AUSGETRICKST
Disney legt den Zeichenstift nieder
Sind die drolligen Disney-Figuren, die gerade wegen ihrer kleinen gestalterischen Makel einen zeichnerischen Charme versprühen und ein einzigartiges Flair kreieren, nicht mehr zeitgemäß? Hat das ach so moderne und hoch technisierte 21. Jahrhundert keinen Platz mehr für kunstvolle Handarbeit?
Die traurige Antwort lautet: Nein! Die guten alten Klassiker Zeichenbrett, Bleistift und Farbtopf gelten als überholt - Hochleistungsrechner und aufwändige Computeranimationen sind gefragt. Aus die Maus mit dem nostalgischen Disney-Feeling, das uns in Hits wie "Das Dschungelbuch" begeistert hat.
So bäumen sich die "Bärenbrüder" in ihrem gleichnamigen Film zwar derzeit nach guter alter Erzähltradition ein vorletztes Mal auf, können jedoch den Kampf gegen die Hollywood-Maschinerie trotz eines großartigen Starts nicht gewinnen. Nach diesem rührend-schönen Natur-Potpourri aus Klassikern wie "Der König der Löwen" und "Pocahontas" wird im September nur noch "Die Kühe sind los!" als 45. und letztes handgezeichnetes Disney-Abenteuer in die deutschen Kinos kommen. Denn selbst eine verrückte Kuhherde kann den Siegeszug des Computer-animierten 3D-Films nicht aufhalten.

Das große Herumkrebsen
"Probier's mal mit Gemütlichkeit" kann sich der Unterhaltungskonzern schon lange nicht mehr sagen: Die letzten traditionellen Zeichentrickfilme entpuppten sich als wahre Kassenflops, während die von Pixar animierten Produktionen Vertriebspartner Disney einen Löwenanteil einbrachten: Von "Toy Story" über "Das große Krabbeln" und "Die Monster AG" bis "Findet Nemo" - in den letzten Jahren verdankte das Haus der Maus seinen Profit fast ausschließlich der fruchtbaren Kooperation mit Apple-Gründer und Pixar-Chef Steve Jobs. Denn während die letzten vier traditionellen Disney-Trickfilme 86 Millionen Dollar einspielten, warfen die letzten vier Computer-animierten Pixar-Filme - ohne den bombastischen 850 Millionen Dollar-Erfolg von "Findet Nemo" - stolze 214 Millionen Dollar ab.
Eiszeit
Auch die Konkurrenz schläft nicht: Spätestens seit Dreamworks giftgrünem Kuschelmonster "Shrek", das demnächst ein zweites Mal auftrumpft, ist bei Disney ein "Ice Age" angebrochen. Radikale Kürzungen, Schließungen und Entlassungen in Orlando, Burbank, Paris und Tokio seit 1997 sind die traurige Bilanz des einst so märchenhaften Imperiums, dessen Vertrag bis 2006 mit Pixar nicht mehr verlängert worden ist. Ein harter Schlag für den Unterhaltungsriesen.
Bahnbrechende Neuerungen hat es in der Kreativabteilung tatsächlich seit langem nicht mehr gegeben. Im Gegenteil: Führende Talente wie Zeichner, Regisseur und Produzent Don Bluth sprangen schließlich ab, und das Studio profitierte hauptsächlich von Wiederaufführungen der Klassiker.
Da steppt der Bär
So boten der fröhliche Bär Balu, die heimtückisch-hypnotische Schlange Kaa und Uran Uta-König King Louie nicht nur ein swingendes Affentheater im Urwald, sondern machten "Das Dschungelbuch" zumindest in Deutschland zum erfolgreichsten Film aller Zeiten. Ähnlich beeindruckt zeigte sich das hiesige Publikum von der glorreichen Mission des mutigen Mäusepaars "Bernard und Bianca - Die Mäusepolizei", Waisenkind Penny aus den Fängen der berüchtigten Madame Medusa zu befreien. Ebenso miaute sich der Clan der "Aristocats" in die Herzen der deutschen Zuschauer und bescherte Disney alles andere als Katzenjammer.
Schatztruhe und Trugschluss
In den 90ern konnte Aladdins Öllampe für das nötige Wunder sorgen, und auch bei "Der König der Löwen" hat jeder - unter Elton Johns Begleitung - die Liebe gespürt, mit der die Disney-Figuren gestaltet sind. In "Lilo & Stitch" konnte ein kleines freches hawaiianisches Mädchen mit Elvis-Tick nicht nur ein außerirdische Monster im Hundepelz zur Menschlichkeit bekehren, sondern auch die Kinogänger zur Rückbesinnung auf die traditionelle Zeichentrickkunst bewegen - leider nur für kurze Zeit, denn "Der Schatzplanet" entpuppte sich 2002 als filmisches Ödland.
Aus die Maus?
"Ich glaube, dass die handgezeichnete Animation weiterhin bestehen wird - in welcher Form auch immer," zeigt sich Disney-Chef Dick Cook optimistisch. Fakt ist jedoch, dass nach "Die Kühe sind los!" kein weiterer Film in der alten Zeichentrickkunst folgen und damit definitiv das Ende einer Ära eingeläutet wird. So ist "Little Chicken" bereits als reiner Computer-animierter Film geplant. Man darf gespannt sein, wie sich der Unterhaltungskonzern entwickelt, wenn er ab 2006 bei solchen Projekten nicht mehr auf die Expertise von Pixar zurückgreifen kann.
Los Angeles, 08.04.2004