Nachdem er neulich woanders gewürdigt wurde, grabe ich diesen Thread mal aus.
Obwohl er (abgesehen von seinem ersten Auftritt, bei dem er trotz Betrügereien auf der "guten Seite" stand) stets Ganoven spielte, fand ich HarryWüstenhagen nie unsympathisch. Ob es daran lag, dass er (zumindest on-screen) nie zum Mörder und (abgesehen von der Schlägerei in der "Gruft") auch nicht gewalttätig wurde? Jedenfalls hat mich seine ganz spezielle Spielweise immer schon beeindruckt: zugleich leichtfüßig und präzise, mit einer gewissen schmierigen Note, aber zugleich noch mit Sympathiepunkten. Man merkt wirklich, dass der gehobene Boulevard seine Domäne war, dort trat er bevorzugt in Stücken britischer und französischer Autoren auf. Was neulichebenfalls angesprochen wurde: Nach zwei relativ großen Rollen direkt nacheinander trat er erst in zwei Filmen von Gottlieb wieder auf. Im "Abt" war er für den leichtfertigen Dandy Arthur Gine, der zwischen Arroganz und Nervosität schwankt, ideal besetzt; in der "Gruft" stach er unter den anderen Gaunern für mich zumindest noch etwas heraus (ich weiß, da gibt es auch andere Ansichten). Im "Hund" dagegen war er für mich praktisch verschwendet, im "Glasauge" kann er erst in seinen beiden letzten Szenen zumindest etwas punkten. Laut Joachim Kramp war er als Frank Keeny im "Peitschenmönch" vorgesehen. Das hätte sicher gepasst, obwohl er dann gleich in zwei Szenen als Mörder hätte gezeigt werden müssen. Daneben gibt es einige weitere Rollen in der Serie, in denen ich ihn mir vorstellen könnte: Basil Hale im "Fälscher" wäre eigentlich genau sein Typ gewesen, der "schöne Steve" im Grunde auch, ebenso wie Joe Igle in "Zimmer 13". Und da Wüstenhagen Nervosität hervorragend spielen könnte, wäre vielleicht sogar Sir Cecil Ramsey etwas für ihn gewesen (oder Dr. Brand im selben Film). Natürlich wäre es langweilig geworden, wenn er alle diese Rollen gespielt hätte; aber zumindest in einer oder zweien davon wäre er vielleicht etwas gewesen (ohne die tatsächlichen Besetzungen schmälern zu wollen).
Eigentlich ist Harry Wüstenhagen ein Schauspieler, der für Wallace-Verfilmungen wie geschaffen erscheint. Warum? Wie in den Threads über Wallace-Romane öfter erwähnt wurde, hatte der Autor eine Vorliebe für kleine Gauner, die sich trotzdem noch einen Rest an Ehre bewahrt haben oder Skrupel bekommen, weswegen sie durchaus Sympathiepunkte erhalten; daneben liebte er Verbrecher mit einer gutsituierten Fassaden. Beide Typen konnte Harry Wüstenhagen hervorragend bedienen, manchmal auch eine Vermischung von beiden, etwa bei Arthur Gine. Dass seine beiden ersten (und auch größten) Auftritte in der Serie genau in diese Kerbe hauen war insofern nur folgerichtig. Beim Lesen der Bücher stößt man ab und an auf Figuren, für die er sich im Falle einer Verfilmung angeboten hätte, etwa den Halbwelt-Gauner Monty Norman in den "drei Gerechten" oder den Arzt Dr. Hallam im "Unheimlichen", der vom Autor gegen Ende überraschend milde behandelt wird, wenn man bedenkt, dass er einen Drogenring leitete. Übrigens hätten sich bei der "Bande des Schreckens" gleich zwei Kandidaten gegeben, wenn man nach der Charakterisierung im Buch ginge: Entweder der verweichlichte Dandy Jackson Crayley, den doch noch das Gewissen übermannt, oder auch der Anwalt Henry, dem trotz seiner gelackten Fassade mitunter die Nerven entgleisen.