz Zeitler. Mit: Heinz Engelmann, Henning Schlüter, Dirk Dautzenberg, Jürgen Janza, Krikor Melikyan, Rudolf Schündler, Peggy Parnass, Horst Beck, Joachim Wolff, Peter Lehmbrock u.a. Erstsendung: 14. März 1968, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (22): Ein Toter zuviel
Ohne den zufälligen Absturz eines Privatflugzeugs nahe der belgisch-deutschen Grenze wäre ein Mordfall vielleicht nie ans Tageslicht gekommen. In unmittelbarer Nähe der Trümmer des Fliegers findet die Polizei einen Toten zuviel – einen Mann, dessen Gesicht mit Säure entstellt wurde. Die Rückverfolgung gelingt dennoch mithilfe eines Kleidungsstücks, das den Leichnam als den eines Deutschen, als den von Helmut Wischer identifiziert. Fast genauso schnell wird klar, dass Wischer gemeinsam mit seinem Arbeitskollegen Krützefeld Überfälle und Bankraube beging. Ist darin der Grund für den Mord zu suchen?


Das Ende der „Stahlnetz“-Serie dürfte nach „Ein Toter zuviel“ keineswegs überraschend gekommen sein. Die Anzahl der pro Jahrgang produzierten Episoden nahm über die gesamte Zeit des Serienbestands im Großen und Ganzen kontinuierlich ab, und als zum zehnjährigen Jubiläum der Übertragung der ersten Folge am 14. März 1968 die letzte Episode über den Äther lief, hatte es zuvor schon 18 Monate lang keine andere „Stahlnetz“-Erstausstrahlung mehr gegeben. Während sich die Reihe formal von Anfang bis Ende treu blieb, hatte die gesellschaftliche Entwicklung zwischen den Jahren 1958 und 1968 dafür gesorgt, dass das ursprüngliche „Stahlnetz“-Konzept einer Werbung für und Glorifizierung der staatlichen Polizeiorgane in einer Zeit der Umbrüche und Liberalisierungen eher anachronistisch erschien. Folglich merkt man Episode 22 ihre Bemühungen an, den „Toten zuviel“ an den gängigen Zeitgeschmack anzupassen und damit die Machart früherer Folgen aufzubrechen. Sich nah an Lebensrealitäten zu bewegen, bedeutet hier nicht die Darstellung größerer kollektivistischer Milieustrukturen oder repräsentativer Bilderbuchfälle, sondern umgekehrt gerade die Darstellung des Ausbruchs aus diesen typischen Verhaltensweisen.

Besonders atypisch ist die Rolle des Unternehmers Kögler angelegt, die sich in einer Art angedeuteten Protestgefühls gegen die klassische Zuverlässlichkeit des deutschen Unternehmertums wendet. In anderen „Stahlnetz“-Folgen werden Arbeitgeber als verlässliche und nicht hinterfragbare Verkünder der Wahrheit gezeigt; Kögler hingegen wird erst durch seine übertriebene Geschäftstüchtigkeit in finanzielle Schwierigkeiten und damit auf die schiefe Bahn getrieben. Henning Schlüter ist für diesen Part ideal geeignet, ähnelt er doch nicht nur optisch dem Inbegriff des Selfmade-Mannes; er kann zudem die damit verbundenen positiven Assoziationen leicht in ihr unschönes Gegenteil verkehren. Verantwortung für Angestellte heißt bei Kögler Animation zu Straftaten, was natürlich auf fruchtbaren Boden fällt, wenn man Ex-Knackis wie Dautzenberg und Janza beschäftigt.

Als Produkt des öffentlich-rechtlichen Sendeapparats bleibt „Ein Toter zuviel“ freilich trotz seiner Andersartigkeit noch immer in rechtschaffenen Erzähltraditionen verhaftet. Zu diesen zählt die Art und Weise, in der Krützefeld und Wischer als dumme Kleinganoven charakterisiert werden. Aus der Schilderung ihres Lebensumfelds, aus ihrer Ausdrucksweise und ihren Gewohnheiten geht hervor, was überdauernd als Brandherd der Kriminalität identifiziert wird: Bildungsferne, Perspektivlosigkeit, der Trott eines Gewohnheitsverbrechers. Selbst wenn Krützefeld und Wischer für Kögler nun „größere Dinger“ drehen, so bleiben sie dabei so unprofessionell wie bei ihren früheren Taten. Eine Überführung und damit ein „stahlnetz“-typisches Happy-End für den Rechtsstaat ist somit nur eine Frage der Zeit.

Das Spiel mit Zeit- und Erzählebenen variiert die vielleicht etwas zu ausführlich geschilderte Handlung so effektiv, dass sich nur wenige Längen bemerkbar machen. Durch die anfängliche Nachstellung der Tat wird Dautzenberg zum Bindeglied zwischen den Verbrechen, der polizeilichen Ermittlungsarbeit und dem Zuschauer. Seine sonst oft als dröge oder abwechslungslos empfundene Darstellungsweise stört hier nicht, weil ihm die Rolle wie auf den Leib geschrieben ist. Da die recht naturalistische Herangehensweise von Regie und Besetzung jedoch hochgradige Geschmackssache sind, lassen sich kritische Stimmen zu „Ein Toter zuviel“ leicht nachvollziehen. Vielleicht handelt es sich aufgrund der hohen Überwindungsschwelle um eine Folge, die man nicht vorschnell abschreiben sollte und die mit jeder erneuten Sichtung gewinnt.

Kalt und karg ist nicht nur das Wetter, das dem Zuschauer in „Ein Toter zuviel“ entgegenschlägt. Auch die Charaktere bewegen sich in einem Grau-, einem trostlosen Randbereich der Gesellschaft, der nur deshalb nicht auffliegt, weil sich niemand so richtig für das Tun von Menschen wie Krützefeld und Wischer interessiert – bis die Dinge eskalieren. 4 von 5 Punkten für Jürgen Rolands überzeugende Schilderung eines Doppelspiels, das Dirk Dautzenberg schon über den Kopf gewachsen ist, bevor er überhaupt realisiert, worauf er sich eingelassen hat.

PS: Zur realen Vorlage äußerte sich am Tag der Ausstrahlung das Hamburger Abendblatt:

Zitat von Jürgen Rolands Jubiläumsschau, Hamburger Abendblatt, 14.3.1968
Die Geschichte hat sich vor kaum zwei Jahren in Hannover ereignet. Die Täter von damals sind zu lebenslangem Zuchthaus verurteilt worden. Fast hätte Jürgen Roland Schwierigkeiten bekommen, weil die Urteile noch nicht rechtskräftig waren. „Doch vor einer Woche verwarf der Bundesgerichtshof die Revisionen. Wir atmeten auf“, sagt Jürgen Roland. Er hat wieder ’mal einen Balanceakt ohne Netz geschafft.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

30.07.2015 21:15
#154 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Der Ermittlungen dritter Teil:
Aus den Polizeiakten von Hamburg und Niedersachsen


Hamburg, Tor zur Welt. Die lebendige Hafenstadt im deutschen Norden war aus mehreren Gründen ein naheliegender Schauplatz für Ermittlungen des „Stahlnetz“-Personals. Wie später auch seine Nachfolgeorganisation NDR hatte der NWRV, der für die ersten zwölf Episoden der Reihe verantwortlich zeichnete, seinen Hauptsitz in der Rothenbaumchaussee im Stadtteil Harvestehude. Passenderweise entstanden die Atelieraufnahmen ebenfalls vor Ort:

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher!, Bielefeld 2013: transcript Verlag, S. 90f
Die meisten Filmaufnahmen wurden zu einem Großteil in den privatwirtschaftlichen Studios der Real-Film-Atelierbetriebe, dem späteren Studio Hamburg, gedreht, das durch einen Kooperationsvertrag mit dem NWRV verbunden war. Wenn Außenaufnahmen in anderen Städten nötig waren, wurden z.T. die Kapazitäten der ortsansässigen Sendeanstalt genutzt.


Solche stets komplizierten „behördenübergreifenden“ Kollaborationen konnte man sich sparen, wenn man im eigenen Sendegebiet blieb und sich damit nicht auf andere Landesrundfunkanstalten verlassen musste. Dies ist auch der Grund, weshalb in der Frühphase der Serie, als der NWRV federführend war, West- und Nordschauplätze gleichauf als Haupthandlungsorte zu sehen waren, während später unter reiner NDR-Leitung ein mit 60 Prozent überwiegender Anteil der Episoden in Hamburg, Niedersachsen und Schleswig-Holstein angesiedelt wurde. Und selbst dort, wo man vorgab, auf fremdem Territorium unterwegs zu sein (z.B. Schauplatz Düsseldorf in „In der Nacht zum Dienstag“), mogelte man dem Publikum an unauffälliger Stelle einige Hamburg-Aufnahmen unter.

Ebenso lokaltypisch, wie das Ruhrgebiet mit Bergbau und Stahlindustrie in Verbindung zu bringen, zeigt „Stahlnetz“ Hamburg als Stadt der Sünde, schlägt gleich im ersten „Heimspiel“ in den Seemannskaschemmen von St. Pauli auf, die für das horizontale Gewerbe Goldgrube und Todesfalle zugleich sind. Einem ähnlich lüsternen Bild folgt „In jeder Stadt ...“, in der der schmierige Edgar Wenzel ehrgeizige Mädchen vom Pfad der Tugend abbringt.

Zitat von Einleitung der Episode „Die Tote im Hafenbecken“ durch einen unsichtbaren Erzähler
So kennen Sie St. Pauli: Bars, Tanzdielen, Cafés, Eckkneipen, Sittenfilme, Damenringkämpfe, Kamelreiten im Keller, schwarze Venus, weiße Venus, Venus zu Pferde, die Reeperbahn mit hochtrabenden Lichtreklamen über drei oder vier Stockwerke hinweg ... Aber neben den Neonröhren sind Fenster. Fenster von Wohnungen, auf die Sie wahrscheinlich nie geachtet haben. Was sich dort abspielt, steht auch in keinem Verhältnis zu dem, was unten angepriesen wird. Denn auch auf den Bühnen St. Paulis, in dem Halbdunkel der Nischen, in dem vielsprachigen Lärm an den Theken spiegelt sich nur das Leben wieder, das neben den Lichtreklamen, hinter den Fenstern fast genauso ist wie hinter allen anderen Fenstern anderer Mietshäuser.


Und wie „in jeder Stadt“ kommen hinter solchen Fenstern manchmal Mordgeschichten und andere Verbrechen vor. Von diesen erzählt „Stahlnetz“ mit gekonnt hanseatischem oder generell nordischem Flair.

Zugehörige Besprechungen:

• Episode 04: Die Tote im Hafenbecken (Schauplätze: Hamburg, Kiel)
• Episode 06: Sechs unter Verdacht (Schauplatz: Hamburg)
• Episode 13: Saison (Schauplatz: Harz)
• Episode 15: In jeder Stadt ... (Schauplatz: Hamburg)
• Episode 16: Spur 211 (Schauplatz: Hannover)

Gubanov ( gelöscht )
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31.07.2015 21:10
#155 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Die Tote im Hafenbecken

Episode 4 der TV-Kriminalserie, BRD 1958. Schauplätze: Hamburg, Kiel. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Kurt Condé, Rainer Brönnecke, Karl-Heinz Gerdesmann, Gerda-Maria Jürgens, Christa Siems, Elfi Szillat, Benno Gellenbeck, Jochen Rathmann, Karl-Heinz Kreienbaum, Joachim Rake u.a. Erstsendung: 22. August 1958, ARD. Eine Produktion des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbands.

Zitat von Stahlnetz (4): Die Tote im Hafenbecken
Als sie sich in ihrem Stammlokal mit einer Gruppe Matrosen einlässt, ahnt die Prostituierte Helga Wieberitz noch nicht, dass dies ihr letzter „Job“ sein wird. In Hamburg registiert man ihr Verschwinden zunächst nur zögerlich, weil leichte Mädchen manchmal auf den Schiffen mitfahren und erst Monate später wieder auftauchen. Doch dann findet man eine Leiche im Hafenbecken und identifiziert diese als Helga. Von da an beginnt die Arbeit der Kriminalpolizei, die ihre Funksprüche bis nach England, Frankreich und Schweden aussendet, um den Matrosen auf die Spur zu kommen ...


Wenn in der Einführung zu dieser Episode behauptet wird, die Vorfälle hinter Reeperbahnfassaden würden sich nicht von denen anderer, alltäglicher erscheinender Kulissen unterscheiden, kann dies durchaus als Vorwarnung an das Publikum verstanden werden. Zwar taucht Roland tief in jene Kreise ein, die Glück für eine Nacht versprechen, doch das Geschehen erscheint trotzdem keineswegs glanzvoll oder exotisch. „Tampico-Bar“ ist nur ein verheißungsvoller Name.

Zitat von Einleitung der Episode „Die Tote im Hafenbecken“ durch einen unsichtbaren Erzähler
Vielleicht haben Sie sie im Kino anders gesehen? Sie sind enttäuscht? Das ist nicht unsere Schuld – so sehen diese Bars wirklich aus.


Mit der Strategie, sich explizit von den Erwartungen großer Geschäftigkeit und nonchalanter Unverbindlichkeit zu distanzieren, erschafft das „Stahlnetz“-Team in „Die Tote im Hafenbecken“ einen ungeschminkten, fast schon intimen Blick in den Alltag der Prostituierten Helga Wieberitz, die tatsächlich einmal in Hamburg lebte und starb – letzteres am 8. April 1953. Weder ist sie bloßes Opfer noch wird sie als Persönlichkeit auf ihren Beruf beschränkt – der Zuschauer sieht sie zunächst in Zwiesprache mit ihrer Vermieterin, einem Kolonialwarenhändler und der besten Freundin. Gerda-Maria Jürgens, erste Wahl für kauzige Nebenrollen in TV-Produktionen des NDR, erhält hier eine der seltenen Gelegenheiten, für mehr als nur wie üblich platte Lacher zu sorgen, und erfüllt diese Aufgabe zufriedenstellend, auch wenn die eingangs erwähnte schmeichelnde Altersangabe, ihre Helga sei 29 Jahre alt (Jürgens war Jahrgang 1917!), polizeilichen Untersuchungen kaum standgehalten hätte.

Interessanterweise steht die starke Fokussierung auf das Opfer bei gleichzeitiger geringsmöglicher Aufmerksamkeit für den Täter in krassem Gegensatz zu Jürgen Rolands tatsächlicher Neugierde:

Zitat von Norddeutscher Rundfunk: Stahlnetz – der erste Straßenfeger, Quelle
Was Roland an den Fällen am meisten reizte, war die Psychologie der Täter. „Mich interessiert mehr der Täter als das Opfer. Mich fasziniert die Frage: Wozu ist ein Mensch fähig?“, erklärte Roland. „Der Krimi ist für mich, wie unter einem Brennglas zusammengefasst, das, was unser Leben, eine Gesellschaft, eine Zeit ausmacht.“


Besonders nachvollziehbar wird allerdings auch die mühselige Kleinarbeit der (ähnlich wie die Tampico-Bar eher unscheinbaren) Kriminalpolizisten geschildert, die Vieles ihren Beziehungen und Bekanntschaften auf dem Kiez verdanken, aber auch auf amtliche Auskünfte angewiesen sind, für die der junge Kriminalbeamte Schadow von einem Ansprechpartner zum nächsten eilen muss. Die klare Botschaft: Dankt der Polizei, dass sie sich kümmert, denn ihre Arbeit ist weder aufregendes Vergnügen noch angenehme Genugtuung. Damit verbunden ist aber auch, dass man als Zuschauer diese Folge als etwas schleppend empfindet, was nur ein Stückweit durch andauernde Erzählpassagen und häufige Hafenaufnahmen ausgebügelt werden kann. Des Weiteren erreichen ausgerechnet in der ersten Hamburg-Folge Ausstattung und Flair nicht das gewohnte hohe „Stahlnetz“-Niveau; Frau Wieberitz’ Wohnung, der Bar und dem Schiffssalon merkt man ihre Studioherkunft deutlicher an als anderen, aufwändiger gestalteten Sets der Reihe.

Kuriosum am Rande: Trotz des klingenden Serientitels und seines sicher auch schon bei der vierten Folge hohen Werbewerts verzichtet „Die Tote im Hafenbecken“ nicht nur auf jede „Stahlnetz“-Nennung, sondern auch auf die charakteristische Titelmelodie. Welche Gründe dies hat, dürfte kaum mehr zu klären sein, nachdem der Fall kaum den Eindruck erweckt, zu irgendeinem Zeitpunkt nicht explizit für „Stahlnetz“ ausgewählt worden zu sein.

Wann immer das „Stahlnetz“ tief in Milieubeschreibungen einsteigt, geht die serienimmanante Warnung des Publikums, Verbrechen und Verbrecher, Opfer und Polizei als Bestandteil des alltäglichen Lebens zu betrachten, verloren. Der Fall Helga Wieberitz ist für Außenstehende interessant zu beobachten, aber ein Großteil des Publikums bleibt eben auch außen vor. 3,5 von 5 Punkten – andere Folgen haben weniger demonstrativen Charakter, fesseln und unterhalten dafür einfach besser ...

Gubanov ( gelöscht )
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03.08.2015 20:02
#156 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Sechs unter Verdacht

Episode 6 der TV-Kriminalserie, BRD 1958. Schauplatz: Hamburg. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Josef Sieber, Rainer Penkert, Elfi Szillat, Friedrich Schütter, Heinz Peter Scholz, Wolf von Gersum, Manfred Kunst, Ingrid Mirbach, Eva Sommer, Kurt Fischer-Fehling u.a. Erstsendung: 29. Dezember 1958, ARD. Eine Produktion des Nord- und Westdeutschen Rundfunkverbands.

Zitat von Stahlnetz (6): Sechs unter Verdacht
Ein unangenehmer Verdacht lastet auf sechs Mitarbeitern einer kleinen Hamburger Bankfiliale. Einer von ihnen hat eine Unterschrift auf einem Überweisungsauftrag der Toronto-Reederei gefälscht, woraufhin einem gewissen Hermann Lewandowsky 1’440,50 Mark gutgeschrieben wurden. Die Toronto-Reederei hatte einen derartigen Auftrag nie herausgegeben! Obersekretär Wissmann vom Betrugsdezernat setzt nun alles daran, den Schuldigen zu finden und dessen Verbindung zu Lewandowski zu klären, um die fünf Kollegen noch vor den Weihnachtsfeiertagen entlasten zu können ...


Mit einer milde lächelnden Weihnachtsmann-Puppe und einem Auszug aus Albert Sergels Gedicht „Vor Weihnachten“ beginnt „Sechs unter Verdacht“ sehr stimmungsvoll. Vor allem zu Beginn sieht man die eine oder andere Aufnahme des geschäftigen Adventstreibens in der Hamburger Innenstadt, während man am Ende Obersekretär Wissmann auf den Dom begleitet und die Folge atmosphärisch mit einer Drehorgel-Variation des „Stahlnetz“-Themas ausklingt. Zwischendrin liefern vor allem studiobasierte Innenaufnahmen den Hintergrund für einen Fall, der im Gegensatz zu anderen „Stahlnetz“-Episoden fast ein wenig belanglos wirkt. Ähnlich wie in „Die blaue Mütze“ verzichtet „Sechs unter Verdacht“ auf eine jener schlagzeilenträchtigen Mord- oder Überfallgeschichten; im Gegensatz zum Neuköllner Bezirksporträt verfügt die zweite hamburgische Exkursion aber eben auch über vergleichsweise wenig Lokalkolorit und vor allem mit Josef Sieber über einen eher unleidlichen, nicht sonderlich charismatischen Hauptdarsteller. Ausgeglichen wird dies mit dem pflichtschuldigen Versuch, Wissmann in ein persönliches Umfeld zu integrieren, wobei die Begegnung mit Kriminalrat Selbmann aus Wiesbaden für den Fall eigentlich vollkommen unnötig ist (sich sogar verzögernd auswirkt, da der Zuschauer die Umstände des Verbrechens insgesamt dreimal erklärt bekommt) und Wissmann sich für seinen ohnehin Sohn viel weniger zu interessieren scheint als sein Assistent Schreivogel, der im glaubwürdigeren Vateralter ist und einen gemeinsamen Gang aufs Volksfest sicher nicht als Bürde empfinden würde.

Mit der logischen Annahme, dass der Filialleiter der Bank, der das Verbrechen der Polizei meldet, nicht als Fälscher infrage kommt, wird mit Friedrich Schütter, der hier kurioserweise in Weißblond auftritt, einer der interessantesten Gastdarsteller von „Sechs unter Verdacht“ leider gleich am Anfang auf Eis gelegt. Seine sechs Angestellten darf der Zuschauer etwas genauer kennenlernen; allerdings erscheint es am Ende willkürlich, welcher der Bankmitarbeiter überführt wird. Die Folge ist als Whodunit angelegt – nur vergisst Menge leider die wichtigsten Zutaten dieser Krimi-Form, die in der Anregung des Zuschauers zum Mitraten, im Einstreuen von Hinweisen und folglich auch in der zwangsläufigen Eignung nur eines Protagonisten zum Täter bestehen. Bei der Überführung auf dem Jahrmarkt hätte jede andere Person Obersekretär Wissmann gegenüberstehen können, ohne dass es eine Auswirkung auf Durchführung oder Motivation des Verbrechens gehabt hätte. Freilich ist Stahlnetz nicht mit einem Agatha-Christie-Roman zu vergleichen: Die Serie konnte nur unwesentlich mehr aus ihren Fällen herauskitzeln, als die Realität hergab – aber in diesem Fall war dann vielleicht einfach die Stoffwahl nicht ganz glücklich.

Das manchmal in Verteidigung der Folge angeführte weihnachtliche Flair ist in der faktenorientierten und trocken-beamtischen Ermittlung zu selten spürbar, um einen für die hohen Maßstäbe der „Stahlnetz“-Reihe unterdurchschnittlichen Fall aufwiegen zu können. Mit sechs gleichrangigen Verdächtigen übernimmt sich die Folge und bleibt in Oberflächlichkeit und wenig mitreißender Formelhaftigkeit stecken. 3 von 5 Punkten.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

06.09.2015 13:59
#157 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten



BEWERTET: "Treffpunkt Bahnhof Zoo"
(Erstausstrahlung innerhalb der "Stahlnetz"-Reihe als 7. Folge am 22. Februar 1959)

mit: Wolfgang Stumpf, Kurt Klopsch, Madelon Truss, Wolf von Gersum, Claus Tinney, Gerda Masuth, Gerhard Borris, Werner Butler, Wilhelm Fricke, Gerda-Maria Jürgens, Gerhard Hartig, Alwin Lippisch u.a. | Regie: Jürgen Roland

Sabine Stockmann und ihr Angestellter Manfred Drechsler werben Kunden für Zeitschriften. Eines Tages beschließen sie, eine Wechselstube in Berlin Moabit zu überfallen. Manfred erbeutet 50.000 DM und die beiden entscheiden, dass das Geld vorerst bei der Gepäckaufbewahrung am Bahnhof Zoo deponiert werden soll. Von nun an geht jeder seinen eigenen Weg. Als Sabine das in der Innenstadt geparkte Fluchtauto holen will, wird sie von der Kriminalpolizei aufgegriffen. Manfred versucht in der Zwischenzeit, aus Berlin zu fliehen. Allerdings muss er zuerst an die Aktentasche mit dem Geld und Sabine hat den Gepäckschein.....

Der heitere Grundton, der sich durch "Die blaue Mütze" zieht, ist in Folge 7 einer düsteren Ernüchterung gewichen. Die Hauptprotagonisten haben sich mit der Situation der in Sektoren eingeteilten Stadt arrangiert und strahlen entweder müde Gleichgültigkeit oder schlechte Laune aus. Die weibliche Hauptfigur wird zwar mehrmals als 'dufte Biene' bezeichnet, aber dies zeigt nur, mit wie wenig sich der Durchschnittsbürger mittlerweile schon zufrieden gibt. Der permanent negative Gesichtsausdruck von Madelon Truss und das steinerne Gesicht ihres Partners Wolf von Gersum vermitteln Hoffnungslosigkeit, der man mit einer Geldspritze entkommen will. Frohnaturen wie Kurt Klopsch und Gerda-Maria Jürgens lockern den rauhen Umgangston ein wenig auf und zeigen, wie man souverän gegen Miesmacher angeht.

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher! Populäre Repräsentationen von Recht und Ordnung in den Fernsehkrimis 'Stahlnetz' und 'Blaulicht', 1958/59-1968, transcript Verlag 2013
Eine Neuerung dieser Folge sind ausgedehnte Monologpassagen des Täters aus dem Off, die dem Zuschauer tiefe Einblicke in seine Persönlichkeit geben. Er darf sich hier erstmals selbst erklären und den Zuschauer an seiner Gedankenwelt teilhaben lassen. Dabei gibt er sich zuversichtlich, weiß aber um das Risiko, das mit seiner Tat verbunden ist.


Üblicherweise werden die Kommentare vom Ermittler gesprochen, der hier jedoch noch nicht so prominent besetzt ist wie in späteren Folgen. Dadurch stehen die Alleingänge des männlichen Täters im Vordergrund und verstärken seine Isolation. Eis und Schnee auf den Straßen, hochgeschlagene Mantelkrägen und Orte der Anonymität und des Durchzugs (AVUS-Stadtautobahn, Bahnhof Zoologischer Garten) betonen den nüchternen Charakter der Episode, die im Finale durch den parallelen Ablauf von Polizeiverhör, Koffersuche und Mitfahrgelegenheit doch noch Spannung erzeugt. Insgesamt handelt es sich jedoch um eine der unspektakuläreren Folgen der "Stahlnetz"-Reihe, die vor allem bei Berlin-Freunden - wegen des zeitgeschichtlichen Gucklochs - punkten kann.

Percy Lister Offline



Beiträge: 3.589

03.01.2016 13:37
#158 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten



Was für den einen sein jährliches "Dinner for One", ist für mich "Die Zeugin im grünen Rock", jene "Stahlnetz"-Folge, die ich bevorzugt am Neujahrstag am Mittagstisch sehe. Sie verknüpft einen spannenden Mordfall mit Reminiszenzen an eine Zeit, die man nur mehr aus der Literatur oder eben einer semidokumentarischen Reihe wie jener unter der Regie von Jürgen Roland kennt. Während die "BILD"-Zeitung am 31. Dezember 1959 Vorfreude auf "die tollen 60er Jahre" macht, schlürfen die Hausfrauen zu jeder Stunde Jacobs-Kaffee, cremen ihre Hände mit Glysolid-Glyzerincreme ein und beugen Verschleiß- und Alterserscheinungen mit Klosterfrau-Aktivkapseln vor.

Die damals innovative Krimi-Reihe hat bis heute nichts von ihrer Faszination verloren und ist wie ein guter Cognac stilvoll gealtert. Je nach Geldbeutel feiern die Mitarbeiter der Mordkommission entweder im kleinen privaten Rahmen mit Bleigießen und Heringssalat oder sie tanzen auf einer lustigen Party, bei der Papierhüte und Luftschlangen für klassische Ausgelassenheit sorgen. Schauspieler unterschiedlicher Couleur wie der Theatermann Richard Lauffen als Leiter des Dezernats oder der unverwüstliche (noch unter uns weilende) Wolfgang Völz sorgen für authentisches Flair und drücken dem Fall ihren Stempel auf. Ohne die Möglichkeiten modernster Technik müssen viele Klinken geputzt werden, bevor handfeste Überlegungen zur Überführung des Täters führen. Der Zuseher erhält somit die Möglichkeit, sich ein Bild des Opfers und seiner Lebensumstände zu machen, die uns heute ärmlich erscheinen. Wer wohnt noch in einer Hütte ohne elektrischen Strom und hängt Wolldecken an die Fenster, um sie zu verdunkeln? Welche Polizeistation - und sei sie auch noch so klein - kommt heute noch ohne Telefon aus? Und welcher Polizeichef sitzt nach Dienstende gemeinsam mit seiner Kinderschar beim Abendbrot, um Suppe aus einer Terrine zu löffeln?

Wir dürfen uns für eine knappe Stunde zurücklehnen, die Zeitreise in die Sechziger Jahre antreten und mit Wolfgang Völz schmunzeln, mit Ruth Hausmeister leiden und uns heimlich beglückwünschen, dass wir heute komfortabler leben und dennoch unserer Sehnsucht nach Nostalgie frönen können - beim Blättern in einer alten Tageszeitung und beim Genuss einer Krimireihe, die uns an so vielen Fixpunkten des Jahres Einblick in eine vergangene Lebensart gewährt.

DD-Project Offline




Beiträge: 2

16.06.2016 18:55
#159 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Hallo zusammen,

ich brauche mal den Zusatzjoker, falls jemand Ahnung bzw. eine sichere Quelle hat, wie z.B. eine Zeitung mit TV-Programm.

"Rehe" soll ja die Folge 18 der Stahlnetz-Reihe sein, was ja soweit auch hinkommt, denn laut der Krimihomepage war sie "schon für den 03.03.1963 angekündigt, doch die echte Entführung eines Jungen namens Timo R. bewegte die Gemüter in der BRD so sehr, dass man die Ausstrahlung um einige Wochen verschob". Nun wird aber dort und auch bei allen anderen Quellen im Internet als Erstausstrahlungstermin der 16.06.1964 angegeben, was ja um einiges mehr als nur "einige Wochen" gewesen wäre und noch dazu ein einfacher Dienstag für eine Doppelfolge! Ich vermute da einen einfachen Tippfehler, der sich bedauerlicherweise dann von Seite zu Seite übertragen hat. Denn wesentlich wahrscheinlicher erscheint mir der 16.06.1963 als Sonntag und für den 2. Teil der gleich folgende 17.06.1963 als (damaliger) Tag der deutschen Einheit. Das wären dann ja auch tatsächlich "einige Wochen" nach dem ursprünglich geplanten Termin.

Unabhängig davon wird auch die nächste Folge 19 "Strandkorb 421" hier mit dem 24.11.1964 (Dienstag) angegeben und z.B. bei fernsehserien.de mit dem 24.11.1963 (Sonntag), was auch stimmen könnte, wenn die Folge 18 "Rehe" eben, wie von mir stark vermutet, zuvor am 16./17.06.1963 gelaufen wäre. In dem Fall hätte es 1964 dann gar keine Stahlnetz-Folge gegeben.

Ich habe hier im Forum ein Farbfoto aus der Folge "Rehe" gesehen, wo am Rand noch etwas Text aus einer TV-Zeitung zu sehen war und man die 21:00 Uhr am oberen Rand erahnen konnte. Wenn man diese Seite komplett hätte, wäre das Rätsel zumindest um Folge 18 gelöst.

Georg Offline




Beiträge: 3.263

16.06.2016 19:29
#160 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Rehe wurde laut meinen Unterlagen am Dienstag 16.06.1964 als Einteiler ausgestrahlt und erst 1966 als Zweiteiler gesendet, nämlich am Freitag, 19.08.1966 (Teil 1), und am 02.09.1966 (Teil 2), jeweils im ARD/ZDF-Vormittagsprogramm.

DD-Project Offline




Beiträge: 2

17.06.2016 15:53
#161 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Das Foto hier meinte ich! Woher stammt es? Gibt es davon evtl. die ganze Seite?

Giacco Offline



Beiträge: 2.517

17.06.2016 16:17
#162 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Ich kann Georgs Angaben bestätigen: Die Stahlnetz-Folge "Rehe" wurde am Dienstag, 16.6.1964 (21.00 - 23.00 Uhr), als Einteiler ausgestrahlt (Quelle: Fernsehteil der Zeitschrift BRAVO, Nr. 24/1964).

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

01.01.2017 14:45
#163 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: Saison

Episode 13 der TV-Kriminalserie, BRD 1961. Schauplatz: Harz. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Grit Böttcher, Hans Hessling, Richard Lauffen, Dieter Eppler, Klaus Kindler, Tilly Lauenstein, Werner Buttler, Thomas Braut, Christa Siems, Karl-Heinz Peters u.a. Erstsendung: 24. April 1961, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (13): Saison
Ein unangenehmer Geruch breitet sich im Hause Schintzel aus – er kommt aus der Wohnung der Untermieterin Helga Zeller. Die 25-Jährige ist seit sechs Wochen verreist. Zumindest dachten das die Schintzels. In Wahrheit liegt Helga Zeller erwürgt in ihrer Wohnung. Der in Mordfragen unerfahrene Provinzpolizist Wohlers findet gemeinsam mit seinen Kollegen von der Mordkommission Braunschweig und der Staatsanwaltschaft Goslar zwischen den Schintzels und ihren anderen Untermietern genug Zwietracht und Eifersucht, um einen Mord zu rechtfertigen. So harmlos geht es im Harzer Kurort offenbar doch nicht zu ...


Wenn es die „Stahlnetz“-Kommissare schon schaffen, im anonymen Sündenpfuhl einer Großstadt die Hintergründe von Mordtaten ans Licht zu bringen – wie ungleich schwerer muss die Herausforderung für einen Täter in einem eher ländlichen Umfeld mit seinen eng geknüpften Dorfstrukturen und wachsamen Nachbarn sein? Episode 13 erwies sich für Roland und Menge als gutes Omen im Sinne eines besonders gelungenen Falles, der sich weniger auf die Abscheulichkeit eines Kapitalverbrechens als vielmehr auf die Lebensumstände der Verdächtigen konzentriert. Schauplatz ist das von äußerlich malerischen Holzbauten geprägte Kurörtchen Hahnenklee, in das in jedem Winter Skitouristen und Kurgäste einfallen. Doch Roland zeigt uns nicht (nur) den eleganten Kurbetrieb: Schnell verschiebt er die Aufmerksamkeit von der Wahl der Miss Skihaserl in eine kleine, dunkle Pension, in der neben Saisongästen auch verschiedene Mietparteien und die Familie der Besitzerin leben. Diese Personen stehen im Mittelpunkt des Falles, der zwar sehr dialoglastig daherkommt, aber zum Ausgleich eben auch vor Atmosphäre funkelt.

Trotz seiner unsympathischen, teils arbeitsfaulen oder bösartigen Bewohner, der bodenständigen Einrichtung und schlechten Beleuchtung ist das Haus Schintzel keine bedauernswerte Absteige wie die Laube in „Die Zeugin im grünen Rock“. Die klirrende Februarkälte der Außenaufnahmen, der matschige Schnee und die ungewöhnliche Abgelegenheit des Schauplatzes lassen in vielen der häuslichen Szenen echte Gemütlichkeit aufkommen – obwohl die Lauenstein einmal mehr beweist, dass ihre Zähne so dicht mit Haaren bestanden sind wie der Pelz eines Schneehasen. Roland setzt inhaltlich auf diese Karte der positiven räumlichen Enge, indem er sie nutzt, um dem Täter die Vertuschung seiner Tat zu erschweren, und inszenatorisch, als er Hessling und Lauffen aus beschlagenen Fenstern in den weißen Flockenwirbel hinausschauen lässt, als handele es sich um Charles Dickens’ Weihnachtsgeschichte.

Was die Handlung trotz langer Verhörszenen durchweg am Laufen hält, ist nicht nur das vertrackte, aber gut verfolgbare Spiel mit Uhrzeiten, Handschriften und Schlüsseln, sondern auch die präzise Zeichnung der Verdächtigen, die ihre Spiegelung in den außergewöhnlich differenziert ausgearbeiteten Ermittlerfiguren findet. Vor allem Hans Hesslings Polizeimeister Henry Wohlers überzeugt als abgerundete Figur, die einerseits Rolands typische ironische Brechung beinhaltet und diesbezüglich als familiärer Pantoffelheld und in „ernsthaften“ Fällen unerfahrener Landkriminaler gezeigt wird, aber andererseits auch nicht zu einer bloßen Parodie gerät. Am Ende ist er es, der den Fall löst – nicht seine profilierten städtischen Kollegen oder seine vorwitzige Frau. Neben ihm stellen sich Grit Böttcher und Tilly Lauenstein als exzellente Wahl für einmalige Gastauftritte heraus, während mit Dieter Eppler und Richard Lauffen, Klaus Kindler und Christa Siems altbekannte Gesichter für das vertraute „Stahlnetz“-Seriengefühl sorgen.

Zweifelsohne handelt es sich bei „Saison“ um ein Kammerspiel, das nichts von der aufwändigen Grandezza seiner späteren Serienkollegen hat. Doch Rolands brillante Regieeinfälle und die sorgfältig ausgefeilte Geschichte mit ihrem interessanten Verdächtigenkreis bieten beste Krimispannung im konservativen Sinn. Für ein Winterwochenende wie gemacht – 5 von 5 Punkten.

Gubanov ( gelöscht )
Beiträge:

07.01.2017 21:30
#164 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten




Stahlnetz: In jeder Stadt ...

Episode 15 der TV-Kriminalserie, BRD 1962. Schauplatz: Hamburg. Regie: Jürgen Roland. Drehbuch: Wolfgang Menge. Mit: Heinz Engelmann, Karl-Heinz Gerdesmann, Ruth Hausmeister, Peter Ahrweiler, Edgar Wenzel, Peter Striebeck, Heinz Peter Scholz, Gisela Fackeldey, Wolfgang Stumpf, Christa Siems u.a. Erstsendung: 6. April 1962, ARD. Eine Produktion des Norddeutschen Rundfunks.

Zitat von Stahlnetz (15): In jeder Stadt ...
Unter dem Vorwand, sie in der Filmbranche ganz groß herauszubringen, machen sich Halunken verschiedenster Couleur über naive Mädchen her. Entweder werden sie im Hinterzimmer bei sogenannten Probeaufnahmen handgreiflich oder sie laden die Mädchen zum Kontakteknüpfen auf abendliche Privatpartys mit „Herren der Gesellschaft“ ein, die zwar keine Beziehungen zum Film, aber dafür ganz andere Gelüste haben. Eines der Opfer, die minderjährige Gisela Brahms, stirbt, nachdem sie solchen Schmutzfinken in die Hände gefallen ist, an den Folgen einer Abtreibung. Das ruft Kriminalkommissar Bade und die Sittenpolizistin Schuster auf den Plan!


Ungewöhnlich deutlich wurde ein Kritiker in der Programmzeitschrift „Gong“ gegenüber dieser zum Produktionszeitpunkt sicher nicht unumstrittenen Episode:

Zitat von Die Krimihomepage: Stahlnetz – In jeder Stadt ..., Quelle
Obwohl die Stahlnetzserie in Zusammenarbeit mit der Kriminalpolizei produziert wird, beginnt sie mehr und mehr ihre ursprüngliche Zielsetzung zu verleugnen, weil es anscheinend wichtiger ist, nach sensationellen Effekten zu haschen, als nüchtern zu informieren und zu warnen. Diese Beobachtung im Zusammenhang mit dem äußerst heiklen Thema der heutigen Folge berechtigt zu der zusammenfassenden Beurteilung: für Erwachsene, mit erheblichen Vorbehalten.


Der Verriss, der vielleicht einer zeitgeschuldeten Prüderie geschuldet ist, trifft den Nagel insofern auf den Kopf, als etablierte Polizeikrimis von semidokumentarischem Charakter es doch einerseits nicht nötig haben, mit Sex-and-Crime-Effekten, die in überlangen peinlichen Momenten an wechselnden jungen Frauen demonstriert werden, um Aufmerksamkeit zu buhlen. Andererseits stimmt es, wenn der „Gong“ eine Entfernung von den ursprünglichen Serienprämissen feststellt: Eigentlich dazu konzipiert, das Vertrauen der fernsehenden Bevölkerung in die Exekutivorgane der jungen Bundesrepublik zu stärken, zeichnen Roland und Menge in ihrem 15. „Stahlnetz“ ein trostlos-negatives Bild von polizeilichen Befugnisproblemen, gesellschaftlicher Marodierung und dem Triumph eines unvergänglichen, beinahe gegen Verfolgung immunen Verbrechertums. Die Gewährleistung des Sicherheitsgefühls wird dadurch und durch die Warnung, das Geschehen könne sich so auch in jeder anderen Stadt als Hamburg zutragen, empfindlich geschädigt, sodass nur der heldenhafte, von Misserfolgen unbeeindruckte Heinz Engelmann den gewohnten Ton bewahrt.

Ihm steht mit Ruth Hausmeister die erste weibliche Polizistin der Reihe zur Seite, die mit ihrem schroffen, desillusionierten Auftreten die pessimistische Scharte der Folge noch weiter auswetzt. „In jeder Stadt“ balanciert auf einem schmalen Grat zwischen den relevanten Problemen einer sich wandelnden Gesellschaft und deren moralinsaurer Verallgemeinerung. In einem ähnlichen Kontrast stehen eine ganze Reihe an Füllszenen mit hausbackenen „Verführungstricks“ sowie die missglückte Zusammenführung der Handlungsstränge um Alfons Schaffner (Peter Ahrweiler) und Gregor Dibritzky (Edgar Wenzel) einigen gelungenen Spannungsmomenten gegenüber (Entsorgung der Leichenkiste im nächtlichen Hafen, Polizeiermittlungen auf dem Wasser). Die Episode kann darüber hinaus große Stücke auf ihre Hamburgaufnahmen halten, doch interessanterweise konterkariert genau dieses einprägsame Lokalkolorit die eigentliche Aussageabsicht:

Zitat von Nora Hilgert: Unterhaltung, aber sicher!, Bielefeld 2013: transcript Verlag, S. 370
[O]bwohl das Verbrechen in jeder anderen Stadt stattfinden könnte, wie im Übrigen fast alle Folgen der Stahlnetz-Reihe, werden Bilder präsentiert und benannt, die untrüglich Hamburg auszeichnen: der Hafen, die Landungsbrücken und St. Pauli – das Vergnügungsviertel nicht einer Hafenstadt, sondern der Hafenstadt Hamburg. Ob der Zuschauer bei solch starken Bildern tatsächlich die Transferleistung in seine eigene Stadt vollziehen konnte, bleibt ungewiss. Die Rezensionen [...] geben [...] kein Beispiel aus ihrer jeweiligen Region.


So bleibt der Eindruck zurück, es hier mit einem vielleicht etwas zu ambitionierten Fall zu tun zu haben, bei dem es den Machern nicht gelang, die weitreichenden Implikationen der teilweise an spätere Aufklärungsfilme erinnernden „Rattenfänger-Strategien“ mit den Rahmenbedingungen der Serie „Stahlnetz“ zu vereinen. Der behandelte Mord ist eher ein Zufallsprodukt und auch generell für Roland offenbar von geringerem Interesse als die Ausnutzung naiver Mädchenträume.

„Rotkäppchen und der böse Wolf“ in modern-urbanem Duktus. Der Agilität eines Heinz Engelmann stehen hier merkwürdig zweifelnde Schilderungen der Effizienz von Polizeiarbeit entgegen; Ruth Hausmeister verbreitet latente Endzeitstimmung. Da gibt es erbaulichere Fälle! 2,5 von 5 Punkten.

DanielL Offline




Beiträge: 4.155

07.01.2017 23:43
#165 RE: Der Stahlnetz-Grandprix Zitat · Antworten

Vielen Dank für die ausführlichen Reviews. "In jeder Stadt" kommt mir mit 2,5 Punkten bei deiner Bewertung zu schlecht weg.

Obwohl Roland den Szenen mit dem falschen Filmproduzenten Schaffner und seinen nach großer Bühne strebenden Opfern Zeit einräumte, kann ich eigentlich keine wirklichen Sex-and-Crime-Effekte feststellen. Zwar sind die Mädchen allesamt tendenziell gefühlt eine Stufe zu überzeichnet naiv präsentiert und die Verführungstricks wirken heute leicht albern, aber immerhin ist die Produktion aus dem Jahr 1962 und die Szenen wirken inhaltlich begründet. Viele Vorbilder, mit diesen Themen umzugehen gibt es noch nicht und die große Sex-and-Crime-Welle steht erst noch aus. Amüsant finde ich die Szene, in der die Ermittler sich über das heruntergekommene "Filmstudio Schaffner" wundern, wobei viele Filmstudios ja damals wie heute tatsächlich zumindest von den Gebäuden her nicht mehr Glanz ausgestrahlen. Durch Filmset-in-Film-Szenen kann man sich in der Episode auch gleich ein zeitgenössisches Bild von den Studio Hamburg Ateliers machen.

Was mir an dieser Folge besonders aufgefallen ist, ist der große produktionsorganisatorische Aufwand, der betrieben wurde. Der steht einer Kinofilmproduktion jener Zeit nichts nach. Jede Entwicklung im Fall wird mit Bildern belegt, nichts wird durch einen Dialog etwa geschickt eingespart, ob dafür Fahrten auf der Elbe oder das Abfilmen von unzähligen Wäschereinen im Stadtgebiet nötig sind. Auch die Innendekors sind üppig, selbst wenn sie nur für kürzere Szenen gut sind.

Das Engelmann als Vertreter der "alten Generation" sich von der nicht wesentlich jüngeren aber fachlich "kundigen" Hausmeister ein bisschen belehren lassen muss, was denn die Einstellung der jungen Leute angeht, finde ich ganz gut gelöst. Es trägt den Konflikt zwischen Elterngeneration und Kindern bis zu den Hauptpersonen und zeigt eben die gegenseitigen Verständnisprobleme recht nahe. Das Hausmeister dabei schroff agiert, macht sie glaubhaft in beide Richtungen. Ich sehe sie hier sehr gerne und empfinde sie absolut gewinnbringend. Finde es auch ganz gut, dass Roland die Polizei mal innerhalb der Reihe nicht aalglatt dastehen lässt. In anderen Fällen hat er ja eher kritische Aspekte an der Polizeiarbeit, die es im Originalfall gab, ausgespart.

Eine Entfernung von ursprünglichen Serienprämissen? Einerseits kann man beim Stahlnetz sicherlich einen im Verlauf der Reihe seitens Roland gesteigerten Anspruch an Tempo und Spannungsmomenten gegenüber dem niemals verlorenen aber nicht mehr allein vorherrschenden Berichterstattungs-Stils erkennen, die sich an einigen dramaturgischen Kniffen zeigt, aber nicht nur diese Folge betrifft. Anderseits stimmt das bei dieser Folge insofern, dass es ungewöhnlich ist, dass der Mordfall erdacht ist. Denn nach Infos von Georgs Krimiseite beruht in dem Fall ja gerade die Story um Dibritzkys Fotoatelier auf wahren Polizeiakten, freilich großzügig dramatisiert, während der "dazugehörige" Mordfall eine Erfindung von Menge ist.

Gruß,
Daniel

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