Episode 7 der TV-Kriminalserie, DDR 1972. Regie: Bernhard Stephan. Szenarium: Gerhard Jäckel. Drehbuch: Bernhard Stephan. Dramaturgie: Hans Jürgen Faschina. In der Hauptrolle: Jürgen Frohriep (Oberleutnant Jürgen Hübner). Mit: Karin Ugowski (Leutnant Helga Lindt), Uta Schorn (Sybille Arnold), Hans-Joachim Hegewald (Martin Rienacker), Manfred Karge (Helmut Paulsen), Werner Lierck (Köhlermann), Uwe-Detlev Jessen (Dr. Peiffer), Ernst-Georg Schwill (Wachtmeister Zapf), Dietmar Richter-Reinick (Dr. Windhorst) u.a. Erstsendung: 16. Juli 1972. Eine Produktion des Fernsehens der DDR.
Zitat von Polizeiruf 110 (7): Blutgruppe ABIn einer Scheune versucht die Anhalterin Sybille, sich das Leben zu nehmen. Nach dem gescheiterten Suizidversuch gibt sie zu: Sie ist vergewaltigt worden. Der Polizei kann oder will sie nur vage Hinweise geben. Der Täter war ein LKW-Fahrer einer Fleischfabrik. Während Leutnant Lindt mit weiblichem Einfühlungsvermögen versucht, Sybille weitere Details zu entlocken, nimmt Oberleutnant Hübner die Mitarbeiter eines verdächtigen Betriebs unter die Lupe. Ihm hilft, dass der Unhold am Tatort einen Schlüsselbund zurückließ, an dem sein Blut haftet. Es handelt sich um die seltene Blutgruppe AB!
Die „neue Offenheit“ des DDR-Fernsehens im Umgang mit Verbrechen im sozialischen Elbe-Oder-Paradies – insbesondere auch skandalösen wie eben Vergewaltigungen – weiß durchaus zu überraschen, wirkt aber ehrlicher und authentischer als frühere Behauptungen, alle Gesetzesverstöße seien auf außersystemische Einflüsse, insbesondere den Erzfeind BRD, zurückzuführen. „Blutgruppe AB“ nimmt sich des schrecklichen Erlebnisses von Sybille Arnold und einer weiteren ungenannten Frau sensibel an, was sich unter anderem in einer strikten Aufgabentrennung ausdrückt: Der Umstand, dass weibliche VoPo-Beamte von Anfang an Serienbestandteil waren, wird hier in Gestalt von Karin Ugowskis rücksichtsvoller Genossin Leutnant ausgekostet – sie setzt auf eine gemeinsame Vertrauensbasis mit der Geschädigten, die sie mit Engelszungen zur Kooperation zu überreden versucht. Auch das Ringen von Sybille mit ihrer Schwangerschaft wird in den Gesprächen zwischen den Frauen angesprochen – ein delikates Thema, das mit der sukzessiven Verarbeitung des Schocks aber an Brisanz verliert. Der männliche Teil des Ermittlerduos agiert dagegen als kompetenter Wahrheitsfinder im Verdächtigenmilieu.
Jürgen Frohriep gestaltet den Oberleutnant Hübner als kompetenten Berufsroutinier, dem ein schelmischer Sinn für Humor gegeben ist, was dem ernsthaften Thema der Folge einige regelrecht skurrile Kontrapunkte entgegensetzt. Gespräche über Innereien, die in Aluminiumfässern transportiert werden, oder begriffsstutzige Verdächtige sorgen für herzhafte Lacher, was man in dieser Folge eigentlich eher nicht vermutet hätte. Im Gegensatz zum eher gutmütigen Peter Borgelt zückt Jürgen Frohriep gen Ende aber auch die Dienstwaffe; hinter der manchmal frotzelnden Fassade verbirgt sich also durchaus ein ernstzunehmender Gerechtigkeitshüter. Auf weitere Folgen mit OL Hübner darf man gespannt sein!
Bernhard Stephan gelingt es, die Bedrohlichkeit des abgelegenen Waldes gut deutlich zu machen. Seinen Aufnahmen kommt das gestochene Schwarzweiß zugute, das jedes Aufkeimen einer Frühlingsstimmung (Drehzeit März bis Mai 1972) verhindert und stattdessen Kälte und Ungemütlichkeit betont. Während man von Sybilles Martyrium nichts mitbekommt, deutet er den Überfall des Sittenstrolchs auf sein zweites Opfer in einer geschickt gefilmten Szene an. Auch tempomäßig ist „Blutgruppe AB“ absolut vorbildlich, wobei sich die Frage aufdrängt, ob aufgrund des empfindlichen Themas womöglich doch irgendwann die Schere angesetzt wurde. Angaben von Wikipedia zufolge läuft „Blutgruppe AB“ 50 Minuten und gehört damit zu den kürzesten „Polizeiruf“-Folgen. Die DVD hat eine Spielzeit von lediglich 44 Minuten.
Interessant ist unabhängig davon, dass die Episode nicht dem üblichen Schema mit sofort aufblendendem Vorspann sowie einem Abspann auf schwarzem Hintergrund folgt, sondern eine sehr stimmige Prätitelsequenz zum Streit von Sybille mit ihrem Freund vorlegt und den Abspann mit einer Versöhnungsszene untermalt. So schließt sich um den Alptraum ein Rahmen, der die Geschichte der „Notzucht“ – so der Arbeitstitel – ein wenig abmildert.
Auch abseits von Mord und Totschlag können Schilderungen gravierender Verbrechen mit Bravour gelingen. So kombiniert „Blutgruppe AB“ tabuisierte Übergriffe, Schock der Opfer, den psychischen Zwang des Täters und die passende Strategie der Ermittler zu einem sehenswerten Krimi, der erstaunlicherweise ganz ohne Moralpredigten auskommt. 4,5 von 5 Punkten.
Episode 8 der TV-Kriminalserie, DDR 1972. Regie: Hans-Joachim Hildebrandt. Szenarium: Tom Wittgen. Drehbuch: Hans-Joachim Hildebrandt. Dramaturgie: Eberhard Görner. In den Hauptrollen: Peter Borgelt (Oberleutnant Peter Fuchs), Sigrid Göhler (Leutnant Vera Arndt), Alfred Rücker (Leutnant Lutz Subras). Mit: Friedrich Richter (Wilhelm Hoppe), Hans-Joachim Hanisch (Hermann Stelter), Gerhard Rachold (Herr Uhlig), Jutta Liebster (Anette Fleck), Heinz-Uwe Haus (Bodo Wendler), Axel Triebel (Herr Tanne), Otto Erich Edenharter (Herr Frosig), Siegfried Seibt (Herr Lang) u.a. Erstsendung: 20. August 1972. Eine Produktion des Fernsehens der DDR.
Zitat von Polizeiruf 110 (8): Ein bisschen AlibiOpa Hoppe gilt im Mietshaus als Phänomen: Der ehemalige Schneider ist ein wohlhabender und angesehener Mann. Als er tot aufgefunden wird, weiß man sofort, woher der Wind weht: Jemand hatte es auf sein Geld abgesehen, denn am Skatabend zuvor hatte Hoppe durchblicken lassen, dass er über kein Konto verfüge und seinen Besitz in bar in der Wohnung aufbewahre. Alle Kneipenbesucher, die das überhören konnten, haben für die Mordnacht jedoch „ein bisschen Alibi“, sodass Oberleutnant Fuchs und Leutnant Arndt zunächst im Dunkel tappen. Zum Glück ließ der Raubmörder etwas Verräterisches am Tatort zurück: seine Schuhe! Sie geben einiges über den Schuldigen preis ...
Man sollte nicht meinen, dass sich hinter einem so kreativen Episodentitel eine derart biedere Folge verbirgt. „Ein bisschen Alibi“ bietet ausführliche Einblicke in die graue Hinterhauslandschaft einer Ostberliner Mietskaserne, wo dem Einzigen, der einigermaßen aus der Mittelmäßigkeit heraussticht, wegen seiner Besitztümer der Schädel eingeschlagen wird. Die bisherige Stärke der Serie, kleinstädtische oder dörfliche Schauplätze in den Mittelpunkt zu rücken, wird hier von Regisseur und Schauspieler Hans-Joachim Hildebrandt ohne Not aufgegeben zugunsten einer eher anonymen Atmosphäre irgendwo zwischen heruntergewohntem Gründerzeitblock und proletarischem Gartenlokal.
Opa Hoppe möchte nicht recht in diese fade Umgebung passen, wirkt fast wie ein Paradiesvogel. Sein Sprechen ähnelt (auch in nüchternem Zustand) einem Singsang; Friedrich Richter gelingt hier ein sehr einprägsamer Auftritt, bei dem es dem Zuschauer um das Raubmordopfer wirklich leid tut. Leider sind alle Verdächtigen umgekehrt wenig einprägsame Zeitgenossen, zu denen man ebenso wenig Beziehung aufbaut wie zum neuen, ziemlich glatten Kriminalassistenten Subras. Das heißt, dass die Ermittlungen eher lustlos vor sich hinplätschern.
Zitat von „Polizeiruf 110: Ein bisschen Alibi“ bei Wikipedia.org, QuelleDie Kritik lobte zwar die sehr gute Besetzung des Films, befand jedoch, dass er „das mangelnde Geschick der ostdeutschen Fernsehkriminalisten [belege], mit solch einem Delikt [Raubmord] umzugehen.“ Der Fall wirke vorhersehbar und zum Teil unglaubwürdig konstruiert, während einige Figuren wie Anette und Bodo wenig profiliert erschienen.
Ein bisschen enttäuschend ist der achte „Polizeiruf“ auch deshalb, weil der Regisseur Hildebrandt mehr als 10 Jahre zuvor bereits für das DDR-Fernsehen Verfilmungen der Edgar-Wallace-Stücke „Der Mann, der seinen Namen änderte“ (1956) und „Der Zinker“ (1959) gedreht hatte. Diese sind zwar leider nicht überliefert; es wäre aber interessant gewesen, ob er darin größere Spannung aufbauen konnte als in „Ein bisschen Alibi“.
Dieser Raubmord ist eine triste Angelegenheit, die sich auch nicht durch besonderes Engagement des Stammteams auszeichnet. Friedrich Richter gibt eine beeindruckende Vorstellung als Mordopfer, das von vielen seiner Nachbarn hoch geschätzt wird. Sonst wird nicht viel geboten, daher nur 2 von 5 Punkten.
Zitat von Gubanov im Beitrag #17 Ein bisschen enttäuschend ist der achte „Polizeiruf“ auch deshalb, weil der Regisseur Hildebrandt mehr als 10 Jahre zuvor bereits für das DDR-Fernsehen Verfilmungen der Edgar-Wallace-Stücke „Der Mann, der seinen Namen änderte“ (1956) und „Der Zinker“ (1959) gedreht hatte. Diese sind zwar leider nicht überliefert; es wäre aber interessant gewesen, ob er darin größere Spannung aufbauen konnte als in „Ein bisschen Alibi“.
Das glaube ich kaum, da es ja abgefilmte Theaterstücke waren, die live ausgestrahlt wurden. Hildebrandt war eher ein Schauspielerregisseur und in seinen Erzählweisen langsam. Das muss man mögen. Mir sind einige seiner Filme auch eher langatmig vorgekommen, allerdings gehört andererseits Ein Schritt am Abgrund aus der Polizeiruf-Serie zu meinen Lieblingsfolgen.
Jetzt näherst Du Dich ja Minuten zu spät, dem ersten von drei Polizeirufen, in denen es um Sexualdelikte an Kindern geht. Nicht schlecht, wenngleich mein Favorit natürlich der Kreuzworträtselfall ist.
Und weil Du mal anderswo vor einiger Zeit um Anspieltipps gefragt hast: aus der frühen Phase finde ich z. B. auch noch Gesichter im Zwielicht oder Der Mann toll, beide von Manfred Mosblech inszeniert, beide zwei Whodunits.
Danke für die Rückmeldung, @Georg! Natürlich steht sehr zu vermuten, dass die frühen Wallace-TV-Filme auch in der DDR keine Ausgeburten von Action und Spannung waren. Leider wird es wohl keine Möglichkeit mehr geben, das in Erfahrung zu bringen. Live-Technik sei "Dank" ...
"Gesichter im Zwielicht" folgt ja schon in Box 2 - vielleicht hole ich mir die demnächst auch.
Episode 9 der TV-Kriminalserie, DDR 1972. Regie: Manfred Mosblech. Szenarium: Horst Bastian. Dramaturgie: Lotti Schawohl. In den Hauptrollen: Peter Borgelt (Oberleutnant Peter Fuchs), Sigrid Göhler (Leutnant Vera Arndt). Mit: Roland Knappe (Manfred Teich), Gerry Wolff (Herr Schenk), Dietmar Richter-Reinick (Herr Tröger), Günter Wolf (Herr Klemper), Solveig Müller (Frau Berger), Wilfried Purcher (Herr Berger), Wolfgang Brunecker (Vater Teich), Hertha Thiele (Mutter Teich) u.a. Erstsendung: 17. September 1972. Eine Produktion des Fernsehens der DDR.
Zitat von Polizeiruf 110 (9): Minuten zu spätDie kleine Karin Berger erzählt ihren Eltern und dann auch der Polizei von jenem Mann, der sie im Stadtwald – scheinbar im Spiel – unsittlich angefasst hat. Ihre widersprüchlichen Aussagen machen es den Ermittlern schwer, zu unterscheiden, was Realität und was bloß Vorstellung des fantasievollen Kindes ist. Nachdem Karin zunächst verraten hatte, dass der Belästiger im Rollstuhl sitzt, und die Ermittlungen ganz in diese Richtung ausgerichtet wurden, zieht sie diese Angabe aus Trotz wieder zurück. Sie ahnt nicht, dass sie der Polizei damit in die Hände spielt, denn der Mann fährt tatsächlich nur zum Schein Rollstuhl. Als sie ihm erneut begegnet und ihm sagt, dass die Polizei ihn sucht, versucht der Mann, Karin zu erwürgen ...
Sittlichkeitsverbrechen an Kindern sind ein empfindliches Thema, das einer behutsamen Inszenierung bedarf, um das Publikum nicht über Gebühr zu schockieren. Regisseur Manfred Mosblech stellt schon in der ersten Einstellung unter Beweis, dass er über das entsprechende Gespür verfügt, denn der Krankschwenk durch den Köpenicker Stadtpark, der sich unter dem Blätterdach langsam dem Kinderspielplatz annähert, stellt – begleitet von beunruhigender Musik – schon heraus, welchem Thema sich hier genähert werden soll. Er kommt mit der verstörenden Sequenz, in der die kleine Karin dem Mann im Rollstuhl begegnet, auch gleich unumwunden zur Sache und zeigt den Kinderschänder in spe als abstoßende Gestalt mit Schweiß auf der Stirn und lüsterner Sprechweise. Zwei weitere Insignien kennzeichnen ihn als Schwerenöter: die Flasche Cola, mit der er das Mädchen lockt (DDR-bedingt natürlich Club-Cola), und das Pfeifen als Erkennungszeichen, das er sich mit Peter Lorres Kindermörder aus „M“ teilt.
Auch in späteren Szenen macht sich eine Atmosphäre der bedrohlichen Anspannung immer wieder bemerkbar; man möchte fast meinen, dass Mosblech ähnlich problemorientiert und dennoch feinfühlig inszeniert wie BRD-Konfliktkrimi-Pendant Theodor Grädler. Dies wird z.B. in den Szenen mit den Eltern von Manfred Teich oder der versuchten Vergewaltigung der Angestellten aus der Gärtnerei besonders deutlich, die der Folge Spannung und Dramatik verleihen, ohne abgeschmackt zu wirken. Kleinere Propagandaeinsprengsel, die die Familie Teich als religiöse Hardliner ausweisen, stören nicht weiter, hätten aber auch nicht sein müssen. Ein wenig irritierend erscheint hingegen der stellenweise etwas unpassende bzw. unfreiwillige Humor, so etwa bei der Verfolgungsjagd der Rollstuhlfahrer oder als Leutnant Arndt sich mitten in einer späten Dienstbesprechung auf dem Revier entnervt ihre Perücke vom Kopf reißt.
Andererseits zeigen sich Peter Borgelt und Sigrid Göhler hier wieder einmal von einer merklich prägnanteren Seite, nachdem sie in den letzten Folgen, in denen sie auftauchten, mit gepflegter Eigenschaftslosigkeit glänzten. Vor allem Göhler gelingt es, ihre emotionale Involvierung in den Fall deutlich zu machen, da Leutnant Vera Arndt ebenfalls Mutter eines Sohns und einer Tochter ist und sich um diese sorgt. Peter Borgelt zeigt dagegen stieselige Beamtenhaftigkeit, indem er die kleine Karin, immer wenn diese ihre Meinung ändert, zum Teufel wünscht. Einmal malt er selbigen sogar an die Wand, als er sich zu der Äußerung hinreißen lässt, es müsste etwas passieren, damit man etwas gegen den Täter in der Hand hätte. Glücklicherweise geht es für Karin aber einigermaßen glimpflich aus, weil es die ursprüngliche „härtere“ Variante wohl nicht durch die Zensur geschafft hätte:
Zitat von „Polizeiruf 110: Minuten zu spät“ bei Wikipedia.org, Quelle[D]er Arbeitstitel Ein kleiner weißer Sarg [...] deutet [an], dass ursprünglich angedacht war, mindestens eines der Kinder sterben zu lassen. Auch der nahezu handlungsgleiche Kriminalroman Die Brut der schönen Seele von Horst Bastian legt dies nahe, da in diesem das erste Opfer des Täters getötet und in einem weißen Sarg beerdigt wird.
Diese letzte Konsequenz hätte der Folge zusätzlichen Punch gegeben und wäre auch dem trotz Änderung immer noch recht fatalistischen Episodentitel besser gerecht geworden.
Roland Knappe überzeugt als schmieriger Eigenbrödler in den Fußstapfen von Peter Lorre („M“) und Gert Fröbe („Es geschah am helllichten Tag“), dem zwei unterschiedlich motivierte Ermittler auf die Schliche zu kommen versuchen. Ein ziemlich starker „Polizeiruf“ mit einigen unangenehmen Momenten. 4 von 5 Punkten.
Episode 10 der TV-Kriminalserie, DDR 1972. Regie: Gerhard Respondek. Szenarium: Hans Lucke. Drehbuch: Gerhard Respondek. Dramaturgie: Hans Jürgen Faschina. In den Hauptrollen: Peter Borgelt (Oberleutnant Peter Fuchs), Jürgen Frohriep (Oberleutnant Jürgen Hübner), Alfred Rücker (Leutnant Lutz Subras). Mit: Eberhard Mellies (Ernst Lindau), Henry Hübchen (Peter Lindau), Friederike Aust (Greta Immendahl), Gudrun Jochmann (Melanie), Peter Groeger (Herr König, Apotheker), Hans Lucke (Dr. Senkpiel), Arnim Mühlstädt (Julius Schwarz), Karl Brenk (Kuddel) u.a. Erstsendung: 22. Oktober 1972. Eine Produktion des Fernsehens der DDR.
Zitat von Polizeiruf 110 (10): BlütenstaubAlarm in einer Kleinstadtapotheke: Ein Unbekannter ist über Nacht ins Arzneilager eingebrochen und hat den Medikamentenschrank aufgebrochen. Seine Beute: Morphium und Strychnin – genug, um die ganze Stadt damit auszulöschen. Die Spurensicherung kann keine Fußspuren finden, wohl aber Rückstände von Blütenstaub. Sowohl die Reinemachfrau Immendahl, die zuvor einen deutlich angeseheneren Job als Laborantin innehatte, als auch ein Kohlenhändler aus der Nachbarschaft geraten unter Verdacht. Doch dann nimmt das Verbrechen einen unerwarteten Verlauf: Der Dieb spritzt das entwendete Morphium einem stadtbekannten Trinker und erpresst damit den Apotheker um 10’000 Mark!
Die Besprechung enthält leichte Spoiler.
Ähnlich wie seine erste „Polizeiruf“-Episode „Das Haus an der Bahn“ fällt auch „Blütenstaub“ von Gerhard Respondek trotz einer ansprechenden Kulisse sehr nüchtern und damit ein bisschen langweilig aus. Diesmal spielen sich die Ereignisse vor einer sozial erstaunlich zerklüfteten Kleinstadtkulisse ab und auch das Apothekenmilieu weiß ähnlich gut zu gefallen wie jenes der Bahner in Fall Nummer 5. Dennoch inszeniert der Regisseur zu gemächlich, um ernstliches Mitfiebern zu ermöglichen. Der Raub der Gifte wird so sachlich abgehandelt, dass das Damoklesschwert, das da über dem Städtchen und seinen Einwohnern hängt, kaum Wirkung zeigt. Ein paar Schaulustige besuchen zwar die Apotheke; allgemeine Angst macht sich aber keineswegs breit.
Dafür wagt die Folge bei oberflächlicher Betrachtung einige Systemspitzen, die sich letztlich aber als das genaue Gegenteil entpuppen, als die sich am kritischsten äußernde Figur als Täter aus völligem persönlichen Versagen entlarvt wird. Immerhin ist der Showdown der Folge noch mit einer weiteren Wendung verbunden, die man so wohl eher nicht vorausgesehen hat und für die man den Autoren Lucke und Respondek Einfallsreichtum attestieren muss.
Das erneute Auftreten von Eberhard Mellies in einer einigermaßen tragischen Rolle bildet eine weitere Brücke zu „Das Haus an der Bahn“, während der blutjunge Henry Hübchen als Freigeist markant, aber von Zeit zu Zeit etwas überkandidelt auftritt. Auch das übrige Ensemble überzeugt ohne Einschränkungen; zwischen den beiden weiblichen Apothekenangestellten (Friederike Aust und Gudrun Jochmann) blitzen immer wieder Eifersüchteleien auf, die sich zwangsläufig bei der Zusammenarbeit so verschiedener Charaktere auf engem Raum ergeben. „Blütenstaub“ markiert zudem die erste Zusammenarbeit von Peter Borgelt und Jürgen Frohriep. Die beiden Herren schieben im Gegensatz zu den kratzbürstigen Damen eine einigermaßen ruhige Kugel – ihre Kollaboration wird hier damit begründet, dass Vera Arndt gerade im Urlaub ist.
Ein solider Krimi, der inhaltlich mit einigen interessanten Kehrtwenden zu punkten weiß, aber zu unengagiert erzählt wird, um richtig zu zünden. Borgelt und Frohriep nehmen sich in der Folge nicht viel; ihre Charakterprofile sollten weiter geschärft werden, um den Zuschauern noch plastischere Identifikationsfiguren zur Seite zu stellen. Für einen insgesamt stimmungsvollen Ausflug ins märkische J.W.D. zücke ich 3,5 von 5 Punkten.
PS: Sehr gut eingebaut ist diesmal der Vorspann, der scheinbar ganz auf die Folge zugeschnitten ist. Er beginnt stets damit, dass die Nummer 1-1-0 gewählt wird und sich die Polizei, nachdem die Meldung von der Zentrale weitergegeben wurde, mit Sirenengeheul dem Tatort nähert. In „Blütenstaub“ passt dieser Ablauf mit dem vor dem Vorspann gezeigten Apothekeneinbruch und dessen Entdeckung durch Greta Immendahl perfekt zusammen.
Auch wenn der frühe „Polizeiruf“ im Vergleich zu zeitgleich produzierten BRD-Krimiserien wie „Der Kommissar“ etwas altmodisch und trocken ausfällt, so ist doch bereits ein Quantensprung gegenüber der Vorgängerserie „Blaulicht“ zu bemerken. Fälle, Rhetorik und Inszenierungen erscheinen weniger steif und insgesamt zeitgemäßer. Der „Polizeiruf“ thematisiert auch empfindliche Verbrechen und präsentiert eine interessante Mischung aus Mord und anderen Thematiken. Als Ermittler überzeugen Peter Borgelt, Sigrid Göhler und Jürgen Frohriep zwar ebenfalls hauptsächlich durch seriöse Sachlichkeit. Zugleich stellen sie aber effektive Versuche dar, dem Organ Volkspolizei ein menschlich-nettes und um Gerechtigkeit bemühtes Äußeres zu verpassen.
Meine Bewertungen bewegen sich im Durchschnitt im soliden 3,5er-Bereich. Das hört sich alles andere als enthusiastisch an, aber man sollte nicht übersehen, dass sich die Hälfte der vier Folgen in guten bis sehr guten 4- bis 4,5-Punkte-Regionen bewegt. Insbesondere „Der Tote im Fließ“ (mehrere Jahre zurückliegender Mord im Braunkohlemilieu) und „Blutgruppe AB“ (ein Vergewaltigungsfall auf dem Lande) ragen als beste Folgen heraus, auch „Minuten zu spät“ und der Pilot „Der Fall Lisa Murnau“ wissen zu überzeugen. Für spätere Folgen in kommenden Boxen besteht dennoch immer noch ein gewisses Steigerungspotenzial.
Platz 01 | ★★★★☆ | Folge 006 | Der Tote im Fließ (Helmut Krätzig) Platz 02 | ★★★★☆ | Folge 007 | Blutgruppe AB (Bernhard Stephan)
Platz 03 | ★★★★★ | Folge 009 | Minuten zu spät (Manfred Mosblech) Platz 04 | ★★★★★ | Folge 001 | Der Fall Lisa Murnau (Helmut Krätzig)
Platz 05 | ★★★☆★ | Folge 010 | Blütenstaub (Gerhard Respondek)
Platz 06 | ★★★★★ | Folge 004 | Verbrannte Spur (Heinz Seibert) Platz 07 | ★★★★★ | Folge 005 | Das Haus an der Bahn (Gerhard Respondek)
Platz 08 | ★★★★★ | Folge 008 | Ein bisschen Alibi (Hans-Joachim Hildebrandt)
Ich habe die Seite hier zufällig entdeckt und musste mich sofort anmelden, als ich festgestellt hatte das hier noch andere Krimi-Liebhaber von DDR-Krimis aktiv sind.
Ich bin zwar ein kompletter Wessi, komme aus der Nähe von Bremen, aber deutschsprachige Kriminalfilme, auch aus der ehemaligen DDR, mag ich.
Ich habe schon recht früh, nämlich ganz genau am 06. Oktober 1984 mit dem POLIZEIRUF 110 Bekanntschaft machen dürfen. An jenem Tag, einem Samstag, lief in unserem Dritten (N3) der POLIZEIRUF 110-Krimi "Auskünfte in Blindenschrift" aus dem Jahre 1982.
Der unvergessene Jürgen Frohriep ermittelte als Oberleutnant Jürgen Hübner gegen Sabotage an Treppenkonstruktionen bei Neubauten. Der Arbeiter Gernot Siebenkorn (Dieter Mann) wird dabei schwer verletzt und erblindet unheilbar. Fortan muss er die Blindenschrift erlernen und stellt sich die Frage, wie es zu dem folgenschweren Unfall kommen konnte. Nur langsam wird ihm klar, das der Verantwortliche in seinem persönlichen Umfeld zu finden ist. Seine Aufzeichnungen bringen Siebenkorn in Gefahr, denn der Täter weiß das diese ihm zum Verhängnis werden können. In letzter Minute können Oberleutnant Hübner und seine Kollegen verhindern das der Täter eine wichtige Zeugin tötet.
Jürgen Frohriep spielte seinen Ermittler Hübner nicht nur in dieser Folge so derart überzeugend, das man ihn sich auch durchaus als Ermittler im Westen hätte vorstellen können. Er ist bis heute mein absoluter Lieblingsermittler dieser Reihe.
Bis 1987 sollte es allerdings dauern, bis N3 den nächsten POLIZEIRUF 110 ausstrahlen würde. Mit "Der Schweigsame" aus dem Jahre 1981 begann eine 6teilige Reihe von DDR-Kriminalfilmen in der auch "Auskünfte in Blindenschrift" nochmal integriert wurde.
Weitere Filme waren:
"Die letzte Chance" (1980)
"Traum des Vergessens" (1985)
"Außenseiter" (Einzelfernsehfilm 1985)
"Trüffeljagd" (1981)
1988 kam mit der Folge "Im Kreis" aus dem Jahre 1986 leider wieder nur ein einziger Film aus der Reihe POLIZEIRUF 110 und als N3 im Frühjahr 1989 eine weitere 7teilige Staffel mit Filmen aus der Reihe POLIZEIRUF 110 startete, ahnte wohl niemand das dem Norddeutschen Rundfunk schon bald die gesamte Reihe zur Verfügung stehen würde.
Im Frühjahr 1989 liefen dann bei uns:
"Explosion" (1987)
"Abschiedslied für Linda" (1987)
"Ein Schritt zu weit" (1985)
"Die alte Frau im Lehnstuhl" (1987)
"Der Mann im Baum" (1988)
"Zwei Schwestern" (1987)
"Der Kreuzworträtselfall" (1988)
Wenngleich Jürgen Frohriep in letzterem nicht dabei gewesen ist, so bleibt "Der Kreuzworträtselfall" meine Lieblingsfolge. Nicht zuletzt weil es sich um einen authentischen Fall aus dem Jahre 1981 handelt, auch deshalb weil der Film das Leben in der DDR recht gut wiederspiegelte und ich denke auch für Westdeutsche sehr nachvollziehbar gemacht hat. Die akribische Ermittlungsarbeit der Ermittler, allen voran natürlich der damals neu eingeführte Hauptmann Beck (Günter Naumann) und Leutnant Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) überzeugte mich. Torsten Ranft, in der Rolle des Täters, für mich damals noch ein gänzlich unbekannter Darsteller, überzeugte nicht minder. Die Jugengruppe "Junge Pioniere" unterstützten die Arbeit der Volkspolizei. Jeder wollte helfen. Ein gewisser Zusammenhalt der Bevölkerung lässt sich erkennen, oder zumindest erahnen.
Später nach der Wende ermitteln die Hauptakteure (Günter Naumann und Andreas Schmidt-Schaller) noch einmal zusammen in der Folge "Mit dem Anruf kommt der Tod" aus dem Jahre 1991. Hier weist der Vorgesetzte Kriminalrat Böhme (Werner Tietze) daraufhin, das die beiden Ermittler in der Gegend wo sie ermitteln müssen schon mal erfolgreich gewesen sind. Der Ermittler Beck entgegnet darauf: "Da waren auch noch andere Zeiten. Da hatten wir auch noch mehr Leute." Auch eine sehr wichtige und nachvollziehbare Anekdote in dem Film, die den Zuschauer in Ost und West zum Nachdenken anregen konnte.
Editiert von Gubanov am 19.05.2020, 23:30 Uhr - Beitrag in passendes Thema verschoben
Oh, jetzt wo wir einen Oberleutnant hier im Forum haben, müssen wir ja sehr penibel darauf achten, was wir zu den DDR-Krimis schreiben - sonst schlägt die VP zu. Herzlich willkommen, @Oberleutnant Hübner, und danke für den ausführlichen Beitrag zu "Polizeiruf 110", den ich direkt in den Thread zur Serie verschoben habe. Vielleicht wird er dadurch ja wieder ein bisschen belebt?
Mir selbst sind bisher nur die allerersten Folgen bekannt, aber die waren sehr solide Krimis mit wohlig-speziellem Flair. Es besteht auf jeden Fall der Anreiz, weiterzusehen, zumal ich seit 2017 noch weitere "Polizeiruf"-DVDs im Regal und sogar noch ein paar Texte auf der hohen Kante habe.
Vielen Dank für die herzliche Aufnahme. Ja, ich denke auch der POLIZEIRUF 110 lohnt sich immer. Wenn man die späteren Folgen mit den Folgen aus den Anfängen vergleicht, dann kann man recht schnell feststellen das es am Anfang eher kleinere Delikte waren, aus denen die Macher im Westen niemals einen TATORT gemacht hätten. Später, gerade in den 80ern wurde man auch in der DDR mutiger und Mitte der 80er Jahre kam dann ja auch der eher etwas aufmüpfige Leutnant Thomas Grawe (Andreas Schmidt-Schaller) hinzu, der ungern Krawatte trug und wegen dem Hauptmann Fuchs (Peter Borgelt) öfters von den Vorgesetzten einen auf den Deckel bekam. Aber auch Grawe machte seinen Weg und wurde noch vor der Wende zum Oberleutnant befördert. Überhaupt dürfte der POLIZEIRUF 110 die interessanteste Biografie aller Krimi-Reihen und Serien überhaupt während der Wendezeit erfahren haben. Dabei war Anfangs gar nicht sicher, ob die Reihe fortgesetzt wird
Na ja, kleinere Delikte am Anfang, das würde ich nicht unbedingt sagen: Raub mit Mordversuch (DER FALL LISA MURNAU), Brandstiftung (VERBRANNTE SPUR), Mord (DAS HAUS AN DER BAHN/ DER TOTE IM FLEET), Vergewaltigung (BLUTGRUPPE AB) oder Kindesmissbrauch (MINUTEN ZU SPÄT) sind nicht gerade kleine Delikte. Ich würde eher sagen, dass man anfangs bemüht war, eher das breite Spektrum an Kapitalverbrechen zu behandeln. Außerdem ähnelte der Stil eher dem westdeutschen KOMMISSAR, mit Whodunit-Struktur und Rückblende am Ende. Erst später wurde der POLIZEIRUF zum psychologischen Krimi, der die Täterpsychologie in den Mittelpunkt stellte und damit auch banalere Fälle behandelte. Ich glaube, dass das parallel ging mit der anfangs scheinbar offeneren Honecker-Ära, die sich allmählich doch als stark einschränkend erwies und die Regisseure dadurch ein Ventil suchten, um im Krimi versteckt Gesellschaftskritik zu üben.
Punkto "Psychologischer Krimi", ich weiß jetztv nicht wann circa diese "Umstellung" kam. Beim Tatort war das mit dem ersten Erfolgen von Columbo, quasi der "WhoDoneIt-Killer"